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Claudia Flunkert geht in den Wald


Hänsel und Gretel verirrten sich ja bekanntlich im Wald. Claudia Flunkert passiert das nicht. Und es ist auch nicht dunkel und auch nicht bitterkalt. Der kleine Fuchs, der ihr begegnet, ist allerdings bei genauerem Hinsehen schon seeehr unheimlich. Und was hinterher in der Schule passiert, ist fast noch unheimlicher. Da könnte man/frau doch glatt die Tollwut kriegen.

It's not the mean witch whom Claudia Flunkert meets in the forest but a sweet little fox. However, the white foam around the fox's mouth makes Claudia suspicious, and what she goes through at school the next day is even more bizarre.


Daniel Roy, Bruehl, Deutschland
Malcolm McGookin, Asterisk, Brisbane (Queensland), Australia
Ki.Ka, Erfurt, Thüringen

Hallo, ihr Rübennäschen!

Ich bin's, eure Claudia Flunkert. Lasst euch von dem Geräusch nicht stören - ich knirsche nur ein bisschen mit den Zähnen.

"Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald, check it out. Es war so dunkel und auch so bitterkalt, yo, man, that's what I say." Was guckt ihr so? Ich werde doch wohl noch mal ein schönes altes Kinderlied rappen dürfen. Zumal "Hänsel und Gretel" irgendwie zu meiner heutigen Geschichte passt.

Neulich unterhielten sich in der großen Pause meine Klassenkameradinnen Zynthia Zickenrieder, Anna Rogant und Nathalie Nasehoch über ihre beiden Lieblingsthemen: Pferde und Reiten. "Oooch, mit meinem Schimmel Jimmi kann ich inzwischen schon um den hohen Ochser herumreiten", prahlte Zynthia. "Mein Flori wiehert immer selig, wenn ich ihn am Bauch kraule", hauchte Anna. Und Nathalie strunzte: "Ich habe mir gestern eine neue Dressur-Reitausrüstung zugelegt: Eine rote Samtjacke aus purem Polyester, ein Zylinder aus Acryl und blitzblanke knallschwarze Lederstiefel aus Gummi mit kniehohem Schaft und tiefergelegter Laufsohle." - "Ooooooh!" stöhnten die anderen beiden bewundernd. Als ich vorbeikam, quatschte mich Anna von links an: "Schade, dass du nicht auch reitest, Claudi." Dafür hasste ich sie! Erstens kann ich es nicht ausstehen, wenn mich jemand "Claudi" nennt, den ich nicht leiden kann, und zweitens hatte sie meinen wunden Punkt erwischt: Pferde. Natürlich hätte ich gerne ein Pferd. Und natürlich habe ich keines. Aber andererseits wollte ich mich nicht ärgern lassen und sagte: "Ja, stimmt, das ist schade. Es ist bestimmt cool, wenn man reiten kann. Ihr drei versucht ja schon seit Jahren krampfhaft, es zu lernen. Es muss bestimmt toll sein, denn sonst hättet ihr ja schon längst aufgegeben. Allerdings hätte ich für ein Pferd zu wenig Zeit, seitdem ich der Arbeitsgruppe 'Füttert unsere Fauna' beigetreten bin." Die drei schwiegen mir um die Ohren.

Und ich hatte übrigens die Wahrheit gesagt. Ich war nämlich wenige Tage zuvor Mitglied einer Gruppe an unserer Schule geworden, die sich so nannte. Wir wollten etwas für die Tiere unserer hiesigen Wälder tun. Und eben an diesem Nachmittag hatte ich vor, für diese Gruppe etwas zu tun: Ich würde alleine in den Wald gehen, um Blätter und Kastanien zu sammeln. Damit wollten wir die Tiere des Waldes im nächsten bitterbitterkalten Winter füttern.

Ich traf mich deshalb nach dem Mittagessen und den Hausaufgaben an der Schule mit Hans Biokram, der schon sechzehn ist und unsere Arbeitsgruppe leitet. Er gab mir erstens einen Eimer und zweitens einige Anweisungen. "Bring' auch ein paar Eicheln mit", bat mich Hans. Und er scherzte: "Und lass dich nicht von irgendeinem tollen Hirsch anmachen."

