Harry A. Franck
(1881 - 1962)

[Harry A. Franck]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS WEBSEITE
ALS ES NOCH KEIN INTERNET GAB
Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts

Es gibt Reiseschriftsteller, zu denen der Zugang schwer fällt - und solche, zu denen er bewußt verschlossen wird. Auf den Amerikaner Harry Alverson Franck trifft beides zu, und das Wort Zu-gang ist wörtlich zu nehmen. Harry Franck hatte nämlich - zumindest in jungen Jahren - die Angewohnheit, zu Fuß zu reisen, wie einst Seume. Aber was zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch fast normal war, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eigentlich nicht mehr geeignet, das "wirkliche" Leben kennen zu lernen - jedenfalls nicht in den westlichen Ländern, die er bereiste. Gewiß, um aus den USA weg zu kommen, tippelte Franck nicht über die Bering-Straße, sondern benutzte Eisenbahn und Schiff (zwei Verkehrsmittel, die er auch sonst immer mal wieder benutzte - immer in der billigsten Klasse -, wennn es denn gar nicht anders ging); aber ansonsten vertraute er auf Schusters Rappen. (Er hatte eine enorme Fysis, konnte bis zu 100 km am Tag marschieren.) Daß er dabei vor allem in Europa überwiegend auf Landstreicher, Vagabunden, Gendarmen und anderes zwielichtiges Gesindel traf, liegt auf der Hand. Ist das schlimm? Nun, nicht unbedingt - wenn man mal davon absieht, daß sich der Akademiker Franck immer wieder wunderte, wie dumm und ungebildet die Leute waren, denen er so begegnete - selbst im Lande des Kolumbus wußten einige noch nicht einmal, wo Amerika lag! Aber das wäre wohl nicht allzu tragisch gewesen, wenn er denn unterwegs hauptsächlich einheimische Tippelbrüder getroffen hätte - in manch anderen Ländern, d.h. solchen, wo es mit den öffentlichen Verkehrsmitteln noch nicht so weit her war, wie in Asien, hätte er dabei auch jede Menge interessante und repräsentative Reisebekanntschaften machen können. Stellt Euch vor, liebe Leser, in Indien mit einheimischen Pilgern die großen Heiligtümer zu besuchen, wie Dikigoros das getan hat, und sich mit ihnen über die Motive dieser Pilgerfahrten unterhalten zu können - aber dafür reichten Francks Sprachkenntnisse denn doch nicht ganz aus. (Er hatte zwar neuere Sprachen studiert und beherrschte neben seiner Muttersprache Englisch noch Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch; aber außerhalb Europas kam man damit eben doch nicht allzuweit.) So erlag er denn der Versuchung, der noch heute viele junge Rucksacktramps auf Weltreise erliegen: Er schloß sich mit Landsleuten oder anderen Ausländern zusammen, die auch auf Achse waren. Gewiß, dabei läßt sich manch nützlicher Tip aufschnappen, wenn es darum geht, wo man am am billigsten essen, trinken und übernachten kann; aber um Land und Leute richtig kennen zu lernen ist es nicht unbedingt die beste Methode, sondern eigentlich nur das andere Extrem derjenigen Reisenden, die von Luxushotel zu Luxushotel jetten und dort - und in klimatisierten Bussen, Zügen und Restaurants - ebenfalls nur auf eigene Landsleute oder andere Ausländer treffen.

Vagabundenreise um die Welt, 1910
(deutsch: Als Vagabund um die Erde, 1912; Neuauflage 1918 unter dem Titel: Meinen Weg rund
um die Welt erarbeitend; deutsche Ausgabe seit 1924 unter dem Titel: Ohne Geld um die Welt)
Panama, 1913
Streifzug durch Westindien, 1920
Als Vagabund durch ein sich wandelndes Deutschland, 1920
Arbeitend im Norden Patagoniens, 1921
Vier Monate zu Fuß durch Spanien, 1923
Japan und Formosa, 1924
Wanderungen in Nordchina [incl. Mongolei, Mandschurei, Korea], 1924
Streifzug durch Südchina, 1925
Östlich von Siam (Streifzüge durch Französisch-Indochina), 1926
Der Rand der muslimischen Welt, 1928
Ein Vagabund im Sowjet-Land, 1935
Streifzug in der Luft über zwei Kontinente, 1938

Aber was meint Dikigoros mit dem "bewußt verschlossenen Zugang"? Nein, natürlich nicht, daß in Deutschland nur Francks Vorkriegsbuch, der "Vagabund", erschien - ganz im Gegenteil. Aber dem hoch dekorierten Kriegsberichterstatter und Major der Reserve des Ersten Weltkriegs, der in der Zwischenkriegszeit von den Tantiemen seiner Reisebücher leben konnte, wurde seine Popularität zum Verhängnis - und sein letztes Reisebuch, das gar keines war, sondern nur so hieß: "Winterreise durch die Neunte". Nanu, welch merkwürdiger Titel - was sollte das für ein Reiseziel sein? Gar keines! Als die alliierte Invasion gelungen und Frankreich von den bösen Nazi-Deutschen "befreit" war, erhielt Franck vom alliierten Oberkommando den Auftrag, eine offizielle Geschichte der 9. Luftflotte zu schreiben. Vertrauensvoll wie sie dabei war, ließ sie ihm völlig freie Hand, alles anzuschauen und mit jedermann zu sprechen. Es wurde eine Geschichte der alliierten Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg aus erster Hand, unter besonderer Berücksichtigung der Tieffliegerangriffe auf deutsche Zivilisten. Als das Manuskript im Mai 1945 abgeschlossen war, wurde seine Veröffentlichung natürlich verboten; und von da an standen auch alle früheren Werke Francks auf einer unsichtbaren Liste der nicht mehr wiederaufzulegenden Bücher. Franck selber fand sich urplötzlich in einer Reihe mit ebenso verfemten, pardon "belasteten" Schriftstellern wie Ezra Pound, Knut Hamsun, Sven Hedin oder Colin Ross wieder.
Erst 56 Jahre später sollte Harry Francks Enkel Steven Huettner das Manuskript wieder ausgraben und wagen, es zu veröffentlichen - im Selbstverlag (der jeweils ein Exemplar umsonst, nur gegen Ersatz der Portokosten, an Interessierte abgibt), denn noch immer ist kein anderer Verlag der Welt bereit, das zu tun. Und gar auf eine Übersetzung ins Deutsche werden wir wohl bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten müssen.

(Fortsetzungen folgen)

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