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Claudia Flunkert und der Professor, der keiner sein wollte


Claudia Flunkert ist eingeladen worden, mit Pauline Schlaulini und deren Eltern nach Wien zu fahren. Unter Anderem wollen sie die Praxis von Ludwig van Beethovens Hals-, Nasen-, Ohrenarzt besichtigen. Paulines Vater ist Professor. Er ist an sich sehr nett, aber er hat ein Problem: Er hasst es, mit 'Herr Professor' angesprochen zu werden.

Claudia Flunkert has been invited to travel to Vienna with Pauline Schlaulini and Pauline's parents. Among others, they wanna visit the practice of Ludwig van Beethoven's ear, nose and throat doctor. Pauline's father is a professor. And that's his problem. He hates being addressed as 'Professor'.


Daniel Roy, Bruehl, Deutschland / Germany
Malcolm McGookin, Asterisk, Brisbane (Queensland), Australia / Australien
Ki.Ka, Erfurt, Deutschland / Germany

Hallo, Rübennasen!

Heute habe ich wieder mal Zeit, mich bei euch zu melden. In den letzten Wochen war das ein echtes Problem: Ich habe nämlich für den gelben Gummigürtel im Taekwondo trainieren müssen, und da hatte ich natürlich alle Hände und Füße voll zu tun. Jetzt habe ich aber Ferien und schreibe diese Geschichte aus einem Hotelzimmer in der österreichischen Hauptstadt Wien. Dafür darf ich auch den Laptop von Professor Schlaulini benutzen. Da, wo er die nächsten Tage verbringt, darf er selbst den nämlich nicht haben. Ach, ich sehe schon, ich verwirre euch. Sehr schön! Ich fange mal am Anfang an.

Ich bin ja schon seit einiger Zeit mit Pauline Schlaulini befreundet, und an einem Samstagnachmittag war ich bei den Schlaulinis eingeladen. Paulines Vater ist Professor - und das genau ist, wie ich an diesem Nachmittag herausfand, ein echtes Problem für ihn. Nicht dass er seine Arbeit an der Universität in Hannover nicht gerne tun würde. Er ist dort Dozent für Quantenphysik. Ich weiß zwar nicht genau, was Quantenphysik ist (vielleicht hat es etwas mit Füßen zu tun, weil man zu Füßen ja manchmal auch "Quanten" sagt), aber es scheint wohl ein schwieriges Fach zu sein. Und Paulines Vater ist halt Professor für das Fach Quantenphysik. Etwas Besonderes also.

Paulines Mutter hatte an diesem Nachmittag einen Quarz-Sandkuchen gebacken und Kaffee und Kakao gekocht. Pauline und ich saßen schon am Tisch, als der Professor dazu kam. "Hallo, Claudia", begrüßte er mich, und ich grüßte ihn zurück: "Guten Tag, Herr Professor Schlaulini." Das fand ich sehr höflich von mir selbst, aber der Professor verdrehte die Augen und meinte zu mir: "Hnnnng. Sag bitte nicht 'Professor' zu mir, Claudia. Sag einfach 'Herr Schlaulini', das genügt voll und ganz." Aha. Nun ja.

Während wir Frau Schlaulinis Sandkuchen aßen, der so herrlich zwischen den Zähnen knirschte, erzählte mir Pauline: "Du, Claudia, meine Eltern und ich machen in den Osterferien einen Kurzurlaub in Wien. Möchtest du nicht mitkommen?" Ich antwortete etwas verlegen: "Nojoo, ich würde schon möchten ... äh, mögen - wenn ich darf." - "Das ließe sich sicher machen", meinte Frau Schlaulini. "Natürlich müssen deine Eltern damit einverstanden sein", warf der Professor ein, und ich versprach: "Ich werde sie gleich heute Abend fragen, Herr Prof ..." - er verdrehte wieder die Augen - "... äh, Herr Schlaulini."

Als ich mit Pauline hinterher wieder alleine in ihrem Zimmer war, trällerte sie: "Das wäre wirklich schön, wenn du nach Wien mitkommen darfst. Ansonsten schleppen mich meine Eltern wieder in jedes Museum, das ihnen vor die Flinte kommt. Kultur, weißt du? Papyrusmuseum, Internationales Esperantomuseum, Haydn-Gedenkstätte mit Brahms-Gedenkraum, Kunsthistorisches Museum, die Praxis von Beethovens Hals-Nasen-Ohren-Arzt, das Fiaka-Pferdeäpfel-Museum ... Statt dessen könnten wir zwei ins Kino gehen oder in Hard Rock Cafés und so."

