Faszination Kurosawa

Zwischen Samurai und Helden des Alltags:

Leben und Werk des Regisseurs AKIRA KUROSAWA

von Klaus Wiesmüller (GRIN, 12. Juli 2013 - Leseprobe)

gekürzt und kommentiert von Nikolas Dikigoros

Einleitung

Daß Kurosawa mit seinen älteren Kollegen Yasujiro Ozu und Kenji Mizoguchi verglichen wird, findet sich ständig in der Literatur. Meist wird die Riege noch um Mikio Naruse erweitert, um dann respektvoll von den „Großen Vier” der goldenen Ära des japanischen Films zu sprechen. (Anm. Dikigoros: À propos sprechen: Sprecht ihn und seine Kollegen doch bitte nicht immerzu falsch aus. Es heißt "Kurósawa [Schwarzmoor - nicht -mohr! -, übrigens ein netter Kontrast zum Rufnamen "Ákira", der "Sonne+Mond" geschrieben wird und "Helle" - nicht "Hölle" - bedeutet]", "Ōzu", "Mizóguchi" und "Náruse"!)

Doch betrachtet man diese vier herausragenden Regisseure und ihre Werke genauer, merkt man schnell, daß Kurosawa aus dem Rahmen fällt. Das beginnt damit, daß Kurosawa der Jüngste der „Großen Vier“ ist. Während die filmischen Wurzeln der anderen drei bis in die Stummfilmzeit der 1920er Jahre zurück reichen, gab Kurosawa erst 1943 sein Regiedebüt, also mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs.

Zudem ist Kurosawa der Einzige, dessen Filme auch bei einem breiten internationalen Publikum bekannt geworden sind: Die Sieben Samurai, Ran oder Rashomon stehen bis heute weltweit in vielen Filmsammlungen als Repräsentanten Japans. Zwar zählen die Filme Ozus, Naruses oder Mizoguchis unter Kritikern zu den größten und besten Filmen aller Zeiten, den meisten Filmfans sind sie allerdings kaum bekannt.

Interessanterweise wurden Kurosawas Werke trotz ihrer unleugbaren Erfolge von manchen Kritikern und Filmemachern in Japan mit Skepsis betrachtet. Als Grund dafür wurde meist angeführt, seine Filme wären „un-japanisch”. Viel wurde hinein interpretiert in diesen schwer nachvollziehbaren Vorwurf, sind doch gerade Kurosawas bekannteste Filme in der Welt der Samurai verankert – einer der Inbegriffe japanischer Kultur und Geschichte. Andere Werke wie Kein Bedauern für meine Jugend, Skandal oder Die Bösen schlafen gut üben Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und Entwicklungen im Japan der Gegenwart. Wie können sie also „un-japanisch” sein? (Anm. Dikigoros: Nach außen getragene Kritik an der eigenen Gesellschaft ist - oder war jedenfalls noch zu Kurosawas Zeiten - per se "unjapanisch"; man mag keine "Nestbeschmutzer" - und wo mag man die schon, außer vielleicht in der BRDDR?!?)

Bei der Suche nach einer Antwort kann wiederum der Vergleich mit Ozu, Mizoguchi und Naruse helfen. Alle drei sind für eher ruhige, langsam getaktete Filme bekannt, in denen häufig familiäre Konflikte im Mittelpunkt stehen. Diese Konflikte werden eher subtil und dezent behandelt, teilweise nach den äußerst restriktiven Regeln der japanischen Kommunikations- und Lebensart. Gerade Naruse und Mizoguchi lassen ihre – oft weiblichen – Hauptcharaktere meist still unter diesem engen Korsett gesellschaftlicher Normen leiden, gar zerbrechen, und üben so indirekt Kritik.

Ganz anders dagegen Kurosawa, dessen Filme vor Kraft und Dynamik strotzen, ja manchmal fast zu bersten drohen. Die mit ihrer überbordenden Emotionalität voller Energie voran- und auf den Zuschauer einstürmen. Deren Charaktere die gesellschaftlichen Gegebenheiten und Missstände in Frage stellen, offen anprangern oder bekämpfen, ohne Rücksicht auf Verluste und voller Verachtung für Normen und Anstand. Während bei Ozu, Mizoguchi oder Naruse Konflikte subtil angedeutet und dann entweder im Einklang mit den Normen gelöst werden oder ungelöst bleiben – und während die Charaktere verzweifeln –, werden Auseinandersetzungen bei Kurosawa offen ausgetragen.

Vielleicht waren es diese untypische Direktheit, Unverblümtheit und Schonungslosigkeit, die es manchen Japanern erschwerten, Kurosawa als eines ihrer Aushängeschilder zu akzeptieren. Statt dessen schienen ihn diese Eigenschaften als einen „verwestlichten” Filmemacher auszuzeichnen.

Hinzu kam, daß Kurosawa zu seinen größten Vorbildern westliche Schriftsteller, Maler und Regisseure zählte. Besonders die großen Werke Dostojewskis und Tolstois hatten es ihm angetan: Über Krieg und Frieden sagte er einmal, er habe das Buch mindestens dreißig Mal gelesen und sei sich sicher, daß sich viele Einflüsse daraus in seinen Filmen finden ließen. (Anm. Dikigoros: Über die Frage, ob und in wieweit Dostojewskij "[ver]westlich[t]" war, kann man trefflich streiten - aber er war ganz bestimmt nicht "typisch" für westliche Literatur. Und Tolstoj war geradezu das Gegenteil von "westlich" - er war ganz fest in der russischen Tradition verwurzelt - auch wenn er sich später von den anti-russischen Sozialisten als Galionsfigur mißbrauchen ließ; aber da war er schon senil und wohl nicht mehr ganz zurechnungsfähig.)

In filmischer Hinsicht gehörte der amerikanische Regisseur John Ford zu Kurosawas größten Vorbildern. Kurosawa wiederum beeinflusste besonders eine junge Generation von Filmemachern in den USA, die in den 1970er Jahren Hollywood eroberten. Zu seinen Bewunderern aus dieser Riege gehörten unter anderen Steven Spielberg, Francis Ford Coppola, Martin Scorsese und George Lucas, der Kurosawas Die verborgene Festung als wichtige Inspiration für Krieg der Sterne angab. (Anm.: Dikigoros bezweifelt ganz stark, daß die genannten US-Amerikaner auch nur ein Wort Japanisch konnten, geschweige denn Kurosawas Filme verstanden haben.) In ihnen fand Kurosawa in der Spätphase seiner Karriere wichtige Unterstützer, ohne die er kaum die finanziellen Mittel zur Realisierung seiner gewaltigen Schlachtengemälde in Kagemusha und Ran bekommen hätte. (Anm. Dikigoros: Bitte nicht "Kagemúsha" o.ä. aussprechen, liebe Leser, es heißt "Kãgémusha"!)

Ähnlich wie seine Helden, die sich auflehnen, die „ihr Ding” machen wollen und dabei auch den Kampf mit der Gesellschaft aufnehmen, lebte Kurosawa auch sein eigenes Leben. Er galt immer als schwieriger Regisseur mit dem Anspruch, jeden Aspekt eines Filmes zu kontrollieren. Sein Perfektionismus – und seine Wutanfälle – waren berüchtigt. (Anm. Dikigoros: und ganz "unjapanisch"! Nach japanischer Auffassung bekommen nur Gaijin [Ausländer] Wutanfälle - und verlieren dadurch ihre Gesicht :-) Seine Filmcrews und Darsteller unterwarf er oft außergewöhnlichen Belastungen, und auch die Geduld und finanziellen Spielräume der Filmstudios belastete er oft bis zum Äußersten.

