DIE ZERSETZUNG DES WESTENS

Kulturkrieg gegen die westliche Zivilisation

von Claudio Casula (AchGut, 24. Septenber 2022)

Anmerkungen und Links: Nikolas Dikigoros

Törichte Aktivisten machen den Westen für alle Übel der Welt verantwortlich. Ihre Vorwürfe sind maßlos und entbehren oft jeder Grundlage. Douglas Murray beschreibt diesen Krieg gegen den Westen in seinem neuen Buch.*

Im vergangenen Herbst stieß ich auf einen Cartoon aus Amerika oder Großbritannien. Er zeigte eine Szene aus einer Quizshow mit dem Titel "Facts don't matter [Tatsachen spielen keine Rolle]", wie sie in sehr naher Zukunft denkbar ist. Der Spielleiter sagt zum Kandidaten: "Tut mir leid, Arthur, deine Antwort war eigentlich richtig, aber Paul hat seine Meinung lauter geäußert, also bekommt er den Punkt. Außerdem geht ein zusätzlicher Punkt an Sue, weil sie sich durch deine Antwort beleidigt fühlte."

Und genauso läuft es längst: Die Vernunft hat gegen lautstark geäußerte Gefühle keine Chance mehr. Aktivisten können biologische Tatsachen leugnen - wenn sie nur ihr eigenes Empfinden in den Vordergrund stellen und zum Maßstab aller Dinge machen, steht jeder, der auf rationale Argumente setzt, auf verlorenem Posten. Manipulation durch Emotionalisierung und künstliche Aufregung - das ist das Geschäftsmodell der woken Revolutionäre, die ihre Feindbilder völlig faktenfrei pflegen, um unsere Gesellschaft auf links zu ziehen. Beweise für Behauptungen müssen nicht erbracht werden, Empfindungen reichen. Leider muss man sagen: Sie sind erstaunlich erfolgreich damit.

Ihre Offensive im Kulturkrieg gegen die westliche Zivilisation haben die Antiwestler in amerikanischen Universitäten angetreten; in Großbritannien und anderen Ländern Europas fiel die toxische Ideologie dort auf fruchtbaren Boden, wo sie weite Verbreitung fand: in der Politik, den Medien, dem akademischen Milieu. Diesen Kulturkrieg führt der Westen gegen sich selbst. Für ihn ist er äußerst destruktiv. Wer davon profitiert, das sind Diktatoren und Unterdrücker-Regimes in anderen Teilen der Welt. Ihre Verbrechen spielen keine Rolle, weil alle Welt ihr Augenmerk allein auf die tatsächlichen oder vermeintlichen Missetaten ausgerechnet des Westens richtet. Er allein steht weltweit am Pranger, jedenfalls wenn es nach seinen Anklägern geht.

Weiße sind immer die Täter

In seinem neuen Buch "Krieg dem Westen" (der deutsche Titel ist unglücklich gewählt, weil er sich wie ein Aufruf liest, dabei lautet der Originaltitel "The War On the West") beschreibt der britische Autor und Publizist Douglas Murray, wie dieser Kulturkrieg geführt wird. Sieht man sich näher an, wie hoffnungslos einseitig, ignorant, geschichtslos und gleichzeitig hyperventilierend die Antiwestler agieren, muss man sich wundern, wie ihre Anliegen so weite Verbreitung finden konnten.

Unzweifelhaft haben "westliche" Länder im Laufe ihrer langen Geschichte so manches Unrecht auf sich geladen - wie viele andere auch; allerdings sind sie die einzigen, denen man das noch heute zum Vorwurf macht. Die Verschleppung von Europäern nach Nordafrika und der Handel mit diesen weißen Sklaven in den islamischen Barbaresken-Staaten bringt längst niemandem mehr um den Schlaf, geschweige denn, dass man die muslimische Welt damit konfrontieren oder gar Entschädigungen fordern würde. Noch heute ist die Sklaverei nicht ausgerottet, sondern etwa in Mauretanien und dem Südsudan weiter existent. Und der IS hat jesidische Frauen und Kinder versklavt.

