DER EIERTANZ DES FIDEL CASTRO

IN KUBA IST NUR SEX GÜNSTIG

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Kuba weit auseinander

von Klaus Ehringfeld (KStA, 07.04.2005)

[Auf der Gewinnerseite: Hühnerbaron Milton Rodriguez

Der Eierkönig von Holguín sieht aus, wie man sich einen König im Kommunismus vorstellt: Badelatschen, speckige Shorts, blaues T-Shirt. Mit einladendem Lächeln gewährt Milton Rodriguez Zutritt zu seinen Reichtümern, die sich auf dem Hinterhof seines kleinen Hauses verbergen: In drei stickigen Ställen brüten 750 Legehennen. „Sie legen jeden Tag 500 Eier“, erzählt Rodriguez mit lauter Stimme, um das Gegacker zu übertönen. 500 Eier, die ihn reich wie einen König machen, denn jedes Ei verkauft der 52-Jährige auf eigene Rechnung. So verdient er im Monat bis zu 7000 Pesos (rund 280 Dollar) und ist damit Krösus auf der Karibikinsel, wo das Durchschnittseinkommen bei 354 Pesos (15 Dollar) liegt.

Jeden Vormittag bildet sich vor Rodriguez' Haus in der ostkubanischen Provinzstadt Holguín eine Schlange von mehreren hundert Metern. Familien aus der ganzen Umgebung kommen, um bei ihm zu kaufen. Denn wie alle Grundnahrungsmittel sind auch Eier auf Kuba Mangelware, weil der Staat mit der Produktion nicht nachkommt. (Das kommt davon, wenn man selbst die Hühner verbeamtet, Anm. Dikigoros :-) Mit dem Kollaps der Sowjetunion vor 15 Jahren brach auch die kommunistische Bruderhilfe für Kuba zusammen. Nahrungsmittel, Düngemittel, Traktoren, Benzin - alles wurde knapper oder verschwand vollständig. Mit einem Mal herrschte Hunger. Castro rief die Kubaner auf, Lebensmittel zu produzieren. Und so wurden aus Ärzten, Professoren und Lehrern Nebenerwerbslandwirte. Sie verwandelten Brachflächen in Gemüsegärten, züchteten auf Hinterhöfen Hühner und Kaninchen und auf Dächern Schweine. Oder setzten auf Eier wie Milton Rodriquez, der eigentlich Lehrer für Marxismus und Geschichte ist.

Es ist ein Geschäft, das auf Gegenseitigkeit beruht. Die Menschen verdienen sich ein vom Staat nicht kontrolliertes Nebeneinkommen hinzu. Und der Staat löst die prekäre Ernährungssituation. Aber über allem schwebt das Damoklesschwert des Verbots. Kuba öffnet und schließt das Ventil der privatwirtschaftlichen Aktivität gerade so, wie es die ökonomische Not erfordert. Marktwirtschaft auf Abruf. „Aber heute wie damals ist die städtische Landwirtschaft unerlässlich, um die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu sichern“, sagt Jürgen Roth von der Deutschen Welthungerhilfe. Die Organisation berät die Stadtbauern seit Jahren (und hat wohl auch die Hühner finanziert - auf Kosten der deutschen Steuerzahler, Anm. Dikigoros).

Armando Palacios (Name geändert) gehört zu der Mehrheit der Kubaner, die über kein Nebeneinkommen verfügt. Da er auch keine Verwandten in den USA hat und nicht im Tourismus oder bei einem ausländischen Unternehmen beschäftigt ist, hat er kaum Chancen auf ein paar Devisen. Armando ist 46 Jahre alt und beinahe sein halbes Leben Grundschullehrer. Gehalt 20 Dollar monatlich. Davon muss er alles kaufen, was es nicht auf Lebensmittelkarte gibt. Armando sitzt in seiner 40-Quadratmeter-Wohnung in der Altstadt von Havanna und klagt über das System. Er kramt die Lebensmittelkarte hervor, ein vergilbtes scheckbuchgroßes Heftchen. Sie ist in einen Schutzumschlag eingeschlagen mit Motiven des berühmten Balletts „Tropicana“, das fast nur für Touristen erschwinglich ist.

„Hier“, sagt Armando und fährt mit dem Zeigefinger über leere Spalten: Seife - „Fehlanzeige“, Kaffee - „gibt es nicht“, Klopapier - „vielleicht nächsten Monat“. Auch die acht Eier, die jedem Kubaner pro Monat auf der Lebensmittelkarte zustehen, sind nur selten zu haben. Im Februar gab es Reis, Öl, Margarine und Zucker. Alles was die Karte nicht hergibt, müssen die Kubaner in den Devisenläden kaufen. (Es gibt sie also doch - halt bloß nicht für Aluchips, Anm. Dikigoros.) Aber ein konvertibler Peso im Wert eines Dollar kostet in den staatlichen Wechselstuben 25 Peso. Für Armando ein Zwanzigstel seines Gehalts. „In Kuba ist eigentlich nur der Sex günstig zu haben“, sagt er zynisch.

