© JUNGE
FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de
39/02 20. September 2002
Der tote
Preuße
Das verkörperte Abbild des 20. Jahrhunderts: Vor hundert
Jahren wurde der Schriftsteller Ernst von Salomon geboren
von Markus Klein
Als "zu
menschlich für Hitler" - so charakterisierte Carl Zuckmayer Ernst
von Salomon in seinem Dossier über deutsche Künstler und
Intellektuelle 1943/44 im Exil für den amerikanischen Geheimdienst.
"Zu menschlich" ist sicher der falsche Begriff, aber wie anders
hätte Zuckmayer den amerikanischen Universalisten Salomons
Nominalismus verdeutlichen sollen?
Universalisten und Nominalisten sind nach Armin Mohlers
Definition antagonistische Menschentypen. Der Universalist glaubt,
daß der Wirklichkeit eine geistige Ordnung zugrunde liegt. Diese
kann er nicht nur durchschauen, sondern auch definieren und
formulieren. Er kann also auch seine Handlungen mit dieser
universalen Ordnung in Übereinstimmung bringen, sie somit gar
ordnungsphilosophisch und heilsgeschichtlich legitimieren. Der
Nominalist hingegen zeichnet sich dadurch aus, daß für ihn die
Allgemeinbegriffe dem Wirklichen durch den Menschen erst
nachträglich verliehen worden sind. Hinzu kommt, daß er weder den
Kampf als immer vermeidbar ansieht, noch ihn scheut, noch davor
zurückschreckt, seinen Gegner - den er durchaus schätzen kann - im
entscheidenden Falle zu vernichten. Keinesfalls jedoch (im
Unterschied zum Universalisten) würde er einen Gegner nurdeswegen
vernichten, weil dieser dem Glauben an eine andere geistige Ordnung
anhängt.
Wie sehr
die Amerikaner Universalisten sind, wird heute im Krieg gegen "das
Böse" auf der Welt deutlicher denn je. Wer wollte, konnte es jedoch
auch schon nach dem Zweiten Weltkrieg erkennen. Ernst von Salomon
war einer, der dies damals schon gesehen hat: "Ich schreibe jetzt,
weil ich eine Zeit überbrücken will, bis wieder die Möglichkeit
besteht, anständige Filme zu machen, und weil ich was gegen die
Amerikaner habe, und das muß heraus, sonst platze ich."
Heimat
bedeutete ihm nichts, Identität alles
Was dabei
herauskam, war "Der Fragebogen" von 1951, und er war ein Fanal.
Ernst von Salomon schrieb in ihm die Geschichte der ersten fünfzig
Jahre des 20. Jahrhunderts, das "Wie-es-gewesen"-ist, einen - im
Sinne Theodor Lessings - "Teppich, geknüpft aus Fäden aller Art".
Mit bitterbösem Zynismus führte er durch seine Ausführlichkeit den
Entnazifizierungsfragebogen der Amerikaner ad absurdum und setzte
gleichzeitig zum Kampf um die Nation nach der zweiten deutschen
Niederlage in jenem Jahrhundert an, den er schon nach der ersten so
vehement begonnen hatte.
Damals
schon hatte Ernst von Salomon auf sich aufmerksam gemacht, zunächst
durch Taten in den Reihen der "Phantasten der Tat", wie sie Herbert
Cysarz genannt hat, und seit 1930 durch eine Trilogie des deutschen
Nachkrieges. Nichts anderes hatte ihn hier schon zur Niederschrift
veranlaßt, als was ihn zum "Fragebogen" zwang: Die Suche nach der
eigenen Identität und die der Deutschen, die sich nur durch die
Erzählung finden lassen konnte - um sie hernach den
universalistischen Ansprüchen der Siegermächte
entgegenzusetzen.