Nun bin ich zwar nicht ängstlich, aber so ganz alleine im Wald - auch wenn es heller Tag ist -, tja, da fühlt man sich schon irgendwo komisch. Um mir etwas Mut zu machen, sang ich so vor mich hin: "Ein Männlein steht im Walde auf einem Bein. Wie kann man denn bloß so bescheuheuert sein?" Dann fand ich einen ganzen Haufen Kastanien. "Hmm. Lecker. Außerdem sind die heute ja im Sonderangebot", sagte ich zu mir selbst und fand mich witzig. Ich begann zu sammeln. Gleichzeitig sang ich das Kinderlied weiter: "Sag, wer mag das Männlein sein, sonst tret' ich dir ins Popolein ...!" Plötzlich raschelte es neben mir. Ich drehte mich nach links ... nee, nach rechts, und ich sah - einen FUCHS. Genauer gesagt: Ein Füchslein. Einen ganz jungen Fuchs also. Ich war entzückt. Wie süß! Und ich sprach mit ihm: "Na sowas! Wo kommst du denn her? Du bist aber lieb. Und so zutraulich." Ich wollte ihn gerade streicheln, da fiel mir etwas auf: "Nanu. Was ist denn das für ein weißer Schaum, den du vor deinem Schnäuzelchen hast?" Und plötzlich fand ich die Sache gar nicht mehr süß. Weißer Schaum vorm Maul! Das konnte nur eines bedeuten: Der kleine Fuchs hatte die Tollwut! Die Tollwut ist eine tödliche Krankheit bei Tieren - eine richtige Seuchengefahr! Und was noch schlimmer ist, sie kann sich auch auf Menschen übertragen. Wenn mich der kleine Fuchs jetzt beißen würde, bekäme ich selber die Tollwut, und dann hätte ich ein ernstes Problem.

Deshalb ließ ich den Eimer stehen und rannte so schnell ich konnte davon. He, ich wusste, dass ich ziemlich sportlich war, aber dass ich soooo schnell wetzen konnte, hätte ich selbst nicht für möglich gehalten. Ich lief die hundert Meter bestimmt in acht Sekunden, und das mit Gummistiefeln! Der kleine Fuchs versuchte erst gar nicht, mir zu folgen.

Es war die Schule, wohin ich rannte. Verrückt, ne? Zur Schule rennen! Na, egal. Jedenfalls rannte ich dorthin, um Hans zu erzählen, was ich erlebt hatte. "Das ist eine ernste Sache", sagte er und kratzte sich am Kopf. "Der Fuchs muss gefangen und untersucht werden. Aber nicht von uns. Ich verständige sofort die Polizei und das zuständige Vegetarier... äh, Veterinäramt." Deswegen ging er gleich ins Schulsekretariat, um von dort zu telefonieren. Während er das tat, kam Isabelle Karamell von ihrer Flamenco-Gymnastikgruppe. Als ich sie sah, erzählte ich ihr gleich, was passiert war. "Wau - hoffentlich hast du dich nicht angesteckt", meinte sie. Aber ich beruhigte sie - da mich der Fuchs nicht gebissen hatte, konnte ich mich auch nicht angesteckt haben.

Als ich am nächsten Morgen in die Schule kam, hatte bereits jeder von meinem Erlebnis gehört. Herzlichen Dank, Isabelle! Und jeder - wirklich jeder - sprach mich darauf an: "Stimmt es, dass der Fuchs tolle Wut hatte, Claudi?" - "Hat er dich wirklich nicht angeknabbert, Claudi?" - "Kann Tollwut eigentlich auch durch Küssen übertragen werden, Claudi?" Irgendwann hat mich das so genervt, dass ich gar nicht mehr geantwortet habe. Die anderen fanden das komisch, und ich fand komisch, dass sie das komisch fanden, und sie fanden offenbar komisch, dass ich komisch fand, dass sie das komisch fanden. Das fand ich komisch. Ich hatte den Eindruck, sie würden über mich tuscheln.

Dann kam Bo Friesenkuß. Ich bin mit Bo befreundet, aber in letzter Zeit hatten wir uns mal gezankt, dann wieder versöhnt, dann wieder gezankt, und dann wieder versöhnt. Bo sagte: "Du, Claudia, wir können uns heute um vier doch nicht treffen. Unsere alte Nachbarin, die Frau Bratmaxe, ist gestorben, und ich muss um zwei Uhr zur Beerdigung." Wahrscheinlich lag es daran, dass ich so genervt war - jedenfalls machte ich ihn zur Schnecke: "So, zur Beerdigung musst du! Und die dauert zwei Stunden oder was?" Bo verteidigte sich: "Tschuldige, ich hatte vergessen, dass die Beerdigung HEUTE ist ...", aber ich war gerade so richtig schön am Schimpfen: "Immer hast du irgendwelche Ausreden: Du bist die Treppe runtergefallen oder musst deiner Mutter beim Zwiebelschälen helfen oder dein Kater wird Vater ..." Während ich so schimpfte, bemerkte ich gar nicht, wie die anderen immer lauter tuschelten und unseren Klassensprecher Franz Möchteführing ins Lehrerzimmer schickten.

