GISELA BONN
Gisela Bonn-Wirsing
(1909 - 1996)

[Gisela Bonn]

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
LÜGEN HABEN SCHÖNE BEINE
Wenn Frauen eine Reise tun . . .

Gisela Bonn stammt nicht aus der Stadt am Rhein, nach der sie heißt, sondern aus Erfurt, und eigentlich paßt das auch besser zu ihr - sie hat Dikigoros immer irgendwie an Margot Honecker erinnert. Dabei war ihr politischer Hintergrund (und der ihres Ehemannes Max "Giselher" Wirsing) alles andere als sozialistisch - im Gegenteil. Ein dezidiertes Christentum verband sich mit einem ebenso dezidierten Antisemitismus, und aus der gemeinsamen Frontstellung gegen die Juden erwuchs eine tiefe Freundschaft mit dem Islam und eine tiefe Feindschaft gegen die Angelsachsen. (Giselher Wirsing war der Verfasser des berühmt-berüchtigten Anti-Amerika-Buches "Der maßlose Kontinent", das im Zweiten Weltkrieg hohe Auflagen erzielte. Die USA wurden seinerzeit von Roosevelt und einer überwiegend jüdischen Administration regiert.) Auf Reisen nach Palästina und Indien festigte sich der politische Standpunkt der Eheleute, und so lag es nahe, daß sie für die Befreiung Indiens vom britischen Kolonialjoch eintraten - aber im Sinne der Muslim-Liga. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfaßte Gisela Bonn zusammen mit ihrem Ehemann - der inzwischen Chef-Redakteur der Zeitschrift "Christ und Welt" geworden war - ihr erstes Buch über "Indien". (Es war genauso betitelt; spätere Auflagen erschienen unter dem Titel "Neues Licht aus Indien" - ohne viel neues über Indien zu bringen, geschweige denn Licht.) Danach schrieb sie ein ebenso oberflächlich-optimistisches Buch über den schwarzen Kontinent: "Afrika verläßt den Busch" - das war Mitte der 1960er Jahre, als naïve Leute, die auf ihren Reisen die rosarote Brille aufgesetzt hatten, noch glaubten, nach der Entlassung aus europäischer Kolonialherrschaft würde es mit Afrika nicht bergab, sondern bergauf gehen. Ihr nächstes Buch hieß: "Neue Welt am Nil. Tagebuchblätter einer Reise nach Ägypten und dem Sudan." (Leni Riefenstahl scheint sie dort aber nicht getroffen zu haben, jedenfalls erwähnen die beiden Autorinnen einander mit keinem Wort.) 1968, als die albernen Studenten-Krawalle ausbrachen (die einige heute im Rückblick als "Revolution" verherrlichen) und sich von der University of California at Berkeley und der Université de Sorbonne à Paris über die ganze westliche Welt auszubreiten begannen, verfaßte sie aktuell "Unter Hippies" über die Leistungsverweigerer und "Blumenkinder" von Kalifornien. Im selben Jahr entstand eine peinlich lobhudelnde Biografie des Negerhäuptlings Leopold Sedar Senghor - im Untertitel feiert Bonn ihn allen Ernstes (?) als "Wegbereiter der Culture Universelle" (die es bekanntlich nicht gibt; universell ist allein die Unkultur, die aus den gescheiterten Versuchen resultiert, mehrere Kulturen zusammen zu mixen; Senghor selber sah sich vielmehr als Wegbereiter der "négritude", des Negertums). Dann warf sie noch einen "Blick hinter den Schleier" von Marokko, bevor sie sich ganz auf Asien verlegte: Sie wurde Chef-Redakteurin des Vierteljahresblatts "IndoAsia" und schrieb nebenbei - wieder zusammen mit ihrem Mann - einen "Indien-Reiseführer".

