BEKEHRUNGEN
(Brief an einen Pfarrer)
Anhang zu Kalkutta liegt nicht am Ganges

Lieber Herr Pfarrer,

Vielen Dank für Ihren langen Brief, mit dem Sie, wie Sie schreiben, mich, den Polytheïsten, "bekehren" möchten zum einzig wahren Glauben an den einzig wahren Gott, der doch eigentlich in allen Religionen der gleiche sei, egal wie man ihn nun nenne. Nun, auf diesem Gebiet kämpfen wir mit ungleichen Waffen, denn Sie dürfen sich nicht bekehren lassen, weil Ihr Glaube zugleich Ihr Beruf und Ihre Berufung ist und Ihnen ge-bietet, Andere zu ihm zu bekehren, während ich Sie nicht bekehren darf, weil mein Glaube mir die Bekehrung Andersgläubiger ver-bietet. Darin liegt ein fundamentaler Unterschied zwischen unseren Glaubenswelten, den Sie, wie mir Ihre Zeilen verraten, nicht verstanden haben. Deshalb möchte ich versuchen, Ihnen einige Dinge zu erklären, nicht etwa um Sie zu bekehren, sondern einfach nur, um vielleicht Ihr Verständnis ein wenig zu fördern. Schauen Sie, Christ kann man nur sein, wenn man an Gott glaubt, Muslim nur, wenn man an Allah glaubt, Jude nur, wenn man an Jahwe glaubt usw. Dagegen halten wir, die wir an den Sanatan Dharm glauben (die Sie wahrscheinlich unter der etwas ungenauen Bezeichnung "Hindus" zu kennen meinen, aber es sind nicht nur Wishnuïten und Shiwaïten, sondern auch Jainen und Buddhisten - die echten, nicht die in Fernost, die aus einem asketischen Menschen mit Ideen - mögen diese auch falsch gewesen sein - einen fetten Götzen mit Goldklunkern gemacht haben), dafür, daß die Regeln des Schicksalsweges für alle - auch für diejenigen, die nichts davon wissen oder nicht daran glauben - gleichermaßen gelten, auch wenn sie nicht für alle gleich sind. Für alle, d.h. nicht nur für Menschen, sondern auch für "Götter": Auch Jesus Christus hatte seinen Dharm, halt einen anderen als Sie oder ich; und das ist gut so, denn ich halte ihn für einen schlechten Weg. Daß er gleichwohl auf die Germanen einen so großen Eindruck gemacht hat, liegt m.E. darin begründet, daß sein Dharm so verblüffend an den Odins erinnert: Der letztere hat sich erhängt, der erstere ans Kreuz schlagen lassen, um seine Gläubigen zu erlösen. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen das so unverblümt schreibe, aber ich finde es dumm, faul und dreist, einen lebensmüden, selbstmörderischen "Gott" zu erfinden, der sich für einen "opfert" und einem die Sünden abnimmt. Wer "erlöst" werden will, soll gefälligst selber etwas dafür tun, und mit "tun" meine ich nicht einfach nur brav dran glauben und vielleicht noch etwas daher beten und "bereuen". Nicht nur theologisch gesehen halte ich die Umwandlung der christlichen Lehre weg von den "guten Taten" zum "rechten Glauben" an den "Christos soter", wie sie sich aus Reformation und Gegenreformation in beiden großen Konfessionen ergeben hat, für eine verhängnisvolle Fehlentwicklung. (Sie wissen von meinen Reiseberichten aus Indien, daß es dort - ebenfalls im 16. Jahrhundert - einmal eine ähnliche Glaubensrichtung gab; aber sie blieb zum Glück nur eine Episode.)

