"Die Geschichte, die niedergeschrieben wird,
ähnelt der Geschichte, die sich zugetragen,
wie eine Karikatur dem [Vor]Bild ähnelt."

Henri Pirenne

[Henr Pirenne]

Ein Kapitel aus N. Dikigoros' Webseite
DAS WAGNIS MIT DER WAHRHEIT
Große Historiker des 20. Jahrhunderts

1922, im selben Jahr, als Oswald Spengler den 2. Band seines Hauptwerks "Der Untergang des Abendlandes" veröffentlichte, da veröffentlichte ein belgischer Professor, der Deutschland einmal sehr geliebt hatte, es aber inzwischen abgrundtief haßte - aus Gründen, die hier nichts zur Sache tun - einen kleinen Aufsatz, der zwar in Historiker-Fachkreisen nicht ganz unbeachtet blieb, aber darüber hinaus kein größeres Aufsehen machte, mit dem Titel "Mohammed und Karl der Große". Er vertrat darin die etwas spitz formulierte These, daß es ohne Islam kein Frankenreich gegeben hätte. Das war eigentlich ein Gemeinplätzchen, denn ohne das, was vorher war, kann das, was später kommt, nun mal nicht da sein. Ohne Karthago und dessen Zerstörung kein Imperium Romanum, ohne Imperium Romanum und dessen Zerstörung kein Frankenreich, ohne ein starkes Deutschland im Herzen Europas und dessen Zerstörung kein Aufstieg der USA und Sowjet-Rußlands zur Weltmacht... pardon, da ist Dikigoros zeitlich etwas übers Ziel hinaus geschossen. Und auch Pirenne schoß bald über sein ursprüngliches Ziel hinaus, d.h. er hängte das Ziel immer höher und holte immer weiter aus für den Wurf seiner These, bis sie am Ende so umfangreich und verfänglich geworden war, daß er sich nicht mehr traute, sie zu veröffentlichen - das Buch, das den gleichen Titel trug wie 1922 der kleine Aufsatz in der "Belgischen Revue für Sprache und Geschichte", erschien erst anno 1937, also posthum.

[Henri Pirenne, Mohammed et Charlemagne]

Inzwischen hatte sich nicht nur sein Ansatz erheblich erweitert, sondern auch sein Schwerpunkt verschoben, jedenfalls in der Rezeption der Leserschaft (die ja oft gar nicht dem entspricht, was der Autor sich einst ausgemalt hatte :-). Und so regte sich denn auch diesseits wie jenseits von Rhein, Maas und Schelde bald kräftiger Widerspruch - der auch und vor allem ideologisch gefärbt war: Die Franzosen - die sich ja längst nicht mehr als Nachkommen der germanischen Franken begriffen, sondern als Nachkommen der Gallier und Römer - fanden es unerhört, daß jemand die germanischen Barbaren davon exkulpieren wollten, das Imperium Romanum zerstört zu haben und es statt dessen irgendwelchen Typen in die Schuhe schieben wollte, die doch erst viel später kamen. (Da waren sie sich ausnahmsweise sogar mal mit den Briten einig: Ein Mister Edward Gibbon hatte schon im 18. Jahrhundert geschrieben, daß die Germanen schuld waren an dieser "Katastrofe".) Die Deutschen waren gespalten: Da waren zunächst mal diejenigen, die meinten, daß die germanische "Invasion" gar keine gewesen sein, sondern ein durchaus friedliches, langfristiges Einsickern in das Imperium Romanum, weshalb es eigentlich gar keinen Bruch zwischen "Altertum" und "Mittelalter" gegeben habe - das sei lediglich ein Hirngespinst späterer Historiker-Generationen. (Diese "Kontinuitätstheorie" vertraten ein Herr Professor Alfons Dopsch und seine Schüler.) Dann gab es diejenigen, die den Bruch nicht bestritten, aber nicht als "Katastrofe", sondern vielmehr ganz prima fanden, nämlich als willkommene "nordische" Blutauffrischung des maroden Imperium Romanum mit seiner langsam aussterbenden, zunehmend minderwertigen "Ur"-Bevölkerung. Die ersteren störten sich an der These, daß doch ein Bruch statt gefunden habe - egal wann und durch wen -, die letzeren daran, daß diesen Bruch nicht die tapferen Germanen, sondern irgendwelche Wüstenvölker aus Arabien herbei geführt haben sollten. Diese letzteren verstummten ab 1945, d.h. sie wurden als "Nazis" mundtot gemacht. Und so blieb der alberne Streit um des Kaisers Bart, pardon, um die Frage, ob es nun einen Bruch zwischen Altertum und Mittelalter gegeben habe oder nicht oder doch.

