ALLE  KRETER  LÜGEN
Elevtheria & Elevtherios
Von einer 'großen Idee' zum Preis der Freiheit
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Pandelis Voulgaris: Elevtherios Venizelos


['Eleftheria i Thanatos (Freiheit 
und Tod)', Grafik von H.A.P. Grieshaber (1968) Copyright: Frankfurter Rundschau]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE [UN]SCHÖNE WELT DER ILLUSIONEN

(von Filmen, Schauspielern und ihren [Vor-]Bildern)

Es war einmal eine Insel, die lag strategisch günstig im östlichen Mittelmeer; und weil sie so günstig lag, entwickelte sich auf ihr die älteste Kultur Europas. Da die Touristen aus aller Welt schon immer sehr kulturbeflissen waren, entwickelte sie sich auch bald zu einem bevorzugten Reiseziel aller möglicher Völker, die freilich anders als heute keine Devisen vorbei bringen, sondern im Gegenteil reichlich "Souvenirs" mitgehen lassen wollten. Im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende waren das vor allem die alten Hellenen und Römer, die mittelalterlichen Byzantiner und Araber, und schließlich die neuzeitlichen Italiener und Türken, genauer gesagt die Osmanen, denn das Osmanische Reich schloß zwar auf dem Höhepunkt seiner Ausdehnung alle möglichen nicht-türkischen Völker in Nordafrika, Vorderasien und Südosteuropa ein; aber ausgerechnet die Turkvölker Mittelasiens blieben ausgenommen - die Osmanen zogen es vor, fremde Völker zu unterwerfen, wie die Ägypter, die Araber, die Mesopotamier, die Kurden, die Armenier, die Griechen, die Bulgaren, die Rumänen, die Albaner, die Serben, die Ungarn usw., statt ihre eigenen Brüder in Ost- und West-Turkistan vom chinesischen bzw. russischen Joch zu befreien. Nein, liebe Leser, vergeßt die geopolitischen Gründe von heute: Damals spielte Erdöl noch keine Rolle, die Osmanen hätten gar nicht gewußt, was sie damit hätten anfangen sollen, denn das Auto war noch nicht erfunden, und ihre Pferde brauchten keines. Es war auch nicht so, daß sie etwa gut Freund mit den Russen sein wollten - im Gegenteil: sie führten viele Krieg um südrussische, d.h. ukrainische Gebiete (der Name "Ukraïna [Grenzland]" stammt sogar von diesen und anderen Grenzkämpfen), die sie ihrerseits für längere oder kürzere Zeit unterwarfen; aber weiter nach Osten drangen sie nicht vor.

Nun will Dikigoros Euch hier keine Märchen erzählen, liebe Leser, und auch keinen Märchenfilm vorstellen, obwohl er mit "es war einmal" begonnen hat. Deshalb machen wir gleich einen Sprung in das Jahr 1864. Dikigoros weiß, daß Euch das schwer fällt; viele von Euch wissen wahrscheinlich nicht mal mehr, was damals in Mitteleuropa geschah (die Deutschen und Dänen führten gerade einen Krieg um Schleswig-Holstein, aber das ist eine andere Geschichte), noch weniger, daß in Amerika gerade der Bürgerkrieg zwischen den Nordstaaten und den Südstaaten im Gange war, und die allerwenigsten, was damals auf Kreta los war. Selbst treue Leser von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit" wissen allenfalls, daß sich irgendwann im 19. Jahrhundert Griechenland vom Osmanischen Reich unabhängig machte - aber wie war das gleich mit Kreta? Viele von Euch sind wahrscheinlich sogar schon mal dort gewesen, die historisch Interessierten und Bildungsbeflissenen, um die Ruinen von Knossós zu belatschen und die lieblos zusammen gestellten Vitrinen des Museums in Iráklion anzuschauen, die älteren, wie Dikigoros' Vater und Schwiegervater, um den deutschen Soldatenfriedhof hinter Chaniá zu besuchen (er selber war nie dort, es soll sich nicht lohnen), die jüngeren, um sich tagsüber am Strand die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen (schwimmen, zumal weiter draußen im tückischen Meer, ist zu gefährlich, sagt man in den Ausländer-Hotels - und Einheimische tun es auch nicht, nur Dikigoros ist immer wieder so leichtsinnig :-) und nachts in den zahlreichen Diskotheken reichlich Ouzo hinter die Binde zu kippen. (Dikigoros schließt das daraus, daß die beiden einzigen griechischen Wörter, die der deutsche Normalverbraucher und -verreiser richtig auszusprechen pflegt, die beiden letzteren sind :-) Einige wenige haben vielleicht auch einen Bootsausflug zur Vulkaninsel Santoríni gemacht, oder eine Massenwanderung durch eine der beiden berühmten Schluchten - professionelle Führung eingeschlosen -, denn es soll immer noch gefährlich sein, sich alleine ins Inselinnere zu wagen, wo man den Nachkommen der berüchtigten "Kleften" (Räubern - daher kommt übrigens unser Wort "Kleptomane", bei dem irgendein humanistischer Blödmann erst das "f" (φ) als "ph" transkribiert und dann das "h" vergessen hat) in die Hände fallen könnte... (Als ob die einen mehr schröpfen würden als die Reiseveranstalter!)

