Der Weg zum Stammesverband

Ende jugoslawischer Selbstverwaltung

von Justus Wertmüller (Bahamas 9/1993)

(mit Links u. Anmerkungen von N. Dikigoros)

Woran scheiterte Jugoslawien? Die gängigste Erklärung besteht in der Feststellung, ein "unnatürlicher" Vielvölkerstaat müsse eben über kurz oder lang zerbrechen – ein rein politisches Konstrukt könne nicht auf Dauer ganz unterschiedlichen Völkern übergestülpt werden. Einander gegenüber gestellt werden die als ethnisch homogen gedachten Völker, die qua Natur das sind, als was ihre völkischen Ideologen sie beschreiben und der Bundesstaat, der Staatsbürger unter seine Fremdherrschaft zwingt. Die Natur muß sich gegen den ihr angetanen Zwang wenden, das einzelne Volk aus dem Völkergefängnis ausbrechen.

Die Idee des Vielvölkerstaats

Wer Volk sagt, meint mehr als alle innerhalb bestimmter Staatsgrenzen lebenden Menschen. Im Volksbegriff schwingt die Idee überhistorischer Wesenseigenschaften blutsmäßig Verwandter mit, die nicht konkrete Eigeninteressen verfolgen, sondern ihren Lebenssinn aus dem Umstand beziehen, Bestandteil eines Kollektives, einer Horde zu sein. Die Behauptung, den Völkern wohne ein "geschichtlicher Auftrag" inne, die Rede von ihren "psychischen Wesenseigenschaften" (Stalin) oder ihrem "Kulturkreis" unterstellen der Horde eigenen, kollektiven Willen und sehen davon ab, daß einzig die Dienstbarmachung von Menschen zu Staatszwecken sie zum Zwangskollektiv schmiedet.

Die Vorgeschichte der modernen Staates ist nach innen hin ganz wesentlich die Durchsetzung von Staatsbürgerlichkeit. Das dazu herangezogene Material, Menschen, die innerhalb der Grenzen lebten, brachte häufig wenig der geforderten Voraussetzungen mit. Unterschiedliche Sprachen oder stark abweichende Dialekte einer Sprache erschwerten die Kommunikation untereinander und mit der Obrigkeit, kollektive Erfahrungen einzelner Bevölkerungsteile wichen stark voneinander ab; religiöse Unterschiede, verschiedener ökonomischer Entwicklungsstand – alles Widerstände, die der zu etablierende Nationalstaat zu überwinden hatte.

In fast allen Staaten mit weitgehend homogener Bevölkerung läßt sich eine ungemein gewalttätige Phase der Durchsetzung dieser Homogenität beschreiben. Die da angetreten sind, einen geschlossenen Nationalstaat zu gründen, hatten es zunächst mit einem – modern ausgedrückt – Vielvölkergemisch zu tun, das sie zu einem Staatsvolk formten – mit allen Mitteln.

Allerdings hat sich die Weltöffentlichkeit auch auf eine (scheinbar) andere Formel geeinigt: auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Demzufolge ist es das gute Recht von Minderheiten, sich als Volk zu definieren und Autonomie für sich zu beanspruchen. Unter Autonomie ist dabei vom Recht auf Brauchtumspflege bis hin zur Eigenstaatlichkeit alles zu verstehen.

Die Formel vom Selbstbestimmungsrecht hat den bescheidenen Vorzug, daß nicht jede Terrormaßnahme eines Staates gegen Minderheiten als legitime Exekution der Staatsraison international einfach hingenommen wird. Sie hat darüber hinaus zu so genannten Vielvölkerstaaten geführt, in denen neben einem umfassenden politischen Nationenbegriff diverse mit Rechten ausgestattete Teilnationalitäten geduldet oder sogar gefördert werden, die sich stärker völkisch definieren. Im Zentrum dieser eingeräumten Rechte stehen nicht zufällig (eingeschränkte) Hoheitsrechte bis hin zum Recht auf Lostrennung. Zwar kann der Vielvölkerstaat seine Teilnationalitäten genausowenig definieren wie die emsigen Volkstumsforscher, aber das tatsächliche Mittel zur Schaffung von Völkern liegt in seiner Hand: Mit der Schaffung einer Nation qua Staatsakt werden Partikular-Nationalismen mitgeschaffen.

Im Vielvölkerstaat entsteht mit Notwendigkeit eine Konkurrenz der Nationalismen, die nach den Regeln des Widerstreits zwischen natürlicher Lebenstatsache (Volk) und erklügelter Kopfgeburt (Bundesstaat) zu Ungunsten der Vernunft entschieden werden wird.

So mußte der nationalistische Appell an alle Staatsbürger, sich die Sache des Vielvölkerstaats zu eigen zu machen (Jugoslawismus, Sowjet-Patriotismus) als politischer, nicht auf die einzelnen sogenannten Ethnien rekurrierender Nationalismus das Nachsehen gegenüber den partikularen Volkstums-Nationalismen haben: einfach, weil er als durchschaubar politisches Konstrukt nach seinem Nutzen für den Einzelnen befragt werden kann.

Das jetzt beerdigte Jugoslawien ist der zweite Anlauf nach 1918 gewesen, die auf dem gleichen Territorium lebenden Menschen zu einem Bundesstaat zusammen zu fassen. Beiden Gründungen war die Abwesenheit ernsthaften Widerstandes seitens der unter's staatliche Dach zu bringenden Bevölkerungsgruppen eigen. Das erste Jugoslawien ist allerdings schon bald zu einer serbisch dominierten Militärdiktatur verkommen – bei der deutschen Okkupation reichte es nicht einmal mehr zu ernsthaftem Widerstand.