Selbst wer
zur Zeit des "Neuen Nationalismus" noch um seine literarisch
verbrämten Paukenschläge herumgekommen war, den "Fragebogen" konnte
keiner umgehen. Er stand als Monument souveränen deutschen
Daseinsanspruches jeder ideologisch und geschichtsphilosophisch
hergeleiteten Geschichtsschreibung entgegen. Er demaskierte die
heilsgeschichtlich begründeten Legitimationen und die damit
einhergehende und durch Begriffsumbesetzung funktionalisierte
Pauschal- und Kausalgeschichtsschreibung. Ernst von Salomon
reklamierte so erfolgreich bis zu seinem Lebensende für sich, "Den
Deutschen" Stimme und damit Anspruch auf eigene Existenz zu
verleihen: "Heute bin ich ein Vertreter der fünften Zone, der
deutschen Zone, der Deutschen, die in der Zerstreuung leben wie die
Juden. Wollen Sie etwas davon wissen? Der - täuschen wir uns nicht -
weitaus größere Teil der Deutschen, der heute stumm ist, abwartend,
mißtrauisch, angegriffen, ohne sich verteidigen zu können, wo er
wirklich Verantwortung trug, kann nicht einfach als nichtexistent
betrachtet werden. Ich habe das Glück, nicht zu diesen zu gehören,
und von ihnen gehört zu werden."
Vor
nunmehr einhundert Jahren wurde Ernst von Salomon am 25. September
1902 im damals preußischen Kiel geboren. Was ihn prägte, war die
preußische Haltung, die Strenge gegen sich selbst, die preußischen
Tugenden, und nicht zuletzt der "Preußische Sozialismus". Um diesen
Staatsgeist Preußens drehte sich sein ganzes Leben; er war sein
Ziehvater, sein Mythos, sein Ziel, und nicht zuletzt sein Surrogat
für die zerstörte deutsche Identität. Heimat bedeutete ihm nichts,
Identität alles. Dazu trug neben dem Elternhaus vor allem seine
Erziehung im Königlich-Preußischen Kadetten-Vorkorps bei. Hier
lernten die Kadetten staatliche Tugenden, bis sie durch Erlaß der
alliierten Machthaber in Deutschland Ende 1918 in den tobenden
Bürgerkrieg hineingeworfen wurden.
Auf Seiten
der Sozialdemokraten in einem der von ihnen ins Leben gerufenen
Freikorps glaubte er, unter deren Parole "Kampf dem Bolschewismus"
den Staat zu schützen gegen internationalistische Bestrebungen. Die
gleichfalls staatsauflösenden Tendenzen des liberalen
Parteienstaates blieben den Freikorpskämpfern zunächst verborgen,
und so ließen sie sich zum ersten Male in diesem Jahrhundert zu
Zwecken mißbrauchen, die nicht die ihren waren, die ihrem
Staatsdenken geradezu konträr waren. Sie schlugen im Auftrag der
selbsternannten Regierung kommunistische Aufstände nieder, übten
Polizeiaktionen aus und wurden unwissentlich zu Parteigängern einer
ideologisch bestimmten Bürgerkriegspartei im Ringen um die Macht in
Deutschland. In Weimar jedoch, eingesetzt zum Schutze der
"Nationalversammlung", merkte von Salomon erstmals, daß er hier fehl
am Platze war.
Er
desertierte ins Baltikum, wo erstmals seit dem Kriege deutsche
Truppen wieder auf dem Vormarsch waren. Er glaubte Deutschland an
der Front zu finden, doch diese Front war keine deutsche: Die
deutschen Truppen kämpften im Auftrag der Engländer gegen die
Bolschewisten um die Sicherung des Nachkriegs-Status quo. Das
begriffen sie indes erst, als die Engländer ihnen ob ihrer Erfolge
in den Arm fielen und die deutsche Regierung sie fallen ließ und
ächtete. Da eskalierte ihr Idealismus und wurde zum Exzeß. Die
Anerkennung des Versailler Diktatfriedens machte sie innerlich frei.
Sie glaubten sich als die letzten Deutschen überhaupt, wurden
irregulär, kämpften und mordeten ohne Idee und ohne Ziel, bis sie
sich geschlagen und verbittert um die Jahreswende 1919/20 ins Reich
zurückziehen mußten. Hier aber erwartete sie Undank, Mißtrauen,
ideologischer Haß und die Auflösung. So kam es, daß sie sich Kapp
zur Verfügung stellten, der ohne Vorbereitung und völlig
unzulänglich zu putschen versuchte. Als in der Folge des
zwangsläufigen Scheiterns dieses Putsches die Gewerkschaften unter
kommunistischer und internationalistischer Parole erneut die Macht
in Deutschland zu übernehmen versuchten, ließ sich der Leutnant von
Salomon als Zeitfreiwilliger in den Reihen der Wehrmacht, die das
Ruhrgebiet "säuberte", erneut mißbrauchen.
