Der letzte König von Schottland

von Daniel Kothenschulte (FR online, 14.03.2007)

Wahrscheinlich hat ein großer Teil des jüngeren Kinopublikums nie etwas von Idi Amin gehört. Ältere mag diese Unkenntnis befremden. Doch wer das Glück hatte, seine Kindheit in den unbeschwerten frühen 1970er Jahren zu verbringen, dem mag sie erscheinen wie eine selige Puppenkiste. Böse Buben ließ man kaum hinein. Nur ganz weit draußen, wie ein fernes Trommeln aus der Vorzeit, da gab es Idi Amin.

Obwohl der Diktator Ugandas ein Dauerthema im Fernsehen war, gibt es wenig Grund, sich auf die damals erworbene Kenntnis viel einzubilden. Selbst wer einmal Barbet Schroeders Dokumentarfilm General Idi Amin Dada - ein Selbstporträt von 1974 gesehen hat, weiß nicht viel mehr über seine Schreckensherrschaft als der durchschnittliche 20-jährige Kinozuschauer von heute. Die Medienperson Idi Amin war ein Gestrüpp aus Omnipräsenz und Undurchdringlichkeit. Der Spielfilm The Last King of Scotland führt uns dorthin zurück.

Nach einem ungeschriebenen Gesetz des populären Kinos bedarf es eines weißen Protagonisten, um einen Film über Afrika zu verkaufen. In dieser Literatur-Verfilmung aber gibt es gute dramaturgische Gründe, sich an die Fersen des schottischen Arztes Dr. Garrigan zu heften. Der junge Mann ist frei von Vorurteilen, voller Abenteuerdrang und derart begeisterungsfähig, dass er sogar einen Meisteragitator damit überraschen kann. Idi Amin, der gerade den verhassten Machthaber Obote beerbt hat, macht ihn augenblicklich zu seinem Leibarzt. Auch das ambivalente Verhältnis zum Erbe des britischen Empires haben beide gemeinsam: Man hasst die Briten - und kommt doch nicht aus ohne deren längst ins Blut übergangene kolonialistische Rituale. Was folgt, ist die klassische Geschichte vom jungen Karrieristen und seiner Verführung durch eine Macht, die zunehmend mephistophelische Züge annimmt.

Filmemacher Kevin Macdonald hat Barbet Schroeders Dokumentarfilm genau studiert. Ein wenig ähnelt die Verstrickung Garrisons auch der Rolle des privilegierten Dokumentaristen. Wenn Idi Amin einen Weißen mit einer Kamera sah, fütterte er diese mit Sprüchen wie "Ich mag kein Menschenfleisch. Es ist mir viel zu salzig." Welcher Journalist freute sich nicht über solche Ausbeute; doch selbst wenn man das Material später noch so sehr gegen den Strich bürstete, ist sein Ursprung, die Hofberichterstattung, doch noch sichtbar. So schwankte das Medienbild Idi Amins zwischen Entblößung und Voyeurismus. Filme über ihn konnten rassistische Vorurteile enttarnen und gleichzeitig füttern. Sie konnten den Schrecken wortreich beschwören und berauschten sich dennoch an seiner feixenden Fassade. Größere politische Kontexte aber kehrten sie gemeinsam mit ihrem Protagonisten unter den Teppich.

Idi Amin erschreckend nahe

Ein Spielfilm hat diese Probleme nicht, und erfahrungsgemäß sind historische Biopics umso glaubwürdiger, je deutlicher sie sich zum fiktiven Anteil bekennen. Die besondere Qualität von Kevin Macdonalds Regie besteht darin, wie souverän sie mit veristischen und irrealen Momenten jongliert. Der große Forest Whitaker ist dem überlieferten Bild Idi Amins so nahe, dass es erschreckt. So enthalten die Szenen mit ihm stets ein realistisches Moment, um das herum sich fast spielerisch arbeiten lässt.

Der Film beginnt in freundlichen Farben, sie stehen für die Hoffnung auf ein modernes, postkoloniales Uganda, das sich von der Schreckensherrschaft Obotes mit ihrer halben Million Todesopfer erholen möchte. Die hervorragende Kameraarbeit stammt von Anthony Dod Mantle, der Lars von Triers letzte Filme fotografierte. Nur sehr langsam verfinstert sich das Bild, dann jedoch wird ein Delirium daraus, ein Fiebertraum. Als Garrison eine Affäre mit einer Nebenfrau des Diktators beginnt, stößt er eine Kettenreaktion paranoiden Wahns an. Zugleich hat er sich verstrickt im System aus Gefällig- und Abhängigkeiten.

Diese Konflikte erklären nicht die politischen Hintergründe dieser von vielen Industrienationen als Bollwerk gegen den Kommunismus unterstützten Schreckensherrschaft. Vielleicht hätte man den Versuch eines politischen Überbaus wagen sollen, denn dieser Film ist so gut gemacht, dass dies wohl auch noch hinein gepasst hätte. Was er aber noch immer vermittelt, ist ein allgemeines Verständnis dafür, wie es geschehen kann, dass sich sympathische, begeisterungsfähige Intellektuelle mit Diktatoren einlassen. Dazu gehört, im schillernden Despoten jenes Faszinosum adäquat freizulegen, das man so gerne verniedlicht oder banalisiert. Es muss etwas ungemein Verführerisches allein darin liegen, Einfluss auf derart mächtige Menschen ausüben zu können. Dann verschwinden Zweifel, man glaubt, auf einer Ebene mit diesem Menschen verkehren zu können. Der Nährboden ist Eitelkeit, sie ist das eigentliche Thema dieses Porträts einer vorgeblichen Freundschaft.

Kein Medienbericht über Idi Amin war denkbar ohne die Andeutung einer solchen Handreichung. Irgendeinen Gunstbeweis gegenüber dem Journalisten konnte man immer entdecken in all den Interviews und kurzen Filmberichten. Dieses Quäntchen potentieller Korrumpierbarkeit aufzuspüren und zu einer großen Filmerzählung auszuspinnen, zeugt von einer besonderen Aufmerksamkeit dafür, wie sich Geschichte in den Medien überliefert. Dass in diesen Medien auch am schnellsten vergessen wird, ist eine andere Geschichte. Es war wie eine Stimme aus der Vergangenheit, mit der sich Idi Amin vor drei Jahren in Erinnerung rief: Mit achtzig starb er friedlich in Saudi-Arabien.

Der letzte König von Schottland, Regie: Kevin Macdonald, Großbritannien 2006,
123 Minuten.


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