"ZUSAMMENFÜHRER"
Luigi Trenker als Giovanni de Medici
(und Ethel Maggi als Katharina Sforza de Medici)
LUIGI TRENKER: CONDOTTIERI

[Filmplakat 1937] [DVD]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE [UN]SCHÖNE WELT DER ILLUSIONEN

Wir schreiben das Jahr 1937. Die Italiener unter ihrem ruhmreichen Duce Benito Mussolini haben gerade mal wieder erfolgreich verhindert, daß die bösen Teutonen unter ihrem faschistoïden... ach nein, Fascisten waren die Italiener ja damals selber (obwohl ihre Enkel das heute weitgehend verdrängt haben - die glauben vielmehr, daß der Fascismus eine deutsche Erfindung gewesen sei)... also vielmehr unter ihrem national-sozialistischen Führer Adolf Hitler das ur-italienische Österreich gegen den Willen von fast 1% der dortigen Bevölkerung besetzte und annektierte. Das hätte unangenehme Auswirkungen auf das benachbarte, ur-italienische Süd-Tirol haben können, das nach einer Volksabstimmung, die eine überwältigenden Mehrheit von fast 1% der Bevölkerung für Italien erbracht hatte... ach nein, die gab es ja gar nicht, obwohl doch die Alliierten, insbesondere die Amerikaner, behauptet hatten, für das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" in den Krieg gezogen zu sein... also vielmehr nach den Bestimmungen des segensreichen Friedens-Vertrages von Saint-Germain anno 1919 (nein, für Österreich galt der Vertrag von Versailles nicht, denn sie waren ja keine Deutschen - deshalb hatte man ihnen einen eigenen Vertrag diktiert, pardon erlaubt, freiwillig zu unterschreiben) Italien zugeschlagen, pardon, von den Italienern, pardon, durch die Italiener von den Habsburgern befreit worden war - so ist es richtig. (Man muß ja heutzutage ganz vorsichtig sein und jedes Wort auf die Goldwaage legen, um es auch allen politisch korrekten Gutmenschen recht, pardon link zu machen.) Ja, die Bedrohung der armen Italiener durch die deutsche Gefahr hatte eine lange Geschichte; angefangen bei Kimbern und Teutonen, Goten und Wandalen... aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr.

Zum Glück gab es auch früher schon immer wieder tapfere Italiener, die sich diesem "furor teutonicus" mutig entgegen stellten und ihn in seine Schranken wiesen. Welche das nach damaliger Auffassung waren und wie man das feststellen kann? Ganz einfach: Als die Italiener Ende der 1920er Jahre zu der Überzeugung gelangten, daß ihre Flotte zu schwach war, um einen neuerlichen Krieg gegen das Deutsche Reich (wohlgemerkt noch lange, bevor die bösen Nazis an die Macht kamen!) zu bestehen, beschlossen sie, ein paar neue schnelle Kreuzer auf Kiel zu legen, die so genannte "Condottieri"-Klasse. [Es sollte später noch weitere "Condottieri"-Klassen geben; laßt Euch nicht verwirren, liebe Leser.] Den ersten vier gaben sie die Namen der größten anti-deutschen Helden ihrer Geschichte: Das erste wurde nach Alberto di Guissano benannt, einem der Anführer des "Lombardenbundes", der im 12. Jahrhundert, genauer gesagt 1176 in der Schlacht von Legnano, gegen den bösen deutschen Kaiser Barbarossa heldenhaft gefochten haben soll. (Das wurde jedenfalls seit dem 19. Jahrhundert behauptet; nur böse Zungen behaupten bisweilen, daß es diesen braven Helden nie gegeben habe, sondern daß er in der Zeit des "Risorgimento" frei erfunden worden sei und daß die Fascisten diesem Märchen auf den Leim gegangen seien :-) Das zweite Schiff hieß "Alberico da Barbiano", nach einem Condottiere des 14. Jahrhunderts, der - wie später die Engländer - unter dem Zeichen des Heiligen Georg (auf Italienisch "San Giorgio") gegen die bösen Deutschen kämpfte. (Allerdings starb er hoch betagt im Bett; böse Zungen behaupten, er habe nie selber Pulver gerochen, sondern lediglich eine Art Gladiatoren-Schule betrieben, in der andere, echte Condottieri so etwas wie eine Grundausbildung im Fechten bekamen :-) Das dritte Schiff war nach Bartolomeo Colleoni benannt, einem großen Condottiere des 15. Jahrhunderts, den der Papst angeblich sogar als Führer eines neuerlichen Kreuzzugs (gegen die Deutschen?) vorgesehen hatte, so berühmt war er. (Allerdings wurde dann nichts daraus; und wenn man genau hin schaut, kämpfte Colleoni eigentlich immer nur für eine italienische Partei gegen eine andere italienische Partei.) Aber wenigstens der Name des vierten Schiffes sollte kein solch zweifelhafter Fehlgriff werden, denn es war der des allergrößten aller heldenhaften Condottieri: "Giovanni dalle bande nere". Und damit auch jedem Untertan klar wurde, wer das war und was er Bedeutendes geleistet hatte, wurde zudem noch im Auftrag der Regierung ein monumentaler Propaganda-Film über ihn gedreht; und als Regisseur für diese ehrenvolle Aufgabe hatte man einen braven Fascisten und Anti-Nazi (ja, damals konnte es diese Kombination noch geben, genau so wie man zwei Jahre später, nach dem Pakt zwischen Hitler und Stalin, für kurze Zeit braver Kommunist und Pro-Nazi zugleich sein konnte! :-) ausgesucht, der jener einprozentigen Mehrheit der Tiroler angehörte, die gerne Italiener war und die Deutsch-Österreicher haßte wie die Pest. Sein Name war Luigi ("Luis") Trenker.

