KÖRNER SUPERSTAR

Freiheitskämpfer, Kriegsheld, arische Licht-
gestalt und Vorbild des DDR - Soldaten . . .
Die Geschichte einer deutschen Leitfigur

von RENÉ SCHILLING (DIE ZEIT 47/2000)

mit Links und Bildern von Nikolas Dikigoros

[Propaganda-Plakat von 1943]

"Nun, Volk steh auf und Sturm brich los!" So dröhnt Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 vor Tausenden Zuhörern in Berlin. In diesem fast wörtlichen Zitat gipfelt seine berüchtigte "Sportpalastrede" - der promovierte Germanist Goebbels weiß natürlich, dass die allermeisten in der Halle es kennen. Es stammt von Theodor Körner, aus seinem Gedicht Männer und Buben. Der Zweck ist klar: Der Propagandaminister mobilisiert für den "totalen Krieg" und fordert von der deutschen Bevölkerung "große Heldenopfer". Da bieten die Lyrik und das Leben des Theodor Körner ein ideales Beispiel.

Im August 1813, einen Monat vor seinem 22. Geburtstag, war der Dichter während der Freiheitskriege gegen Napoleon den "Heldentod" gestorben. Damit begann einer der bizarrsten "Karrieren" der deutschen Kulturgeschichte: Der Sohn des sächsischen Staatsrats und Ästhetikers Christian Gottfried Körner avancierte zu dem nationalen Opferhelden schlechthin. Körner, die "Idealfigur des deutschen Jünglings", wie ihn der Augsburger Historiker Johannes Burkhardt nennt, repräsentierte das Vorbild des Freiwilligen, der das Leben begeistert fürs Vaterland hingibt.

Seine Stilisierung zur deutschen Leitfigur stand allerdings nicht von Anfang an für Nationalismus und Militarismus. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierten liberale und demokratische Deutungen. So spiegelt die Körner-Legende wie kaum eine andere historische Erzählung die deutsche Geschichte der letzten zweihundert Jahre wider - weit über jenen 18. Februar 1943 hinaus bis in die Zeit der DDR, ja, sogar bis in unsere Tage.

Das kurze Leben des Dresdner Dichters gestaltete sich eher widersprüchlich als heroisch, und auch seine militärische "Laufbahn" hatte eher zufällig begonnen. Im Jahr 1811, knapp zwanzig Jahre alt, stand der aus hoch angesehenem Hause stammende Körner erst einmal vor dem Scherbenhaufen einer bürgerlichen Karriere: Als Vorsitzender einer studentischen Landsmannschaft in Leipzig hatte er mit Waffengewalt gegen eine adelige Studentenverbindung rebelliert - die Universität verurteilte ihn zu einem halben Jahr Haft.

Körner floh aus Leipzig und wurde von allen norddeutschen Universitäten verbannt. Ihm blieb nur der Ausweg nach Wien. Dort widmete er sich seiner stillen Leidenschaft, der Literatur. Mit Zriny, einem von nationalen, antinapoleonischen Tönen durchsetzten Drama, erlangte er eine Anstellung am Burgtheater.

Doch weder der berufliche Erfolg noch die Verlobung mit der Burgschauspielerin Antonie Adamberger hielten Körner in Wien, als sich im Frühjahr 1813, nach dem desaströsen Russlandfeldzug Napoleons, der Kampf Preußens gegen die französische Besatzungsmacht abzeichnete. Von patriotischen Gefühlen und Abenteuerlust getrieben, schloss Körner sich in Breslau einem Freikorps an, das Adolf von Lützow und Friedrich Ludwig Jahn Anfang 1813 gegründet hatten. In der regulären Armee, von adeligen Offizieren beherrscht, gehörte die Schinderei der einfachen Soldaten zum alltäglichen Drill. Die Lützower hingegen durften ihre Offiziere selber wählen und mussten keine entwürdigenden Strafen fürchten. Sie verstanden sich als Staatsbürger in Uniform, die nach dem Krieg wieder ins zivile Leben zurückkehren wollten.

Noch bevor Körner überhaupt in den Kampf zog, hatte er die meisten Texte seines berühmtesten Werkes, des schmalen Lyrikbandes Leyer und Schwert, bereits geschrieben. (Die Sammlung wurde posthum 1814 von seinem Vater heraus gegeben.) Die halb martialischen, halb schwärmerischen Gedichte zeigen exemplarisch die Unreife und Zerrissenheit eines jungen Mannes. In dem religiös inspirierten Sonett Abschied vom Leben stehen die Worte "Freiheit" und "Liebe" im Mittelpunkt, zwei Lieblingsvokabeln der Spätaufklärung.

