Putin will siegen, aber nicht kämpfen

von Gunnar Heinsohn* (Die Achse des Guten, 22.02.2022)

Links und Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

Will Putin triumphieren, ohne tausende von Soldaten zu verlieren, muss er die ukrainische Angst vergrößern. Das tut er dadurch, dass er praktisch alle überhaupt noch einsatzfähigen Truppen ihre Grenzen bedrohen lässt. (Anm. Dikigoros: Immerhin hat Rußland noch ein paar "einsatzfähige Truppen" - was man von der BRDDR nicht unbedingt behaupten kann)

Wir sehen in Russland keine Demonstrationen für die Eroberung der Ukraine. Es gibt keine jungen Männer, die durch Moskau oder Petersburg marschieren und ihre Opferbereitschaft bekunden. Kaum jemand will für Wladimir und das Heilige Russland sterben.

Ihre Heimat gehört zu den schrumpfvergreisenden Nationen, wo das Durchschnittsalter zwischen 1950 und 2021 von 24 auf 40 Jahre steigt. [1] Der Kriegsindex steht bei rund 0,7. Auf 1.000 Männer im Alter von 55 bis 59 Jahren folgen nur noch 700 Jünglinge zwischen 15 und 19. [2] Die Nation als Ganzes fürchtet Verluste, weil mit jedem Gefallenen eine Familienlinie ausgelöscht wird. Der Einzelne wiederum verspürt keine Neigung zum Heldentod, weil es genügend Optionen gibt. Das ist anders in Ländern mit einem Kriegsindex von 6 wie in Mali oder Jemen, wo 6.000 Jünglinge um die Positionen von 1.000 Alten konkurrieren und schnell merken, dass es nicht für alle reicht. Ist dann der Ausweg in die Emigration verschlossen, beginnen - unter hehren Idealen - Rebellionen oder gar Revolutionen, die keineswegs ihre Kinder, sondern ihre Brüder so lange fressen, bis ein Gleichgewicht erreicht ist.

Als Amerikas Oberkommandierender Mark Milley am 5. Februar mitteilt, dass Putin bei seiner Invasion rund 15.000 Ukrainer töten, aber selbst auch 4.000 Mann verlieren würde [3], musste ihn das stärker beunruhigen als alle westlichen Sanktionsankündigungen.

Auch die Ukraine wackelt demografisch. Sie steigert ihr Durchschnittsalter zwischen 1950 und 2021 von 28 auf 41 Jahre [4] und steht beim Kriegsindex auf vergleichbar tönernen Füßen. Es mag mehr Überlebens- und Freiheitswillen geben als auf der russischen Seite, aber die Bereitschaft, Verluste hinzunehmen, wird schnell erlöschen.

Will Putin triumphieren, ohne tausende von Soldaten zu verlieren, muss er die ukrainische Angst vergrößern. Das tut er dadurch, dass er praktisch alle überhaupt noch einsatzfähigen Truppen ihre Grenzen bedrohen lässt. Ein gewiefter Gegner würde ihn gerade dort angreifen, wo er sich schutzlos gemacht hat. Doch die NATO muss er nicht fürchten. Mehr als ein Fischereiunfall mit Beschädigung der Nordstream-Pipeline wird wohl kaum erwogen.

Er hätte Mütter und Witwen vor dem Kreml

Die Ukraine weiß natürlich, dass Putin 12.000 Panzer hat. [5] Sie weiß aber auch, dass er davon nicht einmal 300 nebst 900 bis 1.200 in ihnen verbrennenden Soldaten verlieren kann. Er hätte Mütter und Witwen vor dem Kreml. Selbst unterm Kommunismus - im Afghanistankrieg von 1979 bis 1989 – hatten die Frauen keine Angst, gegen das Sterben von am Ende 13.000 Mann zu protestieren. Putin wird verehrt, weil er 2014 die Krim ohne einen einzigen Schuss erobert hat. "Ohne den Verlust eines einzigen Soldaten", übersetzte das die Heimatfront.