Exkurs. Ja, liebe Leser, diese verwirrenden, geradezu widersprüchlichen Kombinationen sind es, die es bisweilen so schwierig machen, Geschichte richtig zu verstehen. Dikigoros erinnert sich noch an seinen Geschichts-Unterricht auf dem Gymnasium. (Auf der Volksschule gab es das Fach noch nicht - jedenfalls nicht in den ersten vier Klassen.) Es war damals eine Zeit des Übergangs: Man ging von der altmodischen, komplizierten, "kritischen" Geschichtsschreibung, wie sie das 19. Jahrhundert entwickelt hatte, über zu einer einfachen, klaren, moralischen Geschichtsschreibung, in der immer alles schön eindeutig war und unverrückbar feststand. Da gab es höchstens drei Parteien: Die bösen Nazis, die armen Opfer des Fascismus und die guten Demokraten. Das fing schon in der Bibel an: Luzifer war Nazi, Adam und Eva waren Opfer des Fascismus, und Gott war der demokratisch gewählte Präsident der Bundesrepublik Eden. (Jawohl, darüber wie diese Wahl von statten ging, gab es sogar eine Art Grundgesetz, den "alten Bund" - den nur böse Zungen ein "Diktat" genannt hätten, aber die hatten zu schweigen, durften also auch die freien, gleichen Wahlen nicht anzweifeln: schließlich konnten Adam und Eva frei wählen, ob sie sich an das Diktat, pardon an das Grundgesetz, niemals vom Baume der historischen Erkenntnis zu essen, halten wollten oder nicht, genau wie heute!) Was nicht in dieses schöne Schema paßte, wurde einfach von den Lehrplänen und aus den Schulbüchern gestrichen und nicht mehr behandelt. In der Unterstufe war es noch nicht so weit, da hatte Dikigoros einen alten, kurz vor der Pensionierung stehenden Geschichtslehrer, der zugleich sein Lateinlehrer war - "Cato" wurde er von seinen Schülern genannt. In der Antike und ihrer Geschichte kannte er sich gut aus, aber seine Schüler lernten nichts bei ihm, denn erstens nahmen sie ihn nicht ganz ernst, und zweitens machte er immer alles so furchtbar kompliziert. "In der Geschichte gibt es keine Monokausalitäten," pflegte er zu sagen, und dann stellte er alle möglichen und unmöglichen Ursachen und Wirkungen zusammen, so daß seine armen Schüler nur noch Bahnhof verstanden. (Nein, das war nun wirklich zu hoch für 10-jährige!) In der Mittelstufe hatten sie einen Lehrer, der vor allem darauf bedacht war, nichts falsch zu machen, sondern sich streng an den Lehrplan zu halten. (Das empfiehlt sich in Zeiten des Übergangs immer besonders - sonst kann es leicht passieren, daß man bei der nächsten Beförderung übergangen wird.) Er kam in die Klasse und sagte: "Jetzt macht mal alle das Buch zu!" Dann schlug er sein eigenes Buch auf und las daraus 45 Minuten vor. Am Ende der Stunde klappte er es wieder zu und ging; am Ende des Schuljahrs bekam jeder Schüler eine 3. Das war bequem für alle Beteiligten: Niemand brauchte Unterricht vorzubereiten, es gab keine lästigen Fragen oder gar Prüfungen, und alle waren zufrieden. (Jener Lehrer wurde übrigens bald darauf zum Studiendirektor befördert und zum Fachleiter Geschichte gemacht.)
Dann kam die Oberstufe, und mit ihr ein alter, grauhaariger Lehrer, der allerdings gar nicht so alt war, wie er aussah. Er war nur vorzeitig gealtert, weil er soff wie ein Loch und rauchte wie ein Schlot. Wenn man Glück hatte und der Geschichts-Unterricht in die letzte Stunde fiel (die nur 40 Minuten dauerte), machte sich das nicht weiter bemerkbar, denn so lange hielt er gerade noch durch. Dauerte die Stunde aber 45 Minuten, dann überstand er die letzten 5 Minuten nur unter Qualen: Seine nikotin-gelben Finger begannen zu zittern, seine Beine zu wanken, sehnsüchtig schielte er nach der Uhr, und wenn es endlich klingelte, stürzte er hinaus und zündete sich erstmal eine Zigarette an. (Das war damals noch ein vergleichsweise billiges Vergnügen: 10 Pfennige - 5 Teuro-Cent - kostete ein Glimmstengel der besseren Sorte, wie "Peter Stuyvesant", "Overstolz" oder "Mark Astor" - Proletenkraut wie Marlboro, für das primitive Cowboys Reklame ritten, hatte den deutschen Markt noch nicht erobert, jedenfalls nicht den der Oberstudienräte auf Lebenszeit; wenn die sich blauen Dunst vormachen ließen, dann mußte es "der Duft der großen weiten Welt" sein :-) Dann kippte er sich aus seiner Thermoskanne einen ordentlichen Schluck - vermutlich Tee oder Kaffee, dachten die unbedarfteren unter seinen Schülern und Kollegen - hinter die Binde, danach ging es wieder für 40 Minuten. Aber was lag an solchen Äußerlichkeiten? Innerlich war "Methusalem", wie er genannt wurde, jung und modern geblieben. Er war ein Anhänger der neuen Geschichts-Wissenschaft und verlangte von seinen Schülern, daß sie mindestens einmal pro Halbjahr ein Referat hielten. Ausgerechnet Dikigoros erwischte es als ersten. Er erinnert sich noch an das relativ komplizierte Thema. [Gebt Euch keine Mühe es zu erraten, liebe Leser; Dikigoros hat es nie zum Gegenstand einer seiner "Reisen durch die Vergangenheit" gemacht - es ist ihm immer noch zu kompliziert, um es auf ein paar Seiten abzuhandeln. Nein, es betraf weder Deutschland noch das 20. noch das 19. Jahrhundert; früher wurden an deutschen Schulen im Geschichtsunterricht auch noch andere Gegenden und Zeiten durchgenommen.] Er gab sich Mühe, alles so darzustellen, wie er das bei Cato gelernt hatte, und fiel damit schwer auf die Nase: "Das ist ja das schlimmste, was ich je gehört habe!" rief Methusalem mit zitternder Stimme, "da fehlte ja völlig der rote Faden!" [Ja, die Roten - die damals gerade an die Macht gekommen waren - suchen ständig nach einem "roten Faden" in der Geschichte, als hätte die Vorsehung oder sonst jemand sie sich ausgedacht und geschrieben wie einen Roman. Aber solche roten Fäden gibt es nicht im Leben, weder des einzelnen noch der Völker noch "der" Geschichte - erst im Nachhinein versuchen die Geschichts-"Wissenschaftler", einen solchen zu konstruieren, als Eselsbrücke, auf der auch ihr beschränkter Verstand die reißenden Wasser der Wirklichkeit überqueren kann. Die vielen falschen Seiten der Geschichtsschreibung werden mit "roten Fäden" zusammen gehalten. Übrigens wird das Ereignis, das Gegentand jenes Referats war, heute in dem Land, wo es spielte, sowohl von den Roten als auch von denen anderer politischer Couleur im Rahmen der "fortschrittlichen" schwarz-weiß-Malerei uneingeschränkt positiv bewertet; und je länger Dikigoros darüber nachdenkt, desto sicherer ist er, daß man es eigentlich uneingeschränkt negativ bewerten müßte. Vielleicht hat er es damals tatsächlich zu kompliziert dargestellt.] Dikigoros bekam ein "mangelhaft". Aber er lernte schnell, sich anzupassen: In Oberprima (für jüngere Leser: so nannte man damals die 13. Klasse) machte er sein Meisterstück, als er klipp und klar bewies, daß Bismarck ein böser Nazi war (oder zumindest ihr geistiger Vorläufer), Napoleon III von Frankreich ein guter Demokrat (schließlich war er demokratisch gewählt worden, zwar nicht zum Kaiser, sondern zum Präsidenten - aber wo ist da schon der Unterschied?), und die Katholiken im Kaiserreich Opfer des Holocausts, den man damals noch "Kulturkampf" nannte. (Da Dikigoros selber Katholik war, kam ihm das leicht über die Lippen.) Methusalem war begeistert, und Dikigoros bekam auf dem Abiturzeugnis in Geschichte ein "sehr gut". Exkurs Ende.

