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Die Flunkerts treffen Shakespeare - beim Fußball!


Daniel Roy, Bruehl, Deutschland
Malcolm McGookin, Asterisk, Brisbane (Queensland), Australien
Ki.Ka, Erfurt, Deutschland

Hallo, Rübennasen!

Genau, so redet euch nur eine an. Ich bin's nämlich wieder: Claudia Flunkert. Ich möchte euch heute von einem Jungen erzählen, den ich neulich auf dem Bolzplatz kennen gelernt habe.

Einmal mitten in der Woche - also am Donnerstag - treffe ich mich mit einigen Freundinnen zum Fußballspielen. Wir spielen nicht im Verein, sondern kicken einfach ein bisschen so zum Spaß auf einer Wiese vom Bauer Gerstenkorn, der uns das erlaubt hat. An einem dieser Donnerstagnachmittage brachte Griseldis Gedönsrat einen Jungen mit, den wir anderen alle noch nicht kannten. Oh, der sah aber süß au ... äh, ich meine, ich fand ihn nicht eklig. Griseldis machte uns mit ihm bekannt: "Ich möchte euch meinen neuen Nachbarn vorstellen. Er ist mit seinen Eltern vorige Woche in den Rex-Gildo-Weg 12 gezogen. Kai-Uwe, das sind meine Sportsfreundinnen Stracchiatella Gerstenkorn, Katja Koboll, Friederike Nietzsche und Claudia Flunkert. Und das hier ist Kai-Uwe Shakespeare."

Der Name Shakespeare (sprich: Schehjskspihr) kam mir irgendwie bekannt vor. "Hast du Verwandte in England, Kai-Uwe?" Kai-Uwe lächelte: "Ja, mein Nachname kommt in der Tat aus England. Bestimmt habt ihr alle schon von dem großen englischen Dichter William Shakespeare gehört?" Ja, genau, das war's. "Hat der nicht das Stück Romeo und Judith geschrieben?" fragte Stracchiatella Gerstenkorn. Kai-Uwe nickte: "Yes, exactly, girl. Wenn man's genau nimmt, heißt es Romeo und Julia, aber du meinst natürlich das Richtige. Er hat aber noch viele andere bekannte Stücke geschrieben. Zum Beispiel Macbeth, Hamlet, Der Widerspenstigen Zähmung, Der Kaufmann von Venedig, König Lear, Die lustigen Weiber von Windsor, Othello, Richard der Zweite, Richard der Dritte, Heinrich der Vierte, Heinrich der Fünfte, Heinrich der Sechste, Heinrich der Achte und jede Menge andere. William Shakespeare ist der berühmteste Schriftsteller Englands - wenn nicht sogar der ganzen Welt." He, cool! "Und wie kommt es, dass du mit Nachnamen genauso heißt wie dieser Megastar?" interessierte es mich. Kai-Uwe Shakespeares Augen begannen zu glänzen, und er verkündete stolz: "Es wird euch überraschen, aber es ist halt so. Ich, Kai-Uwe Shakespare, bin der deutsche Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-UndSoWeiter-Enkel des großen englischen Poeten William Shakespeare." - "Glaub' ich dir nicht", sagte Friederike Nietzsche patzig. Friederike Nietsche glaubt sowieso nie 'was und streitet immer alles ab. Wir anderen Mädchen beachteten sie gar nicht und staunten im Chor: "Oooooooh! Unglaublich! Der Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-UndSoWeiter-Enkel von William Shakespeare wohnt hier bei uns in Seeeehnde! Miau!" - "Der spinnt doch!" maulte die Nietzsche.

Wir fragten Kai-Uwe Shakespeare, ob er mit uns Fußball zu spielen gedenke. Er meinte vornehm: "Nun ja. Nicht dass Fußball die bevorzugte Freizeitbeschäftigung eines Nachfahren von William Shakespeare wäre, aber euch zuliebe tue ich's gern. Schließlich ist England ja auch ein führendes Fußball-Land. Im letzten Sommer hat die englische Nationalmannschaft die deutsche Nationalmannschaft sogar mit 5:1 geschla..." - "Ja, ja, wissen wir!" winkte ich ab. "Alle fünf englischen Tore waren Abseits", behauptete Friederike. Wie gesagt, Friederike Nietzsche streitet immer alles ab.