Ja, das ist unsere Zeit, in der manche Leute glauben, einen Urlaub - womöglich gar einen "Erlebnisurlaub" - könne man im Geschäft kaufen wie ein paar Schnürsenkel, oder aus dem Katalog bestellen wie ein Ikea-Regal. Dabei gibt es auch in Europa noch Ecken, die vom Massentourismus fast unbeleckt und einen Besuch wert sind: Albanien, Korsika, Sardinien... und selbst im Inneren der Balearen-Inseln soll es sie noch geben. (Dikigoros ist nie dort gewesen, kann es also nicht aus eigener Anschauung sagen.) Die vergleichsweise ungefährlichste dieser Ecken aber ist - Kreta. Das war nicht immer so. Als die Hauptfigur dieser "Reise durch die Vergangenheit" geboren wurde - übrigens ganz in der Nähe des deutschen Soldatenfriedhofs (den es freilich noch nicht gab) - waren kleinere Scharmützel zwischen den osmanischen Besatzungstruppen und einheimischen Freischärlern an der Tagesordnung; und jeder wartete bloß auf den großen, offenen Krieg, der die Elevthería [Freiheit] bringen sollte. Deshalb nannten die Eheleute Venizelos ihren im Jahre 1864 geborenen Sohn Elevthérios - das Griechische ist die einzige Dikigoros bekannte Sprache, in der dieser Begriff als Name gebraucht wird ("Libby" ist die Kurzform von "Elizabeth", nicht etwa von "Liberty"!), dazu noch als Männername! Ist die Freiheit nicht eigentlich weiblich? Warum eigentlich? Weil sie so oft vergewaltigt wird? Egal, dieses schöne Paar verleitet natürlich zu Wortspielen; aber Dikigoros hat in der zweiten Zeile der Überschrift das "&" nicht etwa gesetzt, weil er das für eine besonders gelungene geschäftsfähige Kombination hält, sondern aus sprachlichen: Ein deutsches "und" würde sich zwischen den beiden griechischen Wörtern nicht gut machen; und bei einem "kai" würde der geneigte Leser womöglich an einen Laut wie bei "Kai aus der Kiste" denken - dabei spricht es sich "ktsch[j]ä" (jedenfalls auf Kreta, die Griechen auf dem Festland sagen eher "tsch[j]ä"). Ja, es ist so eine Sache mit der Aussprache der neugriechischen Wörter, und erst recht mit deren Transkription. Der zweite Buchstabe des Alfabets z.B. (β), den die Altfilologen "Beta" nennen, wird von den Griechen "Wita" ausgesprochen. Der Regisseur dieses Films und sein Titelheld sprechen sich denn auch "Pa[n]delis Wulgaris" bzw. "Eleftherios Weniselos" aus, und streng genommen müßte man sie "Woulgáris" und "Wenizélos" (der Betonungsakzent ist im Griechischen obligatorisch) schreiben, denn ihre Nachnamen beginnen mit einem Wita.

