Zur historischen Entwicklung des

R A S S I S M U S

von Gisela Probst-Effah

Der Begriff "Rasse" im modernen Sinne als Bezeichnung für eine der großen Menschheitsgruppen kam gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Frankreich auf. Als das Gemeinsame einer Rasse gelten vor allem (wenige) äußere Merkmale wie die Farbe der Haut, des Haares und der Augen. Der Begriff wurde zunächst wertfrei benutzt, um verschiedene Arten zu analysieren und zu klassifizieren. Erst mit der Zuordnung positiver und negativer geistiger und moralischer Werte zu biologisch angeblich konstanten "Rassen" begann der moderne Rassismus im engeren Sinn.

Der europäische Rassismus, dessen Anfänge Mosse ins 18. Jahrhundert datiert, geht von der biologisch bedingten Ungleichheit unter den Menschen aus. Er behauptet, dass Rassen biologisch festgelegt, unveränderbar oder zumindest nur sehr langfristig veränderbar seien. Mit den biologischen Eigenschaften sind nach seiner Auffassung bestimmte Charaktereigenschaften verknüpft. Rassisten sind von einer festen Rangordnung unter den Rassen überzeugt; sie unterscheiden zwischen überlegenen und unterlegenen Rassen.

Das 18. Jahrhundert brachte im Zuge der Aufklärung den Aufstieg neuer Wissenschaften wie Anthropologie und Physiognomie (Erforschung des menschlichen Gesichts). Man klassifizierte die Menschen und begründete ein Klischee der menschlichen Schönheit, das sich nach klassischen Vorbildern als dem Maßstab aller menschlichen Werte richtete. Dabei wurde - im Glauben an die Übereinstimmung von Körper und Geist - von der äußeren Erscheinung auf geistige und seelische Eigenschaften geschlossen.

Der Nestor der Physiognomik war der protestantische Theologe und Freund Goethes Johann Kaspar Lavater (1741-1801). 1781 veröffentlichte er seinen "Essai sur la physionomie". Als er über die Frage schrieb, wie wichtig es sei, mit Hilfe der Gesichtsdeutung die Menschen zu erkennen, hatte Lavater zwar keinen Rassismus im Sinn, doch war es für die Entwicklung des Rassismus entscheidend, dass sich Beobachtungen, Messungen und Vergleiche mit Werturteilen verbanden.

Die kosmische Ordnung, die Stellung von Mensch, Natur und Gott zueinander, wurde im 18. Jahrhundert als eine hierarchische Stufenfolge vom Himmel zur Erde aufgefasst. In der Annahme, es existiere in der Natur eine ununterbrochene Stufenleiter, versuchte man, eine Verbindung von Tieren und Menschen herzustellen, indem man Ähnlichkeiten zwischen dem höchsten Tier, dem Affen, und der niedrigsten Menschenart, dem Schwarzen, festzustellen glaubte.

Am Ende des 18. Jahrhunderts versuchten Philologen, die Wurzeln der Rasse freizulegen, indem sie nach den Ursprüngen der Sprache suchten. Sie kamen dabei zu dem Schluss, Sanskrit sei die Grundlage aller westlichen Sprachen; es sei durch die arische Völkerwanderung von Asien nach Europa gebracht worden. In diesem Zusammenhang taucht der Ausdruck "Arier" zum ersten Mal auf. Es wurde ein gemeinsamer Ursprung der "arischen" Völker angenommen: ein Großteil von ihnen habe Indien verlassen und sei nach Nordeuropa gezogen. Viele deutsche und französische Gelehrte trugen zur Schaffung des arischen Mythos bei.