Als Dikigoros Geschichte studierte, waren Haupt-Exponenten jenes müßigen Streits zwei Professoren, die einst beide gemeinsam Schüler des jüdischen Historikers Levison gewesen waren und nun beide nebeneinander gegeneinander gleichzeitig Mediävistik an der Universität Bonn lehrten, wobei sie einander mit eisigem Schweigen übergingen: Zum einen war da der kauzige, aber irgendwie sehr beliebte Eugen Ewig, genannt "Papa", der überall damit hausieren ging, daß die Nazis ihn - angeblich - mal ein paar Tage ins KZ gesteckt hätten, und der ungeniert die These vertrat, es sei ein großes Unglück gewesen, daß sein Intimus Adenauer nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Versuch scheiterte, einen separaten Rheinlandstaat zu gründen. Zum anderen war da der breitschultrige, um nicht zu sagen grobschlächtige Paul Egon Hübinger, ein Autorität heischender Konservativer, der sich aber nicht mal zuhause durchsetzen konnte: Sein Sohn, dem er den alt-fränkischen Namen "Ludolf" verpaßt hatte, wurde Kommunist und machte ihm das Leben zur Hölle - auch am Seminar für Mittelalterliche und Neuere Geschichte der Uni, wo er vorübergehend die linksradikale Fachschaft anführte, die mit vereinten Kräften (d.h. denen des Marxistischen Studentenbunds Spartakus, der Jungsozialisten und der Jung-"Demokraten") gegen seinen Vater anstänkerte. Solange diese beiden ideologisch verseuchten Kampfhähne die Arena beherrschten, war in dieser Frage kein Fortschritt zu erzielen. Diese EheDieser Streit hielt an, bis der Tod die beiden schied: Hübinger brachten die ewigen familiären Querelen schon 1987 ins Grab; der nur zwei Jahre jüngere Ewig mußte noch miterleben, daß die BRD und die DDR zur BRDDR zusammengeschustert"wiedervereinigt" wurden. Vor Wut überAus Protest gegen den Umzug der Regierung von seinem geliebten Geburtsort ins preußische Berlin gab er 1991 sein Bundesverdienstkreuz zurück und starb 15 Jahre später alt und verbittert in Bonn.

Nun war der Weg endlich frei für seriöse Historiker - und das bedeutete inzwischen: "nicht-deutsche Historiker" -, Pirenne wieder zu entdecken und sich mit seinen Thesen auseinander zu setzen. Daß es im "Abendland", in "Europa", im "Mittelmeerraum" oder wie immer man es nennen wollte, tatsächlich einen Bruch zwischen Altertum und Mittelalter gegeben hatte, bezweifelte längst niemand mehr; und um heraus zu finden, ob dieser Bruch durch die Germanen oder durch die Araber herbei geführt wurde, mußte man erst mal untersuchen, was denn die einen und die anderen auf dem Boden des Imperium Romanum im einzelnen taten. Der erste, der mit einem solchen Versuch an die Öffentlichkeit trat, war ein Angelsachse, pardon, US-Amerikaner irischer Abstammung namens John J. O'Neill, zwei Generationen jünger als die beiden Deutschen und im Gegensatz zu ihnen bereit, über den Tellerrand der Bücherwürmer hinaus zu schauen ins Reich der Archäologen, d.h. er suchte nicht nur auf, sondern auch unter dem Boden des einstigen Imperium Romanum nach Argumenten. Das Buch, das er 2009 veröffentlichte, trug den Titel "Holy Warriors [Heilige Krieger]", und den Untertitel "Der Islam und der Untergang der antiken Zivilisation". Und das, nachdem erst kurz zuvor noch zwei HanswürsteMainstream-"Historiker" - Maurice Lombard und Mark Graham - dicke Wälzer mit den Titeln "The Golden Age of Islam [Das goldene Zeitalter des Islam]" und "How Islam Created the Modern World [Wie der Islam die moderne Welt schuf]" heraus gebracht hatten, zur Bestätigung dessen, was die Schul-, Geschichts- und Märchenbücher ja schon seit Dezennien behaupteten: Alles Gute am ansonsten "finsteren" Mittelalter kam vom Islam - ex oriente lux!