Dikigoros hat in einem anderen Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit" geschildert, warum es Luigi - oder, wie er sich in Deutschland nannte, Luis - Trenker nicht gelang, in Deutschland eine historische Persönlichkeit wie Andreas Hofer auf sich zu prägen; aber bisweilen gibt es gespaltene Filmwelten, weil es auch ein gespaltenes Geschichtsbewußtsein gibt, d.h. was in dem einen Land unmöglich ist, kann in einem anderen gelingen. Vielleicht hätte Dikigoros den letzten Satz besser in der Vergangenheitsform schreiben sollen, denn heute ist das praktisch nicht mehr möglich: Die internationalen Medien geben vor, was in das Geschichtsbewußtsein der ganzen Welt eindringen kann/darf/soll/muß und was nicht; und auch der Filmmarkt ist in einem solchen Maße "globalisiert", daß es praktisch undenkbar wird, daß ein Streifen nur in dem einem Land bekannt wird und in dem anderen nicht. Mißversteht das bitte nicht dahin gehend, daß heute allen alles bekannt sein müßte; Dikigoros hegt vielmehr den finsteren Verdacht, daß es genau umgekehrt ist: Früher konnte ein historisches Ereignis oder eine historische Persönlichkeit, die es nicht zu Weltruhm gebracht hatte, wenigstens noch in dem einen oder anderen Land bekannt sein; heute geraten diejenigen, die es nicht zu weltweiter Bekanntheit bringen, überall in Vergessenheit. Die Geschichte Italiens zur Zeit der Renaissance-Päpste war in Deutschland und überhaupt außerhalb Italiens immer ein Stiefkind der Historiker - was durchaus verständlich ist, denn anderswo war damals doch viel mehr los: Die Spanier schickten sich an, Amerika zu erobern, die Portugiesen entdeckten die Weltmeere, die Deutschen machten Reformation, die Türken eroberten Südosteuropa, die Mogule Indien... Wen interessierten da schon die Querelen in so ein paar albernen kleinen italienischen Stadtstaaten, die seit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen - und dem damit verbundenen Verlust der Handelsrouten vom Mittelmeer in den Orient - weltweit gesehen jegliche politische und wirtschaftliche Bedeutung verloren hatten? Gute Frage. Die Antwort lautet: die Italiener natürlich - und die wußten damals auch noch, wo Florenz lag, jedenfalls so ungefähr. Heute wissen sie kaum noch, wo Pisa liegt - ausweislich der gleichnamigen Studie zur Bildungsmisere in Europa. Und in deutschen Schulbüchern werdet Ihr dieses Thema ohnehin vergeblich suchen.