Allerdings tun das auch Vaduz, Vatikan, Velours, Venedig, Venezuela, Vietnam, Villa, Visum, Vitamin, Vitrine und Volt - und die transkribieren wir ja auch nicht mit "w". Die Griechen sind ohnehin wenig konsequent, wenn es um die Schreibweise von Namen und Fremdwörtern geht. Sie schreiben nämlich - den Altfilologen zum Wohlgefallen - auch Baden, Barcelona, Bayern, Benzin [benannt nach Carl Benz!], Belgrad, Berlin, Bern, Bibel, Biologie, Bolivien, Bonn, Bosnien, Bosporos, Botanik, Brandenburg, Brasilien, Bremen, Britannien, Brüssel, Budapest, Buddha, Bukarest, Bulgarien und last not least Byzanz mit Wita, während sie in anderen Fällen - vor allem in Fremdwörtern - und ausländischen Namen das "b" als "mp" wieder geben, wie in Lord Mpairon, mpála [Ball], mpalkóni, mpálsamo, mpanána, mpar, Mpázel (tja, lieber Schweizer, Sinn macht das nicht, aber Bern und Basel sind halt zwei Paar Schuh'; Bayern und Brandenburger haben es da leichter :-), mpástardos, Mpékenmpauer, mpikini, mpillard, mpiftéki [Beefsteak], mpíra [Bier], mpiskóto [Biscuit], mpistró, mplouz [Blues], mplouzón, mpolsewikismós [Bolschewismus], mpourzovazía (Bourgeoisie], mpoutík, mpouzoúki, mpoxen, mprilánti [Brillanten], Mpríndisi, mprókolo, mproúntzos [Bronze], mprosoúra [Broschüre] und mpangkalóou [Bungalow]. Aufmerksamen Lesern wird bei dieser Aufzählung aufgefallen sein, daß "Woulgaris" ebenso falsch ist wie Voulgaris: Wenn man schon abweichend von der Aussprache nach der Schreibweise des zugrunde liegenden Fremdworts gehen will, dann muß man berücksichtigen, daß der Name des Regisseurs eine Herkunftsbezeichnung ist: Er stammt offenbar aus Bulgarien, genauer gesagt aus der bulgarischen Minderheit Thrákiens, auch wenn er selber in Athen geboren ist; man müßte ihn also "Bulgaris" schreiben. Das Wita ist aber nicht der einzige problematische Buchstabe: Das Z[ita] (ζ) spricht sich nicht "ts", sondern wie ein weiches deutsches "s", und das D[elta] (δ) wie ein weiches englisches "th", deshalb schreiben die Griechen das nicht aspirierte "d" als "nt" (z.B. in mporntélo [Bordell], ntekolté, nterwísis [Derwisch], ntíva [mit Wíta!], ntiletánt, Ntízel und rantar); und das u schreiben sie "ov" (ου), denn das "v" (υ) alleine sprechen sie heute als "i", außer am Silbenende, da ist es ein "v" - kein "f" (und erst recht kein "j" - Ευρόπη spricht sich nicht "Ojrópa", sondern "Evrópi"), weshalb die übliche Transkription "Eleftheria" bzw. "Eleftherios" schlicht falsch ist. [Gleichwohl hat Dikigoros die "Eleftheria i Thanatos (Freiheit und Tod)" betitelte Grafik von H.A.P. Grieshaber als Titelbild ausgewählt (wobei er nicht weiß, ob Grieshaber da aus Unkenntnis das "ή" falsch - nämlich mit "und" - übersetzt hat oder mit voller Absicht: Zwischen "Freiheit oder Tod" - dem offiziellen Wahlspruch des griechischen Staates seit den Befreiungskriegen im frühen 19. Jahrhundert - und "Freiheit und Tod" scheint ihm jedenfalls ein gewaltiger Unterschied zu liegen); denn die Kombination dieser beiden Idealismen scheint ihm von der Thematik - nicht von der künstlerischen Umsetzung - "Venizelos" her besonders gelungen. Ihm persönlich wäre zwar die Parole "Freiheit und Leben" sypathischer - aber die ist ja schon von den bösen Nazis besetzt.] Die Freiheit ist indes auf dieser "Reise durch die Vergangenheit" so wichtig, daß Dikigoros hier auf der richtigen Schreibweise "Elevthérios" bestehen muß; hinsichtlich des Nachnamens ist er zu dem Kompromiß bereit, "Venizelos" zu schreiben, zumal unser Titelheld die letzten Jahre seines Lebens - von denen der Film wohlweislich nichts berichtet - als Asylant in Frankreich verbracht hat, und dort wurde das "Wita" halt als "v" transkribiert, auch von ihm selber; das sollte man respektieren. Findet Ihr das alles furchtbar kompliziert, liebe deutschsprachige Leser? Dann erklärt mal einem Ausländer - womöglich einem Kreter - Schreibweise und Aussprache deutscher Wörter...!