[O'Neill, Holy Warriors]

O'Neills Werk hätte einschlagen müssen wie eine Bombe; aber die politisch-korrekte Fachidioten-WeltFachwelt war peinlich berührt und überging es mit vornehmen schweigen. Der Autor, nicht faul, faßte die wichtigsten Kapitel zu kurzen Aufsätzen zusammen und stellte sie im Internet zur Diskussion, genauer gesagt auf dem unter Islam-Freunden gefürchteten und verhaßten Blog "Gates of Vienna [Die Tore Wiens]", der auf die Belagerung Wiens durch die Türken anno 1683 anspielt, von der die heutigen Wiener - insbesondere die Angehörigen ihrer Politiker-Kaste - ja am liebsten nichts mehr wissen wollen. Dikigoros übersetzt die Titel der Einfachheit halber gleich ins Deutsche:
- Der Islam und das dunkle Zeitalter von Byzanz
- Wie muslimische Piraten die Welt veränderten (und damit meinte er nicht die am Horn von Afrika, deren Verankerung im Islam uns von den heutigen Monopolmedien so krampfhaft verschwiegen wird :-)
- Der Islam und der Aufstieg des Anti-Semitismus
- Wie der Islam der Sklaverei und dem Sklavenhandel in Europa neues Leben einhauchte
- Das Goldene Zeitalter des Islam: seine archäologische Nicht-Existenz
- Pirenne und seine Verwässerer

Und mit dem letzten Aufsatz sind wir wieder bei unserem Thema: der These Henri Pirennes, genauer gesagt den Thesen, denn es sind eigentlich mehrere, die auf einander aufbauen; und wenn nur ein Glied nicht hält, dann geht die ganze Kette zu Bruch:

  1. Die Germanen der Völkerwanderungszeit zerstörten die wesentlichen Strukturen des Imperium Romanum nicht, sondern übernahmen dort nur die Herrschaft - was keine Katastrofe war.
  2. Die islamischen Araber zerstörten ab dem 7. Jahrhundert den Handel übers Mittelmeer und damit die wirtschaftliche Basis des Imperium Romanum, das sich bis dahin aus seinen Kolonien im Süden desselben versorgt hatte.
  3. Erst dadurch verlagerte sich der politische Schwerpunkt Europas gen Norden, d.h. zu den Germanenstämmen, die dort zwei Jahrhunderte zuvor eingewandert und inzwischen seßhaft geworden waren.

Suchen wir also nach Beweisen für oder gegen diese Thesen. Als Jurist kann sich Dikigoros, bevor er in irgendwelche Beweiswürdigungen eintritt, zwei Fragen nicht verkneifen, die (nicht nur in diesem Fall :-) von entscheidender Bedeutung sind: 1. Bei wem liegt die Beweislast? 2. Ist ein Negativbeweis zulässig? Er hört schon einige Leser antworten: "Ist doch klar: Wer eine These aufstellt muß sie auch beweisen, und zwar mit einem Positivbeweis." Aber ganz so einfach ist es nicht. Vielmehr gibt es etwas, das die Juristen "Prima-facie-Beweis" nennen: Wenn z.B. Geschäftsbücher aus der Germanenzeit existieren, in denen Transaktionen aufgezeichnet sind, wie sie zuvor schon in der Römerzeit statt fanden, dann braucht derjenige, der einen Bruch zwischen Antike und Mittelalter an dieser Stelle verneint und eine "Kontinuität" behauptet, in diesem Punkt erstmal keinen weiteren Beweis anzutreten; vielmehr obliegt es der Gegenseite zu beweisen, daß diese Geschäftsbücher gefälscht sind. Aber nehmen wir mal an, es fänden sich partout keine Geldstücke aus jener Zeit, mit denen jener Handel getätigt worden sein könnte - bargeldlosen Zahlungsverkehr gab es ja noch nicht -, wäre dieser Negativbeweis nicht doch zulässig? Und wenn ja - wäre er auch zwingend? Die Münzen könnten ja später komplett geraubt, umgeschmolzen und/oder ins Ausland - zur Finanzierung von Importen - verbracht worden sein. Und wie "katastrofal" ist es, wenn z.B. keine Goldmünzen mehr geprägt wurden, sondern nur noch Silbermünzen? Zu Pirennes Zeiten regte sich ja auch kaum noch jemand darüber auf, daß es Papiergeld und Blechmünzen statt solcher aus Edelmetall gab. (Na ja, einige Leute doch - es hatte auch in Belgien nach dem Ersten Weltkrieg eine schlimme Inflation gegeben, wenngleich keine Hyperinflation mit totaler Geldentwertung wie in Deutschland.) Und wer wird sich schon groß aufregen, wenn dieses unser Papiergeld eines Tages abgeschafft wird zugunsten irgendwelcher elektronischer Zahlungsmittel? Aber eine andere Frage, die Dikigoros den drei o.g. Fragen noch hinzufügen würde, gewissermaßen als 4. Glied in der Kette, wird wohl mehr Leute aufregen, als Pirenne sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hätte, denn sie ist von einer Aktualiltät und Brisanz wie keine andere unserer Zeit, und sie geht weit über eine akademische Diskussion unter Historikern hinaus. Sie lautet: "Wenn die antike römische Zivilisation tatsächlich von den Muslimen zerstört wurde - was folgt daraus für die gegenwärtige Invasion Europas durch Millionen und Abermillionen Muslimen aus Asien und Afrika?" Dikigoros muß einräumen, daß er in dieser letzten Frage voreingenommen ist; er darf seinen Lesern gleichwohl versichern, daß er sich davon in seiner Behandlung der drei Thesen Pirennes nicht beeinflussen lassen wird.