So ist auch sein eigenes Leben voller Höhen und Tiefen, turbulenter Zeiten, dramatischer Ereignisse, Geheimnisse und Mysterien: Seine Erinnerungen an das große Kanto-Erdbeben, bei dem 1923 fast 150.000 Menschen ums Leben kamen. Seine Gehversuche als Maler und die Kontakte ins linksextreme Milieu. Der Selbstmord seines geliebten großen Bruders. Der Einstieg in die Filmindustrie und der kometenhafte Aufstieg. Die mit großen Ambitionen begonnenen Hollywood-Projekte, die im Desaster endeten. Sein eigener Selbstmordversuch und das Oscar-gekrönte Comeback. Diese und viele weitere Episoden aus seinem Leben würden selbst mehr als genug Stoff für einen spannenden Film liefern.

Diese bewegte Biographie, die Eigenheiten seines Werkes und dessen wechselhafte Rezeption in seiner Heimat waren mir allesamt unbekannt, als ich eines Tages im Studentenwohnheim auf einem winzigen alten Bildschirm zum ersten Mal Rashomon sah und damit meine Entdeckungsreise in den japanischen Film begann. Ich wusste nichts über die bahnbrechende, bis heute legendäre Kameraführung oder die nicht-lineare narrative Struktur, die alle Konventionen ihrer Zeit missachtete. Oder über die großen Widerstände im Produktionsstudio Daei, personifiziert durch den engstirnigen Präsidenten Masaichi Nagata, gegen die Kurosawa ankämpfen musste, um diesen außergewöhnlichen Film machen zu können.

Ebenso wenig wusste ich, daß dieser Films völlig überraschend den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig gewonnen und Kurosawa mit einem Paukenschlag berühmt gemacht hatte. Aber ich war von der ungeheuer dichten Atmosphäre vom ersten Moment an begeistert, besonders von dem kongenialen Zusammenspiel fantastischer Bilder und eindrucksvoller Musik, die an Ravels „Boléro” angelehnt wurde.

Der unvergleichliche Toshiro Mifune, der sich mit der unbändigen Energie eines Wirbelwinds durch den Film peitschte, überrumpelte mich komplett; noch nie hatte ich eine vergleichbare schauspielerische Darbietung gesehen. Mit Rashomon hatte Kurosawa mich im Sturm erobert. Schon am nächsten Tag stand ich in meiner Lieblingsvideothek und nahm alles mit, was von Kurosawa zu haben war.

Wenn ich heute einen Blick zurück auf diesen Abend werfe, als sich mir in meiner Studentenbude eine neue Filmwelt eröffnete, frage ich mich, wie Rashomon das alles auslösen konnte. Ich stelle fest, daß es keineswegs dieser Film allein war, sondern daß er lediglich ein Schneeball war, der ins Rollen kam. Jeder weitere von Kurosawas Filmen ließ diesen Schneeball anwachsen und mit jeder Episode, die ich aus seinem überaus bewegten Leben erfuhr, rollte er schneller.

Doch es blieb nicht beim begeisterten Filmegucken, und auch nicht bei Kurosawa allein. Schon bald entdeckte ich weitere Größen des japanischen Films für mich und irgendwann wuchs in mir der Drang, mich mit anderen Menschen über diese Filme auszutauschen.

So begann ich 2006 zu bloggen und auf Japankino.de von meiner Entdeckungsreise in die Welt des japanischen Films zu berichten. Seitdem habe ich viele Filme vorgestellt, Entwicklungen in der japanischen Filmindustrie kommentiert und von Filmfestivals berichtet. Denn auch das Schreiben über Filme war mir bald nicht mehr genug: Mehrere Jahre war ich im Team des Japanischen Filmfests Hamburg tätig. Inzwischen sind japanische Filme zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden, und alles wegen diesem Schneeball namens Rashomon.

Beim ersten Gedanken an ein Buch über japanische Filme war daher sofort klar, daß es nur ein Buch über Akira Kurosawa sein konnte und daß ich darin sein Leben und sein Werk gleichermaßen vorstellen wollte. Entsprechend ist Zwischen Samurai und Helden des Alltags aufgebaut: Nach dieser Einleitung nimmt es Sie mit ins Tokyo des Jahres 1910, in das Geburtsjahr von Akira Kurosawa; das nächste Kapitel stellt Ihnen die Vita dieses außergewöhnlichen, vielseitigen und nicht ganz einfachen Regisseurs vor. Seine Regiearbeiten werden hier natürlich bereits eine wichtige Rolle spielen, vor allem unter dem Aspekt, wie sie Kurosawas Leben beeinflussten, ihn zu ungeahnten Erfolgen und in tiefe Täler der Frustration trieben.

Anschließend folgen in chronologischer Reihenfolge detaillierte Vorstellungen der 30 Filme Kurosawas, bei denen er als allein verantwortlicher Regisseur die Dreharbeiten leitete. Diese Filmessays geben Ihnen einen kurzen Überblick über die Handlung, stellen für Kurosawa typische oder ungewöhnliche Stilmittel und Arbeitsweisen vor, schildern besondere Vorkommnisse im Umfeld der Produktion und bieten interpretatorische Hilfestellung an. [...] (Anm.: Dikigoros hat diese "Vorstellungen" weg gekürzt, da sie - mit Ausnahme von Rashōmon - nichts mit Kyō Machiko zu tun haben, für deren tabellarischen Lebenslauf er diese Leseprobe bearbeitet und verlinkt hat. Außerdem will er den Absatz von Wiesmüllers Buch nicht gefährden. Wenn Euch also dieser Auszug gefällt: Es ist bei GRIN erschienen und mit 9,99 Euro durchaus erschwinglich :-)

Sein Leben

Akira Kurosawa wurde am 23. März 1910 im Omori-Distrikt, im Süden Tokyos, geboren. Seine Mutter Shima entstammte einer Händlerfamilie aus Osaka, während sein Vater Isamu zu einer alten Samurai-Familie aus der Region Akita im Norden Japans gehörte. (Anm. Dikigoros: Eine unglückliche, aber im damaligen Japan nicht ganz unübliche Kombination: Verarmter Adeliger heiratet reiche Bürgertochter - wohlgemerkt von den Familien so gewollt und arrangiert, aber nur unter wechselseitigen Vorbehalten: Für die Schwiegereltern waren solche Schwiegersöhne Schmarotzer bzw. solche Schwiegertöchter nicht ebenbürtig. Fast noch schlimmer waren die regionalen Unterschiede: Welcher preußische Offizier hätte schon gerne die Tochter eines bayrischen Koofmichs geheiratet? Eben - und die Kinder aus solchen Verbindungen mußten die Suppe auslöffeln.)