Er
glaubte, Deutschland an der Front zu finden
Anschließend trieb es ihn in die in dem ihr zugedichteten
Rahmen nie existente "Organisation Consul" in dem Irrglauben, in
dieser geheimen Widerstands- und Terrororganisation gegen die
französischen Besatzer und gegen deutsche Kollaborateure die
Republik zu untergraben. Unterbrochen nur durch die Kämpfe um
Oberschlesien im Sommer 1921, wo die Franzosen durch die
Unterstützung Kongreßpolens versuchten, Deutschland auch vom Osten
her zu schwächen, verselbständigten sich diese Widerstandskämpfer
immer mehr und entglitten der Reichswehr. Enttäuscht und
desillusioniert über die Unzulänglichkeit des liberalen Staates
verrannten sie sich in die Idee, durch politische Morde zugleich die
Republik zu destabilisieren und die Grundlagen für eine "nationale
Revolution" zu legen.
Ihre
Aktionen gipfelten am 24. Juni 1922 im Mord an Walther Rathenau. In
dem Juden Rathenau, der doch eigentlich "von vornherein auf der
Seite seiner Gegner" stand (Harry Graf Kessler), hatten sie geglaubt
- und wurden darin unterstützt von skrupellosen und zumeist
deutsch-völkischen Parteipolitikern -, den einzig begnadeten
Vertreter des Liberalismus zu erkennen, der der Republik Stabilität
verleihen könnte und dies zum Schaden der Deutschen und zum Nutzen
des internationalen Wirtschaftsimperialismus mißbrauchen würde. Aber
eigentlich redeten sie sich nur etwas ein: "Es war die Demokratie,
es war die politische Begründung, die wir suchten. Wir suchten
welche - da war es, zum Beispiel - Erfüllungspolitik. Für uns war
der Krieg nicht aus, für uns war die Revolution nicht
beendet."
Zu der
Zeit, als Ernst von Salomon erkannt hatte, daß dies nicht nur ein
fataler und sträflicher Irrtum gewesen war, sondern daß er mit dem
Mord auch gegen sein eigenes Gesetz, das Preußentum, verstoßen
hatte, war es zu spät. Wegen Beihilfe zu Zuchthaus und Ehrverlust
verurteilt, war die Zelle gleichwohl fruchtbar für ihn geworden.
Hier hatte er sich gelöst von den völkischen und ideologischen
Verblendungen, hatte begonnen, zu sich selbst zu finden. Weihnachten
1927 aufgrund einer Amnestie freigelassen, stieß er unmittelbar in
Berlin in die Kreise des "Neuen Nationalismus" und geriet über
seinen Bruder Bruno in die revolutionär-romantische
Schleswig-Holsteinische Landvolkbewegung, der Hans Fallada in seinem
Roman "Bauern, Bonzen und Bomben" ein Denkmal gesetzt
hat.
Von
September bis Dezember 1929 deshalb in Moabit inhaftiert, schrieb
Ernst von Salomon unter hartnäckigem Zusetzen von Ernst Rowohlt, der
in Salomon den künftigen Erfolgsautor witterte, sein erstes Buch:
"Die Geächteten". Diese Autobiographie, "die zugleich so etwas wie
eine Selbstbiographie der ganzen Zeit ist" (Paul Fechter),
verdiente, wie Ernst Jünger in einer Besprechung schrieb, schon
deshalb gelesen zu werden, "weil es das Schicksal der wertvollsten
Schicht jener Jugend, die während des Krieges in Deutschland
heranwuchs, erfaßte."
Der zweite
Teil dieser Nachkriegstrilogie, die nahezu unlesbare und gleichwohl
brisant-interessante "Stadt", entstand 1932: "Die Stadt war ein
Versuch, eine Bestandsaufnahme, eine Übung literarischer Art, bei
der ich es auf ganz gewisse abseitige Probleme des Schreibens absah.
