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Interview mit Robert Steuckers
"Vitales Denken ist inkorrekt"
Jürgen Hatzenbichler
In
diesem Jahr haben wir das 30jährige Jubiläum der 68er Revolte. Welchen Stellenwert hat
die Neue Linke heute für einen rechten Diskurs?
Robert Steuckers: Zunächst muß gesagt werden, daß die Neue Linke in Paris im
Mai 1968 zwar demonstrierte, Krawall machte und die Fabriken mobilisierte, daß aber am
30. Mai eine Million Gegendemonstranten auf den Straßen waren, um dem ein Ende zu machen.
Also im Mai hat die Rechte gewonnen; im Juni ist de Gaulle zurückgekommen. Man muß
festhalten, daß die sogenannte antiautoritäre Bewegung erst 1988 nach der
Machtübernahme durch Mitterand mit der Besetzung der Institutionen beginnen konnte.
Zwischen 1968 und 1981 hatte in Frankreich die Neue Linke zwar sehr viel Gewicht, aber
trotzdem ist die liberal-konservative Rechte an der Macht geblieben und hat ihre
Weltanschauung entwickeln können. Man muß außerdem, um 68 zu verstehen, wissen,
daß de Gaulle nach dem Algerienkrieg seinen Kurs vollständig geändert hatte, daß er
antiimperialistisch und antiamerikanisch war, daß er 1965 Rußland besucht hat und die
Nato verlassen hatte. Er stellte in einer Rede in Kambodscha Frankreich als die führende
antiimperialistische Macht dar, als Partner für die Länder, die weder amerikanisch noch
kommunistisch waren. Er pflegte auch Kontakte nach Südamerika, so daß die französische
Flugzeugindustrie die amerikanische dort verdrängen konnte. 1967 rief er in Québec das
"freie Québec" aus, was eine direkte Provokation für die USA war. Die
Amerikaner haben das nicht toleriert. Der Mai 68 ist dann teilweise auch von den
amerikanischen Geheimdiensten gemacht worden, damit Frankreich auf seine
antiimperialistische Funktion verzichtet.
Im deutschen Sprachraum verbindet man 1968 in der Folge mit politischer Korrektheit.
Wie hat sich die Revolte im frankophonen Bereich ausgewirkt?
Robert Steuckers: Der Moralismus ist in Deutschland und bei der deutschen
Linken viel stärker ausgeprägt als in Frankreich. In Frankreich gibt es zwei Begriffe.
Es gibt den Mai 68: die Studentenbewegung als eine auflehnede Bewegung. Aber
es gibt auch noch das "Denken von 68", la pensée 68. Wenn
man davon spricht, meint man eine Reihe von dekonstruktivistischen Philosophen wie
Foucault, Derrida, Deleuze, Guattari oder andere, die sich besonders von Nietzsche haben
inspirieren lassen. Heutzutage aber kritisiert die political correctness diese
Philosophen, weil sie lebensphilosophisch denken, weil sie "Vitalisten" sind.
Diese Methode der Dekonstruktion richtet sich vor allem gegen die Moderne...
Robert Steuckers: ...ja, gegen die Aufklärung. Ich würde hier etwa einen
Akzent von Michel Foucault nennen. Foucault gilt selbstverständlich als linker Philosoph,
aber er hat am Anfang seiner Karriere, die er mit einem 1961 erschienenen Artikel begonnen
hat, eine These entwickelt, die besagt, daß die Aufklärung überhaupt nicht die
Befreiung des Menschen ist, sondern der Anfang seiner totalen Überwachung und Bestrafung.
Als dieser Artikel erschienen ist, wurde Foucault von gewissen Tugendwächtern als
Reaktionär abgestempelt. Foucault war homosexuell; das ist bekannt. Er hat gesagt:
"Ich muß mich für die Außenseiter engagieren, ich muß den Linken spielen, anders
ist meine philosophische Karriere verloren." Nichtsdestoweniger gilt seine These,
daß Aufklärung überwachen und bestrafen heißt. Foucault kritisierte weiter, daß die
Aufklärung bis heute die Grundlage des französischen Jakobiner-Staates ist. Für
Foucault verkörpert sich die aufklärerische Gesellschaft im neuen panoptischen
Gefängnis, wo mitten im Gefängnis ein Turm steht, von dem aus der Wächter beobachten
kann, was alle Gefangenen tun. Das Modell der Aufklärung verkörpert also eine gläserne
Gesellschaft ohne Mysterien, ohne Privatsphäre oder persönliche Gefühle. Die political
correctness hat sehr klar gesehen, daß dieses Denken äußerst gefährlich für die
aufklärerischen Staaten ist. Foucault wird als "Vitalist" abgestempelt.
