Hallo, Rübennasen!
Hier meldet
sich Claudia Flunkert mit einer sportlichen Geschichte.
Seit
einiger Zeit wohnt neben uns eine englische Familie: die Dullmans. Die
Dullmans haben zwei Kinder: Darren Dullman, der ist dreizehn, und seine
elfjährige Schwester Debbie Dullman. Die Dullmans sind sehr nett.
An einem sonnigen Samstagmorgen sah ich, wie Debbie und Darren in
einer seltsamen Verkleidung aus dem Haus gingen. Beide trugen sie eine
weiße Hose und weiße Hemden, und Debbie hatte obendrein einen riesigen Hut
auf. Sie hatten weiße Sporttaschen dabei. "Hi, ihr zwei. Geht ihr etwa
zum englischen Karneval?" Sie lachten, und Darren meinte: "Wir
Engländer brauchen keinen Karneval. Wir haben andere lustige Traditionen
wie den Geburtstag der Königin oder das Pferderennen in Ascot. Aber heute
gehen wir nur zum Sport. Wir spielen Cricket." Aha - Cricket. Ich
kuckte wohl etwas verwundert aus der Wäsche und fragte: "Cricket? Ist
das die Sportart mit den Netzen?" Jetzt guckten Darren und Debbie
etwas verwundert, und Debbie meinte: "Nein, was du meinst, ist Lacrosse
- oder Angeln - oder Schmetterlinge fangen. Cricket ist ein
Schlagballspiel, du Ignorantin." Ich war beleidigt: "Ignorantin?
Ich bin keine Ignorantin! Ich weiß ja nicht mal, was eine Ignorantin
ist." Debbie beruhigte mich: "Sorry, ich hab's nicht so gemeint.
Wenn du heute nichts anderes vorhast, komm doch einfach mit, dann lernst
du unser Cricket kennen. Unsere Mom fährt uns hin."
Ja, das
war cool. Ich sagte zu Hause Bescheid, und meine Eltern hatten nichts
dagegen. Mein Bruder sowieso nicht. Dann kam auch Misses Dullman, die
Mutter von Darren und Debbie. Sie hatte eine Tüte in der Hand und sagte:
"Ich habe noch einige Gurkenbrote gemacht, damit ihr nicht
verhungert." Aha - Gurkenbrote. Na sowas! Dann fuhr uns Misses Dullman
mit ihrem alten Austin auf der Bundesstraße, die von Peine über Pattensen
nach Paris führt, in ein Dörfchen hinter Hannover. Dort waren schon
etliche andere Kinder, die so ähnlich angezogen waren wie Debbie und
Darren - und da war auch das Cricket-Spielfeld.
Darren erklärte
mir: "Manche Leute vergleichen Cricket mit Baseball. Das ist nicht ganz
falsch, aber auch nicht ganz richtig. Cricket ist aber genauso wie
Baseball ein Schlagballspiel. Pass auf, hier wo die Begrenzung ist,
beginnt das Cricket-Spielfeld, auch 'Cricket Ground' genannt. Aber da in
der Mitte des Spielfeldes siehst du noch ein besonderes Feld - sozusagen
ein Spielfeld im Spielfeld. Das nennt man 'Pitch'." Ja, dieses Pitch
fiel mir auf. Es war ungefähr zwanzig Meter lang, aber nur drei Meter
breit. Debbie meinte: "Claudia, sicher fallen dir die Wickets auf dem
Pitch auf." Ich wunderte mich: "Ja, ja. Wickets. Genau. Was sind
denn Wickets?" Die beiden lachten, während ich in eines von Misses
Dullmans Gurkenbroten biss. Darren antwortete: "Hier, das hier an den
Längsenden des Pitches sind die Wickets. Man könnte fast sagen: 'Tore',
aber nicht wirklich. Die Wickets bestehen aus drei hölzernen Stangen, die
hochkant stehen, und zwei Hölzchen, die oben auf den dreien drauf
liegen." Eigenartige Konstruktion. "Cool! Und was hat man
davon?"
Debbie nahm mich zur Seite und erklärte mir: "Well,
Cricket ist nicht ganz leicht zu verstehen. Aber schau, die anderen fangen
jetzt an zu spielen, dann wirst du verstehen, worum es geht. Zumindest
teilweise."