Deshalb muß Dikigoros an dieser Stelle auch gleich ein paar kleinere Korrekturen vornehmen an dem, was er eben geschrieben hat: Florenz, Mailand, Venedig, Genua und Siena waren zu Beginn des 16. Jahrhunderts alles andere als lächerliche kleine "Stadtstaaten", sondern immer noch reiche Handelsmächte, hinter deren Wirtschaftskraft sich das heutige Italien und andere europäische Staaten allemal verstecken könnten. Und was immer man von den Renaissance-Päpsten (nicht nur von denen aus dem Hause Medici) persönlich halten mag: die für Deutschland und Europa so verhängnisvolle Reformation wäre ohne sie nicht denkbar gewesen. (Da sind wir wieder bei einer dieser lästigen Kausalitäten :-) Ja, was glaubt Ihr denn, womit all die großartigen Leistungen, von denen die Kunsthistoriker bis heute schwärmen, die Gemälde und Skulpturen, die Kirchen und Paläste, finanziert wurden? Richtig, mit dem Ablaßhandel. Und wer zahlte - damals wie heute - mit Abstand am meisten in den Klingelbeutel? Richtig, die Deutschen. Und wer jammerte - damals wie heute - am lautesten darüber? Richtig, die Ossis. Einer dieser Ossis, ein gewisser Martin Luder (später sollte er sich "Martinus Luther" nennen - "Martin Luther" nannte ihn dagegen zu Lebzeiten niemand), nahm diesen Ablaßhandel und dessen Auswüchse als Aufhänger für seine Los-von-Rom-Bewegung, die man später - als sie ihm längst aus den Händen geglitten und über den Kopf gewachsen war - "Reformation" nannte, und die allerlei mehr oder weniger verrückte Nachahmer im In- und Ausland auf den Plan rief. Ihr meint, liebe Leser, die Spaltung in Katholiken und Protestanten sei doch heute belanglos geworden? Mag ja sein, aber ihre Auswirkungen gehen weit über das Religiöse hinaus: Ohne Reformation keine durch das - bis heute fortwirkende - religiöse Sendungsbewußtsein der puritanischen "Pilgrim Fathers" geprägten USA; ohne Renaissance-Päpste keine Reformation, und ohne die norditalienischen Stadtstaaten keine Renaissance-Päpste. Ein Medici hätte hinzu gefügt: "Und ohne die Medici kein fiorentiner Stadtstaat."