Besonders populär wurde das allerdings erst unmittelbar vor dem Tod entstandene Schwertlied: "Du Schwert an meiner Linken, / Was soll dein heitres Blinken? / Schaust mich so freundlich an, / Hab' meine Freude dran. - Hurra!" Wie tief diese Lyrik im Bildungsgut des deutschen Bürgertums verankert war, zeigte übrigens zuletzt noch das Beispiel der Schauspielerin (und Offizierstochter) Marlene Dietrich, die sich eine Zeile des Abschieds-Sonetts auf ihren Grabstein wünschte: "Hier steh' ich an den Marken meiner Tage ..."

Zu des Dichters Werk gehört jedoch auch noch ein ganz anderes Lied, das Lied von der Rache, eines der hasserfülltesten Gedichte der Freiheitskriege, das erst in den 1890er Jahren in die Körner-Ausgaben aufgenommen wurde: Der bereits um "Gnade" bittende Feind sollte "ohn' Erbarmen" niedergehauen werden. Der Text beschwört die "Lust", wenn das "Gehirn aus dem gespaltnen Kopfe / Am blutgen Schwerte klebt", und empfiehlt schließlich die gänzliche Auslöschung des Gegners: "Wir türmen die Hügel ihrer Leichen / Zur Pyramide auf! / Dann brennt sie an, - und streut es in die Lüfte, / Was nicht die Flamme fraß, / Damit kein Grab das deutsche Land vergifte / Mit überrhein'schem Aas!"

Der frühe Tod Körners bewahrte die Nachwelt vor weiteren lyrischen Ergüssen. In einem unbedeutenden Gefecht am 26. August 1813, nahe des mecklenburgischen Ortes Gadebusch, ignorierte der Leutnant den Befehl zum Rückzug und fiel bei einer sinnlosen Reiterattacke. Seine Einheit begrub ihn einen Tag später unter einer Doppeleiche beim Dörfchen Wöbbelin. Schon bald danach setzte die Verklärung des jungen Mannes ein. Wegweisend für die bürgerliche, auf Ausgleich mit dem Adel und der Staatsmacht bedachte Fraktion war die Biografie, die Vater Körner über seinen Sohn verfasste. Der nunmehr in preußischen Diensten stehende Staatsbeamte beschrieb Geist und Wirken des Sohnes als das Ergebnis einer freiheitlich-bürgerlichen Erziehung: "Nicht die Vorbereitung zu einem besonderen Geschäft, sondern die vollständige Ausbildung eines veredelten Menschen" sei das Ziel gewesen. Die Bildungsidee seiner Freunde Schiller und Wilhelm von Humboldt wollte der Vater in der Person seines Sohnes verwirklicht sehen. Dem widersprach natürlich das Lied von der Rache. Kurzerhand unterschlug es der Vater in der Gesamtausgabe.

Für die radikalere, auch demokratischen Gedanken anhängende Gruppe der Körner-Verehrer aus den Reihen der studentischen Burschenschaften war das Charaktergemälde aus der Feder des Vaters allerdings zu unpolitisch. Der ehemalige Lützower I. E. Fr. Klemm erklärte 1815, dass sich Körner "ein deutsches Oberhaupt und eine deutsche Grundverfassung" gewünscht habe. Noch weiter gingen zwei Studenten, die sich 1829 in das Besucherbuch des Körner-Grabes in Wöbbelin einschrieben. Sie gaben sich als "Jakobiner" zu erkennen und forderten den Sturz des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III.

Für die konservativen Staatsführungen, allen voran Preußen, war die Körner-Verehrung und die Glorifizierung des Lützowschen Freikorps eine Provokation. Da man die Heroisierung in den Kreisen der Gebildeten nicht verbieten konnte, versuchten die Militärs in den eigenen Reihen alle Spuren der Lützower zu beseitigen. Bereits 1815 war das Korps aufgelöst und der regulären Linienarmee einverleibt worden.

Doch so leicht ließ sich das neue Idol, der Superstar der deutschen Jugend, nicht mehr demontieren. Die Feiern zu Körners 50. Todestag 1863 zeigten das ganze Ausmaß des Kultes. Angeführt von der bürgerlichen Elite, huldigten Turner, Sänger und Schützen dem "Helden" der Freiheitskriege vom Bodensee bis zur Nordsee mit Umzügen und Gedenkstunden. Die zentralen Festakte, über die alle großen Tageszeitungen des Deutschen Bundes ausführlich berichteten, fanden in Körners Geburtsstadt Dresden und in Wöbbelin statt.