Kiew bittet als Antwort auf die Drohkulisse Berlin um 12.000 Panzerabwehrraketen. [6] Die könnte man liefern. Putin erkennt die Gefahr und fordert vom Westen den Verzicht auf die einzig taugliche Verteidigungshilfe, die Donald Trump 2017 mit der Lieferung von Javelin-Raketen begonnen hatte. Deutschlands Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder tritt Putin zur Seite und beschuldigt Kiew des Säbelrasselns. [7] Der aktuelle Bundeskanzler und seine Außenministerin geben denn auch nicht eine einzige Waffe heraus. Selbst die versprochenen 5.000 Helme sind noch nicht ausgeliefert. Was England und Amerika - ohne Verletzung des deutschen Luftraums - an die Ukraine liefern, wird nicht reichen.

Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Berlin, beklagt die Verweigerung von "Waffen für die Verteidigung" [8] als Verrat. Sein Land wird nicht lange oder überhaupt nicht kämpfen, wenn es die Panzer mit Stahlhelmen stoppen soll. Wie Angreifer einen Vorwand präsentieren müssen, benötigen die Überfallenen einen respektablen Grund, ihr Leben nicht in die Schanze zu schlagen. Während Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko noch am 11. Februar ankündigt, dass er als 51-Jähriger "mit der Waffe in der Hand" [9] seine Hauptstadt verteidigen werde, sagt er nach Berlins endgültiger Ablehnung der Lieferung panzerbrechender Waffen am 18. Februar: "Mit Helmen können wir das nicht schaffen." [10]


*Gunnar Heinsohn hat 2011 am NATO Defense College (NDC/Rom) das Fach der Kriegsdemografie eingeführt und bis 2020 gelehrt. (Anm. Dikigoros: Dieses sein Lieblings-Steckenpferd hat er schon zu Tode geritten, als er noch an der Coop-Uni Bremen Professor für Holocausistik war. So überzeugend und "vernünftig" diese - typisch jüdische - Theorie auch scheint, läßt sie doch außer acht, daß die Menschen im allgemeinen - und die Politiker im besonderen - nun mal nicht vernünftig denken und handeln, sonst hätte es - nicht nur aus "kriegsdemografischen" Gründen - weder einen Ersten noch einen Zweiten Weltkrieg gegeben!)


[1] https://www.statista.com/statistics/275400/median-age-of-the-population-in-russia/
[2] https://heinsohn-gunnar.eu/store/product/23-0021-gunnar-heinsohn--nato-keynote-speech--security-implications-of-changing-demographic-trends/
[3] https://news.yahoo.com/gen-milley-says-kyiv-could-004907181.html
[4] https://www.statista.com/statistics/424967/median-age-of-the-population-in-ukraine/
[5] https://nationalinterest.org/blog/reboot/12000-tanks-yes-russia-has-more-armor-america-169274
[6]https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Ukraine-fordert-12-000-Panzerabwehrraketen-von-Berlin-article23125343.html
[7] https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article236534121/Altkanzler-Schroeder-wirft-Ukraine-Saebelrasseln-vor.html
[8] https://www.welt.de/politik/ausland/article237025411/Ukraine-Konflikt-Gezielte-Toetungen-und-Entfuehrungen-bei-Einmarsch-in-Ukraine.html
[9] https://www.tagesspiegel.de/politik/ich-trainiere-die-ganze-zeit-klitschko-wuerde-zur-verteidigung-der-ukraine-zur-waffe-greifen/28060036.html
[10] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/klitschko-zu-situation-in-ukraine-krieg-nicht-ausgeschlossen,Sxo53bu


LESERPOST
(ausgewählt und z.T. leicht gekürzt von Dikigoros)