Staatsgründung

Während der Okkupation gab es ein Groß-Kroatien von deutschen Gnaden, das auch große Teile von Bosnien, Serbien und Slowenien umfaßte. Der Rest stand unter unmittelbarer Herrschaft Deutschlands und verbündeter Anrainerstaaten. [Anm.: Wenn Wertmüller das schon - aus Gründen der politischen Korrektheit? - nicht tut, will Dikigoros sie beim Namen nennen: Italien und Ungarn] Nachdem die ersten serbisch-nationalistischen Widerstandskämpfer (Tschetniks) mehrheitlich ihren Frieden mit den Deutschen gemacht hatten, dominierte die KPJ den Widerstand im ganzen Land. Ausgehend von überwiegend serbisch getragenen Aktivitäten in Serbien und Bosnien entwickelte sich der Kampf überraschend schnell zu einer Sache aller Teil-Nationalitäten. Bestandteil dieses Kampfes war die Wiederherstellung einer Republik Jugoslawien – für die Mehrheit der Kämpfer sollte es eine sozialistische und föderale Republik werden.

Die KPJ brachte als Versprechen ins neue Jugoslawien ein, völlige Gleichberechtigung der verschiedenen Völker und Volksgruppen in der Republik herzustellen. Die Republik konstituierte sich föderativ, mit dem Recht der Einzelrepubliken auf Austritt aus dem Bund. [Wie die USA - was das wert war, zeigte sich 1861. Papier ist geduldig, vor allem wenn "Konstitutionen" (Verfassungen) darauf gepinselt werden, Anm. Dikigoros] Voraussetzung des serbisch-kroatischen Ausgleichs war, das blutigste Kapitel jugoslawischer Kollaboration – den Ustascha-Staat – weitgehend unter den Tisch zu kehren; im Gegenzug wurde auch die Abrechnung der Kommunisten mit (tatsächlichen und vermeintlichen) Ustascha-Anhängern weitgehend mit Schweigen bedacht. [Die Ustascha war keine "jugo-slawische" Erscheinung, sondern eine rein kroatische. Blutig wurde dieses "Kapitel" der "Kollaboration" auch nicht durch die Ustascha, sondern durch den Partisanenkampf der Kommunisten gegen die Regierung Pavelić, Anm. Dikigoros]

Der Aufbruch in den neuen Staat reduzierte die Partikular-Nationalismen, deren Ansprüche in Form der Einzelrepubliken als befriedet erachtet wurden. Darüber breitete sich der gesamtjugoslawische, vom Pathos des antifaschistischen Kampfes genährte Nationalismus, dem angesichts der Aufteilung Südosteuropas in kapitalistisch und kommunistisch dominierte Einflußzonen kein internationalistisches Gegengewicht an die Seite gestellt werden konnte. Dieser Jugoslawismus erwies sich zunächst als tragfähig über die Reihen der Kommunisten und ehemaligen Partisanen hinaus. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte die Befreiung vom Faschismus auch wirklich als solche erlebt. Eine zügig eingeleitete Agrarreform brachte der ländlichen Bevölkerungsmehrheit einen erheblichen Landzuwachs ein, und die in Angriff genommene Industrialisierung des Landes erweckte beachtliche Hoffnungen auf eine grundsätzliche Besserung der Lebensumstände.

Der Jugoslawismus baute also auf 1.) die Gleichberechtigung der Einzelrepubliken, 2.) eine Tradition des antifaschistischen Kampfes und 3.) das Versprechen auf die bessere sozialistische Zukunft. Diese drei Komponenten aber beschreiben eine schwierige Balance: Eine für antifaschistische Befreiungskämpfer heroische Tradition droht für die Nachgeborenen zum reinen Staatsritual zu verkommen. Die Gleichberechtigung der Einzelrepubliken birgt immer die Gefahr des Wiederauflebens von Partikular-Nationalismen in sich, wenn es nicht gelingt, die so genannten nationalen Besonderheiten abzuschaffen oder zu nivellieren. Alles würde vom ökonomischen Aufschwung – hin zu weitgehend gleichem Wohlstand in allen Landesteilen – abhängen, eine Erwartung, die sich nicht erfüllen sollte.

Das sozialistische Projekt verbesserte die Lage in dem bitterarmen Land nicht – statt dessen führte die forcierte Industrialisierung nach sowjetischem Planungsmodell in den 1940er Jahren zu einem tiefen Vertrauensverlust der Partei bei der Bevölkerung, die den Löwenanteil an dem Modernisierungsprojekt durch Verzicht auf Belohnung für geleistete Schwerarbeit zu tragen hatte. Schlimmer noch als der Industrialisierung erging es dem Versuch, die Landwirtschaft zu kollektivieren. Diesbezügliche Maßnahmen scheiterten an der kleinbäuerlichen Bevölkerung und dem mangelnden Ertrag, den die geschaffenen Kolchosen abwarfen. Die meisten von ihnen verschwanden bereits in den 1950er Jahren wieder.

Neben der insgesamt miserablen Ausgangslage wurde das Problem später an der zentralisierten und überbürokratisierten Leitung des Industrialisierungsprojektes festgemacht. Diese Argumentation greift nur teilweise, sollte aber in den weiteren wirtschaftspolitischen Debatten, bis hin zum Zusammenbruch, dennoch eine gewichtige Rolle spielen. Tatsächlich waren die auf Kosten des Wohlstands der Bevölkerung durchgepeitschten Industrialisierungs-Bemühungen eine gewichtige Voraussetzung für einen späteren zeitweiligen bescheidenen Wohlstand in Jugoslawien. Die Kehrtwende der jugoslawischen Politik erfolgte ab 1948 nach dem Bruch mit dem Kominform und der Proklamierung eines eigenständigen jugoslawischen Wegs zum Sozialismus, der sich durch außenpolitische Neutralität und Dezentralisierung durch Arbeiter-Selbstverwaltung nach innen vom östlichen Staatssozialismus unterscheiden sollte.