Sein Vater, ein ehemaliger Militärausbilder und Schulleiter, legte zwar großen Wert auf traditionelle Werte wie Strenge, Disziplin und Selbstbeherrschung, war aber auch ungewöhnlich aufgeschlossen für neue Denkweisen und Erziehungsmethoden. Er führte westliche Sportarten wie Baseball an seiner Schule ein und soll angeblich das erste Schwimmbad Japans gebaut haben. (Anm. Dikigoros: So etwas hätte damals kein anständiger Japaner besucht. Man badete in freier Natur, in Flüssen und Seen - und heißen Quellen -, übrigens nackt, Männlein und Weiblein gemischt; Dikigoros erwähnt das, damit niemand das Wort "anständig" mißversteht :-) Nicht zuletzt maß er Kinofilmen, die er sich mit seiner Familie regelmäßig ansah, einen großen erzieherischen Wert bei - ein für die zukünftige Entwicklung des jungen Akira nicht zu unterschätzender Umstand.

Schuljahre: Von der Heulsuse zum Rebellen

Das erste Schuljahr an der Morimura-Gakuen-Grundschule muss für Akira eine sehr schwere Zeit gewesen sein. In seiner Autobiographie beschreibt er sich in jungen Jahren als langsames, fast zurückgebliebenes Kind sowie als Heulsuse, weshalb er permanent unter den Streichen seiner Mitschüler zu leiden hatte.

Das änderte sich, als seine Familie 1917 in den Edogawa-Distrikt im Osten Tokyos umzog und er auf die Kuroda-Schule wechselte. Zwar war er weiterhin Zielscheibe von Hänseleien, dafür entdeckte ein Kunstlehrer, der Individualität und kreatives Denken belohnte, Akiras Talente und förderte ihn nach Kräften.

Außerdem lernte Akira eine noch größere Heulsuse kennen: seinen damaligen Mitschüler Keinosuke Uekusa. Wie selbstverständlich wuchs zwischen den beiden schnell eine enge Freundschaft, die Kurosawa mit den Worten beschreibt: „Heulsuse Uekusa und ich fühlten eine Gemeinsamkeit zwischen uns, wir wurden voneinander angezogen und schon bald spielten wir ständig zusammen. Mit der Zeit begann ich Uekusa zu behandeln, wie mein älterer Bruder mich behandelt hatte.” Jahre später schrieb Uekusa ein Buch über ihre Freundschaft und die beiden arbeiteten sogar zusammen, denn Uekusa wurde Drehbuchautor.

Großen Einfluss auf den jungen Akira hatte außerdem sein älterer Bruder Heigo, ein brillanter, hoch intelligenter Schüler mit sehr eigenen Ansichten von der Welt. Er brachte Akira das Schwimmen bei, indem er ihn einfach mitten auf dem See aus einem Boot stieß. Nach dem Kanto-Erdebeben, das am 1. September 1923 große Teile Tokyos zerstörte und fast 150.000 Menschen das Leben kostete, lehrte Heigo ihn außerdem eine zentrale Lebensweisheit: „Wenn man allem mit offenem Blick begegnet, gibt es nichts, wovor man Angst haben müsste.“

Heigo nahm seinen gerade mal 13 Jahre alten Bruder nämlich auf einen Rundgang durch die niedergebrannte, zerstörte Stadt mit. Als einzige lebende Wesen weit und breit wanderten sie durch die Ruinen, vorbei an Bergen verbrannter Leichen, vorbei an Kanälen und Flüssen, deren Wasser von den darin treibenden Leichen rot gefärbt war. Nach der Heimkehr erwartete Akira, eine Nacht voller Alpträume zu verbringen, doch er schlief wie ein Stein, denn er hatte angesichts der furchtbaren Szenen nicht weggesehen und seine Furcht überwunden. Diese Erfahrung sollte ihn tief prägen und fand später Eingang in zahlreiche seiner Filme.

Da das Erdbeben auch Akiras Schule zerstört hatte, musste der Unterricht an eine Technik-Schule im weiter nördlichen Shinjuku-Distrikt verlegt werden. Dort entwickelte sich Akira zu einem notorischen Witzbold und spielte im weiteren Verlauf seiner schulischen Karriere Lehrern und Mitschülern regelmäßig Streiche, von denen er mit offensichtlicher Freude in seiner Autobiographie berichtet. Egal ob Prüfungsfragen oder bunt zusammengemischte Chemikalien, nichts schien vor ihm sicher zu sein.

Ein besonderes Ziel dieser rebellischen Phase war ein Hauptmann der Armee, der den Militärunterricht leitete. Die Konsequenz seiner Streiche war, daß Kurosawa als einziger seines Jahrgangs die Schule ohne ein Eignungszertifikat als Offizier beendete. (Anm.: Kurosawa besuchte keine Kadettenanstalt o.ä., sondern eine "Technische Oberschule", an der man nebenbei das Patent als Reserve-Offizier erwerben konnte - übrigens nach US-amerikanischem Vorbild, wo es sogar Ausländern offen steht. Dikigoros' Schwiegerneffe, der einige Zeit in Texas zur Highschool ging, hat es seinerzeit erworben - während sein Versuch, Offizier oder wenigstens Reserve-Offizier der Bundeswehr zu werden, mißlang - was eigentlich alles über die US-Anforderungen aussagt, die eher Pfadfinder-Niveau haben :-)

Hinwendung zur Kunst und erster Kontakt zur Welt des Films

Nach seinem Schulabschluss 1928 war Kurosawa fest entschlossen, Maler zu werden. Sein Vater unterstützte ihn dabei und schlug ihm trotz der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage der Familie vor, auf die Kunstakademie zu gehen. Doch Akira hielt wenig von einer akademischen Ausbildung; er war ein Mann der Tat und fiel bei den Aufnahmeprüfungen prompt durch. Statt dessen verfolgte er freie Studien, verbrachte viel Zeit in Galerien und Künstlerkreisen und beschäftigte sich – angeregt durch seinen älteren Bruder Heigo – nebenbei mit Literatur, dem Theater und Film.

Sein Talent war unbestritten, eines seiner Gemälde wurde sogar in eine Ausstellung aufgenommen. Doch die wirtschaftliche Situation der einst wohlhabenden Familie Kurosawa wurde immer prekärer; Farben und Leinwand waren für ihn kaum noch bezahlbar. Aus einer tiefen Unzufriedenheit mit der Entwicklung der japanischen Gesellschaft und Politik, die sich immer stärker radikalisierte, trat er einer proletarischen Künstlervereinigung bei und arbeitete an einer linksradikalen Zeitung mit. Von dem bißchen Geld, das er dabei verdiente, konnte er sich oft jedoch nichtmal eine warme Mahlzeit leisten.

Nach längerer Krankheit gab er seine Arbeit auf und zog zu Heigo, der mittlerweile als Benshi in einem Kino tätig war, aber ebenfalls in ärmsten Verhältnissen in einer Art Slum lebte. Doch seine Tätigkeit als Benshi wurde von den immer populärer werdenden Tonfilmen bedroht. Gemeinsam mit Kollegen trat er in den Streik, der jedoch scheiterte. Wenige Monate später, im Juli 1933, beging Heigo in einer kleinen Pension Selbstmord.

In der Zeit nach dem Tod seines großen Vorbilds war Kurosawa lange auf der Suche nach einem eigenen Stil als Maler sowie nach Gelegenheitsarbeiten, um seine Familie zu unterstützen und um seine Materialien zu bezahlen. Angesichts langweiliger, uninspirierender Aufträge wie Illustrationen für Kochkurse sowie einer zunehmenden Frustration, weil Kurosawa sich unfähig fühlte, einen eigenen künstlerischen Stil zu entwickeln, begann er über eine berufliche Neuorientierung nachzudenken.