Welche Ideen der Neuen Linken sind noch aktuell?
Robert Steuckers: Diese Frage muß ich über eine Umweg beantworten: Was will
die heutige Neue Linke? Will die Neue Linke die Ideen von Foucault weiterverbreiten, also
gegen Gesellschaften sein, die die totale Überwachung und Bestrafung wollen? Ich kann
nicht für die Linke anworten. Aber was ich sehe, ist, daß die Neue Linke heutzutage gar
nicht mehr denkt, sondern eben politische Korrektheit durchsetzen will.
Von manchen Rechten wird das Schema Rechts-Links mittlerweile in Frage gestellt. Ist
die Aufhebung des Gegensatzes aktuell?
Robert Steuckers: Ich meine, die Rechte wiederholt seit mehreren Jahrzehnten zu
oft die gleichen Schlagwörter. Ich beobachte zwar, daß heutzutage in Deutschland gewisse
philosophische Strömungen Foucault zusammen mit Carl Schmitt und Max Weber lesen. Das ist
sehr wichtig. Das ist der Kern einer neuen Konservativen Revolution, weil es
antiaufklärerisch ist. Wobei ich selber nicht die ganze Aufklärung ablehne zum
Beispiel nicht den aufklärerischen König Friedrich II. von Preußen. Ich leugne nicht
alles von Voltaire, der ein aufklärerischer Philosoph war und eine sehr gute Definition
von Identität gegeben hat, als er sagte: "Es gibt keine Identität ohne
Gedächtnis." Ich lehne also nicht alles ab, ich lehne aber sehr wohl die political
correctness ab, die von sich behauptet, daß sie die Erbin der Aufklärung sei und uns
eine verballhornte Aufklärung verkauft. Man muß sagen, daß antiaufklärerische Ideen
sowohl rechts wie auch links vorhanden sind. Andererseits hat eine gewisse Rechte, vor
allem die technologie-konservativen Kräfte, die Frage der Werte nicht mehr gestellt.
Diese Konservativen wollen sich aufklärerisch profiliert sehen wie die
political-correctness-Linken.
Kann man sagen, daß in so einer Gesellschaft, die alles nur noch in ökonomischen und
Konsumbegriffen sieht, die linken und rechten Intellektuellen die letzten Verteidiger von
Sinn und Wert sind?
Robert Steuckers: Das hat die amerikanische Debatte sehr gut beantwortet, wo
der Philosoph John Rawls die Frage der Gerechtigkeit gestellt hat. Wenn die Aufklärung im
Konsumismus endet, ist weder Gemeinschaft noch Gerechtigkeit möglich. Es gibt
wahrscheinlich Wertkonservative und Wertprogressisten. Und hier ist eine Debatte möglich
über die entscheidenden Fragen von Morgen. Aber die organisierten Kreise der political
correctness werden alles tun, um das zu verhindern.
Wo sehen Sie auf der Rechten die mögliche Trennlinie zwischen wertkonservativer
Haltung und reaktionärer Position?
Robert Steuckers: Eine wertkonservative Haltung kann heutzutage überhaupt
nicht strukturkonservativ bleiben. Eine wertkonservative Haltung verteidigt die Werte, die
die Gemeinschaft zusammenhalten. Wenn Strukturkonservative, das heißt
Wirtschaftsliberale, es unbedingt vermeiden, die Frage nach den Werten stellen, dann wird
das die Auflösung der Gemeinschaften vorantreiben. Dann haben wir die Gefahr, daß die
Staaten, aber auch eine eventuelle Weltgemeinschaft, absolut unregierbar werden.
Welchen Stellenwert hat die Nouvelle Droite, die Neue Rechte im heutigen
intellektuellen Diskurs?
Robert
Steuckers:
Sie hat heutzutage nicht mehr die Stellung von Einzelgängern. Sie sollte mehr auf die
amerikanischen Kommunitaristen setzen und die Debatte gegen die Globalisierung und für
identitätsstiftende Werte führen. Außerhalb Europas und Amerikas ist zu beobachten,
daß nichtwestliche Zivilisationen wie China und die asiatischen Staaten die
aufklärerische Idee der Menschenrechte zweimal abgelehnt haben, zuerst in Bangkok, dann
in Wien. Sie haben sich dafür eingesetzt, daß die Menschenrechte den Traditionen der
jeweiligen Zivilisationen angepaßt werden, weil, so sagten es etwa die Chinesen, die
Menschen nie nur Individuen sind, sondern immer in eine Gemeinschaft und eine Kultur
eingebettet sind.
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