Exkurs. Ihr meint, liebe Leser, auch das hätte für uns heutige keinen großen Unterschied gemacht? Pardon, aber dann würde Dikigoros es hier nicht erwähnen. Anno 1977 schrieb Joachim Fernau, der große Cyniker unter den Populär-Historikern des 20. Jahrhunderts, in seiner Geschichte der USA ("Halleluja"), daß Nordamerika ohne die Pilgrim Fathers und ihre Erben ein ganz anderes Schicksal gehabt hätte, "das Schicksal Afrikas. Das heißt: Es wäre jetzt so weit, daß die Weißen das Land räumten und zwanzig oder dreißig Indianerstaaten ihre Befreiung vom Joch der Kolonialherren feierten. Die neuen Staatspräsidenten würden statt Lumumba und Mobutu 'Wiehernder Mustang' und 'Listige Schlange' heißen, und in Bonn [Anmerkung für jüngere Leser: So hieß früher die provisorische Hauptstadt der BRD] wäre für sie eine Ehrenkompanie angetreten." Aber Fernau irrte. Dikigoros will Euch verraten, wie Nordamerika ohne die Medici, ohne die Renaissance-Päpste, ohne die Reformation, ohne die Pilgrim-Fathers heute aussehen würde: Im Norden würde sich der Eskimo-, pardon Innuit-Staat "Nunavut" (nie gehört, liebe Leser? Dann kauft Euch mal schleunigst einen neuen Atlas!) bis an die Südgrenze des heutigen Kanada ausdehnen, denn de Gaulle hätte die Franzosen von Quebec ebenso schamlos verraten und verkauft wie die Franzosen von Algerien (aber das ist eine andere Geschichte) - und so ähnlich wie dort sähe es in Eskimoland ohne die Finanzspritzen der Weißen auch aus. Im Westen läge das russische autonome Gebiet Alaska, das sich an der Pazifik-Küste entlang bis an die Nordgrenze Kaliforniens ausdehnen würde - dort sähe es ungefähr aus wie in Sibirien. Und im Süden, d.h. von Kalifornien bis Florida, würde sich ein Gürtel spanisch-indianischer Bananen-Republiken erstrecken, in denen es so aussähe wie anderswo in Lateinamerika auch. Und in Berlin, der Hauptstadt des Großdeutschen Reiches, würde man von denen niemanden empfangen, nicht einmal um ihnen einen Tritt in den Hintern zu verpassen, geschweige denn um ihnen "Entwicklungshilfe" zu zahlen. Die Deutschen hätten nämlich schon genug wirtschaftliche und sonstige Probleme mit ihren tapferen Verbündeten, den Italienern, den Türken und anderen Balkanesen, mit denen sie gemeinsam den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten (wenn nicht schon den ersten). Und damit sind wir wieder beim Thema. Exkurs Ende.