Wir begannen mit dem Spiel. Ihr hättet uns sehen sollen: Meine herrlichen Hackentricks, Katja Kobolls kraftvolle Kopfbälle, Friederikes fabelhafte Flanken, Griseldis Gedönsrats gigantische Granaten und Stracchiatellas stramme Strafstöße, das ist schon was. Nur Kai-Uwe Shakespeare stand etwas steif auf dem Platz, als wüsste er nicht, was man mit so einem Fußball macht. "Du musst ihn einfach mit dem Fuß treten. So! Siehst du?" erklärte ich ihm. Er lachte aber selbst über seine Unsportlichkeit. "Ich glaube, Fußball ist wohl nicht die Stärke der Shakespeares. Wir haben andere Qualitäten. Dichten und so." - "Aha. Dann werd' doch Klempner", witzelte Friederike Nietsche schnippisch. Während des Spielens fragten wir Kai-Uwe Shakespeare regelrecht aus. "Wann hat William Shakespeare eigentlich gelebt?" wollte ich wissen. "Vor ungefähr vierhundert Jahren", antwortete Kai-Uwe. "Ooooooh! Ich steh' auf alte Klamotten!" schwärmte Katja Koboll. Griseldis Gedönsrat überlegte laut: "Wenn dein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-UndSoWeiter-Opa William ein berühmter englischer Schriftsteller war, war er doch bestimmt auch adlig." Kai-Uwe dachte kurz nach: "Nun, von Haus aus war er nicht adlig. Aber irgendwann später hat er doch schon noch einen Adelstitel bekommen." - "Ooooh, dann können wir ja SIR KAI-UWE zu dir sagen." Kai-Uwe lachte verlegen. "Und wie kommt es, dass du in Deutschland lebst?" wunderte ich mich. "Tja, das ist Zufall", seufzte er. "Einer meiner Vorfahren hat vor rund zweihundert Jahren eine Stelle bei den Ford-Automobilwerken in Köln bekommen, und seitdem leben Shakespeares in Deutschland. Komischerweise wissen das gar nicht viele Leute." Also, das fand ich jetzt schon etwas komisch. Ich wurde jedoch in meinem Grübeln von Friederike Nietzsche gestört. Die brüstete sich: "Mein Vater hat mir erzählt, wir Nietzsches haben auch einen berühmten Vorfahren. So 'nen Philosophen oder so namens Friedrich. Muss ein cooler Typ gewesen sein. War immer gegen alles." - "Ts, ts, was du immer erzählst, Friederike", schmunzelte ich. Dann schaffte es Kai-Uwe Shakespeare doch noch mal, den Ball zu treten. Der Ball knallte an die Torlatte und fiel runter auf die Torlinie. "Tor oder nicht Tor? Das ist hier die Frage", wunderte er sich. Es war schon spät, und wir verabschiedeten uns. "Nächsten Donnerstag spiele ich wieder mit", versprach uns Kai-Uwe.

Als ich nach Hause kam, machte mein Bruder Simon gerade seine Gesangsübungen. Wisst ihr, er spielt in so einer Musical-Theatertruppe mit und müsste eigentlich Musicallieder üben. Statt dessen gröhlte er aber wieder mal was von Bon Jovi. "It's my liiiife, it's now or neeever". Ich unterbrach ihn einfach und machte ihn an: "Großer Bruder, weißt du eigentlich, dass sich die Band-Mitglieder von Bon Jovi wieder die Haare wachsen lassen wollen? Sie haben einen neuen Werbevertrag mit einer Shampoofirma." Simon witzelte zurück: "Ja, ja. Du bist ein Scherzkeks. Ein weiblicher Scherzkeks. Eine Scherzkeksin sozusagen." Ich wollte mich aber nicht zanken, sondern lieber ein bisschen mit meiner neuen Bekanntschaft angeben. "Sagt dir der Name Shakespeare etwas?" fragte ich ihn. "Klar. Falls du DEEEN Shakespeare meinst." - "Genau DEEEN meine ich. William Shakespeare. Der so tolle Stücke geschrieben hat wie Roberto und Julia, Mach's Bett, Kotelett, Die widerspenstige Dehnung, Der Kaufmann von Wiesbaden, König Bier, Die listigen Weibchen von Winsen, ein paar Richards und total viele Heinrichs." Simon wunderte sich: "Warum fragst du mich danach?" - "Weil ich heute beim Kicken seinen Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-UndSoWeiter-Enkel kennen gelernt habe." - "WEEEN hast du kennen gelernt?" - "Zwinge mich nicht, es zu wiederholen!" - "Schon gut. Ich glaub' dir sowieso nicht." - "Wenn du mir nicht glauben willst, kannste ja nächsten Donnerstag mitkommen. Dann stelle ich ihn dir vor." - "Und ob ich mitkommen werde!"

In den darauffolgenden Tagen beobachte ich, wie Simon sich Sachen aus dem Lexikon herausschrieb und etliche Seiten über Shakespeare aus dem Internet herunterlud und durchlas. Er wollte wohl vor Kai-Uwe mit seinem Fachwissen glänzen.