Was er damit meint, wird jeden Abend deutlich, wenn über der Uferpromenade von Havanna die Sonne untergeht. Dann bricht nahe der großen Touristenhotels und vor den Diskotheken die Zeit der Minderjährigen und Ehefrauen an, die den Touristen ihre Liebesdienste für ein paar Dollar anbieten. Der Dollar, seit der Revolution 1959 auf Kuba 35 Jahre lang offiziell so verhasst wie die USA selbst, wurde 1993 zum Retter des sozialistischen Modells erkoren. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise nach dem Verlust der sowjetischen Unterstützung öffnete Castro der Währung des Erzfeindes Tür und Tor, und mit ihr kamen jährlich Hunderte Millionen Dollar an Auslandsüberweisungen der Miami-Kubaner und die großen europäischen Hotelketten ins Land.

Auch für die Bevölkerung gab es Freiheiten. Plötzlich durften Kubaner in den früher nur Ausländern vorbehaltenen Devisenläden einkaufen, kleine Restaurants und Familienunterkünfte für Touristen eröffnen und Handwerksbetriebe einrichten. So nutzt Kuba den Kapitalismus, um den Kommunismus zu retten.

Doch der Dollar schuf eine Zweiklassengesellschaft. Denjenigen, die Zugang zu Devisen haben, fehlt es wirtschaftlich an nichts. Diejenigen, die ohne sind, kämpfen täglich um ihren Lebensunterhalt. Gleichzeitig ist der Staat in weiten Teilen der Insel nicht in der Lage, elementare Dienste wie Wasser- und Stromversorgung oder den Nahverkehr sicherzustellen. Während über Havannas Straßen der eine oder andere Mercedes SLK fährt, ist in vielen Provinzstädten die Pferdekutsche das einzige öffentliche Verkehrsmittel. Von dem hehren Revolutionsideal der Gleichheit aller Kubaner ist 45 Jahre nach der Sturz des Diktators Fulgencio Batista wenig geblieben.

Doch vor einigen Monaten hat Castro das ideologische Rad gedreht und Kurs auf die ursprünglichen Ideen der Revolution genommen. Der Staat verbannte den Dollar von der Insel, re-zentralisiert das Wirtschaftsleben und erstickt private Initiative dort, wo sie nicht unbedingt notwendig ist. Der Bannstrahl trifft nicht nur Familienrestaurants und Privatunterkünfte, die mit hohen Steuern belegt werden, sondern auch Clowns, die bei Kindergeburtstagen auftreten. Sie stellt wieder der Staat. Ausländische Unternehmer und Entwicklungshelfer beklagen die Zunahme bürokratischer Fesseln. Und die Zahl der Joint Ventures zwischen kubanischen und europäischen Unternehmen ist von rund 400 auf 300 gesunken. Neue Partnerschaften werden selten bewilligt. (Wer die beantragt, muß eh bekloppt sein, Anm. Dikigoros)

Der Staatschef schmiedet lieber neue Allianzen mit ideologisch verlässlicheren Partnern wie Venezuela und China. Castros Verbündeter Hugo Chávez liefert das dringend benötigte Öl zum Freundschaftspreis, Kuba zahlt mit Ärzten, Lehrern und der Ausbildung Tausender Venezolaner. Die Dimension der Kooperation erinnert an die Tage der sowjetischen Bruderhilfe. Und China steckt 500 Millionen Dollar in die Modernisierung der kubanischen Nickelindustrie.

Dank neuer Freunde, hoher Rohstoffpreise und zwei Millionen Touristen wähnt Castro die Wirtschaft so stark wie zuletzt vor 20 Jahren. Im November [2004] verbannte er zudem nach elf Jahren den Dollar von der Insel und ersetzte die Währung durch einen wertgleichen konvertiblen Peso. Binnen Wochen erhöhte die Zentralbank so ihr Devisenpolster um geschätzte 500 Millionen Dollar, weil die Bevölkerung ihre Ersparnisse brav an die Zentralbank ablieferte. Mindestens genauso wichtig war die Botschaft an den Erzfeind: Seht her, wir brauchen Euer Geld nicht!

Auch der Eierkönig von Holguín fürchtet, dass er bald nicht mehr gebraucht wird. „Wenn die da oben den Eindruck haben, sie können es wieder selber, nehmen sie mir alles weg“, sagt Milton Rodriguez.


Nachbemerkung Dikigoros: Wenn Friedrich Dürrenmatt das geahnt hätte, als er "Romulus der Große" schrieb...! Zwei Wochen, nachdem der Kölner Stadtanzeiger diesen wenig schmeichelhaften Artikel über den Staat des "máximo líder [größten Führer]" veröffentlicht hatte - also pünktlich zum 116. Geburtstag des "größten Feldherrn aller Zeiten" - entblödete sich die Frankfurter Rotschau, pardon Rundschau nicht, den gleichen Artikel unter dem Titel "Der Eierkönig von Holgún" zu veröffentlichen und mit dem salbungsvollen Hinweis zu versehen: "Unter Castro entwickelte Kuba eines der besten Bildungs-, aber auch Gesundheitssysteme der Welt." Dabei weiß doch jeder, der sich ein wenig in Kuba auskennt, daß das so genannte "Bildungssystem" ausschließlich der Indoktrination der Schüler und Studenten mit kommunistischem Gedankengut dient, und daß das Gesundheitssystem zwar für ausländische Touristen mit harter Valuta ganz ausgezeichnet ist - z.B. für Alkoholiker wie Diego Maradona, die dort eine Entziehungskur machen wollen -, für die einheimische Bevölkerung dagegen zwar kostenlos, aber katastrofal schlecht. Dafür ließ die FR das Foto mit dem Bettler weg.


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