Arthur Comte de Gobineau (1816-1882) schrieb 1853-55 seinen "Essai sur l'inégalité des races humaines". Er unterschied drei Grundrassen, die gelbe, schwarze und weiße, und ordnete jeder von ihnen bestimmte dominante Eigenschaften zu. Dabei verglich er sie mit den verschiedenen Sozialschichten des damaligen Frankreich: die gelbe Rasse mit der Bourgeoisie, die schwarze mit den "Sansculottes" (= "Ohne(knie)hose", Spottname für den proletarischen Revolutionär der Französischen Revolution), die weiße mit dem Adel. Die weiße, "arische" Rasse war nach seiner Auffassung Kulturträger. Gobineau glaubte an Aufstieg und Fall der Kulturen, wobei er den Niedergang bedingt sah durch Rassenmischung. In der Musikgeschichte spielt Gobineau eine wichtige Rolle: In den letzten Lebensjahren hatte er Kontakt mit Richard Wagner und Bayreuth.

Bayreuth und die Alldeutschen passten Gobineaus Ideen an deutsche Verhältnisse und Bedürfnisse an. Da Deutschland kaum Kolonien besaß, hatte es nur sehr geringe Erfahrungen mit der schwarzen und gelben "Rasse". So wurden in Deutschland die Juden Zielscheibe des Rassismus. Man übertrug Gobineaus negative Vorstellungen der gelben und schwarzen Rasse auf die Juden.

In England behauptete der Anatom Robert Knox (1798-1862) in seinem Buch "Races of Men" (1850) zur gleichen Zeit wie Gobineau, aber unabhängig von ihm, dass Rasse das Fundament von Kultur sei. Für Knox gab es zwei überlegene Rassen: die Sachsen und die Slawen. Die Schwarzen verkörperten für ihn das unterste Ende der Rangskala, er hielt sie für nicht kultivierbar. Die Hauptströmung des Rassismus konzentrierte sich in der Kolonialmacht England auf die Schwarzen, mit denen man viel Kontakt hatte.

Den wichtigsten englischen Beitrag zur Rassentheorie leistete der Darwinimus. Charles Darwin selbst war kein Rassist, aber seine Vorstellungen von der "natürlichen Auslese" und dem "Überleben des Tüchtigsten" wurden von Rassentheoretikern aufgenommen. Sie vereinfachten Darwins komplizierte Lehre und übertrugen das, was ihnen darin nützlich erschien, auf ihre Vorstellungen vom Kampf ums Überleben und der Auslese unter den Rassen. Das Gesunde und Starke sollten auch im menschlichen und staatlichen Zusammenleben dominieren.

Sir Francis Galton (1822-1911) gilt als der Begründer der Erbgesundheitslehre (Eugenik). Er forderte, dass die Sorge um wertvolle Nachkommenschaft zum zentralen Gegenstand nationaler Politik werde. Die Verfechter der Eugenik forderten u. a. die Sterilisation Kranker oder zumindest deren freiwilligen Verzicht auf die Ehe. Es wurden eugenische Gesellschaften gegründet, die die Vererbungslehre verbreiteten, um die Rasse zu verbessern. Die eugenische Bewegung blieb nicht auf England beschränkt, sondern verbreitete sich auch in anderen europäischen Ländern. Die Rassenlehre wurde wissenschaftlich anerkannt und fand Eingang in die Universitäten.

Seit ca. 1880 hatten in Deutschland Richard Wagner, Houston Stewart Chamberlain und Otto Weininger großen Einfluss auf den Rassismus. Chamberlain, ein britischer Kulturphilosoph und Schriftsteller, war verheiratet mit Wagners Tochter Eva. Chamberlains Hauptwerk war "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899). Chamberlain betrachtete die germanische Rasse als Retter der Menschen und als Erbe der Griechen und Römer in der Geschichte. Als den Hauptfeind der Arier betrachtete Chamberlain die Juden. Chamberlain lernte 1923 in Bayreuth Adolf Hitler kennen und war von ihm sehr beeindruckt. 1903 veröffentlichte Otto Weininger sein Buch "Geschlecht und Charakter", in dem Rasse und Sexualität aufeinander bezogen wurden. Weiningers Ideen wurden in vielen europäischen Ländern populär.

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