Eines Tages, im Jahr 1935, fand er eine Anzeige in der Zeitung: Das junge Filmstudio PCL suchte Regieassistenten. Zu den angeforderten Bewerbungsunterlagen gehörte auch ein Aufsatz über die Mängel japanischer Filme, auf den sich Kurosawa mit Begeisterung stürzte – und der ihm zusammen mit 500 anderen Bewerbern eine Einladung zum Interview einbrachte.

Als Kurosawa wenige Monate später den Angestelltenvertrag in den Händen hielt, zweifelte er jedoch, ob dies der richtige Job für ihn sei. Doch der Rat seines Vaters, daß allein die Erfahrung es wert wäre und er schließlich jederzeit kündigen könne, überzeugte ihn. Er trat am 26. Februar 1936 seinen Dienst bei PCL an.

Lehrjahre und der Kampf um das Regiedebüt

Akira Kurosawas Anfänge bei PCL spiegeln seine ersten Erlebnisse der Schulzeit: Wie damals nach der Einschulung fand er sich zuerst nicht zurecht und wurde mit Aufgaben betraut, die ihn tatsächlich an den Rand der Kündigung brachten. Nur durch die Aufmunterung einiger Kollegen ließ er sich auf ein zweites Filmprojekt ein und wie in seiner Kindheit brachte dieser zweite Anlauf den Durchbruch. Denn er traf erneut auf einen Lehrer, der seine herausragenden individuellen Talente förderte und ihn stark beeinflusste: den Regisseur Kajiro Yamamoto.

Yama-san, wie er von Kurosawa und anderen Mitarbeitern gern genannt wurde, war für seine erfolgreichen Komödien und Musicals bekannt. In den folgenden fünf Jahren arbeitete Kurosawa hauptsächlich mit der „Yamamoto-Gumi”, d.h. dem Kajiro Yamamoto zugeordneten Filmteam. (Anm.: Nein, so bitte nicht! Dikigoros läßt ja Wiesmüllers falsche Transkriptionen in der Regel unkorrigiert und unkommentiert; aber hier muß er mal eine Ausnahme machen: "Kumi [Familie]" wird nur deshalb zu "gumi" aufgeweicht, weil es in einer Zusammensetzung steht; man muß also "Yamamotogumi" schreiben!) Zu diesem Team gehörte auch Ishiro Honda, der Kurosawa bei mehreren Filmen als Chef-Assistent unterstützte und selbst als Schöpfer von Godzilla (1954) zu Weltruhm kam.

In der klassischen Phase des japanischen Studio-Systems bis in die 1960er Jahre war es üblich, daß sich um einen Regisseur ein Team aus bestimmten Kameramännern, Drehbuchautoren, Komponisten, Regieassistenten oder Tontechnikern bildete, die manchmal über Jahre hinweg viele Filme zusammen drehten. In dieser Gruppe arbeitete Kurosawa vor allem an Komödien wie The Millionaire (1936), Life is a surprise (1938) oder Horses (1941) mit, aber auch an ernsthaften Filmen wie dem starbesetzten Historiendrama Chushingura (1939). Schnell stieg er vom dritten Regieassistenten zum Chefassistenten auf.

Neben Yamamoto war Kurosawa vereinzelt auch für andere Regisseure tätig: Zweimal arbeitete er mit Eisuke Takizawa, einmal mit Shu Fushimizu sowie 1938 mit Mikio Naruse an Avalanche. Dabei beeindruckte ihn vor allem Naruses Schnitttechnik und die Art, wie er bei den Dreharbeiten mit ruhiger Hand alles unter Kontrolle hatte. Der einzige Nachteil war, daß es für Kurosawa als Regieassistenten dabei wenig zu tun gab.

Doch letztlich war es vor allem Yamamoto, bei dem Kurosawa sein Handwerkszeug lernte. Yama-san drängte ihn dazu, sich mit allen Bereichen der Filmproduktion vertraut zu machen: Zuerst mit der Second-Unit-Regie und Tonnachbearbeitung, dann mit dem Schnitt und schließlich mit dem Verfassen von Drehbüchern, über das Yamamoto sagte: „Wenn du Regisseur werden willst, musst du zuerst Drehbücher schreiben.” Diesen Rat nahm sich Kurosawa zu Herzen und erwies sich tatsächlich als begabter und sehr produktiver Drehbuchautor.

Doch zunächst scheiterte er daran, eines seiner Drehbücher selbst zu verfilmen, denn die Arbeitsbedingungen hatten sich 1942 erheblich verschlechtert und keiner der Studioverantwortlichen wollte einem Neuling wie ihm ein Projekt anvertrauen. Erst als Kurosawa auf das Buch Sanshiro Sugata aufmerksam wurde und es ihm gelang, die Filmrechte zu sichern, wusste er: Jetzt ist es geschafft.

„… und Action!“

Die Dreharbeiten an Sanshiro Sugata begannen am 13. Dezember 1942 und verliefen weitgehend wie geplant. Nur mit dem großen Finale war Kurosawa unzufrieden und setzte durch, daß nicht im Studio sondern vor Ort in den Bergen von Hakone gedreht wurde. Diese Entscheidung trug wesentlich zur mitreißenden Atmosphäre des Films bei, der ein großer Erfolg wurde und mehrere Preise erhielt.

Bereits in seinem Debütfilm zeichneten sich erste Anfänge eines festen Teams, der „Kurosawa-Gumi” (Anm. Dikigoros: Kurosawagumi, s.o.), ab: Mit dem Hauptdarsteller Susumu Fujita arbeitete Kurosawa in den folgenden Jahren oft zusammen; der Nebendarsteller Takashi Shimura wurde für zwanzig Jahre zu einem wichtigen Pfeiler des Teams.

Angesichts des großen Erfolgs musste Kurosawa nicht lange auf weitere Projekte warten. Von Januar bis März 1944 entstand Am allerschönsten, ein Propagandafilm, der fast vollständig vor Ort in einer echten Fabrik gedreht wurde. Bei den Dreharbeiten lebte Kurosawa mit dem gesamten Filmteam im Wohnheim der Fabrik – ein Zeichen seines lebenslangen Strebens nach größtmöglicher Authentizität, Realismus und Perfektion.

Zu seiner Hauptdarstellerin Yoko Yaguchi (geborene Kiyo Kato) entwickelte Kurosawa während dieser Zeit ein so intensives Verhältnis, daß er sie im Mai 1945 heiratete.

Dazwischen entstand noch die Fortsetzung zu Sanshiro Sugata, ein Film von dem Kurosawa selbst nicht viel hielt und der vor allem der Propaganda diente, denn Japan stand kurz vor einer vernichtenden Niederlage. Kurosawas eigenes Haus im Ebisu-Distrikt ging bei einem Luftangriff in Flammen auf und seine Eltern hatten Tokyo bereits verlassen um in Akita, der Heimat seines Vaters, Zuflucht zu suchen.

