Die Geschichte von Rado Vleugel

 

5. November 1999
 

Mein Name ist Rado Vleugel. Ich wurde am 1. Januar 1973 in der Silversternacht, als drauäen die Böller krachten, in Amsterdam geboren.

Der Wachtturm vom 15. Januar 1994 berichtet auf der Seite 22 einiges aus meiner frühen Geschichte als Zeuge Jehovas. Rado Vleugel

Als Rado, der bereits erwähnt wurde, sechs Jahre alt war, studierten zwei Pioniere mit seinen Eltern die Bibel. Er war noch ziemlich jung, da ging er schon regelmäßig mit diesen Vollzeitdienern in den Predigtdienst. Mit 17 wurde Rado selbst allgemeiner Pionier.

Ein Jahr nachdem ich als Pionier angefangen hatte, ernannten mich die Ältesten zum Dienstamtgehilfen. Im gleichen Jahr, während ich noch achtzehn war, teilte man mich für die Leitung eines Versammlungsbuchstudiums ein.

Im Herbst 1998 kaufte ich einen neuen Computer mit einem eingebauten Modem, bereit für das Internet. Innerhalb einer Woche entdeckte ich die Web-Site von AJWRB.

Seit mehreren Jahren hatte ich bereits Zweifel hinsichtlich der Blutfrage gehegt. Zum Beispiel gab ich die Ausgabe vom 22. Mai 1994 des Erwachet! mit dem Thema „Jugendliche, die Gott den Vorrang gaben“ über junge Kinder, die wegen der Verweigerung einer Bluttransfusion sterben mussten, nicht ab.

Auf der Web-Site des AJWRB fand ich einen Brief „Stoppt den Wahnsinn“. Ich fühlte eine Verpflichtung, diesen Brief aus dem Englischen ins Holländische zu übersetzen. Ende November 1998 war die Übersetzung fertig und wurde auf die AJWRB-Site hochgeladen. Um die Brüder und Schwestern in den Niederlanden darauf hinzuweisen, dass im Internet für sie eine wichtige Information zur Verfügung stand, sprach ich anonym mit einigen Journalisten. Zwei größere holländische Zeitungen veröffentlichen einen Artikel über den AJWRB und meinen Aufruf zu einer Reform. In einer dieser Zeitschriften kommentierte ein Sprecher des holländischen Zweiges, Ruben van den Heuvel, meine Handlungsweise wie folgt:

Glücklicherweise herrscht hier Redefreiheit und ich sage 'diese Leute sollen ihr Inkognito lüften, und dann können wir miteinander zu reden beginnen' (Algemeen Dagblad vom 27.11.1998)

Meine Identität wurde wenige Tage darauf enthüllt, nachdem ich verkleidet und mit veränderter Stimme im nationalen Fernsehen erschienen war und über die Blutfrage geredet hatte. Die Tarnung war nicht gut genug. Die Ältesten meiner Versammlung wurden mit Anrufen von Zeugen Jehovas aus dem ganzen Land überschwemmt, die meldeten, dass ich im nationalen Fernsehen aufgetreten wäre. Die Ältesten riefen mich an und sagten mir, man hätte mich erkannt. Weil ich große Angst hatte, ausgeschlossen zu werden, leugnete ich, dass es sich um mich handelte. Ich bedaure diese Lüge mehr als meinen Aufruf zur Reform. Am Tag nachdem ich abgestritten hatte, dass ich im Fernsehen gewesen wäre, riefen die Ältesten erneut an:

Rado, wir fahren jetzt mit dem Auto zu Deinen Eltern und bringen die Videokassette der Aussendung mit, um zu sehen, ob sie Dich erkennen

Ich konnte mich nirgends verstecken. Bevor sie beim Haus meiner Eltern ankamen, rief ich meinen Vater an und beichtete ihm, dass ich es tatsächlich gewesen war, der im Fernsehen aufgetreten war. Meine Eltern waren schockiert. Die Ältesten zeigten ihnen trotzdem die Videoaufzeichnung.

Wie erwartet wurde ein Rechtskomitee gebildet. Die Anklage war Abtrünnigkeit und Hilfe zur Sektenbildung. Ich bat darum, einen Beobachter mitbringen zu dürfen. Sie erlaubten dies nicht (Glücklicherweise unterstützten mich während des Prozesses reformwillige Älteste, die auch im Internet aktiv waren, )