In dem mecklenburgischen Dorf pries der Schriftsteller Friedrich Förster vor 9000 Zuhörern seinen Waffengefährten Körner als Vorkämpfer für die nationale Einheit und eine liberale Reichsverfassung. Mecklenburgs Großherzog Friedrich Franz II., seine Behörden und das Militär distanzierten sich mit aller Macht. Den Schülern des Schweriner Gymnasiums wurde der Besuch der Wöbbeliner Feier verboten, denn die Jugend sollte nicht "durch demokratische Reden verführt" werden. Kurzum: Bis zur Reichsgründung war die öffentliche Erinnerung an Körner ein oppositioneller Akt, getragen vom liberalen Bürgertum.

Doch mit dem Krieg von 1870/71 und der Errichtung des Kaiserreichs wendete sich das Blatt. Ausgerechnet das Sprachrohr der Konservativen in Preußen-Deutschland, die Kreuz-Zeitung, signalisierte die Verwandlung Körners vom patriotischen Bürgerhelden zum reichsnationalen Kriegsheros. Anlass war der 100. Geburtstag des Dichters im Jahr 1891 (da standen seine Werke schon in der 43. Auflage). "In allen deutschen Landen", so verlangte das Blatt, dürfe es "keine Dorfschule geben, in der nicht an diesem Tage die Heldengestalt den Kindern vor die Seele geführt würde"! Die Initiative der Kreuz-Zeitung war erfolgreich. 1913 klagte der sozialdemokratische Vorwärts über den "bis zur Widrigkeit" vorangetriebenen militärischen "Götzenkultus" um Körner, für den "vornehmlich die männliche Jugend aller gehobenen Unterrichtsanstalten" schwärme.

Die Feiern zum 100. Todestag im selben Jahr illustrieren das neue Körner-Bild aufs schönste. Die Redner ächteten den inneren Reichsfeind, die Sozialdemokratie: "Bohrt nicht schon der giftige Wurm der Unzufriedenheit, des Hasses, der Auflehnung, der Verweichlichung und Versumpfung in den Planken unseres stolzen Reichsschiffes?", fragte etwa ein Major Döring in Wöbbelin. Zugleich warnte er - in einer Mischung aus Furcht und aggressiver Lust - vor einem kommenden Krieg gegen Frankreich. Doch "wenn ein Feind an unseres Reiches Tore pocht, wenn unser Kaiser uns ruft, dann wollen wir, wie Held Körner, freudig Blut und Leben dahingeben für Deutschlands Freiheit und Ehre"!

Am großen Festakt in Wöbbelin nahmen wie selbstverständlich der mecklenburgische Großherzog und hochrangige Militärs teil. Die Lützower und ihr prominentestes Mitglied waren gleichsam kasernenhoffähig geworden, nachdem Kaiser Wilhelm II. 1889 ein Aachener Regiment nach ihnen benannt hatte. "Deutschlands Untergang" sei "hereingebrochen", hatte zwei Jahre später die Militär-Zeitung erklärt, "wenn Körners Leyer und Schwert einmal nicht mehr das Lieblingsbuch deutscher Jugend sein sollte, wenn es bei den Klängen des Heldenjünglings einmal nicht mehr jedes deutschen Mannes Herz mit heiligen Schauern durchrieseln sollte." Die Integration Körners und der Lützower in den militärischen Traditionsbestand erleichterte dem liberalen Bürgertum die Zustimmung zum soldatischen Geist des Kaiserreichs.

Die militarisierte Atmosphäre von 1913 veranschaulicht allein schon die Zusammensetzung der Wöbbeliner Festgemeinde: Mit 1400 Teilnehmern stellten die Kriegervereine das Gros, während zivile Vereine wie die Turner, Sänger und Radfahrer nur noch 700 Gäste aufboten.

Auch in den Büchern und Schriften über Körner herrscht längst ein neuer Ton: Die Bildung und Erziehung des Dichters im kosmopolitischen Geist der deutschen Klassik unterschlagen seine neuen Biografen zwar nicht, doch sie suchen und finden nun vor allem soldatische Elemente in dessen Vita. Körners kurzer Schulbesuch gerät zu einer paramilitärischen Ausbildung. Hier habe, so erklärt 1898 der Verfasser der umfangreichsten Biografie, Emil Peschel, "beinahe soldatische Zucht" geherrscht.

Doch schon im letzten Jahrzehnt des Kaiserreichs kündigte sich eine abermalige, bezeichnende Mutation des Körner-Bildes an, die dann, in der Zeit des Nationalsozialismus, dominieren sollte. Der "Held" verwandelte sich in einen rassereinen "Arier". Das belegten zum Beispiel seine blauen Augen - die zuvor allerdings nie Erwähnung gefunden hatten. Mitglieder des deutschvölkischen Turnvereins Hamburg trugen 1910 in das Besucherbuch des Körner-Grabes den Satz "Arierblut - höchstes Gut" ein und ergänzten: "Der Jude ist kein Deutscher."