Der jugoslawische Weg

Der ökonomische Entwicklungsgang war wesentlich mitbestimmt durch den äußerst unterschiedlichen Entwicklungsstand der Teilrepubliken. Lediglich in Slowenien und Kroatien war nennenswert Industrie vorhanden, in den südlichen Landesteilen, besonders in Montenegro, Mazedonien und dem einsamen Schlußlicht Kosovo wenig bis gar keine. Die verschiedenen Versuche, dieses Mißverhältnis auszugleichen, sind weitgehend gescheitert. Mit der Weltmarktöffnung Jugoslawiens seit Mitte der 1950er Jahre, und verschärft seit den 1960er Jahren vergrößerten sich die regionalen Unterschied eher. Das stark devisenabhängige Jugoslawien investierte in die Exportindustie und griff dabei auf vorhandene Zentren im Norden, besonders in Slovenien, zurück. Kroatien boomte durch den seit Anfang der 1960er Jahre stark expandierenden Tourismus. Die Industriezentren des Südens (besonders in Kern-Serbien und Teilen Bosniens) expandierten zwar auch, erwirtschafteten aber kaum nennenswert Devisen. Im Süden befindet sich ein Großteil der beachtlichen jugoslawischen Bodenschätze, die zur Weiterverarbeitung in den Norden geliefert wurden. Der seit Ende der 1960er Jahre verschärfte Druck auf die jugoslawische Wirtschaft, für Devisen den Export um jeden Preis zu erhöhen, führte zur Vernachlässigung der Rohstoffindustrie des Südens, die auf veraltetem Stand weiterproduzieren mußte: Mit der in allen Realsoz-Ländern zu beobachtende Folge, daß der schwunghafte Export wesentlich mehr nationalen Reichtum verschlang, als er wirklich einbrachte. [Das mag auf alle anderen Staaten des "realen Sozialismus" zutreffen, aber gerade auf "Jugo-Slawien" nicht, da dieses nicht nur Rohstoffe und Industrie-Produkte gegen Devisen exportierte, sondern auch menschliche Arbeitskraft. Ohne die Überweisungen der Gastarbeiter (in erster Linien der kroatischen aus der BRD, in zweiter Linie auch der serbischen aus Frankreich) seit den 1960er Jahren wäre das sozialistische Regime "Jugo-Slawiens" - das ja, anders als seine Nachbarländer, weder von der SU noch von der VRC materiell unterstützt wurde - bereits viel früher untergegangen, Anm. Dikigoros]

Wenn im folgenden der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit auf die innerjugoslawische Entwicklung gelegt, und der Zusammenbruch als im wesentlichen hausgemacht bewertet wird, ist immer die Einschränkung dazu zu denken, daß die dauernde Intervention durch das weltweit wirkende Kapitalverhältnis die Handlungsmöglichkeiten weitgehend determinierte. Dies gilt für alle sozialistischen Projekte ab 1917: Nie bestand eine reale Chance, Gesellschaften zu etablieren, die nicht unter dem Zwang der zweiten Natur des Menschen – also dem Gesetz der Wertverwertung – gestanden hätten. Der Realsozialismus war nichts anderes als ein staatliches Modernisierungsprojekt, das unter weitgehender Schonung der Produzenten vorwiegend agrarisch strukturierte Ökonomien auf Weltmarktniveau zu bringen versuchte.

Es nimmt sich seltsam aus, daß ausgerechnet der Selbstverwaltungsgedanke, das ideologische Aushängeschild des jugoslawischen Sozialismus, der ihn so viel sympathischer erscheinen ließ als die osteuropäischen zentralen Planungsbürokratien, in Verbindung mit der völligen Weltmarktöffnung Totengräber des Jugoslawismus war.

Selbstverwaltung und Zersplitterung

Der Selbstverwaltungsgedanke entstand im Anschluß an den Bruch mit dem Kominform und wurde ab Anfang der 1950er Jahre kontinuierlich ausgebaut bis hin zu dem Gesetz über die selbstverwaltete Arbeit von 1976, das zusammen mit der vierten jugoslawischen Verfassung von 1974 so schöne Ziele wie das Absterben des Staates durch totale Demokratisierung der Gesellschaft formulierte.