Ach, das war schon komisch. Auf das Pitch gingen
zwei Kinder mit Schlägern. "Die beiden spielen zusammen und vertreten
ihre Mannschaft." Neun Spieler der anderen Mannschaft verteilten sich
auf dem Feld um das Pitch herum. Die einen in der Nähe des Pitches, die
anderen mehr in den Ecken des restlichen Feldes oder mitten drauf. Ich
selbst aß mittlerweile noch so ein Gurkenbrot. Die Spieler 10 und 11 der
gegnerischen Mannschaft nahmen aber besondere Positionen ein. "Der
Junge mit dem Ball ist der Werfer oder auch 'Bowler'. Er wird jetzt an dem
einen Ende des Pitches Anlauf nehmen und mit dem ausgestreckten Arm den
Ball so werfen, dass er das Wicket - also diesen Hölzchenbau - am anderen
Ende des Pitches trifft. Wenn er vorbei wirft, versucht der sogenannte
Wicketwächter hinter dem Wicket - der mit dem großen Hut - den Ball zu
fangen." Ah ja. Wie witzig. "Und wo ist das Problem dabei?"
fragte ich etwas durcheinander und begann mein drittes Gurkenbrot. "Das
Problem ist der Spieler mit dem Schläger, der sogenannte Schlagmann. Er
steht vor dem Wicket und wird versuchen, den Ball mit dem Schläger
wegzuschlagen, so dass der Ball das Wicket nicht trifft. Sie fangen jetzt
an. Pass einfach auf, was geschieht!"
Ja, es fing los -äh, es
ging an - äh, es fing also an. Der Bowler nahm Anlauf und warf den Ball.
Der Ball prallte unterwegs auf dem Boden des Pitches auf - ditsch. Der
Schlagmann schlug den Ball, traf ihn - zack -, und der Ball kullerte über
das große Spielfeld. Die anderen gegnerischen Spieler immer hinterher.
Währenddessen lief der Schlagmann von der einen Seite des Pitches zur
anderen und zurück. Und es gab ja noch einen Spieler mit 'nem Schläger.
Der lief auch von der einen Seite zur anderen und zurück, aber dem ersten
Schlagmann immer genau entgegengesetzt. "Die beiden sammeln damit
Punkte für ihr Team. Immer wenn beide Schlagmänner die Seite des Pitches
gewechselt haben und mit dem Schläger, der Hand oder dem Fuß den Boden
hinter der ersten weißen Linie berühren, ist das ein sogenannter 'Run' und
gibt einen Punkt." In der Zwischenzeit hatten die gegnerischen
Feldspieler den Ball aufgesammelt und zum Wicketwächter zurückgeworfen.
Die Schlagmänner hatten mit dem Laufen aufgehört und insgesamt zwei Punkte
erzielt. Und ich nahm mir ein weiteres Gurkenbrot.
Dann nahm der
Werfer wieder Anlauf und warf den Ball. Der Schlagmann schlug daneben und
der Ball traf das Wicket und die Holzstäbchen oben darauf fielen
herunter.. "Toooor!" jubelte ich mit vollem Mund - nicht ganz
korrekt. Debbie meinte: "Ja, so ähnlich. Das Wicket wurde getroffen,
und der schuldige Schlagmann scheidet aus. Er wird vom nächsten Schlagmann
seiner Mannschaft ersetzt."
Jetzt warf der Werfer wieder, der
Schlagmann traf den Ball, beide Schlagmänner auf dem Pitch liefen hin und
her und sammelten Punkte, bis der Ball zurückgeworfen wurde. Der Werfer
warf erneut, und der Schlagmann traf den Ball so, dass der in hohem Bogen
durch die Luft flog. "Brillianter Schlag", bemerkte ich kauend.
"Abwarten", meinte Debbie. Ein gegnerischer Spieler fing den Ball
und brach in Freudentaumel aus. "Wenn ein Feldspieler den Ball aus der
Luft fängt, ohne dass der Ball vorher den Boden berührt hat, ist der
Schlagmann auch ausgeschieden."
Wieder kam ein neuer
Schlagmann, und ich war inzwischen beim sechsten oder siebten Gurkenbrot.
Der Werfer warf, der Schlagmann schlug, der Ball kullerte, und die beiden
Schlägertypen ... äh ... Schlagmänner liefen von einem Ende zum anderen
und sammelten Punkte. Dann wurde der Ball von den Feldspielern
zurückgeworfen, der Wicketwächter fing ihn und warf den Ball nun selbst
gegen das Wicket. Das Holzstäbchen fiel herunter, der Wicketwächter
jubelte "Hooray" und der Schlagmann schimpfte: "Shocking!"
Darren sagte: "Wenn die gegnerischen Spieler den Ball gegen das Wicket
werfen, während die Schlagmänner laufen, scheidet der Schlagmann aus, der
dem Wicket am nächsten ist." Debbie ergänzte: "Ein Durchgang im
Cricket, den wir übrigens 'Innings' nennen, dauert solange, bis der
vorletzte Schlagmann einer Mannschaft ausgeschieden ist. Also der zehnte.
Dann ist die gegnerische Mannschaft mit Schlagen dran, und die Spieler der
Mannschaft, die bis dahin geschlagen hat, wird nun werfen und fangen und
so. Die Mannschaft, deren Schlagmänner die meisten Punkte gesammelt haben,
ist am Ende der Sieger."
