Der letzte König von Schottland

Forest Whitaker spielt die Rolle seines Lebens - Adi Amin

(FR online, 15.03.2007)

Nicht, dass Forest Steven Whitaker in jungen Jahren schon von der Schauspielerei geträumt hätte. Der Enkel eines Romanautors (ebenfalls Forest Whitaker) und eines Baptisten-Pfarrers, Sohn von Versicherungsmann Forest Whitaker Sr. und Laura Francis Smith, die neben der Betreuung ihrer vier Kinder noch zwei Universitätsstudiengänge mit Abschluss absolvierte und später als Sonderschullehrerin die Familie versorgte, schlug erst einmal den damals typischen Weg einer "gelungenen" afro-amerikanischen Sozialisation ein. Doch er wurde weder Profi-Footballer noch Absolvent der Militärakademie West Point, so wie es sich die Eltern eigentlich gewünscht hatten.

Forest,am 15. Juli 1961 im texanischen Nest Longview geboren, zu einer Zeit, als der einzige schwarze Schauspieler von Rang und Namen Sidney Poitier hieß, wurde wegen seines ungewöhnlichen Vornamens als "kleiner Strauch" gehänselt. Doch für ihn sollte der Name zum Lebensmotto werden: "Forest zu heißen, half mir, meine Identität zu finden. Ich versuche, wie ein Wald zu sein, belebend und ständig wachsend", erzählt Whitaker im Gespräch. Gewachsen ist der auch in seiner Körperlichkeit raumgreifende Mann tatsächlich. Erfolgreich arbeitet er mittlerweile als Schauspieler, Regisseur und Produzent, daneben auch noch als Leiter eines Digitalfilm-Festivals.

Den ersten weißen Menschen sah der kleine Forest im Alter von acht Jahren im Fernsehen. Da lebte er mit seiner Familie bereits im kalifornischen Carson in der Nähe von Los Angeles. Die ehrgeizige Mutter sorgte dafür, dass er auf die elitäre Palisades Highschool kam. Ein Privileg, für das er lange Fahrwege auf sich nahm. Seine große sportliche Begabung brachte ihm ein Football-Stipendium für das Studium an der California State Polytechnic University ein. Die Begeisterung für den Sport hielt allerdings nicht lange an. Eine Rückenverletzung tat ihr Übriges und Whitaker schlug einen ganz anderen Weg ein: Über die Ausbildung als klassischer Tenor am Konservatorium der University of Southern California - Whitaker sang seit seiner Kindheit in einer Rhythm and Blues Band und bekam aufgrund seiner stimmlichen Begabung wieder ein Stipendium - näherte er sich schließlich seiner eigentlichen Berufung, der Schauspielerei, und wurde in der Theater-Abteilung seiner Universität aufgenommen.

Für seine Darstellung des ugandischen Diktators Idi Amin in "Der letzte König von Schottland" bekam Forest Whitaker den Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller. Den Golden Globe hat er schon in der Tasche, ebenso wie den britischen BAFTA-Award und neben zahlreichen anderen Auszeichnungen auch den Best Actor Award von Cinema for Peace, der ihm am 12. Februar in Berlin überreicht wurde. Hier treffen wir ihn zum Gespräch.

Forest Whitaker ging einige Umwege, bis er zur Schauspielerei fand: Er hatte erst ein Footballstipendium, was er aufgrund einer Verletzung aufgeben musste, und wurde auch zum Tenorsänger ausgebildet.

Seine schauspielerische Ausbildung erhielt der 45-jährige Familienvater in Los Angeles und London. Highlights seiner Karriere sind seine Rollen in " Crying Game", "Bird", "Ghost Dog", "Mary" und jetzt "Der letzte König von Schottland". Der Schauspieler produziert auch und führt Regie.

Als überzeugter Vegetarier und Peta-Aktivist betreibt Forest Whitaker in Los Angeles ein vegetarisches Rohkost-Restaurant. Zur Zeit tourt er durch Europa und Afrika, wo auch "Der letzte König von Schottland" gedreht wurde.