Wenn es je eine Familie in der italienischen Geschichte gegeben hat, die sich der Schematisierung in gut oder böse, schwarz oder weiß, Gott oder Teufel, Täter oder Opfer, Nazis oder Demokraten entzieht, dann sind es die Medici; und wenn diese Aussage je auf eine einzelne Person in besonderem Maße zutraf, dann war es Giovanni de Medici der jüngere, den seine Landsleute "den mit den schwarzen Banden" nannten. Spinnerte Filmkritiker haben daraus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts "schwarze Fahnen" gemacht und spekuliert, ob ihr Träger von den bösen Fascisten nicht nur deshalb zum Filmhelden bestimmt wurde, weil auch Mussolinis Anhänger schwarze Hemden trugen; aber tatsächlich handelte es sich um schwarze Trauerbinden, die Giovanni und die Seinen nach dem Tode eines Verwandten im Jahre 1521 angelegt hatten. Nein, nicht irgendeines Verwandten, sondern des Papstes Leo (X.) - unten linkes Bild -, der mit bürgerlichem Namen ebenfalls Giovanni de' Medici hieß, also ein Namensvetter unseres Titelhelden war. Ja, bei den Renaissance-Päpsten herrschte Vettern-Wirtschaft, und deshalb wurde 1523, nach einem kurzen Zwischenspiel, wieder ein Medici Papst, nämlich der Vetter Leos, Giulio de' Medici - unten rechtes Bild. (Er nannte sich "Clemens VII" und sollte bis 1534 regieren.) Mit anderen Worten: "Renaissance-Papsttum" und "Medici" war praktisch gleich bedeutend. Ihr meint, liebe Leser, daß es für uns heutige keinen großen Unterschied gemacht hätte, wenn jemand anderes Papst geworden wäre, weil der es doch genauso oder ähnlich getrieben hätte wie die Medici? Ihr irrt, und zwar ganz gewaltig, wenn Ihr das glaubt. Den Beweis liefert der Papst (der letzte nicht-italienische vor Johannes Paul II), der in der kurzen Zwischenzeit von 1522-1523 regierte: Hadrian VI - unten mittleres Bild. Keiner der großen, reichen und mächtigen Familien entstammend, sondern ein einfacher Kleriker aus Utrecht, wäre er der Mann gewesen, um die katholische Kirche an Haupt und Gliedern zu reformieren und damit den Anhängern Luthers und anderer zwielichtiger Reformisten den Wind aus den Segeln zu nehmen; und er war bereits auf dem besten Wege dazu. (Wie soll er über seinen Vorgänger Leo X gesagt haben: "Er gelangte auf den Thron wie ein Fuchs, regierte wie ein Löwe und starb wie ein Hund." Das war zwar eine Beleidigung für jeden Löwen und für jeden Hund, aber in der Sache, d.h. so wie er es meinte, wohl zutreffend.) Doch damit kam er bei den zahlreichen Pfründen-Inhabern und anderen Schmarotzern gar nicht gut an; deshalb ist Dikigoros ziemlich sicher, daß Hadrian (er war der einzige Papst, der sich als solcher keinen neuen Namen zulegte, sondern seinen alten Namen beibehielt - er hatte keine unwürdige Vergangenheit zu verbergen) mit 64 Jahren keines natürlichen Todes starb, sondern vergiftet wurde. Als er starb, wurden keine Trauerfeiern abgehalten, sondern der Pöbel von Rom zog jubelnd durch die Straßen - der Hallodri Giulio de' Medici wurde schon im ersten Wahlgang einstimmig zu seinem Nachfolger gewählt.

