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Simons Schwester Pippi Langstrumpf


Daniel Roy, Bruehl, Deutschland
Malcolm McGookin, Asterisk, Brisbane (Queensland), Australien
Ki.Ka, Erfurt, Germany (www.kika.de)

Hallo, ihr Rübennasen!

Hier meldet sich Claudia Flunkert mit einer Geschichte, von der ich nicht weiß, ob ich sie euch wirklich erzählen sollte. Na, was soll's, jetzt habe ich ja schon angefangen.

Also: Es war am Morgen des letzten Tages der Weihnachtsferien. Mama und Papa waren zur Arbeit, und mein großer Bruder Simon hatte Gesangsunterricht. Dafür telefonierte er mit Australien. Doch, echt jetzt! Er war doch in der Osterzeit mit einer Musicalgruppe in der australischen Stadt Sydney aufgetreten. Dabei hatte er die junge Musical-Schauspielerin Angela kennen gelernt. Seit dieser Zeit gibt sie ihm Gesangsunterricht. Am Telefon eben, weil sie sich ja sonst nicht sprechen könnten. Simon muss ihr dabei etwas vorsingen, sie korrigiert ihn dann, und am Ende gibt sie ihm eine neue Aufgabe für die nächste Woche.

Da Simon das Telefon auf den Freisprechmodus geschaltet hatte, konnte ich hören, was sie sagte: "That's ripper, Simon. Den Doktor Dolittle kannst du inzwischen wirklich gut. Für die nächste Woche übe bitte The Rain in Spain Falls Mainly in the Plain aus My Fair Lady. Wenn du willst, kannst du es auch auf Deutsch üben. Dann heißt es: Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen." Simon rümpfte die Nase. Er beschwerte sich aber nicht, sondern sagte artig: "Gut, wird gemacht, Angela." Aber als er aufgelegt hatte, grinste er und sagte: "Immer diese Musicalschnulzen, wie langweilig! Heute erweitere ich mal etwas meinen Horizont." Er steckte eine Kassette in seinen Walkman und setzte sich die Kopfhörer auf. Ich las noch das Kassetten-Cover ("Bon Jovi - die frühen Werke"), da begann Simon auch schon zu singen. Obwohl - singen? Na gut, nennen wir's mal singen. Er brüllte aus vollem Leibe: "Wooo hooo - we're half way theheere - wooo hooo - living on a praaaayer ..." Oh oh! Wenn das seine Gesangslehrerin Angela merken würde, das mein sonst immer so braver Bruder statt der Musicallieder lieber Hard Rock Songs einstudiert, würde sie ihn bestimmt tierisch zur Schnecke machen.

Aber das war seine Sache. Während er schrie: "... take my hand, and we'll make it, I swear ...", ging ich vor's Haus. Auf dem Vorderreifen von meinem Fahrrad war keine Luft mehr, und ich begann, ihn aufzupumpen. Ich pumpte so vor mich hin, als mich der kleine Felix Magenwind anquatschte: "Was machst du denn da, Pippi Langstrumpf?" Da war es also wieder, mein Problem: Felix ist fünf Jahre alt und war seit fünf Tagen fest davon überzeugt, dass ich Pippi Langstrumpf sei. Okay, ich bin ziemlich kräftig, und ich habe lange rote Haare, und manchmal trage ich die als Zöpfe. Und das hat ausgereicht, dass Felix Magenwind glaubt, ich sei gar nicht Claudia Flunkert, sondern Pippi Langstrumpf. Die kennt er aus dem Fernsehen. "Ich pumpe meinen Fahrradreifen auf, wie du siehst", antwortete ich ihm unfreundlich. "Schließlich muss ich mit dem Rad morgen früh wieder zur Schule fahren, während du faul vor dem Fernseher sitzt und die Teletubbies guckst." Seine Pippi Langstrumpf mit dem Rad zur Schule? Das gab ihm zu denken: "Wieso denn? Du gehst doch gar nicht in die Schule, Pippi Langstrumpf. Und warum brauchst du eigentlich ein Fahrrad? Du kannst doch auf dem Kleinen Onkel reiten." Ich nahm ihn mir vor und sagte laut, langsam und deutlich: "Erstens: Ich bin nicht Pippi Langstrumpf. Zweitens: Ich habe kein Pferd, und wenn ich eines hätte, würde ich es ganz bestimmt nicht Kleiner Onkel nennen. Und drittens: Wenn ich nicht zur Schule gehen würde, hätte ich ganz schön Ärger mit meinen Eltern." Das Letzte hätte ich besser nicht gesagt. Felix meinte: "Mit deinen Eltern? Aber die sind doch weit weg. Deine Mama ist ein Engel im Himmel, und dein Papa ist als König in Taka-Tuka-Land." Ich war ganz schön fertig. Erstens wegen dieser Nervensäge Felix, und zweitens, weil ich merkte, dass meine Luftpumpe kaputt war. Als ich ins Haus ging, um mir Simons Luftpumpe zu borgen, bettelte Felix noch: "Ach, heb doch bitte mal ein Pferd für mich hoch, Pippi Langstrumpf! Nur einmaaaal!"