Der Film erzählt die Beziehung zwischen dem (fiktiven) schottischen Arzt und Entwicklungshelfer Nicholas Garrigan und dem Diktator Idi Amin.

Auch am Berkeley-Ableger des Drama Studio London erweiterte er das Repertoire seiner schauspielerischen Techniken, was ihm den Vorteil einbrachte, über zwei unterschiedliche methodische Ansätze verfügen zu können. "Ich nutze beide Seiten", erklärt Whitaker, "ich bin im klassisch amerikanischen Methode Acting ausgebildet, man kann auch sagen: in dieser klassischen russischen ,innerlichen' Art, aber auch in dem eher von ,außen' kommenden Ansatz, der eher zur britischen Tradition gehört." Angesprochen auf seine Rolle als Idi Amin in Der letzte König von Schottland, ergänzt der Schauspieler noch, dass ihm hier die "Einfühlung" in einen fremden Charakter kaum geholfen habe, "ich denke nicht wirklich: Oh, lass mich eine echt schlechte Erfahrung aus meiner Kindheit entdecken, die im Zusammenhang mit Idi Amin steht."

"Ich musste Akkordeon spielen lernen, um Idi Amin zu verstehen"

Nach der Schauspielausbildung folgten Auftritte auf der Bühne, etwa in Hamlet, Romeo und Julia und Jesus Christ Superstar. 1982 wurde Whitaker schließlich für die ihm vertraute Rolle eines Football-Spielers in dem Film Fast Times at Ridgemont High (Ich glaub', ich steh' im Wald) entdeckt, in dem auch Sean Penn and Jennifer Jason Leigh mitspielten. Von da an ging es zügig voran, und die renommiertesten Regisseure öffneten ihm die Türen mit Rollenangeboten, die teilweise gar nicht für einen Afro-Amerikaner angelegt waren.

So beeindruckte Whitaker durch viele kleine, subtil tragende, bis hin zu markanten Nebenrollen, unter anderen als Vietnam-Soldat in Oliver Stones Platoon, als Billard-Spieler in Martin Scorseses The Color of Money und als Fahrer in Barry Levinsons Good Morning Vietnam. Dann, 1988 der große Durchbruch in Clint Eastwoods Drama Bird um die Jazz-Legende Charlie Parker. In dieser Rolle konnte er endlich sein großes musikalisches und darstellerisches Talent ausspielen. Eine Golden-Globe-Nominierung war der Lohn sowie der Preis als bester Hauptdarsteller bei den Filmfestspielen in Cannes.

In den Jahren danach nahm Forest Whitaker immer wieder im Wechsel Rollen in Hollywood-Produktionen, in Independent-Filmen und Fernseh-Serien an. Mal hauchte er als Nebendarsteller den Schlüsselfiguren auf seine unaufdringlich komplexe Art Leben ein, mal füllte er die Hauptrollen mit all seiner Kraft und Sensibilität auch in Extremen aus, in jedem Fall immer sehenswert: als plastischer Chirurg in Walter Hills Johnny Handsome an der Seite von Mickey Rourke, als von der IRA gekidnappter britischer Soldat mit origineller sexueller Vergangenheit in Neil Jordans Meisterwerk The Crying Game, als hartnäckig sanft nachforschender Versicherungsvertreter in Consenting Adults (Gewagtes Spiel), als schwuler Modemacher in Robert Altmans Prêt-à-Porter, als amüsierend naiv-religiöses Muttersöhnchen in der all-black-cast von Bill Dukes A Rage in Harlem

Forest Whitaker hat in insgesamt 60 Filmen kaum eine schauspielerische Facette ausgelassen. Irgendwie scheint ihm alles zu gelingen. Kaum überraschend, dass er sich nun an eine so monströse Gestalt wie den ugandischen Diktator herantraute. Doch auch hier gibt er sich, mit einigem Understatement, ganz pragmatisch, eher äußerlich: "Technisch war das eine schwierige Sache. Ich musste eine neue Sprache lernen, einen neuen Akzent, musste eine Kultur verstehen, die sehr verschieden von meiner, der westlichen Welt, ist. Ich musste außerdem Akkordeon spielen lernen, mich mit der Geschichte des Mannes und des Ortes auseinandersetzen. Das sind eine Menge Dinge, die es zu verstehen gilt, um diesen Charakter zu spielen."