Von diesen Kriegserlebnissen berichtet Kurosawa in seiner Autobiographie immer wieder mit großer Wut. Diese Wut richtet sich nicht zuletzt gegen die Zensoren mit ihrer fanatischen, blinden Ablehnung all dessen, was sie als nicht-japanisch oder schädlich für die Kriegsanstrengungen ansahen. Als Japan am 15. August 1945 kapitulierte, arbeitete Kurosawa noch an Die Tigerfährte, wieder mit Fujita und Shimura, und unter widrigsten Umständen.

Die nächsten Monate verbrachte Kurosawa mit seiner Frau und ihrem im Dezember 1945 geborenen Sohn. Im folgenden Jahr erschütterten Streiks das nun als Toho firmierende Filmstudio, dennoch konnte er im Sommer Kein Bedauern für meine Jugend fertigstellen. Kurosawa arbeitete dabei erstmals mit Kameramann Asakazu Nakai zusammen, der fortan bis Ran bei fast allen seinen weiteren Filmen hinter der Kamera stand.

An einem der Drehtage ereignete sich eine weitere schicksalhafte Begegnung: Kurosawa wurde auf einen jungen Mann aufmerksam, der sich als Schauspieler bewarb und dabei wie eine Furie vor der Jury agierte, was bei manchen Interviewern auf Unverständnis stieß. Doch Kurosawa und sein Lehrmeister Yamamoto erkannten das außergewöhnliche Talent und setzten durch, daß Toshiro Mifune eingestellt wurde. Die fruchtbarste Kooperation eines Regisseurs und eines Schauspielers der japanischen Filmgeschichte begann.

Gemäß den Vorgaben der amerikanischen Zensoren waren die ersten Nachkriegsfilme Kurosawas im Japan der Gegenwart verankert. Aus Sorge, daß Historienfilme feudale Ideale stärken und damit der Demokratisierung der Gesellschaft entgegenwirken könnten, sollten sich Filme auf Anweisung der US-Behörden explizit mit der Gegenwart beschäftigten.

Dabei problematisierten diese ersten Nachkriegsfilme bei Kurosawa vor allem die schwierigen Lebensumstände der einfachen Bevölkerung. Neben Kein Bedauern für meine Jugend (1946) gehörten dazu auch Ein wunderschöner Sonntag (1947) und Engel der Verlorenen (1948), zu denen Kurosawa zusammen mit seinem Jugendfreund Keinosuke Uekusa die Drehbücher schrieb.

Bei Letzterem stand auch erstmals Toshiro Mifune als Hauptcharakter neben Takashi Shimura vor der Kamera, wie auch anschließend in Das stumme Duell (1949), Skandal (1950) und dem grandiosen neorealistischen Kriminalthriller Ein streunender Hund (1949).

Die letzten drei Filme wurden allerdings nicht mehr von Toho produziert, da das Studio wegen erneuter Streiks monatelang schließen musste. Dabei waren es ausgerechnet diese Filme, mit denen Kurosawa die Reife für seinen endgültigen Durchbruch erlangte: Rashomon (1950).

Drei Filme für die Ewigkeit

Im Herbst 1951 kam eine gegen Kurosawas Willen stark geschnittene Version seiner Dostojewski-Adaption Der Idiot in die Kinos, die katastrophale Kritiken bekam und grandios floppte. Kurosawa schildert in seiner Autobiographie, wie er an einem Herbsttag völlig niedergeschlagen von einer Besprechung mit Studiobossen nach Hause zurückkehrte und von seiner Frau euphorisch begrüßt wurde: Rashomon hatte den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen.

Es war eine Sensation ohne Gleichen, denn noch nie zuvor hatte ein japanischer Film einen renommierten internationalen Filmpreis gewonnen. Kurosawas Zukunftssorgen waren damit auf einen Schlag verflogen.

Zwei Jahre später erhielt Rashomon zusätzlich einen Ehren-Oscar (es gab damals noch keine regulären Oscars für fremdsprachige Filme).

Dabei hatte das Projekt zunächst so gar nicht nach einem sensationellen Erfolg ausgesehen. Die Verantwortlichen bei Kurosawas damaligem Produktionsstudio Daiei waren überaus skeptisch angesichts der ungewöhnlichen Erzählstruktur und gingen nur auf das Projekt ein, weil Kurosawa ihnen versprach, mit zwei Sets auszukommen: Einem Innenhof und einem Stadttor. Alle anderen Szenen sollten vor Ort in Wäldern eines Klosters gedreht werden.

Was nach einem Schnäppchen klang, wurde aber immer teurer und teurer, da das Stadttor gigantische Ausmaße annahm. Zudem hatte Kurosawa mit seinen Regieassistenten zu kämpfen, die das Skript genauso wenig verstanden wie die Studiobosse.

Entgegen aller Widerstände und Erwartungen kam Rashomon beim Publikum recht gut an und war 1950 einer der erfolgreichsten Filme des Studios. daß er ein Jahr später dem japanischen Film mit einem Paukenschlag zu internationalem Durchbruch verhelfen würde, hatte jedoch niemand erwartet.

Nach diesem überragenden Erfolg war Der Idiot vergessen und Kurosawa kehrte nach fast vier Jahren zu Toho, das aus PCL hervorgegangen war, zurück. Die Dreharbeiten an Ikiru begannen im Januar 1952 und endeten im September. Im Oktober kam der Film in die Kinos und war ein enormer Erfolg, den Kurosawa leider nicht genießen konnte, da wenige Wochen nach dem Kinostart seine Mutter Shima starb. Bald darauf zog er mit seiner Familie in ein großes Haus um, in dem er auch seine Schwiegereltern und seine Schwägerin unterbrachte.

Parallel dazu arbeitete Kurosawa bereits an Die Sieben Samurai und zog sich mit Hideo Oguni und Shinobu Hashimoto, zwei Autoren, mit denen er regelmäßig zusammenarbeitete, in ein Gasthaus in den Hakone-Bergen zurück. Dort schrieben sie sechs Wochen lang am Drehbuch – so lange wie noch nie zuvor.

Im Mai 1953 begannen die Dreharbeiten und mussten bereits im Juli unterbrochen werden, weil Kurosawa wegen Erschöpfung zusammenbrach und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Es folgte die nächste Unterbrechung, als im September dann das Budget aufgebraucht war. So zog sich die Fertigstellung des Films bis ins Frühjahr 1954 hin. Auf der Abschlussparty am 29. April konnte Kurosawa dafür gleich doppelt feiern, denn seine Frau gebar ihm eine Tochter, die er abgöttisch liebte und später wegen ihrer explosiven Weinkrämpfe „Atombombenmädchen” nannte.

Die Sieben Samurai wurde zum Kassenschlager des Jahres, gewann den Silbernen Löwen in Venedig und wurde für den Oscar nominiert. Mit drei Filmen innerhalb von drei Jahren war Kurosawa zum erfolgreichsten und berühmtesten Regisseur der japanischen Filmgeschichte aufgestiegen.

Die Goldenen Jahre

Doch die Enttäuschung folgte auf dem Fuße, denn mit seinem nächsten Film lernte Kurosawa, daß es nicht immer nur aufwärts geht: Bilanz eines Lebens (1955) war sein erster Film, der Verluste einfuhr, und das trotz des hochaktuellen Themas: die umstrittenen US-Atombombentests in der Südsee. Obendrein starb während der Dreharbeiten sein enger Vertrauter, der Komponist Fumio Hayasaka.