Schon gleich die erste Ausgabe des Völkischen Beobachters nach dem Tag der "Machtergreifung" erklärt den Dichter zu einer Leitfigur des neuen Staates. Der Kulturteil macht mit einem biografischen Artikel auf, der besonders den (in der einschlägigen Literatur ergreifend beschworenen) Moment hervorhebt, als "Theodor Körner sich zur Stellung als Kriegsfreiwilliger entschloß". Die erneute mentale Mobilmachung wird so schon eingeläutet.

Von der im Vormärz noch hoch gelobten Intellektualität und Humanität des Dichters ist nun überhaupt nichts mehr übrig geblieben. Als allein beispielgebend gilt Körners vorbehaltlose Opferbereitschaft und seine kämpferische Entschlossenheit. Vor allem nach Stalingrad sollen der "stählerne" Leutnant und seine ihm treu ergebenen Kameraden den Glauben an den Endsieg stärken. "Rache, furchtbare Rache, Rettung, herrlicher Endsieg", so schwärmt die Thüringer Gauzeitung 1943, seien das Credo des "Helden" gewesen.

Nach 1945 geriet Körner in der Bundesrepublik in Vergessenheit. Zwar gab es auch hier bald wieder Körner-Kasernen, doch neuen Heldenstatus erlangte er erst in der DDR mit dem Aufbau der Nationalen Volksarmee. In Wöbbelin feierte man den Dichter zu seinem 140. Todestag 1953 gar mit einem Fackelzug! Den jährlichen Reden am Grab mangelte es nicht an entschiedener sozialistischer Parteilichkeit. Da die Lützower 1813 kurzzeitig gemeinsam mit einer Kosakeneinheit gekämpft hatten, stand Körner, wie der zweite Sekretär der SED-Kreisleitung Gerhard Böker es 1967 formulierte, Pate für die "historischen Wurzeln" der deutsch-russischen "Waffenbrüderschaft". Der klaren Freundbestimmung korrespondierte bei Böker ein klares Feindbild: Die NVA kämpfe im Sinne Körners gegen die "Aggression westdeutscher imperialistischer Truppen". Noch pathetischer hatte nur sieben Jahre nach Kriegsende der SED-Funktionär Bernhard Quandt schwadroniert: Es könne "kein Zweifel darüber bestehen, daß die werktätigen Massen des deutschen Volkes genau so wie 1812/13 gemeinsam mit der Sowjetunion um die Befreiung ganz Europas kämpfen und siegen würden". Schließlich konnte der "Held" auch für den Klassenkampf reklamiert werden, hatte er doch, wie der NVA-Hauptmann Hans-Ulrich Seel 1989 befand, als "Revolutionär seiner Zeit" für die "progressiven Kräfte unseres Volkes" gefochten. Bei so viel Vorbildlichkeit wundert es nicht, dass die NVA 1970 einen jährlich an Künstler und Organisationen zu vergebenden Theodor-Körner-Preis ausgelobt hatte.

Das Körner-Gedenken in Wöbbelin birgt seit 1945 jedoch auch Probleme. In den letzten Kriegstagen war hier eine Außenstelle des Hamburger KZs Neuengamme eingerichtet worden. Die ermordeten Häftlinge des Lagers wurden in Sichtweite des Dichtergrabes bestattet. Anfangs erwähnten die Redner die Ermordeten noch in ihren Ansprachen auf Körner. Doch in den sechziger Jahren wollte man das Bild des "Helden" offensichtlich nicht mehr "belasten". Der toten Häftlinge gedachten die SED-Funktionäre allein am 2. Mai, dem alljährlich gefeierten Befreiungstag des Lagers.

Die Mahn- und Gedenkstätten Wöbbelin bestehen seit der Wiedervereinigung darauf, dass bei der traditionell von der Gemeinde veranstalteten Körner-Ehrung aller Toten gedacht wird. Dem Bürgermeister Heinz Haufschild, ehemals Mitglied der SED (heute parteilos), ist es jedoch unangenehm, wenn vor dem Gang zum Körner-Grab auf den Grabplatten der ermordeten Häftlinge Blumen niedergelegt werden. "Dann", so erklärte er gegenüber der Leiterin der Wöbbeliner Mahn- und Gedenkstätten, Edeltraud Schure, "muss ich mich ja schämen. Das brauch ich aber nicht, wenn ich vor dem Grab Körners stehe." Für Haufschild ist ohnehin klar, dass "das mit den Juden ja gar nicht so schlimm war". Und so bleibt es für ihn natürlich unerklärlich, warum in den letzten Monaten in Wöbbelin und Umgebung die KZ-Massengräber geschändet und auch das Körner-Grabmal beschmiert wurden.


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