Aber nur Amerika soll büßen, obwohl es 1865 die Sklaverei abschaffte. Bereits 1807 hatte Großbritannien die Sklaverei verboten und war danach jahrzehntelang aktiv damit beschäftigt, dieses Übel zu unterbinden. Die Royal Navy kaperte die Sklavenschiffe und befreite die Unglücklichen. Heute sollen sich diese Staaten entschuldigen, und ihre Geschichte wird auf die negativen Aspekte reduziert. Ausgerechnet in den Ländern, in denen am wenigsten Rassismus herrscht (man schaue im Vergleich dazu etwa nach Asien und den Orient), stellt Murray fest, sei der Rassismus angeblich am schlimmsten. Vorfälle wie die tödliche Festnahme George Floyds im Mai 2020, bei der ein rassistisches Motiv des Polizisten bis heute nicht nachgewiesen werden konnte, sollen belegen, dass der Westen generell rassistisch ist.

Mitunter sind es aber auch banale Ereignisse aus dem Alltag, "Mikro-Aggressionen", die zu "rassistischen Angriffen" hochgejazzt werden. Murray führt skurrile Beispiele auf: eine Lehrerin nimmt ein schüchternes schwarzes Mädchen nicht dran; ein vermeintlicher Ku-Klux-Klan-Kapuzenträger sorgt auf einem Universitäts-Campus für Panik, bis er sich als harmloser Dominikanermönch in weißer Kutte entpuppt; eine Farbige geht nicht auf eine Party, weil sonst nur Weiße dort sind, und die können es, egal, wie sie sich verhalten, nicht recht machen. Weiße sind immer die Täter, Nicht-Weiße immer die Opfer.

Die Heroen des Westens sollen zu Fall gebracht werden

Gemäß der "Critical Race Theory" (Anm. Dikigoros: welch ein Wort - man kann es nichtmal sinnvoll übersetzen, so wirr ist es :-) ist "struktureller Rassismus" Teil der gesellschaftlichen Normalität, wobei Rassismus sehr großzügig interpretiert wird. Verstand man unter diesem Begriff immer die selbstverständlich verurteilenswerte Haltung, jemand sei allein aufgrund seiner Hautfarbe minderwertig. (Anm. Dikigoros: So einen "Rassismus" hat es historisch nie gegeben. Es ist vielmehr die - selbstverständlich nicht verurteilenswerte - Haltung, seine eigene Rasse anderen Rassen vorzuziehen, wenn man so will, sie für "höherwertig" zu halten.) So ist etwa für den "Aktivisten" Ibram X. Kendi Rassismus einfach das, was er gerade dafür hält. Unter Rassismusverdacht können auch Schwarze geraten, wenn sie sich die Rassismus-Definition der "Black-Lives-Matter"-Aktivisten nicht zu eigen machen oder sich als amerikanische Patrioten zu erkennen geben. Dann werden sie auf der Seite der Weißen verortet, die als solche bereits allesamt des Rassismus schuldig sind. Nach Robin DiAngelo ist "positive weiße Identität unmöglich, weiße Identität ist von Natur aus rassistisch". Und Schwarze, die die Critical Race Theory nicht teilen, ahmen, so meint sie, Weißsein nach oder stecken sich damit an. Um diesen durchaus rassistischen Denkansatz gegen Kritik immun zu machen, wird die Rassismus-Formel so definiert: Rassismus = Vorurteile + Macht. Man kann Rassist sein, aber ist man in der Minderheit, ist man fein raus.

Der Kulturkampf wird von denen, die ihn vom Zaun brachen, auf verschiedenen Ebenen geführt. Zuvörderst geht es aber darum, den Westen für alles Übel der Welt - damals wie in unseren Tagen - verantwortlich zu machen, Schuldbewusstsein zu wecken und Kapital daraus zu schlagen. Dies fällt recht leicht, ist es doch gerade die westliche Kultur, die Selbstreflexion, Selbstkritik und die Suche nach Selbstverbesserung auszeichnen. Die Bereitschaft, auch schweres historisches Gepäck auf sich zu nehmen, ist grundsätzlich sehr ausgeprägt.

