Hilfeschrei nach echten Männern

Liebes-Exil mit Nebenwirkungen

Russischen Frauen fehlt bei westlichen
Männern der „kleine Unterschied“.

von Boris Reitschuster (Moskau, 26.07.2005)

Das SOS in Sachen Liebe kam per e-Mail, aus dem Herzen Europas. „Echte Männer“, so die ebenso traurige wie erschreckende Botschaft, „sind im Westen sehr schwer zu finden“. Die Worte trafen mich wie ein Blitzschlag. Nein, nicht dass ich sie als persönlichen Angriff empfunden hätte – dazu bin ich erstens zu weit weg vom Geschehen, und zweitens fühle ich mich nach zehn Jahren in Moskau schon halb russifiziert.

Eine Frau wie Zuckerwatte

Es war die plötzliche, tragische Wandlung hinter dem Hilfeschrei, die mich so entsetzte. Die Absenderin, nennen wir sie der Diskretion wegen einfach Dascha, ist eine Frau wie Zuckerwatte, die eine tiefe russische Seele und einen mathematisch klaren Verstand hinter dem Äußeren einer Angelina Jolie versteckt.

Obwohl vor gar nicht allzu langer Zeit noch „Lenin-Pionierin“ und patriotisch bis in die Fingerspitzen, war Dascha spätestens nach dem Studium dem Vaterland mehr zugeneigt als den vaterländischen Männern; kurzum, nun ja, wie soll ich es sagen, ihre Waffen einer Frau – und sie ist sehr hochgerüstet – waren eher Richtung Nato orientiert.

Ehe als Vollpension

Dascha ist mit ihrem Drang nach Westen alles andere als eine Ausnahme. Ausländische Männer stehen hoch im Kurs bei Russlands schwacher Hälfte: Kein Wunder, wo doch viele potentielle russische Partner fürs Leben die Emanzipation für eine ansteckende Krankheit halten und die Ehe weniger als Liebesbund sehen denn als lebenslange Vollpension und billige Alternative zum Kauf von Geschirrspüler und Waschmaschine.

„Affe mit Handgranate“

„Ein Huhn ist kein Vogel, und eine Frau kein Mensch“, oder „eine Frau am Steuer ist wie ein Affe mit Handgranate“: Wo Sprichwörter dieser Art zum kleinen maskulinen ABC-Gehören, liegt der weibliche Fluchtinstinkt nicht fern. Die russischen Medien begegnen der femininen Fahnenflucht prophylaktisch mit Berichten über unglückliche Auslandsehen, in denen abtrünnige Russinnen ihr Überlaufen an der Liebesfront schon mal mit dem Leben bezahlen mussten.

Ehe-Exil im Ausland

Dascha konnte solche Propaganda nichts anhaben – offenbar hatte sie ihre mehrmaligen Besuche im Westen genutzt, um sich ihre ganz persönliche Meinung zu bilden.

Und so strahlte sie denn auch glücklich wie ein russisches Kind nach dem Besuch des Väterchen Frostes, als sie mir vor einiger Zeit eröffnete, dass sie am Ziel ihrer Träume angekommen ist: Im Ehe-Exil im westlichen Ausland, noch dazu im deutschsprachigen – genauer wollen wir der Diskretion wegen nicht werden.

Selbstlose Sorge

Es wäre nun eine böse Unterstellung zu glauben, mein ernster Gesichtsausdruck in jenem Moment sei etwas anderem als selbstloser Sorge um Dascha entsprungen, oder ich sei gar befangen gewesen. Jedenfalls blieb meine Fürsorge erfolglos – sie ließ all meine Warnungen, was Mentalität und Temperament, Sitten und Bräuche angeht, nicht gelten: „Ach wo, ich komme im Westen wunderbar zurecht“.

Handarbeit vermisst

Und jetzt diese e-Mail. „Ich glaube, echte Männer formen sich nur in einer Umwelt, wo physische Arbeit zählt, und wo sie viel mit eigenen Händen erledigen müssen“ – ich traue meinen Augen nicht – diese Worte, die Böses ahnen lassen, kommen von Dascha. „In einer Gesellschaft, wo alle Aufgaben gleich verteilt werden, hören die Frauen auf, Frauen zu sein – und die Männer sind keine Männer mehr“, schreibt sie, und es folgen drei viel sagende Pünktchen, über deren tiefere Bedeutung ich mir lieber keine Gedanken machen möchte.

Der kleine Unterschied

Selbst kleinste Erledigungen im Haushalt könne der westliche Mann nicht mehr selbst erledigen, klagt Dascha. Wegen jeder Kleinigkeit werde Mann (West) gleich nervös, und Frau (Ost) müsse ihm lange geduldig zuhören und ihn beruhigen. „Worin bitte“, so Daschas bitterböses Fazit, „unterscheiden sich die Männer (West) von den Frauen (West) außer in den Gehalts-Unterschieden?“

„Kein richtiger Mann“

Aus einer Bruchlandung allein darf man nicht den Schluss ziehen, dass der Flughafen nichts taugt, möchte ich Dascha gerade schreiben.

Doch halt, sie steht nicht allein da mit ihren Erfahrungen. Da war die russische Partnerin meines deutschen Freundes, die sich einst bitter beklagte: „Der ist kein richtiger Mann! Wenn er wenigstens manchmal richtig schreien und mit der Faust auf den Tisch schlagen würde.“

Oder die nach Deutschland emigrierte Kollegin, die sich bitter über ihren Ex-Mann beklagte: „Der spült inzwischen Geschirr Zuhause, so weit ist es mit ihm gekommen!“

Wie die Kirschen in Nachbars Garten

So unterschiedlich die Männer in Ost und West sein mögen – so sehr ähnelt sich offenbar der Krieg der Geschlechter. Mit den Männern und den Frauen hinter der jeweils anderen Seite des eisernern Vorhangs ist es wohl kaum anders als mit den Kirschen in Nachbars Garten – man sehnt sich immer nach dem, was man gerade nicht hat.

Aber soll ich Dascha das schreiben? Womöglich würde sie mich missverstehen. Vielleicht schenke ich ihr lieber ein Fitnessstudio-Abo für ihren Angetrauten – oder eine Abenteuerreise. Zur Abhärtung. Nach Russland.


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