Wie ich in Moskau heiratete

Von Klaus Hähnel

Eheschließung im Sowjetstaat

Es war die Zeit, als das sowjetische Regime in den letzten Zuckungen darniederlag. Unter Gorbatschow war die ideologische Unduldsamkeit bereits einer weitgehenden Toleranz gewichen und die diktatorische Strenge gegenüber den eigenen Staatsbürgern einer zaghaften Milde. Lediglich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die Versorgungsproblerne bestanden weiterhin, ja sie hatten sich sogar noch verschärft. Alle diese Veränderungen und Probleme prägten unsere Eheschließung und verliehen ihr Züge des Komischen und Absurden.

Vor dem Machtantritt Gorbatschows war die Heirat zwischen einer Bürgerin der Sowjetunion und einem Westeuropäer eine Angelegenheit, die sehr viel Energie, Zeit und Geduld erforderte. Völkerfreundschaft auf der Ebene des Ehebetts war in dem Lande, das sich der Idee des proletarischen Internationalismus verpflichtet fühlte, nicht sonderlich erwünscht. Es konnte Jahre dauern, bis Braut und Bräutigam endlich zu einem Ehepaar wurden. Der Sowjetstaat stellte sich mit vielerlei bürokratischen Hindernissen und Schikanen den beiden in den Weg. Mitunter wurde der sowjetische Bräutigam oder die sowjetische Braut regelrechten Repressionen ausgesetzt. Das geringste war noch, dass die Kontakte per Brief oder Telefon unterbunden wurden. (Email gab es noch nicht.) Es kam jedoch auch vor, dass der Sowjetbürger aus einer „offenen„, d.h. für Ausländer zugänglichen Stadt in eine der vielen „geschlossenen„ Städte zwangsumgesiedelt wurde, wodurch der persönliche Kontakt mit einem Ausländer praktisch unmöglich wurde. In der Regel übte der KGB massiven psychischen Druck auf einen Sowjetbürger aus, der die Ehe mit einem Ausländer eingehen wollte.

Inzwischen kümmert sich der russische Staat längst nicht mehr darum, wen sich seine Untertanen als Ehegespons auswählen. In den neunziger Jahren wurden Tausende von Ehen zwischen russischen Staatsbürgern und Ausländern bzw. Ausländerinnen ohne besondere bürokratischen Hürden geschlossen. Im Jahre 1991 haftete einer solchen Eheschließung jedoch noch etwas Exotisches an. Wir wollten die Ehe in Moskau, dem Wohnort der Braut, schließen. Für Ehen zwischen Bürgern Russlands und Ausländern ist in der russischen Hauptstadt bis heute nur ein einziges Standesamt zuständig. Gewöhnlich ist es der „Palast für Eheschließungen„ Nummer 1 im Zentrum der Stadt. Dieser wurde damals jedoch gerade renoviert, und seine Funktionen waren vorübergehend dem Palast Nummer 4 in der Butyrskaja-Straße übertragen worden.

Dieser „Palast„ ist ein Betonklotz, der sich durch nichts von seiner Umgebung abhebt. Nur ein Schild am Eingang weist auf seine Bestimmung hin. Im Gegensatz zu deutschen Standesämtern ist er täglich bis in die späten Abendstunden geöffnet. Hier müssen sich die Heiratswilligen anmelden, ihre Unterlagen einreichen und mit der Standesbeamtin (diese Funktion scheint in Russland fast ausschließlich von Frauen ausgeübt zu werden) den Trauungstermin festlegen, und hier findet natürlich auch die Trauung statt. Die Anmeldung ging sehr unbürokratisch und ohne Wartezeiten vonstatten. Zunächst musste ein Antragformular, in dem nach den wichtigsten persönlichen Daten gefragt wurde, ausgefüllt werden. Eine sehr freundliche Dame, die beim Standesamt speziell für die Betreuung von Ausländern zuständig war, nahm sich unserer Sache an. Sie nahm den Antrag und die übrigen Dokumente entgegen, warf einen Blick darauf und zeigte sich zufrieden. Einem deutschen Standesbeamten hätte das, was ich da vorlegte, keinesfalls genügt. Mit nur zwei kümmerlichen Papieren wollte ich eine russische Grazie als Eheweib heimführen: einer Übersetzung der persönlichen Daten aus meinem Reisepass und der Übersetzung einer Meldebescheinigung, die mir das Einwohnermeldeamt meines Wohnortes in Deutschland ausgestellt hatte. Letztere enthielt den für die sowjetische Behörde entscheidenden Vermerk, dass ich unverheiratet war. Die beiden Übersetzungen mussten allerdings noch von der deutschen Botschaft beglaubigt und vom russischen Außenministerium legalisiert werden, was zwei Tage Lauferei erforderte.


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