[Papst Leo X alias Giovanni de' Medici
mit seinem Vetter Giulio de' Medici, dem späteren Papst Klemens VII] [Papst Hadrian VI] [Papst Klemens VII]

Da wir gerade bei Vetternwirtschaft waren: Wer wurde zum Oberbefehlshaber der päpstlichen Streitkräfte ernannt? Richtig: Giovanni de' Medici der Jüngere, den die Drehbuchautoren von "Condottieri" und die wenigen Geschichtsbücher, die ihn heute noch kennen, nach den schwarzen Armbinden nennen; seine Zeitgenossen nannten ihn - jedenfalls bis zum Tode Leos X - anders, je nachdem auf wessen Seite sie standen: für seine Anhänger war er der "gran capitano", für seine Feinde der "gran diavolo". Den einen wie den anderen Ruf hatte er sich als Söldnerführer in Diensten des Kaisers erworben, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, und den so viele Nationen für sich in Anspruch nahmen und nehmen: Für die Deutschen ist er Karl V, ihr König; für die Spanier Carlos V, ihr König; er selber nannte sich "römischer Kaiser" - obwohl er mit den Römern weiß Gott nichts am Hut hatte (außer jeder Menge Ärger :-) - und tatsächlich stammte er aus den "Spanischen Niederlanden", also dem heutigen Belgien, das noch eine Generation zuvor zum mittlerweile zerschlagenen Reich von Burgund gehört hatte. Sich mit einer solchen Weltmacht anzulegen, war gefährlich; aber die Medici wußten sich mit Gott im Bunde - und mit den Franzosen. Das mag Euch nicht besonders verwunderlich scheinen, liebe Leser, und den Kinogängern des Jahres 1937 wohl auch nicht, mit denen Ihr gemeinsam haben dürftet, daß Ihr die Vorgeschichte nicht kennt, und die ist ja auch derart verworren und idiotisch, daß nicht nur Methusalem sich im Grab umdrehen würde, wenn er sie hier lesen müßte. Wenn sie Euch also nicht interessiert, überspringt einfach den nächsten Absatz; Dikigoros wird es so kurz wie möglich machen

Anno 1494 - vier Jahre, bevor Giovanni dalle bande nere geboren wurde - fällt der französische König Charles VIII, nachdem er Stillhalteverträge mit England, Spanien, Österreich und Mailand geschlossen hat, in Italien ein und verjagt die Medici aus Florenz. Als er weiter nach Süden zieht und auch Neapel erobert, sieht England das "Gleichgewicht der Kräfte" gefährdet und bringt eine neue Koalition zwischen Spanien, Österreich und den italienischen Staaten gegen Frankreich zusammen; Charles VIII zieht aus Italien ab und stirbt wenig später. Sein Nachfolger Louis XII fällt 1499 erneut in Italien ein, erobert mit Hilfe Schweizer Söldner Mailand und verjagt die Sforza (die dort das gleiche waren wie die Medici in Florenz: die Herrscherfamilie). Wie Ihr der dritten Titelzeile entnehmen könnt, war die Mutter Giovannis eine geborene Sforza; er hatte also allen Grund, die Franzosen zu hassen, die so offensichtlich die Freiheit der italienischen Stadtstaaten bedrohten. Allerdings waren die anderen ja um keinen Deut besser - und die Italiner selber auch nicht: 1508 schließen Frankreich, Österreich, Spanien und der Vatikan ein Bündnis gegen Venedig, dem ein Jahr später auch Florenz beitritt. Venedig unterliegt und muß die heutige Provinz Emilia-Romagna an den Vatikan abtreten. 1511 überlegt es sich England - wo inzwischen Heinrich VIII regiert - wieder anders und bringt ein neues Bündnis zwischen dem Vatikan, Venedig, Österreich, Spanien und der Schweiz gegen Frankreich zustande. Die Alliierten nennen das großspurig "Heilige Liga zur Befreiung Italiens" - Befreiung wessen wovon wozu? Aber so fragte man damals noch nicht. Die Habsburger verhelfen den Medici zur Rückkehr nach Florenz und lassen Giovanni de' Medici zum Papst wählen. Giovanni hatte also allen Grund, den Habsburgern dankbar zu sein. Louis XII unterliegt bei Guinegate und Novara, zieht aus Italien ab und stirbt wenig später. Sein Nachfolger François I fällt 1515 erneut in Italien ein und erobert wiederum Mailand; die Spanier geben sich damit zu-frieden und schließen anno 1516 Frieden. Wo bleibt die Freude? Wo bleibt der Eierkuchen? Damit wird es nichts; denn kurz nach dem Friedensvertrag von Noyon stirbt Felipe der Schöne von Spanien, und sein Sohn Carlos V denkt gar nicht daran, ihn einzuhalten; er kauft sich 1519 den deutschen Thron und die Kaiserkrone (gut, wenn man einen Fugger hat!), dann einen Haufen Schweizer Söldner und erneuert zwei Jahre später im Bündnis mit dem ebenfalls gekauften Medici-Papst Leo X - der Hilfstruppen stellt, in denen auch Giovanni de' Medici mit kämpft - den Krieg gegen Frankreich. Er befreit Mailand, Genua und Padua... stopp, kurze Denkpause.