Das Komitee bestand aus vier Ältesten. Alle waren gute Freunde von mir. Die Atmosphäre während des Prozesses war ein bisschen merkwürdig. Wir machten sogar einige Späße miteinander. Die Ältesten fragten mich, ob ich dachte, dass ich von Jehova inspiriert sei. Ich antwortete: „Wenn Jehova den Esel Bileams benutzte, warum sollte er nicht auch mich gebrauchen?“ Wir lachten gemeinsam. Auch wenn die Atmosphäre nicht sehr kühl und distanziert war, so zogen sie doch keines der vorgebrachten Argumente in Betracht. Wenn ich mit Fragen nachbohrte, sagten sie: „Wir kommentieren solche Fragen nicht, wir folgen dem Standpunkt der Leitenden Körperschaft.“ Eine Veranschaulichung, die ich gebrauchte, blieb unbeantwortet. Diese Veranschaulichung zeigt die Ungereimtheiten des Verbotes von Plasma, während es die Wachtturm-Gesellschaft den Zeugen gleichzeitig erlaubt, alle einzelnen Bestandteile des Plasmas ausser Wasser zu nehmen. Hier folgt die Veranschaulichung:

„Ein Arzt verbietet einem Patienten, Suppe mit den folgenden Zutaten zu essen: Quellwasser, Hühnchen, Knoblauch und Maismehl. Gleichzeitig erlaubt er dem Patienten, die einzelnen Bestandteile getrennt zu sich zu nehmen, aber mit einer Einschränkung: er muss Leitungswasser anstelle des Quellwassers verwenden. (Quellwasser = Plasmawasser, Hühnchen = Albumin, Knoblauch = Immunglobuline, Maismehl = Faktor VIII und IX)

Nach stundenlangen Debatten wurde ich gebeten, den Raum zu verlassen, so dass die Ältesten privat besprechen konnten, was zu tun wäre. Als sie mich zurückriefen, hatten ihre Gesichter einen sehr traurigen Ausdruck. Sie gaben mir bekannt, sie hätten entschieden, mich auszuschliessen. Wenn ich wegen meiner Handlungsweise betrübt wäre, würde ich jedoch nicht ausgeschlossen werden. Da die Gesellschaft nicht Herr über das Gewissen des Einzelnen sein kann, entschloss ich mich, nicht wieder in die Fussstapfen der Wachtturm-Gesellschaft zu treten, um blind ihre wahnsinnige und inhumane Lehre weiterhin zu unterstützen. Aber ich wollte auch nicht ausgeschlossen werden!

Ich legte Einspruch gegen die Entscheidung der Gesellschaft ein, und ein Berufungskomitee wurde gebildet. Weil sie in engem Kontakt mit dem Zweigbüro waren, dauerte es sehr lange, bis ich vor dem Komitee erscheinen musste. Ende Februar 1999 musste ich allein und ohne irgendwelche Rechte vor die sieben Mitglieder dieses Komitees treten. Sie entschieden ebenfalls, mir die Gemeinschaft zu entziehen.

Ich griff nach dem letzten Strohhalm und legte bei der Gesellschaft Widerspruch ein. Ein Ausschnitt aus dem Brief an die Gesellschaft lautet:

Ich hoffe, dass die Brüder der Leitenden Körperschaft nicht wieder den gleichen Fehler machen, indem sie die Gewissensentscheidung [Blut anzunehmen] mit Abtrünnigkeit verwechseln. Wie der Wachtturm vom 1 .Oktober 1999 zeigte, hatte die Entscheidung "einiger Christen", nach ihrem eigenen Gewissen gewisse Blutbestandteile zu akzeptieren, die positive Auswirkung, dass die WTG ihre Anwendung allen Zeugen erlaubte. Was wäre, wenn "einige Christen" auch andere Blutbestandteile akzeptieren würden, ohne ihr Gewissen zu verletzen? Ich hoffe, dass die Entscheidung dieser "Christen" einen positiven Einfluss auf die zukünftigen Entscheidungen der Leitenden Körperschaft haben wird.

Ich bezog mich auch klar auf den Fall Bulgarien, indem ich den Brüdern sagte, dass es nicht fair ist, jemanden auszuschließen, wenn er die Blutdoktrin der Gesellschaft in Frage stellt, während die Gesellschaft ihrerseits mit der bulgarischen Regierung eine Übereinkunft abgeschlossen hat, dass Zeugen Jehovas Bluttransfusionen ohne jegliche Kontrolle oder Sanktion annehmen dürfen. Ich bat sie, schriftlich zu antworten. Sie fürchteten sich davor! (Wo war die versprochene Redefreiheit? Warum war es nicht möglich, ein konstruktives Gespräch zu führen?) Nach etwa einer Woche riefen mich die Ältesten an, um einen Termin abzumachen, bei dem mir die Entscheidung der Gesellschaft mitgeteilt würde.

Am Samstag, den 6. März 1999 hörte ich die endgültige irreversible Entscheidung: Gemeinschaftsentzug.

Drei Tage später wurde der Gemeinschaftsentzug öffentlich der Versammlung vorgelesen. An diesem Tag verlor ich alle Freunde.

Herzlichst,

Rado Vleugel

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letzte Aktualisierung: 28. 12. 1999
Web-Adresse: http://www.geocities.com/athens/ithaca/6236/rado.htm

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