So fühlen sich anti-westliche Aktivisten inzwischen stark genug, alles und jeden anzugreifen, in Frage zu stellen und zu verleumden, was unsere Zivilisation bisher in Ehren gehalten hat. Die Heroen des Westens sollen zu Fall gebracht werden - ganz buchstäblich, wenn die Linken in ihrem Ikonoklasmus-Wahn Statuen berühmter Männer abreißen, wie es mit Skulpturen von Christoph Columbus und George Washington geschah. "Rhodes Must Fall" hieß es an der Universität von Kapstadt, dabei war es Cecil Rhodes, der das Land für die Errichtung der Universität stiftete und die Einrichtung einer Stiftung verfügte, die Stipendien an Studenten ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft oder Religion vergibt. Für die Aktivisten bleibt er dennoch ein Kolonialist und ein Rassist, was sie mit zweifelhaften Zitaten zu belegen versuchten.

Nicht einmal vor den Philosophen der Aufklärung wird haltgemacht

Das British Museum in London entfernt eine Büste seines Gründungsvaters Hans Sloane, weil seine Sammlung teilweise durch die Arbeit afrikanischer Sklaven auf den Zuckerplantagen seiner Frau finanziert wurde. Selbst Winston Churchill wird verunglimpft, sein Ansehen im Nachhinein besudelt. Denn: Wenn er zu Fall gebracht werden kann, schreibt Murray, fällt einer der Heroen des Westens. Sie wollen den "weißen Männern" einen Tritt verpassen, darum geht es. Sie hassen unsere Zivilisation und unsere Traditionen, und notfalls muss dann eben auch die Vergangenheit umgeschrieben oder aus einem arg verengten Blickwinkel betrachtet werden. War das britische Empire einst unbestritten "gut", soll es nunmehr durch und durch schlecht gewesen sein.

Nicht einmal vor den Philosophen der Aufklärung wird haltgemacht, Kant, Voltaire, Hume - alles Rassisten. Auch Aristoteles, der den Grundstock für "rassistische Wissenschaft" gelegt haben soll. Die Axt wird an unsere Geschichte gelegt, an alles, was uns zu dem gemacht hat, was wir sind und auch ein Grund dafür ist, warum es Migrantenmassen in den Westen zieht statt nach Asien oder Afrika. Deren Kulturen interessieren die Antiwestler jedoch nicht, sie sind nur Mittel zum Zweck: zu zeigen, "wie bankrott der Westen ist".

Im Gegensatz zum verhassten Westen, der sich in der Tat für andere - auch untergegangene - Kulturen und Zivilisationen interessiert. Schon vor Jahrhunderten erforschten Europäer fremde Kulturen und schrieben darüber. (Anm.: Dikigoros hat ein paar von ihnen hier zusammen getragen.) Der französisch-israelische Musikethnologe Simcha Arom erforschte die komplexe afrikanische Musik, Gustav Mahler war von der Musik Chinas beeindruckt. Aber heute wird weißen Künstlern, die Elemente anderer Kulturen in ihre Werke einfließen lassen, "kulturelle Aneignung" vorgeworfen. Dabei, schreibt Murray, ist die "gesamte Kulturgeschichte eine Kultur des Teilens, Ausleihens, Nachahmens und Bewunderns".

Es gilt, diesen schändlichen Angriff auf die westliche Identität abzuwehren. Wie Douglas Murray feststellt, haben Weiße vieles geschaffen, von dem die ganze Welt heute profitiert - von Fortschritten in der Wissenschaft (Medizin!) und der Technologie über die Einrichtung von Akademien, den Wohlstand durch die freie Marktwirtschaft bis zu den Errungenschaften in Philosophie, Literatur, Poesie, Musik, Theater, Architektur und Bildender Kunst. "Ein Großteil der Welt erkennt das", schreibt Murray in seinem Fazit. "Im Westen können das heutzutage offensichtlich zu wenig Menschen. Aber sie können lernen, es zu sehen, und sie können dazu ermutigt werden."


*Douglas Murray: Krieg dem Westen, FBV, 25,00 Euro


LESERPOST
(ausgewählt und z.T. leicht gekürzt von Dikigoros)

W. Renner (24.09.2022)
[...] Wann zahlt die Mongolei Wiedergutmachung für die Gräueltaten von Dschingis Khan? Wann leisten die Irokesen den Apachen Schadenersatz für die abgefackelten Tipis von 1600 irgendwas? Wann bekommen die Nachfahren der Sklaven des Pyramidenbaus Entschädigung von Ägyptens Regierung, wann die Österreicher von den Türken, als diese vor Wien standen? [...] Aber ich sehe schon, am Ende bleibt alles an den Neandertalern hängen.