Klaus Keller (22.02.2022)
[...] Das Angebot Russlands, die Kohleregion der Ukraine zu übernehmen, würde auch die CO2 Bilanz dieses €U-Beitrittskandidaten verbessern. Da der Westen der Ukraine über 13,8 GW installierte Leitung an Kernkraftwerken verfügt, würde der Beitritt der Ukraine die Emissionen der Kohlekraftwerke in Polen ein wenig ausgleichen. Ich halte einen Deal für möglich. (Anm. Dikigoros: Wenn das ernst gemeint wäre, dann lebte K.K. im Wolkenkuckucksheim - ist es aber wohl nicht :-)

Günter Lindner (22.02.2022)
Jede Patrone kosten Geld, und je größer das Geschoß, um so mehr Kosten . Und jeder Tote bringt keine Steuern mehr. Und dann der Wiederaufbau, das kostet... Und erst der Hass der Opfer... (Anm. Dikigoros: Als ob sie je ein Kriegführender um all das geschert hätte...)

Wolfgang Fehre (22.02.2022)
Wie war es denn 1999 im Kosovo? Der gehörte eindeutig zu Serbien. Durch ungezügelte Fortpflanzung wuchs der albanische Bevölkerungsanteil und wurde vom Wertewesten unterstützt, sich von Serbien zu lösen, wie jetzt die beiden Volksrepubliken von der Ukraine, das allerdings unterstützt von Russland. Wenn die NATO mit Militärgewalt aus einem souveränen Staat einen Teil herausbricht, ist das natürlich in Ordnung. Wenn es der Russe (noch ohne offene Gewalt) tut, geht das gar nicht. Die Spanier wissen nur zu genau, warum sie den Kosovo immer noch nicht anerkannt haben. Die Basken warten nur darauf. Als EU und NATO der Ukraine das Assoziationsabkommen offerierten, wusste Gabriele Krone-Schmalz schon damals: "Es wird die Ukraine zerreißen!" Die nächste Frage ist: Gibt es überhaupt etwas, bei dem Russland nicht schon sanktioniert ist?

Max Biber (22.02.2022)
Die Ereignisse der Ukraine sind geopolitisch einzuordnen. Dazu sagt George Friedman auf dem "The Chicago Council on Global Affairs": Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im 1. und 2. Weltkrieg sowie im Kalten Krieg und danach waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Vereint würde eine Macht entstehen, die uns bedrohen kann. Unser Hauptinteresse lag sicher zu stellen, dass dieser Fall nicht eintritt. Auch Zbigniew Brzenski in "Die einzige Weltmacht" Stichwort Heartland Theory von Halford Mackinger hilft, die Situation zu verstehen. Darüber hinaus hat nach dem Völkerrecht Russland die Nachfolge der Sowjetunion angetreten. Die Ukraine hat noch nicht einmal völkerrechtlich verbindliche Grenzen (bitte Nachlesen)! Weiterhin: Wer hat den die "Revolution" 2014 in der Ukraine organisiert und bezahlt? Taucht da etwa der Name Biden auf? Bevor man sich zu diesem Thema äußert, sollte man sich erst einmal umfassend informieren! Das Putin-Bashing ist für die Dummen. [,,,]

Friedrich Richter (22.02.2022)
Ich glaube nicht, dass der Kriegsindex im Zeitalter "moderner" Kriege und in eher "entwickelten" Regionen noch eine Rolle spielt. Die Panzer mit Soldaten dienen dazu, die erforderliche Drohkulisse aufzubauen. Der Krieg, wenn es wirklich dazu kommt, wird eher mit Drohnen und anderen Schweinereien geführt, und da geht es gegen die Zivilbevölkerung und nicht in erster Linie gegen gegnerische Soldaten. Putin scheint der einzige ernst zu nehmende Stratege auf der politischen Bühne zu sein. Die größte Katastrophe ist Biden, der den Krieg herbei redet. Die Ukraine ist mit den baltischen NATO-Mitgliedsstaaten nicht zu vergleichen, und deren Beunruhigung ist, glaube ich, unbegründet. Das Minsker Abkommen wurde nicht umgesetzt, der Westen hat die Lage, ob absichtlich oder nicht, in der Schwebe gehalten. Jetzt ist Putin der Akteur, er schafft vollendete Tatsachen. Der Westen sollte sich damit begnügen, das zur Kenntnis zu nehmen. Er hat in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, dass er zu kompetenter Aussenpolitik derzeit nicht in der Lage ist, und tunlichst die Füsse stillhalten. Die Saat für das, was jetzt passiert, hat der wortbrüchige und doppelmoralische Westen in den frühen 1990er Jahren gelegt. Das soll kein Kompliment für Putin sein, der uns gerade zeigt, daß Zynismus und Brutalität nach wie vor die erfolgversprechendsten Mittel sind.

