DIE SCHLECHTESTE BAND DER WELT
. . . und die Segnungen der Civilisation

von Finnland nach Nordamerika

AKI KAURISMAKI: LENINGRAD COWBOYS GO AMERICA


[Go America]

(AUS: "AVEZ-VOUS BOURBON?"
REISEFILME DES 20. JAHRHUNDERTS
)

Eigentlich mag Dikigoros keine "Road-movies"; und eigentlich mögen nicht mal die Amerikaner, die "Road-movies" doch sonst so lieben, diesen Film (vielleicht weil ihn ein Finne gedreht hat :-). Aber in Finnland ist er "Kult", und da Dikigoros die Finnen mag, hat er beschlossen, ihn trotz aller unbestreitbarer Schwächen in diese "Reise durch die Vergangenheit" aufzunehmen. Wieso eigentlich Finnland? Liegt, pardon lag Leningrad nicht vielmehr in Rußland, pardon damals noch in der Sowjet-Union (denn nach deren Untergang wurde es ja einmal mehr umbenannt und heißt jetzt wieder Sankt Peterburg)? Nun, liebe Leser, nehmt mal an, Ihr lebtet in Finnland, also in einem Land, das seit dem traurigen Ende, pardon Ausgang (denn daß er zuende war, war ja an sich nicht traurig) des Zweiten Weltkriegs de facto unter sowjetischer Vormundschaft steht und deren wirtschaftliches und kulturelles Leben überwiegend nach dem Großen Bruder im Osten ausgerichtet ist. Man hat Euch erzählt, daß Ihr damals "befreit" worden seid von einem bösen, verbrecherischen, da finnischen System und fortan die Segnungen der Civilisation, pardon, der Tsiwilizatsija, also des sozialistischen Sowjet-Systems genießen und dafür zutiefst dankbar sein dürft. Was, das kommt Euch bekannt vor, liebe deutsche Leser, nur anders herum? Wieso anders herum? So viel anders war es gar nicht: Was machte denn eine deutsche Musikband, wenn sie Erfolg haben wollte: Richtig, sie nahm einen englischen Namen an und ein paar Lieder mit englischen Texten auf, dann glich sie sich auch noch in Musik und Arrangement möglichst angelsächsischen Vorbildern an, und wenn die blöden Deutschen das nicht hören wollten, dann gingen sie auf Tournee ins Ausland, vorzugsweise nach Großbritannien oder in die USA. Doch eines Tages brach das demokratistisch-kapitalistische System wirtschaftlich und politisch zusammen; die Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken war der große Sieger im Kalten Krieg. Was tat unsere deutsche Band, die sich zuvor vielleicht "Birmingham Bobbies" (alle vernünftigen Namen waren schon vergeben :-) genannt hatte? Richtig, sie benannte sich um in "Moskauer Milizionäre" und unternahm ihre nächste Tournee in die Heimat der Werktätigen, die ruhmreiche Sowjet-Union, um dort ihre ersten Rubel einzuspielen, denn für DM, Dollar und Teuro konnte man sich nirgendwo mehr etwas kaufen, und von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen.

Falsch, liebe Leser, da hat Dikigoros Euch natürlich völligen Blödsinn erzählt; denn die Geschichte verlief ja bekanntlich genau umgekehrt. Seht Ihr, und nun wißt Ihr auch schon, warum sich unsere finnische Band, die in Finnland mit finnischen Liedern und Texten keinen Erfolg hatte, erst nach der nächsten Hafenstadt des Großen Bruders benannte und dann - als dort auch kein Erfolg zu ernten war - einen englischen Namen zulegte und ihr Glück in den USA versuchte. Der Film wurde 1989 gedreht, nach dem Mauerfall, aber noch vor dem Zusammenbruch der Sowjet-Union. Zwar hatten die Finnen theoretisch schon immer ins westliche Ausland reisen dürfen; aber wie das so ist mit der Reisefreiheit: Um sie wahr zu nehmen brauchte man Geld, und Finnland war bis zu seinem EU-Beitritt ein armes Land. (Jetzt ist es zwar kein armes Land mehr - jedenfalls verglichen etwa mit der BRD -, aber ein teures Land, so daß die Finnen selber nicht reicher geworden sind; das deutsche Geld, das die Eurokraten in Brüssel noch immer großzügig verteilen, muß irgendwie und anderswo versickern - aber das ist ja nichts, was es nur in Finnland gäbe.) Für den Film hat Kaurismaki dieses Problem noch zugespitzt; er läßt die Band (die es wirklich gibt, nicht nur im Kino) nämlich nicht finnisch, sondern russisch sein, aus dem tiefsten Sibirien; für die ist der Kulturschock folglich noch größer. Das zweite Problem ist, daß zur Reisefreiheit nicht nur die Ausreisefreiheit gehört (die in Rußland ja nie selbstverständlich war, übrigens schon vor der Machtergreifung der Bolschewiki nicht - das Tsarenreich war vor 1914 der einzige europäische Staat, der seine Bürger weder im Inneren frei reisen ließ noch erst recht nicht ohne Paß ins Ausland - und den bekamen nur die wenigsten), sondern auch die Einreisefreiheit; und gerade in die USA hatte die auch nicht jeder. Kaurismaki löst dieses Problem elegant: Da die zehn Musiker mit ihren schrägen Haartollen (die ihr Markenzeichen sind) und ihren pseudo-sibirjakischen Trachten aussehen wie eine "typisch amerikanische" Popband, winkt die Immigration sie ohne Paßkontrolle durch. So weit, so gut.

(...)

Fortsetzungen folgen

Nachtrag. Anno 2003 wollte Jörg Siepmann mit den "Goldenen Zitronen", einer Punk-Band aus Hamburg, ein Remake unter dem Titel "Golden Lemons" drehen, nach dem Motto: Junge deutsche Band, die voller Enthusiasmus und Naivität auf Tournee durch ein fremdes Land geht, genauer gesagt fährt, denn es sollte ja wieder ein "Road-Movie" werden. Aber da hatte der gute Jörg mit Zitronen gehandelt, denn die alten Knacker, pardon gestandenen Musiker, denken gar nicht daran, in dieses Klischee zu passen. Überhaupt touren sie ja nicht alleine durch die USA, sondern nur als Begleitband eines mittelmäßigen schwarzen Rock'n-Roll-Sängers namens Wesley Willis und mit einer weiteren Band namens "Grand Buffet". Hauptsächlich berichtet der Film davon, wie die Beteiligten einander auf die Nerven gehen, vom Kontakt mit Land und Leuten bleiben nur ein paar mehr oder weniger verunglückte Auftritte. Aber da Dikigoros mit "Mit IKEA nach Moskau" schon einen anderen dieser langweiligen "Dokumentarfilme" vorstellt, bei denen man allenfalls über den unfähigen Regisseur und die Laien-Darsteller lachen kann, will er seinen Leser einen längeren Exkurs über jenen Streifen ersparen.

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