Michael Müller (24.09.2022)
[...] dass Kant geäußert hat, dass die Indianer noch fauler seien als die Neger. Denn das kennen eigentlich nur Leute, die sich vom Studium her mit Philosophie befasst haben. (Anm.: Dikigoros muß gestehen, daß auch er das nicht wußte. Für Kant hat er sich nie interessiert - obwohl sein Doktorvater ein großer Kant-fan war und ihn häufig zitierte, allerdings nicht mit diesem Satz. Aber Dikigoros - der sich nun mal mehr für seine eigenen Zeitgenossen interessiert, also für Menschen des 20. Jahrhunderts - hat ganz ähnliche Aussagen bei Albert Schweitzer gefunden - der sicher mehr Ahnung von Indianern und Negern hatte als Kant, der nie aus Königsberg raus gekommen ist -, dem sie auch niemand so ohne weiteres zugetraut hätte :-) Ich erwähne so etwas deshalb, um Leute mit zweifelhafter Bildung - etwa solche, die mal was gehört haben vom kategorischen Imperativ - auch mal eine andere Seite von Kant zu zeigen. Mit Kants kategorischem Imperativ kann man übrigens Konzentrationslager einrichten und moralisch begründen, wie es einmal ein Mitstudent von mir ausgedrückt hat. Im Übrigen kann man der Masse der Menschen überhaupt nichts erläutern, weil, wie Schopenhauer sagt, die Masse der Menschen nur aus Fabrikware der Natur besteht. Die Natur produziert also - am Fließband - eine Menschenware, die im Prinzip nichts anderes kann, als auswendig lernen. Die lernen in der Schule den größten Scheiß auswendig. Die lernen dann etwa die wichtigsten Thesen eines Parteiprogramms auswendig und plappern das nach. Schopenhauer sagt, man weiß eigentlich immer vorher schon, was die sagen werden. Ich habe jetzt mit Schopenhauer noch die "harmlose" Erklärung zu diesen Leuten wiedergegeben. Bei Aristoteles, der genau wie Platon aus guten Gründen für die Sklaverei war, klingt das alles viel brutaler. Das Bild, das man sich in unserer Gesellschaft von Platon oder Aristoteles als "Humanisten" gemacht hat, existiert nur, weil man keine Ahnung von deren Denke hat. (Anm. Dikigoros: Das geht übrigens auf die so genannten "Humanisten" des 16. Jahrhunderts zurück, von denen keiner die griechischen "Klassiker" gelesen hatte, aus einem einfachen Grund: Niemand von ihnen konnte Griechisch :-) Was Sie unter geistvoller Erläuterung der Bedeutung Kants und Platons verstehen, bringt nichts anderes zum Ausdruck als das, dass sie davon eben keine Ahnung haben. Welche Bedeutung hat denn etwa die wichtigste Lehre Platons - die Ideenlehre - für die heutige Zeit? Doch überhaupt keine. Bis zum 17. Jh. verwendete man das Wort "Idee" noch im platonischen Sinn, seitdem im modernen Sinn. Also versteht der moderne Mensch das Wort nicht im Sinne Platons.

G. Handel (24.09.2022)
Was wäre der Welt alles ohne den bösen weißen Mann erspart geblieben - Demokratie, Antibiotika, Gleichberechtigung, Frauenrechte, die Moderne, der Buchdruck mit beweglichen Lettern, die Aufklärung, die Glühbirne, das Telefon, die Straßenbahn, die Eisenbahn, das Auto, Hobbes, Locke, viele Naturwissenschaften, Mathematik, Montesqieu, Röntgenapparate, das Fernsehen, Computer, MP3 und natürlich das Reinheitsgebot für Bier. Falls jemand diese unendliche Liste fortsetzen mag... Was die "Zersetzer" der westlichen Welt nicht begreifen: Ohne die westliche Welt gäbe es keine moderne Welt, und sie selbst würden auf einem Bauernhof hinter ihrem pferdegetriebenen Pflug herlaufen statt sich in Universitäten und Talkshows wichtig zu machen. Aber vielleicht sehnen sie sich danach.


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