Glücklicher Zufall - oder Planung?

Was die Flucht der NATO aus Afghanistan
mit dem Ukraine-Konflikt zu tun hat

von Thomas Röper (Anti-Spiegel, 06.01.2023)

leicht gekürzt von Nikolas Dikigoros

Wären die USA und die NATO noch im Krieg in Afghanistan, könnte die Ukraine nicht in der Form unterstützt werden, wie es derzeit geschieht. Da die Flucht der NATO aus Afghanistan und die Provokation des Ukraine-Konfliktes nur wenige Monate auseinander liegen, drängen sich Fragen auf.

Dass die USA Russland spätestens Ende 2021 so sehr in die Ecke gedrängt haben, dass Russland aus seiner Sicht keine andere Wahl mehr hatte, als seine Sicherheit mit Gewalt zu verteidigen, habe ich schon oft aufgezeigt. Am Ende dieses Artikels werde ich die Chronologie der Ereignisse zur Erinnerung noch einmal aufführen.

Vorher wollen wir uns jedoch anschauen, wie die Flucht aus Afghanistan in das Bild passt, denn die NATO ist nur wenige Monate vor der Eskalation in der Ukraine aus Afghanistan geflohen. Dass das Eine mit dem Anderen zu tun hat (oder haben könnte), kann man an einer aktuellen Erklärung von Jake Sullivan, dem Nationaler Sicherheitsberater des Weißen Hauses, erkennen. Die russische Nachrichtenagentur TASS berichtet über ein Interview, dass Sullivan der Washington Post gegeben hat:

"Die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, die US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen, hat es Washington erleichtert, Kiew zu helfen, da die USA sonst durch russische Aktionen in der Region verwundbar wären. [...] Wenn wir noch in Afghanistan kämpfen würden, wäre das ein hervorragendes Ziel für Russland."

Die Flucht aus Afghanistan

Die Meldungen über die Flucht der USA und der NATO aus Afghanistan im August 2021 waren schockierend, und nicht wenige fragten sich, wie es dazu kommen konnte. Ja, die Taliban waren erfahrene Partisanen, die den USA und der NATO schwer zusetzen konnten, aber sie waren den USA nicht so überlegen, dass sie einfach so den größten Teil Afghanistans erobern konnten. Man konnte das also nur so verstehen, dass die USA entweder schwere Fehler begangen hatten oder dass die USA den Vormarsch der Taliban geschehen ließen. Offensichtlich war letzteres der Fall, wie die Ereignisse in 2021 zeigen.

US-Präsident Biden trat sein Amt Ende Januar 2021 an, und schon Mitte April 2021 verkündete er, den Abzug aller US-Truppen aus Afghanistan vom 1. Mai bis zum 11. September 2021 angeordnet zu haben und damit den Krieg in Afghanistan beenden zu wollen. Der Beschluss wurde an keine Bedingungen bezüglich der Sicherheitslage vor Ort oder die Erfüllung der Anforderungen des von den Taliban und der Trump-Regierung ausgehandelten Friedensabkommens geknüpft.

Das ist wichtig, denn es bedeutet, dass die Biden-Regierung im April 2021 beschlossen hat, Afghanistan schnell und um jeden Preis und ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen zu verlassen. Das war für die Taliban eine Einladung zum Vorrücken, und das taten sie auch. Der Widerstand der pro-westlichen afghanischen Regierungstruppen brach zusammen, und die Taliban führten - weitgehend unbehindert von den USA - einen Blitzkrieg, der mit der Einnahme Kabuls im August 2021 [...] endete.

Übrigens zeigten die Ereignisse damals sehr deutlich, dass die NATO-Staaten für die USA nur Vasallen sind, die man nicht zu Rate ziehen muss. Die Biden-Regierung hat ihre Entscheidung getroffen, ohne die NATO-"Partner" zu konsultieren. Die NATO-Staaten durften die US-Entscheidung zum Abzug aus Afghanistan danach nur noch abnicken, denn eine andere Wahl hatten sie nicht.