* * * * *

Aber kommen wir endlich zum Film und zum Titelhelden. Fleißige Leser von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit" sind ihm schon an anderer Stelle begegnet, früher, als Dikigoros selber zum ersten Mal von ihm hörte. Damals - Voulgaris' Film war noch nicht gedreht, das sollte noch bis 1980 dauern - hatte ihm jemand Venizelos als "Hitler Griechenlands" geschildert, und zwar anhand von Parallelen, von denen man in diesem Film keine einzige wieder findet. Dabei nimmt er für sich in Anspruch - und die leichtgläubigen Kritiker beten es brav nach -, das Leben Venizelos' besonders wahrheitsgemäß verfilmt zu haben. Hm... Wie heißt es so schön bei der Vereidigung vor Gericht? "Sie müssen nicht nur das, was Sie aussagen, richtig darstellen, sondern Sie dürfen auch nichts weglassen, was erheblich sein könnte." Es mag so manchen Fall geben, wo die Grenze zwischen selektiver Wahrnehmung, Vergessen, Verdrängen, fahrlässiger Falschaussage und Meineid verschwimmt; aber nun stellt Euch mal vor, liebe Leser, jemand würde einen Film über Hitler drehen und sich dabei auf die Jahre 1929-1940 beschränken. Kein Zweifel, er wäre ein großer Held, der alles richtig gemacht hat (selbst der unselige "Holocaust" lief bekanntlich erst 1941/42 an); er hätte sogar das Zeug zum Nationalhelden, also zu genau der Rolle, die ein Napoleon Bonaparte in Frankreich oder ein Elevtherios Venizelos in Griechenland bis heute spielen (die Columbia Encyclopedia hat den letzteren in ihrer neuesten Auflage gerade erst wieder als "größten griechischen Staatsmann der Neuzeit" bezeichnet) - und dies ist nicht zuletzt das zweifelhafte Verdienst solcher Filme.

[Exkurs. Ja, liebe Leser, es gibt einen wunderbaren Vorwand, den Film im November 1920 enden zu lassen: Da wählte nämlich das undankbare griechische Volk seinen braven Premierminister Venizelos ab (so wie das undankbare britische Volk 1945 seinen braven Premierminister Churchill abwählen und erst sechs Jahre später wieder ins Amt zurück holen sollte, als seine Nachfolger das Großbritische Empire liquidiert hatten - an dessen Untergang Churchill folglich ganz unschuldig gewesen sein muß, nicht wahr?) und holten ihn erst vier Jahre später wieder ins Amt zurück, nachdem seine Nachfolger das Großhellenische Reich in Kleinasien liquidiert hatten - an dessen Untergang Venizelos folglich ganz unschuldig gewesen sein muß, nicht wahr? Und wenn das undankbare deutsche Volk 1940, nach dem siegreichen Frankreichfeldzug, aber noch vor Beginn des Rußlandfeldzugs und des "Holocaust", seinen braven Führer und Reichskanzler Hitler abgewählt und ihn erst fünf Jahre später wieder ins Amt geholt hätte, nachdem seine Nachfolger das Großdeutsche Reich liquidiert hatten - an dessen Untergang Hitler folglich ganz unschuldig gewesen sein muß, nicht wahr? Wäre dann er - und nicht der fette Ludwig Erhard - als der "Vater des deutschen Wirtschaftswunders" und seines Wiederaufstiegs in die Geschichte eingegangen? Gäbe es dann einen Film, in dessen Besprechung Dikigoros - vielleicht unter dem Titel "Adelfia & Adolf" - Führers Fans und Bewunderern erklären müßte, warum er dieser millionenfachen Bewunderung gar nicht wert war? Und da wir gerade bei "Wert" sind: Würde heute Hitlers Konterfei die deutschen Euro-Münzen zieren so wie das Venizelos' die griechischen? Denkt mal drüber nach! Exkurs Ende.]