Darf Dikigoros bei der ersten Frage gleich mit der Tür ins Haus fallen? Er vertritt nämlich eine "Kontinuitätstheorie" eigener Art, die da lautet: Es gab längst vor der "Völkerwanderung" einen kontinuierlichen Niedergang des Imperium Romanum in kultureller, militärischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Das läßt sich nicht ernsthaft bestreiten, denn wir verfügen über genügend Prima-facie-Beweise, die sich auch nicht widerlegen lassen. Über die Gründe läßt sich trefflich streiten; aber das können wir uns schenken, denn sie tun hier nichts zur Sache. Dikigoros würde mal vermuten, daß sie hausgemacht waren, d.h. in erster Linie mit den Römer[inne]n selber zu tun hatten, nicht mit zugereisten Germanen u.a. Völkern, deren Angehörige sich bis dahin mehr oder weniger problemlos "latinisieren" ließen - was wörtlich zu nehmen ist, d.h. sie erlernten und verwendeten die Sprache der Römer. Und auch als dann im 4. und 5. Jahrhundert die "Völkerungwanderung" kam, bewahrte kein einziges germanisches Volk, das sich auf dem Gebiet des Imperium Romanum niederließ, seine eigene Sprache; vielmehr nahmen sie allesamt die lateinische an - ein ganz wichtiger Faktor in der Frage "Kulturbruch oder nicht?", den wir schon mal für die nächsten Fragen im Hinterkopf behalten wollen. Auch militärisch gab es nicht viel zu "brechen": Das römische Heer bestand schon längst überwiegend aus HiWis, pardon aus germanischen Söldnern, und zwar nicht nur das Fußvolk, sondern auch die Offiziere bis hinauf in die höchsten Ränge. (Was waren Odoaker und Theoderich von Beruf? Richtig geraten: Offiziere in römischen Diensten.) Dto die Politik: Selbst die Kaiser (die ja oft "Soldatenkaiser" waren) und ihre wichtigsten MinisterRatgeber kamen schon lange sonst woher - aus Germanien, Gallien, Britannien, Hispanien, Illyrien, Afrika, Syrien -, aber kaum noch aus Rom. Bleibt die Wirtschaft - und da ist die Sache nicht ganz so klar, weshalb Pirenne hier den Schwerpunkt seiner Beweisführung setzt dafür, daß die Germanen der Völkerwanderungszeit auch auf diesem Gebiet keine Zäsur bewirkten.

Was ist "Wirtschaft", liebe Leser? Kommt Dikigoros bitte nicht mit der altbackenen Lexikon-Definition von Primär-, Sekundär, Tertiär- oder sonstigen "Sektoren". Jede wirtschaftliche Betätigung läuft letzten Endes auf das hinaus, was man heute "Dienstleistung" nennt, egal ob der "Dienst" in der Bearbeitung des Bodens an der Oberfläche (Ackerbau, Forstwirtschaft, Weideflächen für Viehzucht), der Ausbeutung dessen, was man eigentlich "Unterbodenschätze" nennen sollte, oder dem Handel mit den dabei gewonnenen Produkten besteht. Es gibt auch keine "altmodischen" und/oder "modernen" Wirtschaftsformen. (Es gibt ja auch kein "altmodisches" oder "modernes" Fußballspiel, wie mal ein Trainer bemerkte, nachdem er wieder eine Meisterschaft gewonnen hatte, sondern nur erfolgreiches und/oder erfolgloses :-) Eine erfolgreiche Wirtschaft ist eine, welche das eigene Volk ausreichend ernährt, so daß seine Angehörigen nicht in großer Zahl auswandern und sich bei anderen Völkern durchschmarotzen müssen. (Deshalb sind z.B. die heutigen Wirtschaften der meisten afrikanischen u.a. muslimischen Länder keine Erfolgsmodelle.) Das kann entweder in Eigenproduktion, d.h. Autarkie, geschehen oder aber durch Warenaustausch, d.h. Import und Export. Über das erstere Stadium waren Rom und Italien schon längst - spätestens seit dem 1. Jahrhundert n.C. - hinaus: Man mußte selbst die Grundnahrungsmittel aus Übersee - d.h. von südlich des Mittelmeers - importieren.

(Fortsetzung folgt)


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