Ich fand das Spiel sonderbar, aber
irgendwie auch spannend. "Am liebsten würde ich das auch gerne mal
probieren. Übrigens, eure Gurkenbrote waren sehr lecker. Schade, dass sie
schon alle aufgegessen sind", meinte ich. "Das mit dem Mitspielen
wird gehen. Heute trainieren wir ja bloß", sagte Darren. Darren und
Debbie stellten mich den anderen Kindern vor. Ein Junge, der Harry
Hungerford hieß, schlug vor: "Du hast ja gesehen, wie das mit dem
Schlagen geht. Versuch's doch mal selbst. Du bildest eine Partnerschaft
mit Jim Winterbottom." Oh, das war mir jetzt peinlich: "Äh ... ich
fürchte, das geht nicht. Ich gehe schon fest mit Bo Friesenkuß aus meiner
Klasse, wisst ihr?" Alle lachten. Harry beruhigte mich: "So war das
nicht gemeint. Dein 'Partner' ist diesem Falle der zweite Schlagmann. Wenn
du den Ball schlägst und eure Gegner ihm hinterherjagen, lauft ihr
gleichzeitig von einem Pitch-Ende zum anderen und sammelt Punkte."
Ach, soooo war das gemeint.
Es ging los. Ein Junge namens Donald
Bradman lieh mir seinen Helm, seine Schienbeinschoner und seinen Schläger.
Dann lief die Werferin Mary MacMiesel auf mich zu und warf den Ball mit
ausgestrecktem Arm. Der Ball ditschte auf - und, hurra, ich erwischte ihn
voll. Peng! Zuschlagen kann ich nämlich. Der Ball flog in hohem Bogen aus
dem Stadion. "Oh - Entschuldigung!", piepste ich. "Hervorragend.
Wenn ein Schlagmann den Ball aus dem Spielfeld herausschlägt, bekommt er
sechs Punkte. Das ist gut. Wenn wir den Ball wiederfinden, brauchst du ihn
auch nicht zu bezahlen." Zum Glück fanden sie den Ball wieder.
Dann nahm Mary erneut Anlauf, sie warf, ich schlug - diesmal nicht
ganz so gut. Der Ball kullerte über den Boden, die Gegner hinterher, mein
Partner und ich begannen zu laufen - aber der Ball kullerte über das
Spielfeld heraus, ohne dass die Gegner ihn erreichten. "Hör ruhig auf
zu laufen. Wenn der Ball aus dem Spielfeld herausrollt, gibt das immer
vier Punkte."
He, ich war wohl gar nicht so schlecht. Ich
durfte weiterhin schlagen. Wieder warf Mary MacMiesel - diesmal ganz
vertrackt. Ich konnte nicht rechtzeitig ausholen. Ich stoppte den Ball mit
dem Bein. Hmm. "Eigentlich hat dich Mary jetzt ell-bie-dabbeljuht",
sagte Harry. Häääää? Was? "Das ist ein Fachausdruck", meinte Mary.
"Der Schlagmann wehrt den Ball, der ansonsten das Wicket getroffen
hätte, nicht mit dem Schläger, sondern mit dem Bein ab. Das ist verboten.
Eigentlich wärst du jetzt ausgeschieden. Aber du trainierst ja noch. Lass
uns einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen." Wie nett von
ihr! Aber ganz so einfach war Cricket also doch nicht.
Mary nahm
wieder Anlauf - warf den Ball - aggressiv war ich mich nach vorne - und
schlug vorbei, denn ich musste gerade mal rülpsen. Ihr wisst schon, die
vielen Gurkenbrote. Der Wicketwächter fing den Ball und zerschlug damit
das Wicket. "He, der Typ mit dem Hut hat das Wicket zerdeppert",
schimpfte ich. "Ja, das ist seine Aufgabe. Er hat dich STUMPED OUT.
Normalerweise wärst du schon wieder ausgeschieden", erklärte mir
Harry.
Und so trainierte ich noch eine Weile weiter. Auch das
Werfen durfte ich trainieren, das eigentlich 'Bowlen' genannt wird.
Wichtig ist, dass man den Ball mit durchgestrecktem Arm wirft. Wenn man
beim Bowlen den Arm anwinkelt, ist das verboten und der Schläger bekommt
Extrapunkte. Auch als Feldspielerin habe ich noch mitgespielt. Gar nicht
so einfach, den Ball direkt aus der Luft zu schnappen, aber zweimal habe
ich's geschafft.
Auf der Rückfahrt erzählten mir Debbie und
Darren, dass es Länderspiele gibt, die fünf Tage dauern! Das müsst ihr
euch mal vorstellen! Wirklich geduldig, diese Cricketspieler!
Also, ich fand Cricket gar nicht so langweilig, wie es zuerst
aussah.
Es grüßt euch sportlich
Claudia Flunkert!
Die Bilder, die ihr auf dieser Seite seht, habe ich nicht selbst aufgenommen
(ich hatte ja gar keinen Fotoapparat dabei), sondern die hat mir Herr Siegfried Franz vom
T.S.V. Buxtehude-Altkloster v. 1899 e.V. zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank
nochmal, Herr Franz.
Wenn ihr wissen wollt, wo ihr bei euch in der Nähe mal
Cricket spielen oder gucken könnt, erkundigt euch doch mal beim
Deutschen Cricket-Bund.
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