Inzwischen ließ sich der Anti-Amerikanismus der National-Sozialisten fast nahtlos, wenn auch unter anderem Vorzeichen, in den Anti-Amerikanismus der Kommunisten überführen. Und in Indien, das sich außenpolitisch immer mehr an die Sowjetunion anlehnte und sich auch innenpolitisch zunehmend als "links" verstand, ließ sich die alte Feindschaft gegen Großbritannien in eine neue Feindschaft gegen die USA überführen - was nie ausschloß, mit Deutschland gut Freund zu sein. (Dikigoros ist sich seit seinen eigenen Reisen nach Indien durchaus bewußt, daß ein Großteil der Sympathien der Inder für Deutschland darauf beruht, daß die Deutschen zwei Weltkriege gegen die Angelsachsen geführt haben, davon einen unter der Flagge mit dem alten indischen Heilszeichen, dem Swastik.) 1985 überarbeitete sie ihr Indienbuch und änderte auch den Titel - in "Die indische Herausforderung". (Die Anlehnung an "Le défi américain" [Die amerikanische Herausforderung] von Jean-Jacques Servan-Schreiber ["JJSS"] war offensichtlich.) Worin diese Herausforderung bestehen soll, bleibt dem Leser bis zuletzt unklar, wenn nicht in der dreisten Herausforderung seiner selbst durch die Autorin: Nach fast drei Jahrzehnten tischt sie ihm noch einmal die ollen Kamellen ihrer Erlebnisse von 1957 auf. (So wie auch ihr Mann Giselher Wirsing 1968 in seinem letzten Indien-Buch wieder in erster Linie von seiner Begegnung mit Subhash Chandr Bosh anno 1941 berichtet hatte - die nun wirklich niemanden mehr interessierte.) Ach was, wenn es denn noch Erlebnisse wären! Aber was sie da beschreibt ist merkwürdig blutleer - es fehlt an dem, was Indien so interessant und zu einer echten Herausforderung macht: die Begegnung mit den Menschen. Gewiß, sie berichtet ausführlich von ihrer Begegnung mit Nehrū. Der hatte sie eingeladen (d.h. sie selber und ihren Mann, den sie in ihrem Buch nie erwähnt - während Giselher Wirsing z.T. die selben Treffen beschreibt und dabei nie vergißt, seine Frau zu erwähnen -, als ob Nehrū einen derartigen Bruch der Etikette begangen hätte, eine verheiratete Frau ohne ihren Ehemann bei sich privat zu empfangen!), nachdem er sie 1956 bei einem Staatsbesuch in der BRD kennen gelernt hatte - und rühmt sich seiner Freundschaft (und der mit seiner Tochter Indirā Gāndhī). Sie vergaß freilich zu erwähnen (vielleicht wußte sie es auch nicht), daß Inder - auch "höher gestellte" Persönlichkeiten - ihre Freundschaft recht großzügig allen ausländischen Besuchern angedeihen lassen, von denen sie annehmen, daß sie Indien wohl gesonnen sind und sich für seine Kultur, Geschichte usw. interessieren. (Bonn hat im Anhang einen ziemlich dünnen, um nicht zu sagen dürren Brief Indirās an sie abgedruckt, aus dem Dikigoros nach seinen persönlichen Indien-Erfahrungen schließt, daß die Freundschaft nicht allzu tief gewesen sein kann.)

Aber sonst? Gisela Bonn reiste im Lande umher und besuchte die großen Sehenswürdigkeiten in Aurangābād, Ajantā, Elūrā, Gwāliyar, Khajurāho, Āgrā, Fatähpur Sikrī und Dillī - alles Orte, an denen es auch von einheimischen Besuchern nur so zu wimmeln pflegt; aber sie erwähnt sie mit keinem Wort, jedenfalls erfährt der Leser von keinem Wort, das sie mit irgendeinem von ihnen gewechselt hätte. Wohlgemerkt: Sie referiert brav die Geschichte Indiens im allgemeinen und jener Sehenswürdigkeiten im Besonderen - aber die kann man in jedem besseren Geschichtsbuch nachlesen. Sie verrät auch ein hohes Verständnis für Architektur, Plastik und Kunst, das durchaus über das gewisser Verfasser von Reiseführern hinaus geht. (Sie ist z.B. die einzige, die Dikigoros' Auffassung teilt - von deren Richtigkeit er felsenfest überzeugt ist -, daß die Bilder an den Tempeln von Khajurāho eine durchgehende Geschichte wiedergeben, also so etwas wie der erste in Stein geschlagene Comic strip sind; und sie scheint die einzige deutschsprachige Autorin zu sein, die sich je Gedanken über die Etymologie von Khajurāho gemacht hat: es kommt von den khajūre, den Dattelpalmen, die dort in der Gegend wachsen.) Es ist bezeichnend, daß ihr die toten Gemäuer von Fatähpur [Siegburg] Sikrī besonders imponieren - und daß sie wiederum brav die Geschichte von Akbar und Sheik Sälim, dem Sufi-Mystiker, von dem nicht einmal Annemarie Schimmel, die doch sonst so ein großer Fan dieser Denkrichtung war, gewußt zu haben scheint. Natürlich bewunderte sie auch den toten Marmor des Tāj Mähäl - wie fast alle Frauen, denen man das Märchen von der großen Liebe Shah Jahans zu seiner Nebenfrau Mumtaz erzählt. Was sie 1957 noch nicht wissen konnte, aber 1985 zumindest hätte anreißen, wenn schon nicht ausdiskutieren müssen, war die damals gerade hoch aktuelle - und in indischen Fachkreisen hitzig diskutierte - Frage, ob dieser Palast nicht nur der Umbau eines alten Hindū-Tempels war. Aber das hätte womöglich ihre hohe Meinung von den großen Muģalen in Frage gestellt - und das wollte sie offenbar nicht...

