Kisch nörgelte lediglich übers Essen

Libavske Udoli/Libauthal, Mai 2001

by Thorald Meisel

Auch der größte der Laubbäume im Talgrund ist schon abgestorben. Moos wächst an ihm, wie auch an den meisten der umgebrochenen Stämme. Der mit Gras bewachsene Hügel erweist sich als ein Haufen Bauschutt. Die gebrannten Ziegel könnte man sogar noch verwenden. Dazwischen die Scherben einer Tasse. Hat Egon Erwin Kisch daraus seinen Frühstückskaffee getrunken? Möglich ist das. Als die "Teufelsmühle" noch eine Pension war, gehörte im Sommer 1929 Kisch für mehrere Wochen zu den Gästen.

Die beiden älteren Frauen unten im Dorf wussten sofort Bescheid, als die Rede auf die "Teufelsmühle" kam. Ihre Wegbeschreibung passte auf den Meter. Jetzt, wo der Platz der alten Pension gefunden ist, gibt das Terrain weitere Geheimnisse preis. Der Mühlgraben, fast zugewachsen, ist in seinem Verlauf noch zu erkennen. Unter Gestrüpp verborgen eine Steinbrücke. Der flache Vorplatz, auf dem bei schönem Wetter die Tische und Bänke für die Ausflügler standen. Jetzt rauscht der Bach gleichmäßig das Tal hinab, die Vögel verkünden den Frühling. Weit und breit kein Verkehrslärm, keine hektische Betriebsamkeit. Einfach Ruhe.

Die Ruhe war es auch, die den "rasenden Reporter" im Mai 1929 in diese abgelegene Ecke lockte. Ein mehrmonatiger Amerikaaufenthalt lag hinter ihm, die Notizbücher waren voll. Ein Buch sollte es werden. Riesengroß natürlich in Berlin das Interesse von Freunden, Bekannten, Kollegen. Im Trubel der Großstadt Berlin fand Kisch unmöglich die Ruhe, die er zum Schreiben brauchte. Als Pfingsten vorbei war, brach er mit Gisela Lyner auf. In Franzensbad bekamen sie den Tipp für die "Teufelsmühle" im Liebauthal.

Die Siedlung zwischen Königsberg und Falkenau ist die jüngste am Eger-Fluss. Franz und Ferdinand Lenk, ein Brüderpaar aus Sachsen, hatte 1829 eine Spinnerei und Weberei errichtet. Aus dem nahen Kogerau, 1352 erstmals erwähnt, kamen die ersten Arbeiter, die sich bald neben der Fabrik ansiedelten. Lenkenthal hieß die Gemeinde zuerst, dann Libauthal, heute Libavske Udoli und ist noch immer eine selbstständige Gemeinde. Auch die Textilindustrie gibt es noch: Die Firma Libatex fertigt Gardinen.

Die Ortsgeschichte hat Kisch scheinbar nicht interessiert. Die "Teufelsmühle" bot die nötige Ruhe, um die Amerika-Erlebnisse zu verarbeiten. 30 Kronen pro Tag und Person kostete die Miete. Das schrieb Kisch am 24. Mai an Jarmila Haasova, Ex-Geliebte, Übersetzerin und Freundin in Prag. Allerdings, fügte er hinzu, sei das Essen nicht toll.

Die vier Briefe an Jarmila sind das einzige Schriftzeugnis vom Aufenthalt in der "Teufelsmühle". Es ist auch nur ein einziges Foto aus dieser Zeit bekannt: Kisch mit Mutter Ernestine, Gisela Lyner, einem Herren Lederer aus Königsberg und dem Ehepaar Fehre aus Eger. Hans Kronenberger in Wien hat es in Besitz.

Wie lange Kisch in der Pension war, ist nicht bekannt. Der letzte Brief an Jarmila stammt vom 7. Juli. Er hatte ihr mit einer erneuten Einladung zum Kommen eine Eisenbahnverbindung herausgesucht, was erwarten lässt, dass er noch nicht an baldige Abreise dachte: 11.15 Uhr fuhr der D-Zug nach Paris vom Prager Wilson-Bahnhof ab. 15.40 Uhr hielt er in Eger. 15.53 Uhr fuhr von dort der Personenzug nach Königsberg, Ankunft 16.19 Uhr. Weiterfahrt dann per Bus.

Die Arbeiten am Amerika-Buch scheinen so gut gelaufen zu sein, dass Kisch Zeit und Muse hatte, sich um weitere Projekte zu kümmern. Am 14. Juli erschien im "Prager Tageblatt" die Reportage "Der Archivar von Eger". Kisch, der schon im Juli 1911 für die "Bohemia" in Prag von den Wallenstein-Festspielen berichtete, hatte den Alten keineswegs zufällig aufgesucht. 1931 erschien im Erich Reiß Verlag Berlin der Band "Prager Pritaval", eine Sammlung von Kriminalfällen aus Böhmen. Einer der Texte ist "Die Mördergrube von Maria Kulm". Das Material dazu scheint Kisch damals im Egerer Archiv gesucht zu haben.

Die spitzen Türme der Kulmer Wallfahrtskirche sieht man noch heute von Libavske Udoli aus. Weiter östlich davon erobert die Natur das Gelände der ausgekohlten Braunkohletagebaue zurück. Auch dort hat sich Kisch umgesehen. Seine Reportage "Tagebau im Falkenauer Revier" erschien am 5. April 1930 in der Beilage der KPD-Tageszeitung "Rote Fahne". Kisch war seit 1925 Mitglied der KPD.

Beendet hat Kisch das Manuskript zu "Paradies Amerika", wie er sein Buch nannte, wahrscheinlich nicht in der "Teufelsmühle", sondern in Berlin. Am 15. Oktober war der Band druckfertig, 2000 Bestellungen lagen bereits vor, obwohl die Ausgabe mit 6 Reichsmark verhältnismäßig teuer war. Mit dem Produkt aus der "Teufelsmühle" ging Kisch Ende November 1929 auf Lesereise durch die CSR. Allein in die "Lucerna" in Prag kamen 5000 Zuhörer.

Inzwischen sind die Originalausgaben aus dem Erich Reiß Verlag gefragte Stücke im Antiquariat. Von der "Teufelsmühle" blieb ein Haufen Bauschutt. Nichts erinnert in dem schmalen Tal mehr daran, dass dort ein Buch von Egon Erwin Kisch geschrieben wurde, nach dem heute ein renommierter Journalisten-Preis benannt ist.

Aktuelle Literatur "Der rasende Reporter - Egon Erwin Kisch", Herausgeber Marcus G. Patke, Aufbau-Verlag 1998;"Egon Erwin Kisch - Briefe an Jarmila", Herausgeber Klaus Haupt, Das Neue Berlin 1998.


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