Als ich in Simons Zimmer war, um mir die Luftpumpe zu holen, bemerkte mich Simon gar nicht. Er hing gerade an der Lampe und quiekte: "Shot to your heart, and you're to blame, Darling, you give love a bad name." Ihr erinnert euch, er machte gerade seine Gesangshausaufgaben. Oder auch nicht. Wirklich, wenn seine Gesangslehrerin in Australien hören würde, wie er Hard Rock singt, würde sie ihm das Fell über die Ohren ziehen.

Simons Luftpumpe funktionierte einwandfrei, zum Glück. Nur leider war der kleine Felix immer noch da. Und er nervte fröhlich weiter: "Warum pumpst du denn den Reifen mit der Luftpumpe auf, Pippi Langstrumpf? Du bist doch so stark, dass du den mit dem Mund aufblasen könntest." Er ärgerte mich immer mehr. Ich motzte ihn an: "Soll ich es dir schriftlich geben, Kleiner? Ich bin nicht Pippi Langstrumpf!" Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: "Wie denn schriftlich, Pippi Langstrumpf? Du kannst doch gar nicht lesen und schreiben, Pippi Langstrumpf. Ach sag, Pippi Langstrumpf, warum hebst du denn kein Pferd für mich hoch? Ist es denn schwer, so'n Pferd hochzuheben, Pippi Langstrumpf?" Ich sagte kein Wort mehr, sondern ging zurück ins Haus. Mit dem Fahrrad war ich fertig, und mit den Nerven auch so ziemlich. "Grüß den Herrn Nilsson von mir", rief mir Felix noch hinterher.

Als ich die Luftpumpe zurück in Simons Schublade legte, wälzte der sich gerade auf dem Fußboden und sang die letzten Takte von "In and out of love ... in and out of love ... in and out of love". Dann war die Kassette wohl zu Ende. Noch immer am Boden liegend, nahm er sich die Kopfhörer ab und lächelte selig. Ich konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen: "Großer Bruder, wenn deine Gesangslehrerin Angela merkt, dass du statt My Fair Lady lieber Bon Jovi einstudierst, wird sie dir ganz schön in den Hintern treten." Simon grinste weiter: "Claudi - denk mal nach! Ich bin in Sehnde, und Angela ist in Australien. Das ist siebzehntausend Kilometer von hier entfernt. Wenn sie mir in den Hintern treten will, braucht sie dafür ein siebzehntausend Kilometer langes Bein. Stell dir mal vor, wie umständlich das wäre, wenn sich jemand mit siebzehntausend Kilometer langen Beinen die Schnürsenkel binden wollte." Ich sagte: "Ich bin ganz sachlich. Wahrscheinlich wird sie sich über deinen Gesang so ärgern, dass sie das nächste Flugzeug von Sydney nach Frankfurt nimmt, dort in den nächsten ICE nach Hannover steigt, von dort mit dem Regionalzug nach Sehnde kommt, vom Bahnhof aus unser Haus sucht - immer deinem Gesang nach - und dir dann in den Hintern tritt." Simon war amüsiert: "Hast du eigentlich keine eigenen Probleme, kleine Schwester mit der großen Phantasie?" Doch, die hatte ich natürlich. "Felix Magenwind", sagte ich nur. Simon lachte laut: "Ha ha! Hält er dich immer noch für Pippi Langstrumpf? Vielleicht solltest du sein Spiel einfach mal mitspielen," riet er mir.