* * * * *

Wir schreiben das Jahr 1521. Finstere deutsche und spanische Söldner haben das friedliche Italien überfallen, Mailand, Genua und Padua besetzt und schicken sich an, die besten Freunde und Beschützer der Italiener, die Franzosen, außer Landes zu jagen. Das ist nicht nett von Carlos V - zu allem Überfluß hat er nach dem Tode Leos X auch noch seinen ehemaligen Religionslehrer, so einen flämischen Bauerntölpel namens Hadrian, zum neuen Papst wählen lassen. So geht es nicht weiter, finden alle billig und gerecht denkenden italienischen Patrioten, so auch unser guter Giovanni de' Medici, der längst - na ja, genau genommen eher unlängst - aus den Diensten des bösen Agressors ausgeschieden ist und sich als Pirat selbständig gemacht hat. (Aber letzteres erfahrt Ihr natürlich nicht aus dem Film "Condottieri", liebe Leser; Dikigoros will es nur der guten Ordnung halber kurz anmerken.) Und so denkt auch der neue Medici-Papst Clemens VII. Der steckt mit dem Seeräuber, pardon, dem großen Kapitän Giovanni unter einer Decke und erteilt ihm den Befehl, sich auf die Seite der Franzosen zu schlagen, die 1524 wieder in die Lombardei einfallen, pardon, die gekommen sind, um Italien von den bösen Deutschen und Spaniern zu befreien.

(...)

War Euch das verworren genug, liebe Leser, oder habt Ihr irgendwo einen roten Faden entdeckt? Dikigoros auch nicht. Er sieht nur einen Soldaten im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich einen Söldnerführer, der alle Befehle, die man ihm erteilt - egal wie widersprüchlich sie sein mögen - brav ausführt und am Ende den "Heldentod" stirbt, wahrscheinlich ohne so recht zu wissen, wofür: Für den Kaiser und König von Spanien? Nein! Für den König von Frankreich? Nein. Für den Papst? Jein - nur, wenn das ein Medici ist. Für Italien? Ganz bestimmt nicht - wahrscheinlich kannte er nicht mal den Begriff...

Halt, was schreibt Dikigoros denn da Ketzerisches? Kein geringerer als sein Namensvetter Macchiavelli - der ja wohl zeitlich und örtlich näher am Geschehen war, es also besser wissen müßte - schreibt doch, daß der gute Giovanni, wenn er länger gelebt hätte, in der Lage gewesen wäre, Italien zu einen! So so, wäre er das? Und wenn er es gewesen wäre, wollte er das? Wozu? Einen König von Italien gab es ja nicht; und ob die Medici den Ehrgeiz hatten, das jemals zu werden, wagt er auch zu bezweifeln. Warum sich das arme Süditalien ans Bein binden, wenn man sich doch auf einen der reichsten Stadtstaaten des Nordens beschränken konnte?!

Aber lassen wir das, es geht ja hier - angeblich um etwas ganz anderes.


(Fortsetzungen folgen)


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