Reinhard Westphal (22.02.2022)
Ich bin froh, dass sich Deutschland - derzeit - noch ans Grundgesetz hält und keine Waffen in Kriegsgebiete liefert. Wie lange dieser deeskalierende Zustand noch anhält, erscheint mir angesichts des medialen Dauerfeuers in den NATO-Staaten ungewiß. Ganz sicher ist die Situation in der Ukraine sehr viel komplexer, als es hier dargestellt wird. Dass Russland angesichts von 14 Ländern, die nach dem Fall des Eisernen Vorhanges entgegen eindeutiger Zusagen in die NATO aufgenommen wurden, nun eine rote Linie gezogen hat, entspricht meinem Verständnis von berechtigtem Sicherheitsinteresse, mit dem man sich auseinandersetzen sollte, um eine diplomatische Lösung zu finden. Eine Allianz, die stark ist UND keine durchtriebenen Absichten hat, bräuchte den russischen Bären jedenfalls nicht zu fürchten.

Michael Stoll (22.02.2022)
Eben auf der Achse gelesen (ohne Kommentarfunktion): "Das Muster ist nicht neu: Moskau erkennt die selbsternannten Volksrepubliken in Donezk und Luhansk an und die frisch anerkannten „Staats“-Führungen bitten Moskau um militärische Hilfe, weshalb sofort „Friedenstruppen“ in die Ost-Ukraine rollen." +++ Das Muster ist tatsächlich nicht neu: Madeleine Albright erkennt sofort die selbsternannte albanische Volksrepublik im Kosovo an und die frisch anerkannte „Staats“-Führung bittet den Westen/die NATO um militärische Hilfe, weshalb Serbien nach einem Ultimatum, das "kein Serbe mit Schulbildung hätte unterschreiben können" (Zitat: Der große Rudolf Augstein zu einer Zeit, als man den Spiegel noch nicht mit Gummihandschuhen anfassen musste.), wochenlang mit tausenden Opfern bombardiert wird. Wieso soll Putin nicht vom Westen lernen? "Wir" sind doch die Guten!

Jürgen Steinmeier (22.02.2022)
Man sollte das russische Vorgehen in der Ukraine emotionslos analysieren: Jede (Groß-)Macht, die eine solche bleiben will, kann es nicht dulden, dass ein potentieller Feind sich in der unmittelbaren Nachbarschaft einnistet. Dies galt schon für die Römer bei ihrer Auseinandersetzung mit Karthago. Auch die USA haben schon vor über 100 Jahren mit der "Monroe-Doktrin" ("Amerika den Amerikanern") die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich und Spanien von den amerikanischen Kontinenten ferngehalten. Auch die Cuba-Krise hatte darin ihre Begründung. Für China wird das gleiche gelten.

Klaus Peter (22.02.2022)
"Putin WIRD siegen, aber nicht kämpfen" trifft es wohl eher. Er kann ja quasi gar nicht anders.

Anm. Dikigoros:
Dieser neunmal kluge Aufsatz von G.H. und all die ebenso klugen Leserbriefe erschienen zwei Tage, bevor Putin russische Truppen in die Ukraïne einmarschieren ließ - so kann man sich täuschen...!


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