Afghanistan wurde gefährlich für die USA

Wenn wir annehmen (und darauf deutet alles hin), dass die USA den Ukraine-Konflikt provozieren wollten, um Russland zu schwächen (das ist nun mal die zynische, geopolitische Logik von Stellvertreterkriegen), dann mussten sie den Afghanistan-Krieg vorher beenden. Die Versorgung der NATO-Truppen in Afghanistan war ohnehin schon schwierig genug, sie wäre ungleich schwieriger geworden, wenn die westlichen Sanktionen (inklusive z.B. der gegenseitigen Sperrung der Lufträume) während des Afghanistan-Krieges erlassen worden wären.

Die Taliban sind in Russland zwar als Terrororganisation verboten, aber Russland hatte - genauso, wie die USA, die mit den Taliban sogar Friedensverhandlungen geführt hatten - natürlich Kontakte zu den Taliban. Wenn der Ukraine-Konflikt eskaliert wäre, während die US- und die NATO-Truppen noch in Afghanistan gewesen wären, und die NATO die Ukraine massiv mit Waffen unterstützt hätte, um so viele russische Soldaten wie möglich zu töten - wer kann in so einem Fall ausschließen, dass Russland im Gegenzug die Taliban gegen die NATO-Truppen in Afghanistan unterstützt hätte?

Das hat die USA verwundbar gemacht, daher mussten die USA, wenn sie in der Ukraine eskalieren wollten, zuerst aus Afghanistan abziehen. Das würde auch die Eile und die absolute Bedingungslosigkeit des US-Abzugs aus Afghanistan erklären, der am Ende zu einer regelrechten Flucht und bedingungslosen Kapitulation vor den Taliban wurde.

Krieg ist ein Geschäft

Hinzu kommt [...], dass Krieg immer in erster Linie vor allem eines ist: ein sehr lukratives Geschäft. Das galt vor allem für den Afghanistan-Krieg. US-Präsident Biden sagte nach dem amerikanischen Abzug aus Afghanistan, um den Amerikanern den blamablen Abzug irgendwie zu erklären:

"Mehr als zwei Billionen Dollar wurden in Afghanistan ausgegeben. Forscher der Brown University haben errechnet, dass es sich dabei um 300 Millionen Dollar pro Tag über 20 Jahre handelt. Ja, das amerikanische Volk muss das hören: 300 Millionen Dollar pro Tag für zwei Jahrzehnte. Wenn wir die Zahl von einer Billion Dollar nehmen, die von vielen genannt wird, sind das immer noch 150 Millionen Dollar pro Tag für zwei Jahrzehnte." Wo all das Geld hingegangen ist, weiß niemand. Die Korruption im Pentagon ist offenbar beispiellos, das konnte man in Afghanistan deutlich sehen. Irgendwer hat sich an dem Krieg gehörig die Taschen vollgemacht, aber jeder Versuch, das aufzuklären, wird in den USA behindert. Unter von der miserablen Buchführung im Pentagon, das beim letzten Audit 61% seiner Aktiva nicht auffinden konnte. Das ist kein Scherz, Details dazu finden Sie hier.

Biden selbst konnte nichtmal die Summe nennen, die die USA in Afghanistan versenkt haben. War es eine Billion Dollar? Oder doch zwei Billionen Dollar? Das zeigt, wie das Pentagon arbeitet und wie unkontrolliert die Gelder des Pentagon in vielen schwarzen Löchern verschwinden.

Sicher ist, dass das Geld an US-Konzerne geht - seien es Rüstungskonzerne, private Sölderfirmen wie Academi (ehemals Blackwater), alle möglichen Beratungsfirmen, Logistik-Unternehmen, Baukonzerne und so weiter. Immerhin hat das Pentagon in Afghanistan beispielsweise die teuerste Tankstelle der Welt gebaut, sie hat 43 Millionen anstatt 500.000 Dollar gekostet.

Und das Spiel wiederholt sich nun in der Ukraine. Auch dort gibt es keinerlei Kontrolle über die Verwendung der Gelder und Waffen, die nach Kiew gehen. Sogar die Größenordnung ist die gleiche, denn 2022 haben die USA Kiew mit etwa 50 Milliarden Dollar unterstützt, das sind etwa 240 Millionen Dollar für jeden Tag vom 24. Februar bis 31. Dezember. Die US-Konzerne verdienen also weiterhin ihr Geld, auch wenn die Goldgrube Afghanistan geschlossen wurde.

Nun heißt die Goldgrube eben Ukraine.

Glücklicher Zufall oder Planung?