Dann kam der nächste Donnerstag. Simon ging mit mir zum Bolzplatz. Als wir ankamen, waren die anderen Mädchen bereits beim Kicken, und Kai-Uwe Shakespeare sah ihnen zu. Ich stellte die beiden Jungen einander vor: "Kai-Uwe - das hier ist mein Bruder Simon. Simon - das da ist Kai-Uwe Shakespeare, der Ur-Ur..." - "Ja, ich weiß", unterbrach mich mein Bruder. Simon sagte: "He, Kai-Uwe, das ist ja wirklich ein toller Vorfahr, den du da hast." - "Ja, ich weiß", meinte Kai-Uwe verlegen. Simon erklärte: "Ich habe in den letzten Tagen viel über deinen Vorfahren gelesen. William Shakespeare wurde 1564 in Stratford-upon-Avon in Mittelengland geboren. Sein Vater war von Beruf Handschuhmacher und Wollhändler und wurde Bürgermeister, als William noch ein kleiner Junge war. Mit achtzehn heiratete William die 26jährige Anne Hathaway. Die beiden bekamen drei Kinder: Susanna, Hamnet und Judith. Irgendwann wurde William dann Schauspieler und trat mit einer Theatertruppe in London auf. In dieser Zeit begann er, seine vielen Stücke zu schreiben, die auch heute noch sehr beliebt sind, obwohl sie eigentlich keiner so richtig versteht. William Shakespeare wurde dadurch ziemlich wohlhabend. Allerdings nicht steinalt, denn er starb im Alter von 52 Jahren in Stratford. Ein paar Jahre nach seinem Tod wurde ihm in seiner Heimatstadt ein Denkmal errichtet. Noch heute kommen viele Touristen nach Stratford, um Shakespeares Geburtshaus und Anne Hathaway's Cottage (das Geburtshaus seiner Frau) zu besichtigen. Und um Theaterstücke zu sehen, die von der Royal Shakespeare Company aufgeführt werden." Kai-Uwe staunte: "Herzlichen Glückwunsch! Du weißt gut Bescheid."

Simon lächelte gefährlich: "Dankeschön. Aber eine Sache, die ich in verschiedenen Artikeln gelesen habe, gibt mir zu denken. Es heißt, dass William Shakespeares Enkelin Elizabeth im Jahre 1670 gestorben ist. Seitdem hat William keine direkten Nachfahren mehr. So gesehen kannst du gar nicht William Shakespeares Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-UndSoWeiter-Enkel sein, Kai-Uwe." Kai-Uwe wurde blass und fing an zu transpri ... transpi ... zu schwitzen. Er stotterte: "Ich ... ich kann das erklären. Also ..." Aber Simon schien ihm zu Hilfe zu kommen und sagte: "Das hat vielleicht gar nichts zu bedeuten. Eine Gruppe sogenannter Historiker, die sich Oxfordianer nennen, behaupten nämlich, die Werke von William Shakespeare seien gar nicht von dem William Shakespeare aus Stratford geschrieben worden. Das sei nur eine Verwechslung. In Wirklichkeit sei der damalige Graf von Oxford der wahre Dichter gewesen. Der wollte aber damals nicht erkannt werden und veröffentlichte die Stücke daher nicht unter seinem richtigen Namen." Kai-Uwe sah wieder Land. Er sagte aufgeregt: "Ja, eben. Mein vollständiger Name ist nämlich: Kai-Uwe Shakespeare Graf von Oxford. Ich ..." Simon amüsierte sich und machte weiter: "Es gibt aber noch andere Gruppen von Leuten, die behaupten, die Stücke seien von jemand ganz anderem geschrieben worden. Manche sagen, Francis Bacon sei der wahre Verfasser gewesen. Andere halten einen gewissen Christopher Marlowe für den echten Shakespeare." - "Yes, exactly", keuchte Kai-Uwe. "Bacon und Marlowe heiße ich nämlich auch noch ..."

In diesem Moment ging Kai-Uwe zu Boden. Friederike Nietzsche hatte einen Fallrückzieher geübt, sich dabei in der Richtung verschätzt und Kai-Uwe mehr oder weniger aus Versehen mit dem Fuß am Kopf getroffen. Sie entschuldigte sich dafür bei ihm: "Verzeiht mir, Sir Schüttelbirne ... äh, Sir Kai-Uwe. Ich hatte nicht die Absicht, Eurer Erlauchtheit im wahrsten Sinne des Wortes unter die Augen zu treten. " Kai-Uwe rappelte sich auf, und ohne sich zu verabschieden, lief er davon. Griseldis Gedönsrat meinte noch. "Ich dachte mir gleich, dass an Kai-Uwes Geschichte etwas faul ist. Auf dem Türschild am Haus seiner Familie steht nämlich nicht SHAKESPEARE, sondern HORSTKÖTTER." Aha. Kai-Uwe Horstkötter hieß er also. Und hat uns Mädchen so verar... veräppelt. Simon grinste und erklärte uns: "Ich habe übrigens nicht geflunkert. Es gibt tatsächlich in England und Amerika viele Leute, die behaupten, der Graf von Oxford oder Bacon oder Marlowe oder sonst jemand anderes hätte Shakespeares Stücke geschrieben. Allerdings glaube ich das nicht und denke, es war wirklich William Shakespeare selbst, der William Shakespeares Stücke geschrieben hat."

Trotzdem war ich sauer auf Simon. Denn jetzt kann ich niemandem erzählen, dass ich den Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-UndSoWeiter-Enkel von William Shakespeare kennen würde.

Mit literarisch wertlosen Grüßen

Claudia Flunkert


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