Anschließend wollte ich mit dem Fahrrad zu meiner Freundin Aloisia Niedermacher fahren. Doch da war es wieder, mein Problem: Felix! "Ach, heb' doch mal'n Pferd für mich hoch, Pippi Langstrumpf!" - "Na gut", sagte ich. "Ich mach's. Wenn du mir ein's holst." Und genau das war mein Fehler. Er verschwand blitzschnell hinter dem Haus seiner Eltern ... und kam mit einem Pony zurück. "Das ist Heinz-Florian. Ich hab' ihn zu Weihnachten bekommen. So'n Pony hebst du ja bestimmt vor dem Frühstück." Schluck! Da hatte mir mein schlauer Bruder wirklich einen wunderbaren Rat gegeben. Aber vielleicht war so'n Pony ja gar nicht sooo schwer. Ich trat an das Pony Heinz-Florian heran, um es am Bauch zu fassen, da meinte Felix: "Moment. Erst muss ich mich noch draufsetzen", und schon saß er stolz auf dem Pony. Okay - ich fasste Heinz Florian am Bauch - was wiegt so ein Pony eigentlich? - hob das Pony an - höher - und höööher ...

Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass mich Simon leicht ohrfeigte und sagte: "Komm zu dir, Claudia." Als ich die Augen aufschlug, starrten mir ein Simon, ein Felix und ein Pony ins Gesicht. Das Pony war wohl doch zu schwer für mich gewesen. Simon erzählte. "Als ich dich sah, hieltest du gerade das Pferd und den Felix mit ausgestreckten Armen über dir. Dann bist du umgekippt. Bevor du ohnmächtig wurdest, hast du Unsinn geredet, zum Beispiel: 'Simon, so tu doch was - der Pumuckl wird entführt!' Mann, das war vielleicht schwer, das Pferd von dir runterzuheben. Das war nämlich auch ohnmächtig."

So, mit Felix war ich fertig: "Wenn du noch einmal Pippi Langstrumpf zu mir sagst, werfe ich dich auf einen Baum." Seitdem lässt er mich in Ruhe.

Nachtrag: Am Abend setzte sich Simon wieder seinen Walkman auf und übte weiter Hard Rock statt Musical-Musik: "Your love is like baaad medicine, baaad medicine is all I got..." Das brachte mich auf 'ne Idee. Ich suchte mir die Telefonnummer von Angela in Australien heraus - wau, siebzehn Stellen! Dann wählte ich die Nummer, setzte das Telefon auf den Freisprechmodus, stellte mich damit neben Simon und hielt ihm den Hörer vor den Mund. Der bemerkte das gar nicht, so inbrünstig, wie er sang. Am anderen Ende der Leitung meldete sich seine müde Gesangslehrerin: "Hallo .... nanu ... Rockmusik? ... Bist du das etwa, Simon?" Als Simon den Telefonhörer vor seinem Mund sah, riss er sich den Kopfhörer herunter, aber zu spät. Er hörte Angela noch sagen: "Na warte, Lümmel! Ich werde das nächste Flugzeug nach Deutschland nehmen und dir in den Hintern treten!"

Seitdem ist Simon sauer auf mich. Könnt ihr das verstehen?

Es grüßt euch langstrümpfig

Claudia Pippi Flunkert



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