Vladimir Bonać, der jugoslawische Apologet des Selbstverwaltungs-Sozialismus, kennzeichnet die Ausgangslage der Überlegungen nach dem Bruch mit dem Kominform: "Der wichtigste Mangel war und blieb, daß die Arbeiter nicht zur Leistung motiviert waren. Die Betriebe arbeiteten langsam, die Menschen darin waren verantwortungsscheu, uninteressiert und in ihrer Arbeit uneffektiv" – die alte Klage, die in allen Realsoz-Ländern regelmäßig angestimmt wurde und stets zu einer Diskussion über Leistungsanreize führte. Die klingenden Worte vom sozialistischen Wettbewerb und von der größeren Eigenverantwortung der Einzelbetriebe sind nichts typisch Jugoslawisches. Im Gegensatz zur SU, DDR usw. führte die "schöpferische Anwendung der Marktgesetze" in Jugoslawien aber schon bald zu Kritik an der staatlichen Planung überhaupt. "Allgemein gewann man jedoch die Überzeugung, die Betriebe könnten besser als die zentralen Behörden die Bedürfnisse des Marktes erkennen." Die planende Kraft ging allmählich von der staatlichen Planbürokratie an die einzig legitime Vermittlungsinstanz warenproduzierender Gesellschaften, den Markt, zurück, als dessen natürliche Agenten die Betriebe erschienen. 1952 wurde beschlossen, daß je nach Betrieb zwischen 3 und 17% des erwirtschafteten Mehrwerts dem Betrieb zur eigenen Vernutzung übergeben werden sollten. Später wurde es mehr und mehr. Die staatlichen Zuteilungen von Rohstoffen wurden eingestellt (nicht aber die Kontrolle über den Preis), in Zukunft mußten sie auf dem Markt bezogen werden. Banken verschafften den notwendigen Kredit, gegen beachtliche Zinssätze. Die Folge waren die Durchrationalisierung der Betriebe und Entlassungswellen Mitte der 1960er Jahre. [Das war wie gesagt kein Nachteil - umgekehrt wird ein Schuh draus: Die frei gesetzten Arbeiter gingen ins Valuta-Ausland und schickten von dort Devisen nach Hause, ohne die "Jugo-Slawien" schlicht verhungert wäre, Anm. Dikigoros] Die zeitweilig bescheiden prosperierende jugoslawische Wirtschaft war fast von Anfang an von beachtlicher Arbeitslosigkeit begleitet. Die jugoslawischen Arbeitsemigranten seit Anfang der 1960er Jahre künden davon. [Hier widerspricht sich Wertmüller gleich mehrfach: Einerseits meint er, Arbeitslosigkeit habe "von Anfang an" bestanden; andererseits, die Arbeitsmmigration habe "Anfang der 1960er Jahre" eingesetzt, obwohl es doch erst "Mitte der 1960er Jahre" zu "Entlassungswellen" kam, Anm. Dikigoros]

Die Arbeiterselbstverwaltung blieb im wesentlichen auf die einzelnen Betriebe bzw. Betriebseinheiten beschränkt. [Auch das muß kein Nachteil sein - im Gegenteil, wie das Beispiel Japan lehrt. Betriebsübergreifende "Einheitsgewerkschaften" haben sich bis heute immer wieder als Hemmschuh der wirtschaftlichen Entwicklung erwiesen - auch zum Nachteil der Arbeitnehmer, deren Interessen ihre Bonzen doch zu vertreten vorgeben, Anm. Dikigoros] Das Mitspracherecht der Arbeiter ging dabei tatsächlich weit über die Einflußmöglichkeiten ihrer Kollegen im kapitalistischen Westen hinaus. Sie konnten die Betriebsleitung abwählen, hatten ein entscheidendes Wort bei Fragen des Arbeitsschutzes, aber auch bei der Errichtung von sozialen Einrichtungen für die Arbeiter und ihre Angehörigen durch den Betrieb mitzureden. Herzstück der Selbstverwaltung war der Zugriff der Belegschaft auf den betrieblich erwirtschafteten Mehrwert (abzüglich Steuern und Abgaben), der vorzugsweise in den Lohnfonds floß. Voraussetzung war, daß es Überschuß gab. Denn diese Zugriffsmöglichkeiten hingen davon ab, ob der Betrieb defizitär wirtschaftete, also staatlich subventioniert war, oder nicht. Gewinner in diesem Spiel wurden vor allem jene Betriebe, die im Export erfolgreich waren und bis zum gewissen Grad jene, die Konsumartikel für den Binnenmarkt herstellten – nicht oder kaum die Rohstoff erzeugenden Betriebe, die Energie-Produzenten, die Verkehrsbetriebe und alles, was nicht unmittelbar produziert. Das Resultat ist klar: Spitzenverdiener gab es in der Export- und Tourismusbranche des Nordens, denn hier wirkte sich die Devisenabhängigkeit Jugoslawiens stark zugunsten der Arbeiter aus. Dort konnte ein Industriearbeiter das mehrfache seines die gleiche Tätigkeit ausübenden Kollegen irgendwo im Süden verdienen. Klar, daß dies zu regionalen Interessen-Gegensätzen der Arbeiter führte, u.a. zu einem fortwährenden Streit über Abgaben des Nordens an den Süden. Ein zweites Problem der Arbeiterselbstverwaltung ist die unmittelbare persönliche Bereicherung zu Lasten der Reinvestition in den Betrieb gewesen. [Das ist äußerst vornehm umschrieben. Im Klartext: Die Arbeiter beuteten "ihren" Betrieb aus, indem sie alles, was er erwirtschaftete, in die eigenen Lohntüten steckten, statt in gelegentlich notwendige Modernisierungen, Anm. Dikigoros] In den 1970er Jahren und verschärft in den krisenhaften 1980ern veraltete die jugoslawische Wirtschaft im Weltmaßstab immer schneller, die gesellschaftlich aufgewandte Arbeitszeit für einen erwirtschafteten Devisendollar nahm im Höllentempo zu. Die Zeche zahlte nicht der Betrieb, sondern der sich immer weiter verschuldende und immer stärker subventionierende Staat. Versuche in den 1980er Jahren, stärker an die Privatkasse der Arbeiter zu kommen, wurden regelmäßig mit zumeist erfolgreichen Streiks in den jeweils betroffenen Betrieben beantwortet. Schließlich war es die Inflation, mit der der überforderte Staat die Kosten an die Produzenten weitergab und sie in wenigen Jahren auf das Niveau der 1960er Jahre zurückwarf.

Der Selbstverwaltungs-Sozialismus hatte eine weitgehende Entpolitisierung der Arbeiter und eine Zersplitterung der Gesellschaft zur Folge. Vordringliches Interesse des sich selbstverwaltenden Arbeiters war sein Einkommen, das an das Fortkommen des Betriebes geknüpft war. Da der Markt nach jugoslawischer Anschauung einzig anerkannter Regulator der Wirtschaft war, wurden alle staatlichen Eingriffe ins Marktgeschehen zunehmend als die Wirtschaft hemmend empfunden: Schließlich waren es ja Steuern und Abgaben, die der Staat den Betrieben auferlegte, und die zu Lasten des Lohnfonds gingen.