Unbestritten ist: Um die aktuelle Unterstützung der Ukraine möglich zu machen, musste der Afghanistan-Einsatz beendet werden. Zwei so teure Konflikte gleichzeitig können sich die USA und die NATO nicht leisten. Von der möglichen militärischen Gefahr für die US- und NATO-Truppen in Afghanistan im Falle einer russischen Unterstützung der Taliban im Gegenzug für die Unterstützung der Ukraine durch die NATO gar nicht zu reden.

Das sind Fakten. Die Frage ist nur, ob es ein Zufall war, dass der Afghanistan-Krieg nur ein halbes Jahr vor der Eskalation in der Ukraine beendet wurde, oder ob die Biden-Regierung die Eskalation in der Ukraine geplant hatte und Afghanistan daher so überstürzt verlassen musste.

Glücklicher Zufall oder Planung? Diese Frage muss jeder für sich beantworten.

Die Chronologie der Eskalation

Nun will ich zur Erinnerung noch einmal die Chronologie der Eskalation in der Ukraine aufzeigen, wobei ich die Schlüssel-Ereignisse des übereilten Abzuges aus Afhganistan zur Veranschaulichung in die Chronologie einbaue.

Anfang Dezember 2019 fand der letzte Normandie-Gipfel in Paris statt. Selensky kam danach zurück nach Kiew und verkündete seinen Leuten hinter verschlossenen Türen, dass er das Abkommen von Minsk nicht umsetzen wird. Allen Beteiligten in der Ukraine war damit klar, dass ein Krieg mit Russland unvermeidbar geworden war, und Kiew begann mit konkreten Kriegsvorbereitungen. Das hat der Chef des ukrainischen Sicherheitsrates, Alexej Danilow, im August 2022 in einem Interview offen erzählt.

Im Januar 2021 wurde Joe Biden US-Präsident. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Trump, der keine Eskalation in der Ukraine wollte, gab Biden Selensky grünes Licht. Daraufhin begann Selensky im Februar 2021 gegen die Opposition vorzugehen, woraufhin der Chef der größten Oppositionspartei unter Hausarrest gestellt und alle oppositionellen Medien wurden verboten wurden.

Im März 2021 setzte Selensky die neue Militärdoktrin der Ukraine in Kraft, in der ein Krieg mit Russland mit dem Ziel festgeschrieben wurde, die Krim gewaltsam zurückzuerobern und den Konflikt im Donbass gewaltsam zu entscheiden.

Mitte April 2021 verkündete die Biden-Regierung den Abzug aus Afghanistan bis zum 11. September.

Im April und Mai 2021 stand die Ukraine kurz vor einem Krieg mit Russland, wurde aber von den USA noch einmal zurückgepfiffen. War der Grund, dass die US-Truppen noch in Afghanistan und damit verwundbar waren?

Mitte Juni 2021 fand ein Gipfeltreffen der Präsidenten Putin und Biden statt, bei dem es aber keine Annäherung gab.

Im August 2021 fand die überstürzte Flucht der NATO- und US-Truppen aus Afghanistan statt.

Während Kiew die Situation im Donbass ab Ende 2021 wieder eskaliert hat und die NATO ihre Truppenpräsenz in der Ukraine unter dem Vorwand von Manövern und Ausbildungsmissionen erhöht hat, haben Deutschland und Frankreich das Minsker Abkommen im November 2021 offiziell beerdigt.

Die Russland-Sanktionen wurden, wie Politico im Oktober 2022 berichtet hat, bereits mindestens ab November 2021 in Gesprächen zwischen Washington und Brüssel vorbereitet. Das war drei Monate vor dem Beginn der russischen Intervention in der Ukraine und just zu dem Zeitpunkt, als Berlin und Paris das Minsker Abkommen beerdigt haben. Dass die Abkehr vom Minsker Abkommen zum Krieg in der Ukraine führen würde, war den Entscheidungsträgern in Washington und Brüssel (und wahrscheinlich auch in Berlin und Paris) also offenbar klar, weshalb sie parallel die entsprechenden Sanktionen vorbereitet haben. Afghanistan war Vergangenheit, und damit hatten die USA die Hände frei für einen neuen teuren Konflikt.