Auch seine beiden nachfolgenden Projekte Das Schloss im Spinnwebwald und Nachtasyl aus dem Jahr 1957, beides ambitionierte und anspruchsvolle Literaturadaptionen, wurden zwar von der Kritik positiv aufgenommen, konnten aber bei weitem nicht an den überragenden Erfolg des Dreigestirns Rashomon, Ikiru und Die Sieben Samurai anknüpfen.

So besann Kurosawa sich auf ein stärker auf ein unterhaltungsorientiertes Kino: „Ich will keine schweren Themen mehr. Ich möchte einen 100% unterhaltsamen Film voll Spannung machen.” Für den perfekten Kassenschlager entwickelte er dazu eine wahrhaft epische Abenteuer-Story um eine Prinzessin, drehte an aufwändigen Sets und nutzte mit großer Begeisterung erstmals die in Japan damals noch relativ neue Breitbild-Technologie.

Die verborgene Festung wurde sein größter Erfolg seit Die Sieben Samurai, war in der Produktion allerdings auch extrem teuer und riskant. Deshalb drängte Toho darauf, daß Kurosawa ein eigenes Produktionsstudio gründen sollte, was er 1959 auch tat. Ihm erlaubte dies mehr Freiheiten und die Toho-Manager mussten sich weniger Sorgen wegen seiner enormen Budgets machen.

Als erstes selbst produziertes Projekt entstand der Polit-Thriller Die Bösen schlafen gut (1960), ebenfalls im Breitbildformat. Kurosawa profitierte von dieser Neuerung sehr, da sie ihm erlaubte, seine elaborierten Bildkompositionen aus Ebenen und Figuren weiter auszuführen und noch mehr mit den Eigenschaften des Raums zu arbeiten.

Exemplarisch dafür können zwei kurz nach Die verborgene Festung entstandenen Werke gelten: Yojimbo (1961) und Zwischen Himmel und Hölle (1963). In beiden macht sich Kurosawa, der schon immer gern und viel mit Teleobjektiven gearbeitet hatte, deren Möglichkeiten zur Gestaltung und Nutzung des Raums zu eigen.

Zu seinen häufig verwendeten Stilmitteln gehörte außerdem die Fragmentierung des Bildes, sei es mit sich wiederholenden linearen Strukturen oder Mustern – wie etwa durch Regen, bauliche Elementen oder Möbel. Eine der konsequentesten Anwendungen solch linearer Fragmentierung ist die erste Hälfte von Zwischen Himmel und Hölle, in der der Hauptcharakter zwischen der Aufgabe seines Vermögens und der Rettung eines entführten Kindes wählen muss. Diese Zerrissenheit bringt Kurosawa durch den Faltenwurf eines Vorhangs zum Ausdruck, der den gesamten Bildhintergrund einnimmt.

Kurosawas Faible für bestimmte Wetterphänomene wie Wind und Regen war bereits in Sanshiro Sugata unübersehbar. Mit ihnen erzeugt er zum einen bedrohliche Stimmungen, hebt so gleichzeitig aber auch die Bedeutung von Szenen hervor oder kündigt neue Entwicklungen an.

In Yojimbo geht dieses für ihn typische Stilelement eine geniale Verbindung mit dem Western-Genre ein, das der Film aufgreift. Zudem stand hier das erste Mal seit Rashomon wieder Kazuo Miyagawa für Kurosawa hinter der Kamera.

Yojimbo wurde ein enormer Erfolg und war kommerziell sogar noch erfolgreicher als Die Sieben Samurai, so daß Toho den Regisseur zu einer Fortsetzung drängte. Zum ersten Mal seit dem unseligen Sanshiro Sugata II ließ Kurosawa sich darauf ein. In Rekordzeit drehte er Sanjuro, der am 1. Januar 1962, nur etwa acht Monate nach Yojimbo, in die Kinos kam. Die stark komödiantisch angelegte Fortsetzung war so ganz anders als der düstere Vorgänger und zog sogar noch mehr Menschen an die Kinokassen – nur um gleich im Jahr darauf von Zwischen Himmel und Hölle, dem erfolgreichsten Film von 1963, nochmals überboten zu werden.

Kurosawas vorübergehend angekratzter Ruf als Zuschauermagnet war durch diese außerordentliche Erfolgsserie endgültig wiederhergestellt.

Mit breiter Brust begann er danach die Arbeiten an Rotbart, dessen Drehbuch im Juli 1963 abgeschlossen war. Nachdem über Monate eine historische Kleinstadt als Set von gigantischen Dimensionen unter größtmöglicher Authentizität gebaut worden war, begannen die Dreharbeiten im Dezember und dauerten das gesamte Folgejahr an. Kurosawas bis dahin aufwändigstes Projekt kam im April 1965 in die Kinos, eroberte Zuschauer und Kritik im Sturm und wurde ebenfalls zum erfolgreichsten Film des Jahres. Kurosawa stand auf dem Zenit seiner Karriere.

Die große Krise und der geplatzte Traum von Hollywood

Wie so oft zog auch dieser überragende Erfolg einen tiefen Fall nach sich. Im Jahr 1960 hatte die japanische Filmindustrie ihren Höhepunkt erreicht: Die Wirtschaft befand sich nach den Kriegszerstörungen im Aufschwung; die Kinos im ganzen Land lockten mit 7457 Leinwänden. Unglaubliche 547 heimische Filme wurden in jenem Jahr in den Kinos gezeigt, somit gab es jede Woche mehr als 10 neue japanische Filme zu entdecken. Die Menschen strömten in die Kinos und kauften mehr als eine Milliarde Eintrittskarten.

Doch der Boom trug bereits den Keim des bevorstehenden Niedergangs in sich, denn immer mehr Familien konnten sich einen Fernseher leisten. Die Olympischen Spiele von 1964 in Tokyo befeuerten die Nachfrage zusätzlich. Bereits im Jahr danach hatte sich die Zahl der Leinwände fast halbiert.

Noch viel dramatischer war der Rückgang der Zuschauerzahlen, die ab 1960 jährlich um 10-20% einbrachen, so daß 1965 statt 1 Milliarde nur noch 372 Millionen Eintrittskarten verkauft wurden – und das war noch nicht das Ende. In den nächsten 10 Jahren sollte sich die Zuschauerzahl nochmals halbieren. (Anm. Dikigoros: Aber das war doch kein typisches japanisches Fänomen, sondern in der ganzen "zivilisierten" Welt genauso!)

Daraus folgten gravierende Veränderungen und Einschnitte für die japanische Filmindustrie. 1961 erklärte mit Shintoho das erste der sechs großen Filmstudios seinen Bankrott. Nikkatsu und Daiei schlossen sich vorübergehend zusammen, was ihren Bankrott aber auch nur bis 1971 hinauszögerte.

Die verbleibenden Studios setzten immer stärker auf schnell und billig produzierte Genrefilme und Filmserien wie etwa die zahlreichen Monster- oder Yakuza-Filmreihen, Exploitationfilme und Softpornos.

Unter diesen Bedingungen war es wenig erstaunlich, daß der für seinen Perfektionismus gefürchtete Kurosawa große Probleme hatte, die Finanzierung seiner aufwändigen Filme zu sichern und über Projekte außerhalb Japans nachdachte. Bereits während der Dreharbeiten an Rotbart hatte Kurosawa auf Basis eines Zeitungsartikels die Idee für einen Film entwickelt, der in den USA spielen und die Geschichte erzählen sollte, wie ein Frachtzug außer Kontrolle gerät. Durch einen glücklichen Umstand erfuhr der Präsident der New Yorker Embassy Pictures von der Idee, und im Juni 1966 wurde das Projekt The Runaway Train der Presse verkündet.