Dezentralisierung des Staates

Ausgehend von der Erweiterung der Mitbestimmungsrechte der Arbeiter und Angestellten in den einzelnen Betrieben entwickelte sich das Selbstverwaltungssystem zu einem kaum noch zu durchschauenden Dickicht von Entscheidungs-Instanzen, das alle gesellschaftlichen Bereiche erfassen, demokratisieren und vor allem dezentralisieren sollte. Das Absterben des Staates – Traum eines jeden anständigen Kommunisten – sollte erstmals Wirklichkeit werden. Und so viel ist den Selbstverwaltern gelungen: sie haben den Bundesstaat kurz und klein dezentralisiert. Selbstverwaltungsrechte der Kommunen, Regionen, Einzelrepubliken bis hinauf zur Bundesebene wurden festgelegt und miteinander verflochten. Ein kompliziertes Delegiertensystem sollte den Willen der gesellschaftlichen Basis, der plebiszitär ermittelt wurde, bis zu den höchsten Bundesinstanzen weiter transportieren. Wenn alles nach dem Willen seiner Schöpfer zugegangen wäre, wäre das Jugoslawien der späten 1970er Jahre ein Volk von beständig konferierenden Delegierten gewesen. In Wirklichkeit war das Interesse der Bevölkerung am Selbstverwaltungs-Sozialismus eher gering. Lediglich für die Entwicklungen in der kleinsten Einheit, der Region, also dem unmittelbaren Lebensumfeld der normalen Leute, gab es nennenswertes Interesse seitens der Bevölkerung. Eine Haltung, die mit der auf die eigene betriebliche Einheit beschränkten Mitwirkung der Proleten auf dem ökonomischen Sektor korrespondiert.

Separatismus

Die Hauptarbeit übernahmen Berufsdelegierte, die ein zunehmend technokratisches Verständnis von der Sache entwickelten. Der Bund der Kommunisten Jugoslawiens (BDKJ) sicherte sich durch bestimmte Proporzschlüssel Einfluß auf allen Ebenen in dieser Technokratenwelt, so wie es auch proportionelle Beteiligungen von Gewerkschaften, Unternehmensleitungen und gesellschaftlichen Organisationen gab. Diese höchste Entwicklungsform von Demokratie, wie ihr Chef-Architekt Kardeli sie begeistert schilderte, abstrahierte dabei in bemerkenswerter Weise von der tatsächlichen Wirkungsweise der Selbstverwaltung und vor allem von den Gründen ihrer Entstehung. Denn in dem Maße wie der Bundesstaat abstarb, erstarkte nicht die sich selbst bestimmende Gesellschaft, sondern die Souveränitätsrechte der Republiken.

Bis in die 1960er Jahre war Jugoslawien stark von der Bundeszentrale beherrscht, die alle wichtigen Entscheidungs-Kompetenzen in Händen hielt, also nicht nur die Außenpolitik bestimmte, sondern eben auch Wirtschafts- und Gesellschaftsplanung betrieb. Die Kompetenzen der Republiken dagegen waren eher bescheiden und bis zu einem gewissen Grade mit denen der Bundesstaaten in der BRD vergleichbar – wenn man mal von ihrer Eigenart, Nationen zu vertreten absieht.

Die Zersplitterung des Bundesstaates in immer autonomere ökonomische und regionale Fragmente ist zwar ein naheliegendes Ergebnis der ökonomischen Dezentralisierung, wurde aber in Jugoslawien erst im Gefolge des ersten an die Substanz gehenden Streits zwischen den Einzelrepubliken Gesetz.

Im Gefolge der 1968er Bewegung kam es auch in Jugoslawien und hier insbesondere in Kroatien zu politisch-kulturellen Unmutsbekundungen besonders von Studenten und Teilen der Intelligenz gegen die Gängelung durch die Partei und vor allem den mächtigen Geheimdienst, für mehr Demokratie etc. Was als demokratisch sozialistische Reformbemühung begann, schlug in den Jahren 1970/71 in offen nationalistische Demonstrationen um, die erstmals auch Massenbeteiligung zu verzeichnen hatten. Der Ruf nach mehr Autonomie, weniger Bürokratie, weniger Einmischung durch den Bund in die Angelegenheiten der Republik hatte in Kroatien zwei Gründe. Vorwiegend ging es um Geld, um die Frage des Zugriffs auf den innerhalb einer Republik erwirtschafteten Reichtum. Daneben ging es, ausgehend von der Forderung nach mehr Kompetenz der Republik über die Wirtschaftspolitik, zunehmend um die volle staatliche Souveränität. Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand die Frage des Zugriffs auf die im Tourismus und im Export erwirtschafteten Devisen, die größtenteils aus der Republik in die Bundestöpfe flossen. Der Protest gewann einzigartige Ausmaße durch die Unterstützung durch die kroatische kommunistische Partei. Die damalige Parteichefin Savka Dabcevic-Kucar faßte die nationalistischen Argumentationen zusammen: "Die gesamte bisherige Entwicklung habe eine wirtschaftliche Verarmung und allgemeine Bedrohung des kroatischen Volkes gebracht; Kroatien werde ausgeplündert, während die übrigen Republiken begünstigt seien; das gesamte Kapital und sämtliche Investitionsmittel seien in Serbien konzentriert; unrentable Investitionen gäbe es nur außerhalb Kroatiens und würden mit kroatischem Kapital finanziert; die unterentwickelten Republiken seien eine Last und der Grund für das Zurückbleiben in der Republik Kroatien; die Folge dieser wirtschaftlichen 'Ausbeutung' sei die Abwanderung kroatischer Arbeiter ins Ausland, was zu einer Schwächung des biologischen Potentials der Kroaten führe." Das Frappierende an diesen Aussagen ist einerseits, daß sie mit national-kroatischer Propaganda der 1930er Jahre, wie sie besonders von der damaligen Bauernpartei vertreten wurde, fast identisch ist, zum zweiten die kroatische Separatismus-Begründung der späten 1980er Jahre vorwegnimmt, und drittens in mancher Hinsicht auch noch als austauschbar mit slowenischer oder serbischer Propaganda bezeichnet werden könnte. [Letzteres ist Unfug; aber etwas ist durchaus in "dritter" Hinsicht bemerkenswert (wenn es nicht sogar an erster Stelle zu nennen wäre), nämlich daß diese Aussagen... zutreffend sind! Anm. Dikigoros]