Dafür bemerkte ich jedoch die Sirenen und das Blaulicht, als ein paar Minuten später ein Rettungswagen und ein Notarztwagen vorfuhren. Die Sanitäter und der Arzt rannten in unser Schulgebäude - und stürmten kurz danach unser Klassenzimmer. "Claudia Flunkert - im Namen des Gesetzes, wir müssen dich mitnehmen und untersuchen. Du wirst verdächtigt, die Tollwut zu haben", sagte der Arzt wichtig, aber atemlos. "Haben Sie'n Stich?", fragte ich ihn entgeistert. "Wo?" fragte er irritiert, aber dann legten mich die Sanitäter schon auf eine Bahre, schnallten mich fest, trugen mich zu ihrem Wagen und fuhren mich mit Lalülala ins Krankenhaus.

Was danach an der Schule passierte, habe ich ja nicht selbst erlebt, und deswegen erzählt euch das nun schnell mein Bruder Simon. Simon, erzähle, aber fasse dich kurz!

Simon: Hi, Mitkids! Ich bin's, der Simon. Also, kurz nachdem der Krankentransport mit Claudia losgefahren war, gingen die Lehrer in die einzelnen Klassen. Sie erzählten uns, dass die Schule wegen des Tollwutverdachts vorübergehend unter Quarantäne gestellt würde. Wir mussten die Schule verlassen und durften erst dann zurückkommen, wenn sicher sei, dass es dort keine Tollwuterreger gebe. Wir sind ja vernünftige und gehorsame Schüler - hi hi - und gingen deswegen sofort. Und es dauerte tatsächlich fast eine Woche, bis wir wiederkommen mussten, äh, durften. Claudia war die Heldin des Tages. Aber davon hattest du selbst ja nicht so viel, ne, Claudia?

Claudia: Nee, allerdings nicht, altes Brudergesicht. Im Krankenhaus wurde ich nämlich untersucht und untersucht und untersucht. Mir wurde viel mehr Blut abgenommen, als ich zu haben glaubte, ich wurde geröntgt, ich wurde in eine Art Bratröhre geschoben, ich wurde auf den Kopf gestellt ... bis einige Tage später der Arzt zu mir kam und strahlte: "Ich habe ZWEI gute Nachrichten. Hier die erste: Alle Untersuchungen sind negativ verlaufen, und das ist positiv. Auf deutsch: Du hast NICHT die Tollwut." Ich saß versteinert da und motzte: "Glauben Sie etwa, dass ich mich darüber freue, wenn ich es sowieso schon die ganze Zeit wusste?" Der Arzt antwortete jubilierend: "Ja! Und hier die zweite gute Nachricht: Der Fuchs mit dem Schaum vor der Schnauze ist gefunden und gefangen worden." Oh - das war tatsächlich interessant. Ich meinte: "Er musste wahrscheinlich getötet werden, oder?" Jetzt strahlte der Arzt wirklich: "Nein! Das ist ja das Schöne! Es hat sich herausgestellt, dass der Schaum vor seinem Maul lediglich SCHLAGSAHNE war!" Ich war erstaunt: "Wie - Schlagsahne?" Der Arzt erklärte: "Ja, Schlagsahne! Die Verantwortlichen haben sich natürlich auch gewundert, wie das sein kann. Und sie haben's herausgefunden. Das war nämlich so: Die Singegruppe des Altenheims Hannover 96 hatte im Wald ein Picknick gemacht. Mit viel Gesang und noch mehr Kuchen. Dabei haben die Leutchen anschließend nicht gemerkt, dass sie eine ganze Torte Schwarzwälderkirsch im Wald liegen gelassen hatten. Mit viiiel Schlagsahne! Und die hat dem Füchslein hervorragend geschmeckt!"

Ich packte meine Sachen zusammen, denn meine Eltern konnten mich ja nun abholen. Der Arzt strahlte und quasselte mich immer noch weiter voll. Er strahlte und quasselte sogar noch, als ich ihm zum Abschied "versehentlich" auf den Fuß trat.

Es grüßt euch zwar nicht tollwütig, aber ganz toll wütend

Eure Claudia Flunkert

P.S.: Wehe, jetzt sagt einer von euch 'was Falsches!

Schickt mir doch mal 'ne Mail!


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