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Schwul heißt nicht krank

Ein fast vergessenes Vorbild an Mut und Toleranz:
der Leipziger Verleger Max Spohr

Von Oliver Reinhard

Wenn sich heute Verlage auf den Schwerpunkt "homosexuelle" Belletristik und Fachliteratur konzentrieren, dann ist dies eine eher ungefährliche Angelegenheit. Das war beileibe nicht immer so. Noch vor 100 Jahren wurden Verleger wegen der Publikation "schwuler" Bücher beständig denunziert, angeklagt, verurteilt; der Paragraph 184 des Reichsstrafgesetzes verbot die "Verbreitung unzüchtiger Schriften". Einer, der die Härte dieses Gesetzes mehrfach zu spüren bekam, war der Verleger Max Spohr.

1905 gestorben, ist Spohr mittlerweile beinahe vergessen. Das soll sich nun ändern: Im Berliner "Schwulen Museum" läuft eine Ausstellung zu dessen Leben und Wirken, eine Spohr-Biografie steht kurz vor der Drucklegung. Und in Leipzig, wo die Ausstellung im Herbst Station macht, benannte man jüngst eine Straße nach ihm. Das ist nicht zu viel der Ehre. "Max Spohr war eine durch und durch außergewöhnliche Person, die auch für die heutige demokratische Gesellschaft absolut vorbildlich ist." So Dr. Friedrich Schregel vom Kölner "Centrum Schwule Geschichte".

Seit 1893 hat sich Max Spohr als weltweit erster Verleger auf Schriften über Homosexualität spezialisiert, den Schwulen ein breites publizistisches Forum geschaffen. Und das zu einer Zeit, in der kein anderer Lebensbereich derart tabuisiert und in der öffentlichen Meinung verachtet war. Zwar gab es die Todesstrafe für gleichgeschlechtlichen Männersex in Preußen schon seit 1794 nicht mehr, doch blieb er strafrechtliches Delikt. Eine gewisse "Lockerung" im Umgang mit dem Thema trat erst ein, als sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer mehr Psychologen, Gerichts- und "Irrenärzte" damit befassten.

Es kam zur allmählichen Uminterpretation: Homosexualität galt - unter fortschrittlichen Wissenschaftlern - nicht länger als "Sünde" oder "Verbrechen", sondern als Krankheit. Und, wie erstmals Richard von Krafft-Ebeling in seiner bahnbrechenden Schrift "Psychopathia sexualis" 1886 erklärte, als heilbar. Dieser noch heute weit verbreiteten Auffassung widersprach kurz darauf Magnus Hirschfeld. Schwulsein, schrieb der berühmte Sexualforscher, ist weder Krankheit noch Anomalie, sondern ein natürliches Phänomen: Ein Schwuler wird man nicht erst, man kommt als solcher zur Welt. So das damals überaus provokante Fazit von Hirschfelds Buch "Sappho und Sokrates oder wie erklärt sich die Liebe von Männern und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts", veröffentlicht 1897 von Max Spohr.

Leidenschaftliches und kurzes Streiten

Zwar verlegte Spohr viele Werke zu anderen Bereichen, über sonstige Sexualwissenschaften, Okkultismus, die Lebensreform-Bewegung, Philosophie und Kulturgeschichte. Aber keinem Thema widmete er so viel Engagement und Einsatz wie der Homosexualität. Insgesamt 120 belletristische und Fachwerke erschienen im Hause Spohr. Und noch im Erscheinungsjahr von "Sappho und Sokrates" gründete er gemeinsam mit Magnus Hirschfeld das Wissenschaftlich-Humanistische-Komitee, die erste internationale Organisation für die Emanzipation der Schwulen und gegen deren Diskriminierung. Es war ein leidenschaftliches, ein kurzes Streiten: Schon mit 55 Jahren starb Max Spohr an Krebs. Die vielen Verleumdungen, Klagen, Prozesse und Beschlagnahmungen, die er zu erdulden hatte, mögen das Ihre dazu beigetragen haben.

Was seinen Einsatz umso bemerkenswerter macht: Spohr war "Hetero". Magnus Hirschfeld beschreibt ihn in seinen Memoiren als Mann, der "von anderweitigen Empfindungen ungetrübt" war, ein glückliches Familienleben führte und sich nur bedingt von geschäftlichen Gesichtspunkten leiten ließ. "Vielmehr von der Überzeugung, im Dienste einer großen Idee zu wirken." Max Spohrs Biograf Mark Lehmstedt stimmt dem zu. "Er war keiner, der sich aus Geltungssucht in den Vordergrund drängte. Er wirkte lieber im Stillen, aber dafür hartnäckig."

Erst kürzlich erfuhr Spohr dafür eine späte, treffende Würdigung. Der Völklinger Kreis, ein Zusammenschluss von über 700 homosexuellen Managern und Freiberuflern, rief eine Auszeichnung ins Leben. Die geht an Unternehmen, die Schwule und Lesben explizit in Mitarbeiterprogramme einbeziehen, kurz: schwulenfreundlich sind. Benannt ist sie nach Max Spohr. "Weil er", heißt es in der Begründung, "als Unternehmer in schwierigen Zeiten beispielhaft vorgelebt hat, was Toleranz und die Achtung von Minderheiten im Alltag bedeutet."

(Sächsische Zeitung vom 31.5.2001)

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