Schnell wurden jedoch fundamentale Differenzen offensichtlich. Als wenige Wochen vor dem geplanten Beginn der Dreharbeiten noch kein finales Drehbuch vorlag, verlangte Kurosawa verärgert einen Aufschub um ein Jahr. Embassy Pictures lehnte ab, das gesamte Projekt war gestorben und wurde erst 20 Jahre später unter der Regie von Andrey Konchalovsky realisiert.

Somit war Kurosawas erster Anlauf einer Hollywood-Karriere gescheitert. Aber fast zeitgleich hatten bei Twentieth Century Fox die Planungen für Tora! Tora! Tora! begonnen, ein Film-Epos über den japanischen Angriff auf Pearl Harbor, das die Ereignisse sowohl aus amerikanischer wie japanischer Sicht zeigen sollte. Und als Regisseur für den japanischen Teil wollte Fox niemand Geringeres als Kurosawa.

So begann bereits im April 1967 Kurosawas zweiter Anlauf zur Eroberung Hollywoods, der allerdings noch desaströser verlaufen sollte als der erste. Bereits im November musste der Beginn der Dreharbeiten zunächst von Fox verschoben werden. Als Grund wurden Verzögerungen bei der Planung sowie der Ausarbeitung des Drehbuchs angegeben, dessen Fertigstellung sich letztlich bis Juni 1968 hinzog.

Nachdem die Dreharbeiten schließlich im Dezember begannen, war Kurosawa zwar euphorisch, aber auch von der langen, intensiven Vorbereitung körperlich und geistig erschöpft. Am zehnten Tag der Dreharbeiten wurde Kurosawa bewusstlos in seinem Hotel gefunden und mit einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus gebracht.

Drei Tage später erschien er zwar wieder am Set, aber die Dreharbeiten verzögerten sich weiter – nicht zuletzt auf Grund seines arrogant-anmaßenden Auftretens gegenüber Teilen der Crew. Schließlich feuerte ihn Fox am 24. Dezember.

Es folgten monatelange Spekulationen über die Hintergründe, die durch einen Streit zwischen Kurosawa und seinem Manager noch weiter angestachelt wurden, was die Presse genüsslich ausgeschlachtete. Kurosawas Ruf in der Branche wurde dadurch beinahe ruiniert.

Ein weiterer Nebenkriegsschauplatz des gescheiterten Tora! Tora! Tora! -Projektes, den die Presse damals hochspielte, war das Verhältnis zu Toshiro Mifune. Der große Star soll sehr enttäuscht über Kurosawas Entscheidung gewesen sein, alle Rollen inklusive des Admirals Yamamoto von Amateuren spielen zu lassen. In einem Interview bezeichnete er dies angeblich sogar als „Schlag ins Gesicht” für alle professionellen Schauspieler Japans.

Da sich Kurosawa bereits nach dem großen Erfolg von Rotbart unzufrieden mit Mifune geäußert hatte, der die Rolle laut Kurosawa zu eigenwillig interpretiert habe, wurde viel über einen Streit zwischen den beiden Aushängeschildern der japanischen Filmindustrie spekuliert.

Egal, ob diese Spekulationen einen wahren Kern enthielten, Tatsache ist, daß Mifune nie wieder in einem Film seines Förderers und Freundes auftreten sollte, was aber auch schlicht an der Art der nachfolgenden Projekte gelegen haben mag.

Um dem Niedergang der Filmindustrie zu begegnen, gründete Kurosawa bereits im Juli 1969 mit Masaki Kobayashi, Kon Ichikawa und Keisuke Kinoshita das Studio „Yonki no kai” („Club der vier Ritter”). Diese vier – zu diesem Zeitpunkt die erfolgreichsten lebenden Regisseure Japans – wählten von Kurosawa als erstes Projekt Dodesukaden, nach einer Idee. In Rekordzeit wurde das Drehbuch verfasst und obwohl dies Kurosawas erster Farbfilm war, dauerten auch die Dreharbeiten nur zwei Monate.

Trotz positiver Kritiken fiel der Film beim Publikum allerdings gnadenlos durch und machte selbst angesichts eines Budgets, das für Kurosawas Verhältnisse ungewöhnlich niedrig war, noch Verluste. Als Reaktion löste sich der „Club der vier Ritter” umgehend wieder auf.

Ein gutes Jahr später, am Morgen des 22. Dezember 1971, brachte sich Akira Kurosawa mit einer Rasierklinge zahlreiche Schnitte an Hals und Handgelenken bei. Seine Frau und Tochter fanden ihn blutüberströmt im Bad und brachten ihn ins Krankenhaus, wo ihn die Ärzte rasch stabilisierten.

Viel wurde über die Gründe für den Selbstmordversuch spekuliert, Kurosawa selbst sprach das Thema aber nie öffentlich an. Seinem Neffen soll er einmal gesagt haben: „Wenn ein Mann versucht sich umzubringen, hat er ein Geheimnis, das er mit ins Grab nehmen will. Versuch besser nicht, es auszugraben.”

Kurosawa erholte sich in den folgenden Monaten rasch, und im Frühjahr 1973 kam das erlösende Angebot: Die sowjetische Produktionsgesellschaft Mosfilm lud ihn ein, eine russische Geschichte zu verfilmen. Kurosawa, der danach dürstete, wieder hinter die Kamera zu treten, nahm mit Begeisterung an – besonders da Mosfilm ihm versprach, im opulenten 70mm-Format drehen zu können. Er wählte die Autobiographie des russischen Entdeckers Arseniev als Vorlage für Uzala, der Kirgise, ein klassischer Abenteuerfilm, gedreht in der Weite Sibiriens.

Zusammen mit nur fünf engen Mitarbeitern, darunter Produzent Yoichi Matsue und Kameramann Asakazu Nakai, brach er im Dezember 1973 nach Moskau auf, wo die Vorbereitung stattfand. Im darauf folgenden Mai reisten sie weiter nach Sibirien, wo eine monatelange Schlacht begann: zuerst mit Moskitos und Zecken und dann mit dem eisigen Winter. Die Mühe sollte sich allerdings lohnen, denn 1976 erhielt Dersu Uzala den Oscar als bester fremdsprachiger Film.

Berühmte Fans und später Ruhm

Trotz dieser Adelung, und des Achtungserfolgs von Dersu Uzala an der Kinokasse, blieb es dabei, daß sich kein japanisches Studio für einen weiteren Film fand. Kurosawa erhielt lediglich Angebote für TV-Projekte, die er aber allesamt ablehnte.

Trösten konnte sich Kurosawa zu dieser Zeit mit seiner Familie, der er mehr Zeit denn je zuvor widmete: Seine Tochter Kazuko, das einstige „Atombombenmädchen”, hatte geheiratet und machte ihn zum Großvater. Und Kurosawa schrieb weiter Drehbücher, darunter zwei namens Ran und Kagemusha. Ran war sein Lieblingsprojekt, aber Kagemusha erschien realistischer in der Umsetzung. Sogar Toho zeigte sich interessiert, zog sich angesichts der Kosten aber wieder zurück.