Der propagandistische Erfolg dieser mit ökonomischen Verheißungen angereicherten nationalistischen Töne bei den Massen lag auf der Hand. In einer sich ganz den Marktgesetzen unterwerfenden Ökonomie kann der Buhmann für als unzureichend empfundenes Einkommen nicht in jenem abstrakten und unverstandenen Prinzip, der Wertverwertung, dem man ja ausdrücklich huldigt, liegen. Gleichwohl mußte sich der Unmut über die zunehmend krisengebeutelte Wirtschaftslage und den nur allmählichen Anstieg des persönlichen Wohlstandes an irgendetwas festmachen können. Der überzeugte Jugoslawe und Wirtschaftswissenschaftler Branko Horvat beschrieb das Problem 1971 so: "Wenn irgendetwas nicht taugte – und vieles taugte nicht – dann richtete sich die Kritik nicht gegen die führende Mannschaft der Bundesregierung oder des Zentralkomitees, an deren Spitzen nicht nur Serben, sondern auch Kroaten, Slowenen und andere standen – nein, angeschuldigt wurde immer Belgrad. Und da Belgrad auch die Hauptstadt Serbiens war, waren die Implikationen offensichtlich." Zwar wären auch die Leute aus Bundesregierung und Zentralkomitee die falschen Ansprechpartner gewesen, weil sie ja auch nicht mehr als (mehr oder weniger fähige) Sachzwang-Verwalter waren, aber als Regierung wären sie die normale Abgabestelle für Bürger-Unmut in einer warenproduzierenden Gesellschaft. In Jugoslawien bot sich die unheilvolle Möglichkeit, vom ohnmächtigen Protest gegen austauschbares Polit-Personal zum genauso ohnmächtigen, aber nationalchauvinistischen Angriff gegen eine als parasitär abgestempelte Teilrepublik überzugehen, mit der der ganze Staatsgedanke verbunden war. Was als von Kroatien ausgehender, bald auch – wenn auch mit geringerem nationalistischen Aufwand – Slowenien erfassender antiserbischer Protest begann, verwandelte sich in kürzester Zeit in ein umfassendes Gebäude gegenseitiger Schuldzuweisungen aller Republiken und autonomer Gebiete.

Auf die kroatischen Bestrebungen nach mehr Eigenständigkeit antwortete in Serbien eine offen nationalistische Bewegung, die die gleichen Forderungen aufstellte und dabei bemängelte, daß Serbien die einzige Teilrepublik in Jugoslawien sei, die nicht völlig autonom sei. Das richtete sich gegen die in Serbien eingerichteten autonomen Gebiete Woiwodina und vor allem den Kosovo. Im Kosovo entwickelte sich im Gegenzug antiserbischer Protest, weil man sich wegen des nicht ganz gleichwertigen Status eines autonomen Gebietes im Vergleich zu einer Republik benachteiligt sah und der Grund für die miserable ökonomische Situation im unvollständigen politischen Status gesehen wurde.

Konfliktlösungen

In dieser Situation reagierte die Zentralregierung mit einer Mischung aus Repression und Entgegenkommen, wobei, wie zu zeigen sein wird, das Entgegenkommen bei weitem überwog. Die Neuregelung der Devisenverteilung zum Beispiel erfolgte bereits im Januar 1972. Aufgrund eines neuen Gesetzes konnten Exportfirmen 20% statt bisher maximal 12% und Tourismusunternehmen 45% statt bisher 12% ihrer Deviseneinahmen behalten. Der Rest wurde zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. [D.h. die Steuersätze sanken von bisher 88% auf "nur" noch 80% bzw. 55% - ein solches "Entgegenkommen" muß die Steuerzahler ja ungemein anspornen! Anm. Dikigoros]