Während ich darüber nachdachte, was "und so" sein könnte, fing Pauline an zu kichern: "Hi hi hi. Papa wird bestimmt wieder den ganzen Urlaub über seinen Professorentitel verheimlichen. Wenigstens im Urlaub soll kein Mensch wissen, dass er Professor ist, sagt er immer. Hi hi hi hi." - "Ja, mir ist schon aufgefallen, dass er es nicht mag, wenn man ihn mit 'Herr Professor' anspricht. Wieso eigentlich?" wollte ich wissen. Pauline zuckte mit den Achseln: "Wieso das so ist, weiß ich selbst nicht so genau. Aber er hasst es geradezu, wenn man ihn mit 'Professor' anredet. Andere Akademiker bestehen sogar darauf, dass man sie mit 'Professor', 'Doktor', 'Diplom-Intschentschör' oder was auch immer sie sein mögen, anspricht. Papa nicht. Hi hi hi. Er hat sogar mal gesagt: 'Es ist schon schlimm genug, dass der Professorentitel an mir haftet wie Klebstoff. Aber müssen mir das die Leute auch noch immer und immer wieder unter die Nase reiben? Es ist unerträglich. Wie eine unheilbare Krankheit ist das.' Hi hi hi. Jedenfalls, im Urlaub verschweigt er vor allen Menschen, dass er Professor ist, und auch Mama und ich dürfen dann niemandem von seinem Titel erzählen. Wenigstens im Urlaub will er nur 'Herr Schlaulini' sein. Hi hi." Also, ich fand das wirklich ein bisschen merkwürdig. Obwohl ich den Professor ansonsten sehr nett fand.

Abends fragte ich meine Eltern, ob ich mit den Schlaulinis nach Wien fahren dürfte. Sie hatten an sich nichts dagegen, nur wollten sie sich von den Schlaulinis nichts schenken lassen. Sie bestanden darauf, für die Kosten, die ich den Schlaulinis verursachen würde, selbst aufzukommen. Das fand ich schon ein bisschen merkwürdig, dass meine Eltern freiwillig Geld dafür bezahlen wollten, dass sie mich ein paar Tage nicht sehen würden. Sollte mir das zu denken geben? Jedenfalls, in der darauffolgenden Woche gingen Mama und ich zu den Schlaulinis, damit meine Mutter mit Paulines Eltern das Finanzielle regeln konnte. Als wir wieder gehen wollten, verabschiedete sich Mama von den beiden: "Auf Wiedersehen, Frau Schlaulini. Auf Wiedersehen, Herr Prof ..." Der bis dahin so freundliche Professor rümpfte die Nase und fletschte die Zähne, und ich trat Mama leicht auf den Fuß. "Auf Wiedersehen, Herr Schlaulini", verbesserte sich Mama. Sie wusste Bescheid, denn ich hatte ihr von dem komischen Tick des Professors erzählt.

Dann kam der Tag vor der Abreise, und ich packte meine Reisetasche. Dabei dachte ich, ich könnte meinen großen Bruder Simon ein bisschen neidisch machen, und ich heuchelte ihm vor: "Eigentlich ist das schade. Ich darf Urlaub in Österreich machen, und du musst hier zu Hause bleiben." Simon war aber gar nicht neidisch: "Keine Sorge, Schwesterlein. Ich bekomme doch übermorgen für ein paar Tage Besuch aus England." Oh, das stimmte. Das hatte ich ganz vergessen. Ein englischer Brieffreund, der Simon mal zufällig auf der Durchreise kennen gelernt hatte, wollte ein paar Tage bei uns bleiben. Ich erinnerte mich und sagte: "Ach ja, richtig. Wie heißt dieser Junge noch gleich? Harry ... Harry ...?" - "Harry Potter", erinnerte mich Simon. "Harry Wer?" - "Harry Potter." - "Aha. Nie gehört", meinte ich. Simon schwärmte: "Er hat mir versprochen, dass er mir Quidditch beibringt." - "So, so", kommentierte ich - ich versuchte, möglichst gelangweilt zu klingen.

Am nächsten Tag fuhr ich mit Schlaulinis also nach Wien. Zum Glück fuhren wir mit dem Zug. Mit dem Auto wäre die lange Fahrt sicher ziemlich öde geworden. Wir spielten alle zusammen Trivial Pursuit. Das wurde dem Professor allerdings ziemlich schnell langweilig, weil er immer gewann, und deshalb spielten wir dann Scrabble. Auch dabei gewann er immer, weil ihm so komische Worte wie 'Lysergsäure', 'Rechtsmittelbelehrung', 'Manilahanf' und 'Fremdbestäubung' einfielen. Anschließend las er ein Buch, das ihn auf den Wien-Besuch vorbereiten sollte: "Leben und Schaffen des Doktors Franz Josef Kutips - Hals-Nasen-Ohren-Arzt des Komponisten Ludwig van Beethoven".

In Wien angekommen, quetschten wir uns in ein Taxi, das uns zu unserem Hotel (Das Schleimhütterl) brachte. Dort mussten wir uns erst einmal in die Kartei eintragen. Ich sah genau, was der Professor schrieb. Ins Feld 'Vor- und Zuname' trug er ein: "Hans-Erich Schlaulini". Dann lächelte er böse und machte im Feld 'Titel' einfach einen Strich. Ungefähr so: "-". Eigentlich hätte er dort ja "Prof. Dr." eintragen müssen. Statt dessen lachte er verstohlen: "He he he he. Ich bin der Herr Schlaulini. Ich bin nur der Herr Schlaulini. Sieht hier irgend jemand einen Professor? He he he." Dann drehte er sich zu uns und meinte: "Aber - pssst. Nicht dass meinen Trick eine von euch ausplaudert."

