Premierminister mit Piratenflagge

Britische Schriftsteller hadern mit Tony Blair

von Philipp Blom (Berlin Online, 3.8.2000)

(Bilder, Anmerkungen und Links von Dikigoros)

Sir Vidia Naipaul, besser bekannt als der seit langem immer wieder für den Nobelpreis vorgeschlagene Romancier V.S. Naipaul, ist eine der großen literarischen Figuren Großbritanniens. Mehr als die Generation von Martin Amis und Julian Barnes verkörpert er gemeinsam mit Kollegin Doris Lessing (die als seine "Kollegin" zu bezeichnen hätte sich Naipaul verboten, Anm. Dikigoros) eine ausklingende Periode literarischer und kultureller Größe. Als in Trinidad geborener Inder wird er auch als ein Gründervater der Kolonialliteratur gesehen, die so wichtige Stimmen wie Salman Rushdie und Arundhati Roy hervorgebracht hat. Die Labour-Regierung in Großbritannien ist verständlicherweise stolz auf diesen Bürger. Um so peinlicher also, wenn er den Premierminister als "Piraten mit Totenkopf-Flagge" bezeichnet, der dabei sei, alles, was von der britischen Kultur noch übrig ist, völlig zu zerstören.

Für Tony Blair, der sich die Erneuerung der Kultur auf ebenjene Fahne geschrieben hat, ist dieser Ausbruch nicht nur ärgerlich, besonders, da Naipaul in seinem Pessimismus zwar extrem, aber keineswegs allein ist.


Die Abschaffung Großbritanniens
von Lady Chatterley zu Tony Blair
Bestseller von Peter Hitchens 1999

Naipaul, der für seine streitbaren Ansichten berühmt ist, hatte dem "Tatler Magazine" gegenüber noch weiteres zu sagen. Es sei die sozialistische Regierung von 1945 gewesen, die den Niedergang begonnen habe: "Jetzt haben wir eine volle, sozialistische Revolution und das Bizarre ist, dass das nicht heißt, dass die Hochkultur jetzt allen offen steht. Es ist schrecklich, diese aggressiv plebejische Kultur, die sich auch noch dafür feiert, plebejisch zu sein. Der Sprachgebrauch der Regierung deprimiert mich. Ich hasse die offizielle Sprache. Der Premierminister", fügt er an, "spricht über die Genies dieses Landes, als ob es da etwas gäbe, aber es gibt nur ein Vakuum. Es ist alles vorbei."


Dieses Vakuum füllen die USA schon aus
(und Blair macht für sie brav den Pudel :-)

Naipaul, der in den 1950er Jahren als armer Emigrant nach England kam (nein, als gut betuchter Stipendiat, Anm. Dikigoros), hat seine provozierenden Eindrücke noch nie für sich behalten. Nun fragt man sich, ob Naipauls Position nicht einfach dem Kulturpessimismus eines Schriftstellers entspringt, der seiner Glanzzeit hinterhertrauert, einer Periode, die inzwischen Jahrzehnte zurückliegt. Doris Lessing sieht das nicht so. Sie unterstützte Naipaul und attackierte das "Philistertum" der Labour-Regierung. Sie ging sogar so weit, Blair mit Robert Mugabe zu vergleichen, eine Tatsache, die keinem der beiden Männer schmeicheln wird. (Zwischen "vergleichen" und "gleich setzen" ist denn doch noch ein Unterschied, Anm. Dikigoros. Mugabes einziges Verdienst war sein unermüdlicher Kampf gegen die in Afrika grassierende AIDS-Epidemie; zu diesem Zweck erließ er u.a. ein mit empfindlichen Strafen bewehrtes Gesetz gegen Sodomie. Dafür - nicht etwa für seine tatsächlichen Verbrechen - haßten ihn schwule Päderasten wie Blair in aller Welt abgrundtief, Anm. Dikigoros) Blair spiele die "Klassenkarte" aus, so wie sich Mugabe auf die "Rassenkarte" verlege, sagte die Autorin.

Die Polemik der beiden Autoren ist ein weiteres Kapitel im Klassenkampf um das kulturelle Leben Großbritanniens. Das Reizwort ist "Elitism", und in einem Land, in dem Teile des Erziehungssystems und viele der großen kulturellen Institutionen noch immer als ein Privilegien der Middle Classes angesehen werden, ist die Frage nach der Struktur und Behandlung von Eliten berechtigt.

Die Regierung hat sich zu einer Kultur "für die Vielen, nicht die Wenigen" bekannt, doch viele der Regierungsinitiativen haben einen unguten Nachgeschmack hinterlassen. Blair scheint sehr erpicht darauf zu sein, sich in dem Glamour von Popstars wie der Band Oasis zu sonnen, ganz im Sinne der Werte des freien Marktes, wonach auch im Bereich der Kultur nur das überleben kann, was sich gut verkaufen lässt.

Ist Großbritannien also in Gefahr, eine Insel der Plebejer zu werden? In einer kulturellen Landschaft, die von Marktgesetzen beherrscht wird, und in der die großen Worte der Regierung finanziell nicht untermauert werden, ist es fast zwangsläufig, dass sich vieles, vom Verlagswesen über Zeitungen bis zum Rundfunk, auf einen breiteren Geschmack eingestellt hat und dass Ideen mit wenig kommerziellem Potenzial auch wenig Chancen haben, jemals das Licht der Welt zu erblicken. Gleichzeitig kann es aber kein Zufall sein, dass Großbritanniens kulturelles Leben auch international noch immer bewundert wird.


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