Im Dezember 2021 forderte Russland von den USA und der NATO ultimativ gegenseitige Sicherheitsgarantien und den Abzug der NATO-Truppen aus der Ukraine und erklärte, dass es im Falle einer Ablehnung gegenseitiger Sicherheitsgarantien gezwungen sei, „militärtechnisch“ zu reagieren. Damit war klar, dass Russland auf weitere Bestrebungen, die Ukraine in die NATO zu ziehen, militärisch reagieren würde. Das war der Moment, in dem allen verantwortlichen Politikern bewusst war, dass eine Ablehnung von Verhandlungen mit Russland zu einem Krieg in der Ukraine führen würde. Der Krieg und all das Elend hätte verhindert werden können, wenn die USA bereit gewesen wären, einen neutralen Status der Ukraine dauerhaft zu garantieren.

Am 8. Januar 2022 wurde Scott Miller zum US-Botschafter in der Schweiz berufen. In einem Interview vom November 2022 erzählte er ganz offen, dass die USA „Geheimdienstinformationen über die Invasion“ gehabt hätten und er diese sofort, also Anfang Januar 2022, der Schweizer Regierung gezeigt hätte. Da die Gespräche zwischen Russland und den USA über die Frage, ob es zu Verhandlungen über die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien kommen würde, zu diesem Zeitpunkt noch liefen, belegt die Aussage von Miller, dass die USA bereits beschlossen hatten, nicht in Verhandlungen einzutreten und sich der Folgen, nämlich der russischen Intervention in der Ukraine, in vollem Umfang bewusst waren. Miller bestätigte damit außerdem indirekt den Bericht von Politico, dass die Sanktionen schon Monate vorher ausgearbeitet wurden, was Bundeskanzler Scholz und andere westliche Politiker später auch bestätigt haben, als sie sagten, dass die Russland-Sanktionen „von langer Hand vorbereitet“ waren.

Ende Januar 2022 wurde in den USA das Lend-Lease-Gesetz für die Ukraine eingebracht, über das bei seiner Einreichung in den Kongress geschrieben wurde:

"Mit diesem Gesetzentwurf wird vorübergehend auf bestimmte Anforderungen im Zusammenhang mit der Befugnis des Präsidenten, Verteidigungsgüter zu verleihen oder zu leasen, verzichtet, wenn die Verteidigungsgüter für die ukrainische Regierung bestimmt sind und zum Schutz der Zivilbevölkerung in der Ukraine vor der russischen Militärinvasion erforderlich sind“ Das bestätigt ein weiteres Mal, dass die USA sich bereits auf den Krieg vorbereitet haben, während sie offiziell noch immer mit Russland über mögliche Verhandlungen über gegenseitige Sicherheitsgarantien gesprochen haben, denn das Gesetz zur Unterstützung der Ukraine gegen die „russische Militärinvasion“ wurde einen Monat vor der russischen Intervention in den Kongress eingebracht.

Fast gleichzeitig mit der Einreichung des Gesetzes haben die USA und die NATO Ende Januar 2022 die von Russland vorgeschlagenen Verhandlungen über gegenseitige Sicherheitsgarantien abgelehnt, wohl wissend, dass Russland darauf militärisch reagieren würde.

Am 19. Februar 2022 hat Selensky auf der Münchner Sicherheitskonferenz unter dem Applaus hochrangiger westlicher Zuhörer die atomare Bewaffnung der Ukraine angedroht. Damit war das russische Eingreifen nicht mehr zu verhindern, denn dass sich die Ukraine, die in ihrer Militärdoktrin offen einen Krieg gegen Russland vorbereitet hat, sich dazu auch noch mit Rückendeckung des Westens nuklear bewaffnen könnte, war für Russland eine inakzeptable Bedrohung der eigenen Sicherheit.

Am 21. Februar 2022 [...] hat Putin die Donbass-Republiken anerkannt und Beistandsabkommen mit ihnen geschlossen. In seiner Rede dazu hat Putin Kiew deutlich vor den Folgen einer weiteren Eskalation gewarnt. Kiew hat den Beschuss auf zivile Ziele im Donbass danach aber noch einmal demonstrativ erhöht.

Am 24. Februar hat Putin in einer weiteren Rede den Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine verkündet.

Die Ereignisse rund um Afghanistan fügen sich sehr stimmig in die Geschichte ein. Bleibt die Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss: War das nur ein glücklicher Zufall für die USA, oder haben die USA das so geplant?


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