Dies ist indes nicht die einzige Fehlentwicklung, die ich im christlichen Glauben sehe. Eine andere ist die Tendenz zu einem immer strengeren Monotheïsmus vor allem bei den Protestanten, aber zunehmend auch bei den Katholiken. (Wie Sie vielleicht aus einem anderen Kapitel meiner "Reisen durch die Vergangenheit" wissen, bin ich selber in meiner Kindheit noch im Glauben an "Heilige" erzogen worden, die ja streng genommen nichts anderes sind als [Neben-]Götter; aber das ist lange her.) Im Laufe der Zeit hat sich dies zu einem Größenwahn gesteigert, der einige Christen - offenbar auch Sie - allen Ernstes (?) glauben läßt, daß "der" Gott der Christen, der Muslime, der Juden und aller anderer - nicht nur monotheïstischer - Religionen der gleiche sei. Sie halten den Buddh ebenso für [den] einen Gott wie Brahma - so schreiben Sie jedenfalls. Letzteres mag nur ein harmloser Irrtum sein, den ich dennoch aufklären möchte: Brahma ist kein Gott, schon gar nicht "der" [eine] Gott, sondern ein filosofisches Konzept - wobei freilich die Trennung zwischen Theologie, Filosofie und anderen "weltlichen" Dingen nicht so ausgeprägt ist wie im Christentum. Überhaupt halte ich das, was die Christen "Fundamentalismus" schimpfen, nämlich die Ausrichtung auch des praktischen Lebens am Glauben, für eine gute Sache, sonst verkommt die Religion nur allzu leicht zum bloßen Lippenbekenntnis. Die Muslime haben nicht ganz Unrecht, wenn sie die heutigen Christen als "Ungläubige" bezeichnen, weil die ihr Leben nicht mehr - oder kaum noch - an ihrem vorgeblichen Glauben ausrichten. Daß der Islam schlecht ist, liegt ja entgegen der Vermutung einiger Ignoranten im christlichen Westen nicht daran, daß er einen "Gottesstaat" postuliert, in dem Allahs Gebote konsequent auch im Alltag umgesetzt werden, sondern daran, daß viele (nicht alle!) dieser Gebote schlecht sind. Machen Sie sich von dem anmaßenden Glauben frei, daß Gott, Allah, Jahwe usw. ein- und derselbe wären, und zwar ausgerechnet der, den Sie als Christ sich darunter vorstellen! Was bei Brahma nur eine verzeihliche Unkenntnis sein mag (verzeihlich, weil einige verwestliche Inder diese Unkenntnis durch ihre - gut gemeinten - Höflichkeitslügen noch fördern), ist es vor allem bei Allah ein verhängnisvoller Irrtum, der für das Christentum tödlich enden könnte. Und in diesem Sinne darf ich schon versuchen, Sie zu bekehren, freilich nicht zu meinem, sondern zurück (Be-kehren ist in diesem Sinne auch ein Um-kehren) zu den Wurzeln Ihres eigenen Glaubens: Besinnen Sie sich wieder auf die Ursprünge eines militanten, d.h. kämpferischen Christentums, mit Toleranz für polytheïstische Züge, dafür ohne Toleranz für einen intoleranten Monotheïsmus, wie er uns in Gestalt des Islam entgegen tritt, sonst sind Sie und Ihre Glaubensgemeinschaft dem Untergang geweiht. Das schreibe ich ganz wertneutral, da wir Shiwaïten - abgesehen davon, daß wir Zerstörung und Untergang als notwendige Voraussetzungen für Wiederaufbau und Wiederauferstehung ansehen - nicht an eine Hölle glauben, sondern an eine Wiedergeburt auf Erden, mit der wir die Chance erhalten, unsere Fehler und Versäumnisse aus einem (oder mehreren) früheren Leben zu korrigieren. Aber nach Ihrem Glauben müßte doch das schuldhafte Versäumnis, pardon die Sünde wider das Erste Gebot, welche Sie begehen, wenn Sie die Muslime - die den Teufel tun werden, Ihren Gott mit Allah gleich zu setzen - neben sich leben lassen, ja sogar den "versöhnlichen" Dialog mit diesen Ihren (und auch unseren und überhaupt aller Nicht-Muslime) Todfeinden suchen (aber nie finden werden, da zu einem Dialog immer zwei gehören, und diese Ihre Bemühungen von der Gegenseite nicht ernsthaft, sondern allenfalls zum Schein erwidert werden dürfen), geradewegs in die Hölle führen!

Ach so: mit der Wahrheit, genauer gesagt mit den Wahrheiten (es gibt mehrere, auch die Göttin Veritas ist polytheïstisch: 1+1=2, 2x2=4 usw.) hat das nichts zu tun. Daß diese existieren, wollen wir nicht in Abrede stellen, im Gegenteil, wir meinen, daß der Mensch sein[e] Leben lang danach streben sollte, sie zu finden, weshalb ich Sie auch abschließend mit unserem Wahlspruch grüßen möchte:

Die Wahrheit wird siegen!

Ihr

Nikolas Dikigoros


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