Paulines Eltern gingen in ihr Doppelzimmer, und Pauline und ich in ein anderes. Abends machten wir zwei noch Pläne, was wir beide am nächsten Tag alles unternehmen könnten. Pauline schlug vor: "Wir könnten in den Prater gehen und Riesenrad fahren. Müssen wir aber nicht. Wir können statt dessen Shopping machen. Und einkaufen. Und wir könnten uns Geschäfte angucken."

Am nächsten Morgen holten uns Paulines Eltern an unserer Zimmertür ab. Die beiden hatten vor, erst die Praxis von Beethovens Hals-Nasen-Ohren-Arzt zu besichtigen und dann noch das Mozartkugelmuseum mit dem Hans-Moser-Gedächtniszimmer. Gähn. Aber vorher wollten wir vier erst einmal in den Frühstücksraum des Hotels gehen. Der Professor scherzte: "Ich werde mir bei der Bedienung auf Wienerisch ein Frühstücksei bestellen. 'Hee, Kööner bitt'scheen - a Ej!'" Wir lachten, aber auf Hochdeutsch.

Aber noch ehe wir den Frühstücksraum erreicht hatten, begegnete uns auf dem Flur der Hoteldiener. Er grüßte uns: "Grüß Gott, die schönan Daman! Grüß Gott, Herr Professer!" Er hatte wirklich "Herr Professer" (also "Professor") gesagt. Au weia! Professor Schlaulini blieb wie angewurzelt stehen. Er wollte doch nicht, dass ihn jemand als Professor erkennt. Er hielt die Luft an und lief rot an - nein, blau. "Was habe ich nur falsch gemacht?" sagte er leise zu sich selbst. Und dann kam es über ihn. Er stürmte auf den armen Hoteldiener ein und brüllte ihn an: "Woher weißt du das?! Wer hat dir das gesagt?" Er packte den Hoteldiener am Kragen und schlug auf ihn ein. Dabei schrie er ihn hysterisch an: "Wer hat dir das verraten?! Wer hat dir gesagt, dass ich Professor bin?! Spuck's aus: Wer tut mir sowas an? Sprich - geschwind! Wer sind deine Informanten?!" Der Hoteldiener versuchte, sich unter den fortwährenden Ohrfeigen und Kinnhaken des Professors zu rechtfertigen: "Ach, gehn's, Herr Professer, mir hat kaaner wos g'sogt ... I sog zu a jedem männlichen Hotelgast HERR PROFESSER ... außer es ist a echter Professer, den tät i mit saanem vollständigan Titel ansprechan ... und zu a jedem waablichen Hotelgast sog i FRAU GRÄFIN ... außer sie hat a höheren Adelstitel ... Und wenns jetzt bitt'scheen so gut sein könnten, Herr Professer, und aufhören täten, mir in die Goschen zu hau'n, wär i Ihnan ssehr verbunden ... a paar Restzähne braach i nämlich schon noch."

Frau Schlaulini und wir Mädchen waren bis dahin wie erstarrt stehen geblieben. Jetzt aber begriffen wir, dass wir den durchgedrehten Professor von dem armen Hoteldiener wegzerren mussten, denn Professor Schlaulini prügelte munter weiter. Dabei kamen uns zwei Polizisten zu Hilfe, die inzwischen herbeigeeilt waren. Leider nahmen sie den Professor gleich mit. Er musste erst einmal in die Ausnüchterungszelle, bis sich sein Blutdruck wieder gesenkt hatte.

Frau Schlaulini entschuldigte sich beim Hoteldiener, der übrigens Burschi heißt, und erklärte ihm, was los war. Burschi war sehr verwundert: "Sowas hab i a noch net erlebt. I wusste wirklich net, dass der Professer Dokter Schlaulini a echter Professer ist. Und hätt i gwusst, dass er damit net ang'sprochen werden möchte, hätt i aanfach HERR GEHEIMRAT zu ihm g'sogt."

Burschi war so nett, keine Anzeige wegen Körperverletzung gegen den Professor zu erstatten. Trotzdem ist Professor Schlaulini im Moment immer noch im Knast. Ein Wiener Schnellgericht hat ihn nämlich wegen Unterschlagung eines akademischen Titels in einem besonders schweren Fall zu einer dreitägigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er nun gerade abbrummt. Und während wir drei Frauen uns Wien anschauen, sitzt er im Zuchthaus, isst Wiener Hoferschlaam und muss sich von den Wärtern und anderen Häftlingen jeden Tag fünfzigmal mit HERR PROFESSER anreden lassen, ohne dass er sich dagegen wehren darf.

Es grüßt euch also aus Wien

Eure Claudia Flunkert

P.S.: Eben habe ich mit Mama in Sehnde telefoniert. "Ist wenigstens bei euch alles in Ordnung?" habe ich sie gefragt, und sie hat mir erzählt: "Na ja, fast. Simon hat sich das Knie aufgeschlagen. Er hat mit seinem Gast Harry heute nämlich Quidditch trainiert, und dabei ist Simon leider vom Besen gefallen."

Schickt mir doch mal 'ne Mail!


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