Der Stoff ist sicher interessant, doch ohne Verbindlichkeit für
mich; er diente mir nur zu einer Verschärfung aller
Fragestellungen." Und der dritte Teil, der Abschluß seines "Neuen
Nationalismus", der zugleich sein literarisch schönstes Werk werden
sollte, "Die Kadetten", war in der so andersartigen Wiener
Atmosphäre entstanden. Hier lernte von Salomon im Winter 1932/33 auf
Einladung Othmars Spanns dessen Austro-Universalismus kennen, um
sich darob seiner preußischen Herkunft und seines eigenen
Nominalismus' nur um so bewußter zu werden: "Alle großen Bewegungen
in der Welt, das Christentum wie der Humanismus, wie der Marxismus,
sie alle werden von einer Art Krankheit befallen, eine göttliche
Krankheit, der erhabenen Pest des ganzheitlichen Anspruchs. Das
macht die Dinge so einfach für den, der sich bekennen will, und so
schwer für den, der sie betrachtet. Ich, ich bin kein Bekenner, ich
bin ein leidenschaftlich beteiligter Betrachter. So wurde ich kein
Nationalsozialist, und so mußte ich mich von Othmar Spann
trennen."
Von
Salomon repräsentiert die Wirren seiner Zeit
Zurück in
Berlin, wo die NSDAP bemüht war, eine Stringenz zwischen sich und
den Freikorps zu apologetisieren, war es erneut von Salomons
vordringliches Anliegen, den Verfälschungen in der
Geschichtsschreibung des Nachkrieges entgegenzuwirken. So entstanden
seine beiden Bücher "Nahe Geschichte" und das monumentale "Buch vom
deutschen Freikorpskämpfer" als Korrektive nationalsozialistischer
Geschichtsklitterung. Als jedoch ernste Schwierigkeiten mit der
NSDAP entstanden, zog er sich aus Rücksicht auf seine jüdische
Lebensgefährtin, die er während des Dritten Reiches als seine
Ehefrau ausgab, aus allen kompromittierenden Kreisen, unter anderem
auch aus dem Kreis um Harro Schulze-Boysen, zurück und "emigrierte"
als Drehbuchautor zur UFA.
Der
Nationalsozialismus war für ihn - und Hitler voran - "der größte
Verfälscher der deutschen Geschichte". Salomons und der Deutschen
Dilemma aber bestand darin, daß der Krieg auch ein deutscher
Daseinskampf war und nicht nur rassenideologische Züge trug. So
mußten sie zwangsläufig wieder in die Phalanx der
nationalsozialistisch verfälschten deutschen Schicksalsgemeinschaft
einscheren. Erst 1944 sollte dieser Schulterschluß endgültig
aufbrechen.
Doch daß
die Sieger des Weltkrieges diese Verfälschung der deutschen Nation
und ihres Daseinsanspruches nur zu gerne aufgriffen und darüber die
deutsche Identität zu zerstören suchten, sollte Ernst von Salomon
nach seinem "automatic arrest" von Mai 1945 bis September 1946
unverzüglich zum Kampf um deutsches Subjektbewußtsein treiben. Schon
in amerikanischer Kriegsgefangenschaft war ihm klar geworden, daß
sich die Maßnahmen der Besatzungsmächte und ihrer deutschen
Handlanger "nicht gegen einen Angeklagten richtet, sondern gegen ein
Volk, dem bewiesen werden soll, daß es keine anständigen Menschen
hervorzubringen vermochte, und daß ihm zu dienen in jedem Falle
unanständig war." Dieses System aber empfand er als eines, "das eine
fatale Ähnlichkeit mit jenem hat, das zu bekämpfen diejenigen Leute
in der kleidsamen Uniform der Sieger in dieses Land gekommen sind".
Gerade die Sieger nämlich überschritten das Maß der von ihnen den
Deutschen auferlegten moralischen Beschränkungen weiter als jemals
zuvor. Salomons Reaktion darauf war eindeutig: "... niemand mag es
verargt werden, sich wohl zu hüten, mit einer Macht anzubinden,
welche so groß ist, daß sie es in sich erträgt, die Atombomben von
Hiroshima und Nagasaki unter der Begleitung des Chorals ‚Onward,
Christian Soldiers!' platzen zu lassen, ohne dabei selber zu
platzen."