Wie durch eine erneute schicksalhafte Wendung erfuhr 1978 jedoch George Lucas von dem Projekt und war begeistert. Mit seinen Rechten an den Star Wars -Fortsetzungen in der Hinterhand zwang er Twentieth Century Fox das Projekt auf. Zehn Jahre, nachdem Kurosawa von Fox gefeuert worden war, ermöglichte ihm dies sein Comeback, denn auch Toho konnte sich angesichts des namhaften internationalen Partners nun nicht mehr zieren.

Die Aussicht, endlich wieder einen Film in Japan zu drehen, beflügelte Kurosawa und ließ ihn in den Augen seines Teams glatt 10 Jahre jünger erscheinen. An seiner Begeisterung konnten auch ein Taifun, der die Dreharbeiten verzögerte, und Streitigkeiten mit dem Hauptdarsteller Shintaro Katsu nichts ändern. Kurosawa ersetzte Katsu einfach durch Tatsuya Nakadai, mit dem er zuvor in mehreren Filmen erfolgreich zusammengearbeitet hatte.

Die großen Sorgen von Toho, ob der Film seine exorbitanten Kosten einspielen würde, verflogen nach der Premiere am 27. April 1980 im Nu: Die Kinos waren reihenweise ausverkauft, bereits nach zwei Wochen schrieb der Film schwarze Zahlen. Am Ende spielte Kagemusha allein in Japan fast das Doppelte der Kosten ein, wurde mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet und zweimal für den Oscar nominiert.

Doch wer geglaubt hatte, daß Kurosawa nun alle Türen für sein nächstes Projekt Ran offen stehen würden, wurde bitter enttäuscht. Erneut fand sich niemand, der ein Anschlussprojekt finanzieren wollte. So hatte Kurosawa Zeit, seine Autobiographie zu schreiben, die kurz nach dem großen Erfolg von Kagemusha erschien. Im Jahr 1980 heiratete auch sein Sohn Hisao, der nach einem Aufenthalt in den USA zu einem immer wichtigeren Partner in Kurosawas Produktionsstudio wurde.

Erst der französisch-polnische Produzent Serge Silberman, der bereits einige Filme von Luis Buñuel produziert hatte, brachte Ran wieder ins Rollen: Er versammelte ein Komitee aus internationalen und japanischen Geldgebern, die gemeinsam die 10 Millionen Dollar aufbrachten, mit denen Kurosawa seine gigantische Burganlage am Fuße des Fuji bauen und hunderte von Pferden kaufen konnte.

Die Dreharbeiten wurden jedoch von dramatischen Ereignissen überschattet: Bei Kurosawas Frau Yoko wurde im Januar 1985 eine unheilbare Krankheit diagnostiziert, die Ärzte gaben ihr nur noch wenige Monate zu leben. Kurosawa unterbrach umgehend die Dreharbeiten und parkte seinen Wohnwagen direkt auf dem Parkplatz des Krankenhauses, um Tag und Nacht mit ihr zu verbringen. Sie starb fünf Tage später.

Für Kurosawa wurde die Verfilmung von Ran schließlich auch zu einer Möglichkeit, den Tod seiner Frau zu verarbeiten: Er stürzte sich in die Fertigstellung des Filmes, den er später als die Krönung seines Schaffens ansah. Als solche wurde Ran auch überall auf der Welt gesehen. Kurosawa wurde mit Lob überschüttet und für den Oscar als bester Regisseur nominiert, der dann jedoch an Sidney Pollack ging.

Doch auch diese Erfolge halfen nicht. Wie schon nach Dodesukaden, Dersu Uzala und Kagemusha sollten wieder fünf Jahre bis zu Kurosawas nächstem Projekt vergehen, weil sich keine Geldgeber fanden.

Zum ersten Mal seit seinen ersten Jahren im Filmbusiness schrieb er dabei wieder ein Drehbuch allein und nicht im Team. Aber erst als er das Skript direkt an Steven Spielberg schickte und der einen Deal mit Universal einfädelte, kam Bewegung in die Sache. Der Film Dreams wurde schließlich im Lauf des Jahres 1989 gedreht.

Noch bevor der Film in die Kinos kam, erhielt Kurosawa kurz nach seinem 80. Geburtstag aus den Händen von Spielberg einen Oscar für sein Lebenswerk. Und plötzlich, im Alter von 80 Jahren, blühte er nochmals auf und drehte innerhalb von nur drei Jahren zwei weitere Filme – nachdem in den 20 Jahren zuvor gerade mal vier Filme entstanden waren.

Was sich allerdings bereits bei Dreams gezeigt hatte, sollten auch die nachfolgenden Werke belegen: Kurosawa hatte mit Ran ein Kapitel seines Lebens und Schaffens abgeschlossen und wandte sich nun anderen Themen und Settings zu. Nicht mehr die großen Fragen über Sinn und Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz standen für ihn im Mittelpunkt, vielmehr konzentrierte er sich auf die jüngere Zeitgeschichte und aktuelle Gegenwart.

Nachdem in Dreams bereits Umweltschutz und Ablehnung der Kernenergie eine zentrale Rolle gespielt hatten, beschäftigte er sich in Rhapsodie im August (1991) mit dem Erbe des Atombombenabwurfs über Nagasaki. In seinem letzten Film Madadayo (1993) stehen dann gänzlich die Auseinandersetzung mit dem herannahenden Tod und die Wertschätzung des Lebens im Mittelpunkt.

Entsprechend herrscht in diesen späten Filmen Kurosawas eine zum Teil fast besinnliche Stimmung, jedoch immer von humorigen Einlagen unterbrochen und angereichert mit viel Nostalgie, manchmal auch Sentimentalität. Erheblichen Anteil daran hat auch ein veränderter Stil: Kurosawa verzichtet fast völlig auf die faszinierende und mitreißende Dynamik früherer Filme, mit Ausnahme der Schlussszene von Rhapsody in August. Statt dessen dominieren statische Bilder, alltägliche Szenen von gemeinsamen Abendessen oder lange Gespräche auf der Veranda, die an die familienzentrierten Filme Yasujiro Ozus erinnern.

Visuell kehrte Kurosawa speziell mit Dreams und Madadayo zu seinen Wurzeln in der Malerei zurück und schuf poetische Szenen von berauschender Schönheit.

Während rund um Kurosawa seine engsten Vertrauten und Mitarbeiter starben – Ishiro Honda Anfang 1993, kurz bevor Madadayo in die Kinos kam, sein Schulfreund Keinosuke Uekusa im Dezember desselben Jahres und Hideo Oguni 1996 – schrieb er weiter Drehbücher.

Im März 1995 – er arbeitete gerade am Drehbuch für After the rain – stürzte Kurosawa schwer und war nach monatelangem Krankenhausaufenthalt an den Rollstuhl gefesselt. Mit 85 Jahren endete damit seine Karriere. Weitere Dreharbeiten waren unmöglich geworden, er konnte nicht einmal das begonnene Drehbuch völlig abschließen. Seine Tochter Kazoku pflegte ihn von nun an, sein Sohn hatte bereits zuvor die Führung der Firma übernommen.

Am 6. September 1998 starb Akira Kurosawa im Alter von 88 Jahren.


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