Die kroatische Staats- und Parteiführung wurde gestürzt. Die politischen Vorwürfe wurden aber sehr gleichmäßig ausgeteilt. Statt den Kroaten Nationalismus mit separatistischer Tendenz vorzuwerfen, wurden lediglich Auswüchse angeprangert, im übrigen aber ein Argument der kroatischen Nationalisten, die behaupteten, es gebe in Jugoslawien unitaristische Tendenzen, aufgegriffen und an Teile der Partei als Vorwurf und Selbstkritik weitergegeben. In der Sache hatten die kroatischen und alle anderen Nationalisten aber Erfolg. Durch die Verfassung von 1974 wurde der Bundesstaat Jugoslawien durch einen losen Verbund weitgehend souveräner Einzelstaaten ersetzt. [Interessante These. Darf Dikigoros eine Gegenthese aufstellen? Wenn Wertmüller richtig läge, dann hätte es nie einen "jugo-slawischen" Bürgerkrieg gegeben, sondern die "Einzelstaaten" hätten in den 1990er Jahren ganz friedlich auseinander gehen können.] Die einzigen im Bund verbliebenen Kompetenzen waren die Außenpolitik inklusive Verteidigungsfragen und die Wirtschaftspolitik, bzw. das, was davon übriggeblieben ist. Denn die staatliche Wirtschaftsplanung reduzierte sich weitgehend auf einen Entwicklungsfonds, in den die Einzelrepubliken nach ihrem wirtschaftlichen Vermögen einzuzahlen hatten, und der für Strukturmaßnahmen zuständig war. Über die Verwendung der Gelder und die Höhe der Einzahlungen wurde endlos gestritten, bis es im Laufe der 1980er Jahre zu Zahlungseinstellungen oder Kürzungen aus Kroatien und Slowenien kam, was wiederum mit einem Boykott slowenischer Güter durch die Südrepubliken Ende der 1980er Jahre beantwortet wurde. Die zentrale Kontrolle der Banken über das Finanzkapital durch die in Belgrad ansässige Zentralbank wurde abgeschafft und durch Länderbanken ersetzt, deren Gründungsmitglieder ausgerechnet die kreditsuchenden Unternehmen waren. Das hatte einerseits zur Folge, daß die Zinssätze beständig unter der Inflationsrate lagen, und führte andererseits zu einer Territorialisierung des Geschäfts und damit der vorzugsweisen Bedienung von Republik-Interessen zu Lasten von Bundesunternehmungen und der ärmeren Republiken bzw. autonomen Gebiete – denn daß die beiden einzigen wirklich solventen Länderbanken in Slowenien und Kroatien ihren Sitz hatten, liegt auf der Hand. Die wenigen in Bundeshoheit verbliebenen Kompetenzen konnten nach Maßgabe der Verfassung von 1974 nur noch im Konsensprinzip gefaßt werden. Die obersten Regierungsorgane waren nach einem strengen Nationalitätenproporz zusammengesetzt, wobei die einzelnen Mitglieder zunehmend als Delegierte ihrer Republiken agierten. Selbst das Staatsoberhaupt sollte in Zukunft jährlich an einen anderen Republikvertreter übergehen. Nur für die Lebenszeit des greisen Staatsgründers wurde eine Ausnahme gemacht. Dieses Modell war bis zu Titos Tod 1980 noch einigermaßen arbeitsfähig, weil die jugoslawisch denkenden Altkommunisten in den immer offensichtlicher auseinander strebenden Landesverbänden des BDKJ das Sagen hatten. Spätestens nach 1980, als die Bundespräsidenten turnusmäßig von den Einzelrepubliken bestimmt wurden, blockierte sich die Bundesregierung in allen wichtigen Entscheidungen selbst.

Das Ende

Die Fortsetzung dürfte weitgehend bekannt sein. Die ins Astronomische angewachsenen Auslandsschulden und die Auswirkungen der Rezession trafen Jugoslawien in den frühen 1980er Jahren hart. Die Arbeitslosigkeit wuchs rasch, der Rückstand des Südens nahm dramatisch zu. Zunehmender Druck seitens der Schuldnerländer führte zu IWF-Auflagen, die zunächst am Widerstand der Arbeiter scheiterten. Dafür nahm die Inflation Ausmaße an, die durch keinen der - in wilden Streiks erzwungenen - Teilerfolge der Arbeiter ausgeglichen werden konnten. Das reale Einkommen der Haushalte, das bis Ende der 1970er Jahre beständig zugenommen hatte, stürzte binnen weniger Jahre auf den Stand der frühen 1960er Jahre ab. Der Versuch, die Schuldenbedienung durch erheblich forcierten Export zu gewährleisten, kam selbst nach der Einschätzung des liberalen Wirtschaftswissenschaftlers Sundhausen – was den Rohstoffexport und die Auspowerung der Industrieanlagen betrifft – einem nationalen Ausverkauf gleich.

Schließlich brach der bis zu Titos Tod unter der Decke gehaltene Nationalitätenstreit mit voller Wucht aus. Beginnend mit der blutigen Unterdrückung albanischer Autonomie-Bestrebungen im Kosovo 1981 entstanden die Fronten, die bis zum offenen Ausbruch des Bürgerkriegs die gleichen bleiben sollten. In Serbien wurde einerseits für die volle Souveränität der Republik gegenüber den autonomen Provinzen agitiert, andererseits aber der Erhalt der Föderation gefordert – unter besserer Wahrung serbischer Interessen, versteht sich. In Slowenien und Kroatien ging man auf Distanz zum Bund, indem immer neue Ausweitungen der Souveränitätsrechte der Einzelrepubliken gefordert wurden, bis hin zur offen verkündeten Separierung. Wobei in Kroatien ein reaktionärer Nationalismus die Oberhand gewann, der durch seine offen anti-serbische Haltung die serbischen Minderheiten in Slawonien und der Krajina stark verunsicherte und schließlich ja auch tatsächlich bedrohte. Den Südrepubliken blieb nichts anderes übrig, als Stellung zu beziehen für ein serbisch dominiertes Rumpf-Jugoslawien oder den Separatismus; mit dem Vollzug des Abfalls Sloweniens und bald danach Kroatiens war ihre pro-jugoslawische Haltung obsolet geworden.

