Darwin und die dogmatischen
Corona-Impfkreationisten

von Ulrich Kutschera* (Freie Welt, 18.3.2022)

Links und Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

Die am 17. März 2022 im Deutschen Bundestag abgelaufene Impfpflicht-Debatte war wieder ein Armutszeugnis für den biowissenschaftlichen Bildungsstand vieler Mitglieder dieses "Hohen Hauses": Charles Darwin, die Evolution und die Vermischung von Glaube und Wissen waren leider kaum präsent.

Seit einigen Tagen werde ich von einem Bibel-gläubigen Kritiker der naturalistischen Evolutionsbiologie mit der Behauptung konfrontiert, dass die "Auffassung, die Darwin'sche Evolutionstheorie könne den Ursprung der Arten wissenschaftlich erklären" durch das Beispiel "Bombardierkäfer" widerlegt sei. Diese Laufkäfer (Familie Carabidae) wären so komplex, dass eine Mutation wohl kaum deren Mehrkomponenten-Abwehrsystems hervor gebracht haben kann, lautet sinngemäß das "Argument" dieses bibeltreuen Kreationisten.

Personen wie der zitierte Herr haben, wie auch viele unserer politischen Entscheidungsträger, die Grundlagen der Biologie nicht verstanden. Als Charles Darwin (1809-1882) vor genau 150 Jahren die 6. und definitive Auflage seines Hauptwerks "The Origin of Species, 1872" in den Druck gab, war sein Fünf-Theorien System zur vorläufigen Erklärung des Artenwandels durch Variantenbildung und natürliche (plus sexuelle) Selektion noch ein relativ grobes, auf Fakten basierendes Hypothesen-Gebäude.

Biologen wussten nur wenig über die Prinzipien der Vererbung, der sexuellen Reproduktion usw., so dass sich der britische Naturforscher auf Analogien und vergleichende Beobachtungen stützen musste. Die erst ca. 1940 in den USA entstandene Evolutionsbiologie, ein Theorien-System zur Erklärung des Verlaufs und der Antriebskräfte des Artenwandels, basiert auf den 5 Thesen von Darwin 1872, geht aber über diese Anfänge weit hinaus.

Genau wie z.B. die Pharmakologie (Arzneimittellehre), heute der Analyse der Interaktionen zwischen Arzneistoffen und Organismus verpflichtet, nicht alle Wirk-Ketten erklären kann, gibt es auch in der Evolutionsbiologie noch viele offene Fragen. Pharmakologen wissen, dass Arzneistoffe im Körper wirken, Evolutionsforscher sind sich darüber einig, dass sich die Arten im Verlaufe der Erdgeschichte verändert haben.

Die Tatsache, dass die zahlreichen Nebenwirkungen der sogenannten "mRNA-Impfstoffe" - deren Hauptwirkung bestenfalls in einer Abmilderung eines schweren Covid-19 -Krankheitsverlaufs besteht - erst nach und nach entdeckt werden, macht die Pharmakologie nicht zur Pseudowissenschaft. Ebensowenig ist die in Details noch nicht entschlüsselte stammesgeschichtliche Herausbildung des Abwehrsystems der Bombardierkäfer eine "Widerlegung" der auf tausenden an Büchern und Fachpublikationen basierenden Wissenschaftsdisziplin Evolutionsbiologie.

Genau wie die Evolutionsbiologie ist die Pharmakologie eine ergebnisoffene Wissenschaft, d.h sie funktioniert nach dem Darwin'schen Prinzip der Trennung zwischen Glaube und Wissen.

Diese 150 Jahre alte Erkenntnis wurde gestern bei vielen Pro-Impf-Rednern im Deutschen Bundestag ignoriert. Mit religiöser Inbrunst wurden von gewissen "Links-Grünen" Impf-Aktivisten Fakten verdreht, ignoriert oder pervertiert, so dass ich den Eindruck habe, hier hätten gläubige Kreationisten gepredigt. Viele politisch "denkende" Impf-Kreationisten sind Anhänger der sozialkonstruktivistischen Gender-Irrlehre, die an eine gesellschaftliche "Konstruktion" der Geschlechter-Unterschiede glaubt - unter Ignorieren der evolutionär heraus gebildeten Mann-Frau-Unterschiede (Begründung siehe hier).

Diese Ideologen sind oft nicht in der Lage, objektive Fakten von ihrer inneren Glaubensüberzeugung zu trennen, und sollten daher erst einmal einen Intensivkurs zu den Prinzipien der biowissenschaftlichen Denk- und Argumentationsweise absolvieren.

Die argumentative Zurückdrängung des sich ausbreitenden Impf-Kreationismus, d.h. das Fakten-resistente Predigen einer gefühlten Glaubens-Wahrheit von angeblich nebenwirkungs-freien, Ansteckungen-verhindernden Corona-mRNA-"Impfstoffen" ist eine Pflicht für alle Demokraten. Nur eine kleine, gesellschaftlich geächtete Alternativ-Fraktion hat derzeit die "Brainpower" und den Mut, hier gegen zu steuern, was sich hoffentlich noch ändern wird.

Politische Entscheidungen zur Vakzination usw. müssen auf rationaler Basis gefällt werden, denn der Glaube gehört in die Kirchen (und die Sekten-Verbände), nicht aber in den Deutschen Bundestag!


*Dr. Ulrich Kutschera, Professor of Biology
Academic Advisor & Manager: Project W. R. Briggs/Stanford-019
I-Cultiver, Inc., San Francisco Bay Area, Tracy, CA 95376, USA
The Systems Biology Group, Inc., Palo Alto, CA 94306, USA
AK Evolutionsbiologie, 79104 Freiburg i. Br., Germany
www.evolutionsbiologen.de


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