Es folgen langatmige Ausführungen über Nehrū, seine Biografie und Weltanschauung, und über seine Erb[inn]en, nicht nur seine Tochter Indirā, sondern auch über deren Söhne Sanjay und Rājiw sowie Rājiwas Frau Sonia, der man knapp zwei Jahrzehnte später trotz gewonnener Parlamentswahlen den Zugang zum Amt der Ministerpräsidentin mit Morddrohungen unter dem Hinweis, daß sie keine "echte" Inderin - sondern gebürtige Italienerin - und keine gebürtige Hinduïstin - sondern nur eine vom Katholizismus konvertierte - sei, verwehren sollte. [Daß auch ihre Schwiegermutter keine Hindū - sondern eine Parsin - gewesen war, daß sie besser Hindī sprach als Indirā und Jwārhalāl Nehrū zusammen, und daß an ihrer Stelle nicht etwa ein "richtiger" Hindū, sondern vielmehr ein Sikh Premierminister wurde, sollte alles nicht zählen.] (Ab der 2. Auflage sollte der Verlag den irreführenden Untertitel "Eine Begegnung mit Indien" treffend durch "Die Geschichte der Dynastie Gandhi bis heute" ersetzen.) Und schließlich trägt Gisela Bonn brav die Geschichte Indiens bis 1985 nach - aber das ist nicht mehr, als jeder interessierte Leser einer Tageszeitung auch von Deutschland aus hätte erfahren können. Ihr - unkommentiertes - Fazit aus dem Munde Nehrūs: "Indien ist das Land der Widersprüche und Kontraste schlechthin." Darf Dikigoros das an ihrer Stelle kommentieren? Glücklich ein Land, über das man so etwas im Zeitalter der Gleichschaltung und Gleichmacherei noch mit Recht schreiben kann!

1992 veröffentlichte Gisela Bonn eine peinlich oberflächliche Biografie über Jwāharlāl Nehrū ("Nehru. Annäherungen an einen Staatsmann und Philosophen" - so ein langer Titel für so ein dünnes Heftchen von gerade mal 166 Seiten!) Aber das war eigentlich nicht mehr als eine leicht erweiterte Fassung des Nehrū gewidmeten Kapitels in "Die indische Herausforderung", die ohnehin niemand las. Viel wichtiger war, daß unter Gisela Bonns Regie "IndoAsia" zur Plattform für all jene wurde, die der Welt weis machen wollten, daß am islamischen Wesen dereinst die indische Welt genesen sollte - wie z.B. für ihre Freundin Annemarie Schimmel. Für sie lag das "wahre" Indien am Indus und am Brahmaputra, also in den islamischen Staaten Pakistan und Bangla Desh - und allenfalls noch im Muslim-Gürtel entlang des Ganges. Auch sie wurde für ihr Geschreibsel zur Professorin gemacht - als Quotenfrau, aber immerhin. Als sie 1996 starb, erging es "IndoAsia" wie einst der "UZ" und anderen Erzeugnissen des "Pahl-Rugenstein-Verlags" beim Ableben der DDR: es wurde mit ihr zu Grabe getragen.


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