Der Erfolg des Volkstums-Nationalismus hatte die Selbstzerstörung des Bundes als handlungsfähige staatliche Einheit zur Voraussetzung. Diese wiederum beruhte auf dem realen Einflußverlust des sozialistischen Staates als Wirtschaftsplaner gegenüber den Gesetzen des Marktes. [Als ob es unter diesem Einfluß besser gewesen oder geworden wäre! Anm. Dikigoros] Damit hatte der Jugoslawismus, der mit dem Versprechen, ökonomischen und nationalen Ausgleich zu schaffen, angetreten war, ausgespielt. Die Möglichkeit zur Sprengung des ganzen Territoriums – und nicht nur der Denkmäler der sozialistischen Führer – lag schließlich in der qua Verfassung verankerten Multinationalität. Als Separatstaaten im Wartestand, denen es lediglich an der vollen Souveränität gebrach, konnten die Ideologen des Partikular-Nationalismus sich den verunsicherten und verarmten Proleten ein scheinbar unverbrauchtes Modell der Krisenlösung anbieten. Zurück zur Natur im doppelten Sinn: Einerseits durch den vollständigen Bruch mit jedem Versuch, die Ökonomie sozialistisch zu gängeln, um auf diese Weise der Natur des Marktes zum Durchbruch zu verhelfen und damit dem Nutzen aller zu dienen; andererseits durch die Abkoppelung von als parasitär empfundenen Kostgängern, die mit dem Verweis auf die unnatürliche, weil politisch konstruierte Bundesstaatlichkeit begründet wurde, die die natürlichen Einheit, das ethnisch saubere Volk, hemme, ja ihm den Lebensatem abzuschneiden drohe. [Das macht sich Wertmüller viel zu einfach, da er selber als Marxist viel zu "materialistisch" denkt: Läge er richtig, dann hätten die Serben doch gerade im Falle des Kosovo - des ärmsten und unproduktivsten Kostgängers "Jugo-slawiens" - sagen müssen: "Weg mit Schaden!" (Oder besser gesagt: "Weg ohne Schaden!" :-) Aber ausgerechnet an diesen Klotz am Bein klammerten sie sich am meisten, halt aus Patriotismus - oder, wie Wertmüller schreiben würde: "Nationalismus" -, weil es nun mal ihr historisches Herzland war. Und da Wertmüller das schon mal anklingen läßt: Wer wollte es den Serben verdenken, das Amselfeld von den faulen, kriminellen Albanern zu säubern, die seit Jahrhunderten dort eingesickert waren und inzwischen sogar die Bevölkerungsmehrheit stellten?! Daß es am Ende umgekehrt kam, d.h. zur Ausrottung der christlichen Serben durch die muslimischen Kosovo-Albaner, ist eine der größten europäischen Tragödien am Ende des 20. Jahrhunderts. Dieser Völkermord wurde nur möglich durch die aktive Beihilfe diverser ausländischer Verbrecher-Regimes (vor allem der "Democrats" in Washington und der "Rot-Grünen" in Berlin), denen er zur ewigen Schande gereicht, ebenso die nachträgliche Verurteilung und Ermordung jener serbischen Militärs und Politiker, die vergeblich versucht hatten, Widerstand gegen diesen Genozid an den Kosovo-Serben zu leisten, durch das Kriegs-Verbrecher-Tribunal in Den Haag, Anm. Dikigoros - in dessen Verständnis der Name der letzt genannten Institution nicht etwa dafür steht, daß dort Verbrechern der Prozeß gemacht würde, sondern dafür, daß sie aus Verbrechern besteht, die sich anmaßen, Menschen den Prozeß zu machen, die jedenfalls erheblich weniger auf dem Kerbholz haben als sie selber. Es handelt sich um die größte Pervertierung der internationalen "Rechtsprechung" seit dem Kriegs-Verbrecher-Tribunal in Nürnberg.] Dem Selbstverwaltungs-Sozialismus kommt in diesem Prozeß die makabre Rolle zu, alle guten Gründe für staatliche Einheit im Massenbewußtsein bis zur Unkenntlichkeit verzerrt zu haben. Die Arbeiter im Selbstverwaltungs-Sozialismus hatten den ökonomischen Zusammenbruchs-Tendenzen Jugoslawiens nichts entgegen zu setzen. Sie konnten sich nur ökonomistisch, als wahrhaft kapitalistische Geldmonaden im Gewand des Betriebskollektivs, durch nur das jeweilige Einzelinteresse berührende Streik-Aktionen betätigen – waren sie doch slowenische Arbeiter im slowenischen Betrieb usw., ohne erkennbaren, geschweige denn begreifbaren Bezug zu albanischen Arbeitslosen oder muslimischen Bergarbeitern in Zentralbosnien. Das sozialistische Jugoslawien hat seine Bürger als durch nichts mehr auf einander bezogene Einzelkapitalisten ohne Aussicht auf gewinnbringenden Verkauf ihrer Arbeitskraft zurück gelassen und sie dem schlechtesten Aufguß bürgerlicher Ideologie, dem Volkstums-Nationalismus, ausgeliefert.

Alle Voraussetzungen für das Auseinanderfallen Jugoslawiens, so das Fazit dieser Untersuchung, wurden also unter der Ägide des Selbstverwaltungs-Sozialismus geschaffen, es beförderten keine politische Intervention durch Drittstaaten diesen Auflösungsprozeß. Damit – darauf sei zu guter Letzt ausdrücklich hingewiesen – ist aber keineswegs gesagt, daß das Versinken des Bundesstaats im Bürgerkrieg auf irgendeiner historischen Notwendigkeit gründete. Im Gegenteil bedurfte es der offenen Ermunterung der separatistischen Kräfte durch Versprechungen und massive diplomatische Unterstützung von außen, bis sie den entscheidenden Schritt in die Spaltung mit allen bewaffneten Konsequenzen vollzogen. Vor diesem Hintergrund bleibt die Feststellung eines Leitartiklers der New York Times vom Januar dieses Jahres richtig, daß es sich bei dem durch Denkmäler geehrten kroatischen Volkshelden Hans-Dietrich Genscher um einen Kriegsverbrecher handele. [Wie kann man sich nur einem solchen Schwachsinn anschließen? IM Tulpe mag ein Verbrecher gewesen sein, aber den jugoslawischen Bürgerkrieg haben weder er noch die Kroaten unter Franjo Tudjman angefangen, sondern vielmehr die Serben, die das "jugo-slawische" Militär in Slowenien und Kroatien einmarschieren ließen! Anm. Dikigoros]


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