Auf die Nachfrage, dass damit aber noch nicht das Böse Idi Amins erklärt wäre, gibt Whitaker eine überraschende, durchaus eigenwillige Antwort: "Dass Idi Amin dann irgendwie verrückt wurde, hatte damit zu tun, dass er ein geselliger Typ war." Wie das? "Er hat Akkordeon gespielt, ein geselliges Instrument, das nimmt man, um Partys zu feiern. Er spielte Rugby, er war Schwergewichtsmeister seines Landes, und alle Soldaten liebten ihn. Das ist der entscheidende Punkt: Er wollte gemocht werden; als er im Amt war, hat er genau das versucht. Doch dann zerstritt er sich mit den Briten, weil die ihm vorschreiben wollten, was er zu tun hatte; er verwies sie kurzerhand des Landes. Von da an isolierte er sich zunehmend und plötzlich stand er alleine da. Idi Amin begann, nur noch als Soldat zu denken, er fühlte sich von Feinden umzingelt und befürchtete, man wolle ihn umbringen."

Ob er denn den Eindruck hat, Idi Amin wäre nicht zur Unperson geworden, wenn nur die Umstände andere gewesen wären. "Es hat definitiv mit den Umständen zu tun! Im Kern war er ein Soldat, und er war nicht darauf vorbereitet, ein Politiker zu sein." Eine klare Ansage. Forest Whitaker wirkt mitunter wie ein Kerl, der jede Menge blutige Steaks verdrücken könnte. Doch dann vermittelt er mit seinem hängenden linken Augenlid, seinem wiegenden Schritt und der bärig-harmlosen Art wieder den Eindruck, dass er keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte. Das ließ Regisseur Kevin Macdonald anfangs zweifeln, ob er überhaupt die richtige Besetzung für die Rolle des Idi Amin sei. Und doch, jetzt spielt der überzeugte Veganer und Tierschutz-Aktivist einen der brutalsten afrikanischen Diktatoren.

Dass sich Forest Whitaker für Der letzte König von Schottland Kishuaeli und Idi Amins ostafrikanischen Akzent aneignete, führte zu einigen Problemen. Nicht nur stieg er während der Vorbereitungs- und der Drehzeit nicht mehr aus seiner Rolle aus, was einige Unruhe bei den Kollegen und der Regie auslöste, sondern wollte einer amerikanischen Zeitschrift ein Interview ausschließlich mit seinem neuen Amin-Akzent geben. Plötzlich stand die Befürchtung im Raum, Whitaker könne zu viel Empathie mit "seinem Diktator" vermitteln. Und tatsächlich erzählt er, dass er nach seinen Recherchen überrascht war, wie charmant, umgänglich, humorvoll und charismatisch Idi Amin gewesen sei: "Ich habe einfach versucht, ihn in seinen extremen Leidenschaft zu verstehen: Er liebt Suppe, dann liebt er sie auch total; er hasst Eiscreme, dann hasst er sie absolut. Im Film sagt Nicholas Garrigan (ein junger weißer Arzt und fiktiver Weggefährte Amins; Anm. der Red.), dass Idi Amin ein Kind ist. Das ist tatsächlich wahr in Bezug auf die Naivität, mit der er sein Land regierte."

Und diese Naivität führte geradewegs zum Verbrechen? Nein, so einfach will Whitaker es dann auch nicht sehen. Die Macht und noch etwas ganz anderes könne sehr verführerisch sein: "Idi Amin stellt sich vor 2000 Leute und ruft ,Uganda, Oyé!', und die Leute schreien - das ist mächtig, das ist eine Rede, an die man selbst glaubt. Dann hat er noch die Tänzer hinter sich und die begeisterten Menschen vor sich: Hey, die Welt, dein Stamm, jeder würde von seinem Gefühl davon getragen, es ist einfach überwältigend."


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