Ab Juni
1947 reifte in Ernst von Salomon der Plan, seine und die Geschichte
der Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert niederzuschreiben und den
Deutschen als Lesern wie in einem Spiegel vorzuhalten. Über den
"Fragebogen" hinaus noch bemühte er sich um Überwindung der
ideologischen Weltbürgerkriegsfronten, die die Deutschen so
unmittelbar spalteten. Sein Engagement, u.a. in den Reihen der
aufkommenden und damals noch nicht eindeutig gesellschaftspolitisch
orientierten Friedensbewegung, im Demokratischen Kulturbund
Deutschland und für die Deutsche Friedens-Union brachte ihm jedoch
Urteile und Verurteilungen ein, die von Unverständnis strotzten. Von
"Nationalbolschewismus" über "Unverbesserlichkeit" bis hin zum
"German enemy of Germany" reichte die Spannweite der Urteile, und
immer wieder nahm ihn die eine oder die andere Partei in Beschlag,
berief sich auf ihn als Zeugen und Mitstreiter, während die andere
ihn verdammte.
Nur seine
tatsächliche Identität als unideologisch bestimmter Deutscher wollte
oder sollte nicht ins Bewußtsein gelangen. Die "Objektisierung" der
Deutschen durch eine alle Bereiche erfassende langfristige
Umerziehung war zu weitgehend, die Bereitschaft der besiegten und
individualisierten Einzelnen zum Identitätswechsel zu groß gewesen,
um Ernst von Salomon zu folgen. Sein Erfolg, auch der des
"Fragebogens", blieb ein literarischer.
Absolute
Toleranz gegen jede politische Idee
Sein
Versuch, die Staatsidee Preußens in seinem posthum veröffentlichten
Werk "Der tote Preuße" zu erklären und plausibel zu machen, wurde
aufgrund des nur zu einem Drittel fertiggestellten Torsos ein
Fehlschlag. Daß er sich als Schriftsteller und Drehbuchautor durch
Trivialitäten seinen Lebensunterhalt und den seiner 1948 gegründeten
Familie sichern mußte, wurde ihm zudem noch verübelt. Doch mit
Veröffentlichungen im Zusammenhang mit seiner Bemühung um deutsche
Selbstbehauptung war mit zunehmendem Alter der Bundesrepublik kein
Geld mehr zu verdienen. Je weiter die um die Jahrhundertwende
geborene Generation von der Bühne abtrat, desto geringer wurde der
Bedarf und das Verständnis für solche Bemühungen. Spätestens 1968
war Ernst von Salomon zum lebenden und unverstandenen Fossil
geworden - selbst für seine eigenen Nachkommen. Am 9. August 1972
starb er in Stöckte (Winsen/Luhe).
Ernst von
Salomon ist das verkörperte Abbild des 20. Jahrhunderts, ist
Exponent eines deutschen Geschichtsabschnitts, der - mit größerem
Abstand - dereinst erneut "die deutsche Romantik" genannt werden
könnte. Leidenschaftlich beteiligt an den vielschichtigen Abenteuern
seiner Zeit repräsentiert er die oft fatalen Wirren und Brüche, mit
denen die Deutschen in "seinem" Jahrhundert konfrontiert waren. Sein
Leben stellt subjektiv wie objektiv eine stellvertretende
Kontinuität dar, nämlich die der Deutschen in eben jener Zeit, die
so von Ideologien überfrachtet war. An ihm ist die Geschichte und
das wegen der dauernden Verfälschung zwangsläufige Scheitern der im
eigentlichen Sinne - um ihrer Identität willen - unideologischen
Deutschen in dieser Epoche nachzuvollziehen.
Salomons
auf Schiller zurückgehender Idealismus, sein Engagement für absolute
Toleranz gegen jede politische Idee macht ihn heute noch
interessant. Nach dem Zusammenbruch der ideologischen
Nachkriegsidentitäten, die die Deutschen so lange quer durch alle
Lager getrennt haben, ist ein Wiederentdeckung von Salomons in
Deutschland so begrüßenswert wie selten zuvor. Vielleicht könnten
die Deutschen über ihn endlich einen unideologischen Zugang zu ihrer
Geschichte und damit zu sich selbst finden.
zurück zu Ernst von Salomon
heim zu Es steht geschrieben
|