Die NATO und die Einverleibung Osteuropas

Guido Grandt (Die Freie Welt, 14. März 2022)

leicht gekürzt von Nikolas Dikigoros

Anfang April 2014 warf der russische Vize-Verteidigungsminister Anatoli Antonow der NATO (North Atlantic Treaty Organization) vor, mit allen Kräften zu versuchen, einen Keil zwischen Kiew und Moskau zu treiben. Geführt würde ein harter und kompromissloser Informationskrieg.

Und nicht nur das: Blickt man auf 1991 zurück, wird die Militärpolitik des atlantischen Verteidigungsbündnisses deutlich. In jenem Jahr löste sich nicht nur der Warschauer Pakt - der militärische Beistandspakt des Ostblocks - auf, sondern zerfiel auch die UdSSR (Union der sozialistischen Sowjetrepubliken) in 15 einzelne Staaten. Dies nutzte der Westen mit der NATO, allen voran die USA, um Osteuropa zu destabilisieren und in Folge der Jahre verschiedene Länder einzuverleiben.

Beispielsweise zerstörten Ende des 20. Jahrhunderts Kriege die jugoslawische Föderation. Kräftig dabei mitgemischt hatte auch der Westen. Sogar die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder schickte 1999 Kampfflugzeuge in die Bundesrepublik Jugoslawien, die damals noch aus Serbien und Montenegro bestand. Slowenien, Kroatien, Bosnien und Mazedonien hatten sich bereits vorher mit aktiver Unterstützung Deutschlands und der USA in teilweise blutigen Konflikten vom Mutterland abgespalten. Fast drei Monate lang führte die NATO unter Einsatz von über tausend Kampfflugzeugen eine der massivsten Luftkriegsoperationen der Militärgeschichte durch. Dabei wurde auch die serbische Hauptstadt Belgrad bombardiert. Der Krieg war – wie Gerhard Schröder Anfang 2014 eingestand – völkerrechtswidrig und damit ein Verbrechen. Denn er erfolgte ohne Zustimmung der Vereinten Nationen, da Russland damals im Sicherheitsrat sein Veto eingelegt hatte.

1999 wurden Polen, die Tschechische Republik und Ungarn als die ersten Länder aus dem ehemaligen Warschauer-Pakt von der NATO einverleibt. 2004 und 2009 folgten Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Kroatien und Albanien. 2017 Montenegro und 2020 Nordmazedonien.

Die Ukraine blieb zunächst verschont. Doch schon 2002 verkündete der damalige Präsident Leonid Kutschma, der NATO beitreten zu wollen. Und auch sein Nachfolger Viktor Juschtschenko wollte den Beitritt in das Atlantische Militärbündnis. Erst als 2010 der, als moskautreu geltende Wiktor Janukowitsch neuer Präsident wurde, änderte sich das. Damit war der »NATO-Expansionsplan« bezüglich der Ukraine zunächst einmal gestoppt - zum Leidwesen des Westens. Doch durch die »Maidan-Revolution« 2013/2014 rückte für die US-Amerikaner und die Europäer der Osten wieder in greifbare Nähe. Sozusagen direkt an Russlands Grenzen. [...]

Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass die Sicherung der westlichen –  und damit der US-amerikanischen Hegemonie – für Washington oberste Priorität hat. So dämmerte im Zuge der Maidan-Revolution nicht nur ein neuer Kalter Krieg, sondern weitaus Schlimmeres herauf.

Das, was ich 2014 [...] prophezeite, wurde schließlich in den Folgejahren Realität. Denn die Ukraine strebte nicht nur einen Beitritt in die Europäische Union an, sondern auch in die NATO.

Schließlich trat das, was längst schon von Militärexperten befürchtet wurde, am 24. Februar 2022 tatsächlich ein: Russland griff das Nachbarland Ukraine an.

Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, erklärte, dass es darum gehe, die Ukraine »zu entmilitarisieren und entnazifizieren, Genozid zu verhindern.« Er beschuldigte die Ukraine der Verfolgung und des Völkermordes (vor allem in den von den Separatisten besetzten Gebieten im Osten der Ukraine). Russland wolle diese Menschen nun beschützen. Es müssten diejenigen vor Gericht gestellt werden, »die mehrere blutige Verbrechen gegen Zivilisten, einschließlich Bürger der Russischen Föderation, begangen« hätten.

Damit meinte er u.a. die Ausschreitungen in der Schwarzmeer-Metropole Odessa. Dort wurde am 2. Mai 2014 eine Zeltstadt des prorussischen »Anti-Maidan« von Nationalisten und Hooligans angegriffen. Daraufhin verbarrikadierten sich die prorussischen Aktivisten im Innern des nahen Gewerkschaftshauses, das mit Molotow-Cocktails in Brand gesteckt wurde. Dabei starben mindestens 48 Menschen. Dieser »Massenbrandmord« war tatsächlich ein unfassbares Verbrechen.

Letztlich ging und geht es Putin [...] jedoch hauptsächlich darum, die Ukraine dem westlichen Einfluss der EU und der NATO zu entziehen. Das gilt es für ihn zu verhindern, selbst mit einem völkerrechtswidrigen Krieg, der durch nichts zu entschuldigen ist. Dabei strebt Putin ein Regime-Change zugunsten einer Moskau treuen Marionetten-Regierung an, so wie es die Amerikaner schon des Öfteren weltweit und zumeist erfolgreich praktiziert haben.

Die Saat dieser Gewalt wurde m.E. vom Klüngeln der US-amerikanischen, europäischen und vor allem der deutschen Politik mit rechtsextremen und antisemitischen »Revolutionären« während des »Maidan-Aufstandes« gelegt. Und damit des unseligen Geistes, der dabei aus der Flasche gelassen wurde, der tatsächlich die ethnisch russische Minderheit betrifft, selbst wenn heute die Rechtsextremen in der Ukraine politisch völlig isoliert sind.


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