"Der Held kommt immer über die Ebene" schrieb Joachim Fernau, der große Cyniker (vom griechischen "kinikós") unter den deutschen Populär-Historikern, in seinem Nibelungen-Buch "Diesteln für Hagen". Das klingt schön, dennoch ist es falsch: Richtig ist, daß der Held immer übers Wasser kommt. Das heißt nicht, daß er gleich übers Wasser wandeln können müßte, wie Jesus, aber zumindest einen Fluß sollte er schon überquert haben, und sei es nur den Inn über die Brücke von Braunau. Noch besser ist es freilich, wenn er übers Meer kommt, wie Eamon de Valera aus Amerika über den Atlantik nach Irland, oder wie Mohandās K. Gāndhī aus Südafrika über den Indischen Ozean nach Indien, oder zumindest von einer Insel im Mittelmeer aufs Festland, wie Napoléon (erst von Korsika, dann von Elba - bei seiner Rückkehr anno 1815 verteilte er allen Ernstes Aufrufe, daß er die gefährliche Fahrt übers Meer auf sich genommen habe, um den Franzosen ihre "Rechte" zurück zu bringen!) oder Venizelos von Kreta. Wenn das nicht der Fall ist, tritt leicht der Effekt des "Profeten im eigenen Lande" ein: Es ist nicht gut, wenn jeder weiß, daß der große Profet eigentlich der uneheliche Sohn eines Zimmermanns aus Bethlehem ist, oder wenn jeder weiß, daß er die Schule abgebrochen und als Postkartenmaler im Männerasyl gepennt hat. Habt Ihr jemals Bilder von Venizelos vor seinem 45. Lebensjahr gesehen, liebe Leser? Dikigoros auch nicht. Er war geboren, dann war er weg (angeblich zum Jura-Studium, wie Gāndhī :-) und plötzlich war er wieder da als großer Profet, der den Leuten versprach: "Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an." Ja, die Griechen lieben die Freiheit, und sie lieben das Brot (anders als die Katholiken und Protestanten, die sich mit geschmacklosen Oblaten abspeisen lassen, verzehren die Orthodoxen beim Abendmahl noch richtiges Brot!), und wenn ihnen einer das verspricht, dann vergessen sie schon mal den bösen Satz aus der ersten Zeile der Überschrift, auch wenn der Versprechende ein Kreter ist...

[Venizelos] [Venizelos] [Venizelos]

Exkurs. Einige Jahre bevor ein jüngerer Zeitgenosse Venizelos' in Deutschland den ersten Teil seiner Memoiren mit dem Satz beendete: "Ich aber beschloß, Politiker zu werden" beschrieb der alte Kreter, welche Gedanken ihm nach Beendigung seines Jura-Studiums durch den Kopf gingen: "Mir wurde bald klar, daß die Zeit nicht ausreichen würde, um von Beruf Rechtsanwalt und Revolutionär zu werden; also beschloß ich, Berufsrevolutionär zu werden." Solche Leute - wie sie seither allenthalten die Politik beherrschen - sind Dikigoros von Grund auf suspekt. Es hatte schon seinen guten Grund, daß man[n] im alten Rom erst nach Vollendung des 40. Lebensjahrs in die Politik gehen durfte (und als Frau überhaupt nicht :-). Wer etwas im Berufsleben geleistet (also nicht mehr auf Diäten und Schmiergelder angewiesen ist) und auch ein wenig Lebenserfahrung gesammelt hat, der mag imstande sein, ein Staatswesen zu führen; aber grüne Jungen (und Emanzen), die gleich nach dem Abschluß irgendwelcher Studien (im Zweifel noch solchen, in denen sie über Politik gleich gar nichts lernen, wie Jura oder Politologie) in die Parteipolitik gehen, ohne jemals einen Beruf ausgeübt zu haben, und im Leben nichts weiter mehr lernen, als ihre potentiellen Wähler[innen] zu belügen und zu betrügen, die können ein Gemeinwesen eigentlich nur gegen die Wand rudern. Soviel zu den "Berufspolitikern". Und die "Berufsrevolutionäre"? Nun, es mag einige wenige Leute geben, die gewisse Dinge aus "Berufung" tun: die Ärzte werden, um kranken Menschen zu helfen, Richter und Rechtsanwälte, weil sie für Recht und Gerechtigkeit sind, Soldaten, die nur das Vaterland verteidigen, aber niemals andere Länder überfallen wollen, und Politiker, die nur das Gemeinwohl im Auge haben - aber die Regel ist das nicht; vielmehr wollen die meisten Leute, die vorgeben, solchen "Berufungen" nachzugehen, sich in erster Linie die eigenen Taschen mit Staatsknete füllen. Und die meisten "Revolutionäre" wollen nichts weiter als gewaltsam die Macht im Staate an sich reißen, die ihnen mit friedlichen Mitteln verwehrt bliebe. Sobald sie dann an der Macht sind, hat es sich ausrevolutioniert: Wer dann noch wagt, gegen das Regime aufzumucken (weil es meist um keinen Deut besser ist als das zuvor gestürzte, aber oft noch schlimmer), der wird zum "Konterrevolutionär", "Staatsfeind" und "Verbrecher" erklärt. Exkurs Ende.

Die Jahre 1909-1920, von denen der Film handelt (wenngleich die englischsprachige Fassung den irreführenden Untertitel "1910-1927" trägt), waren eine gute Zeit für Griechenland - jedenfalls außenpolitisch. Das marode Osmanische Reich - allgemein nur noch als "der kranke Mann am Bosporus" verspottet - war durch einen Aufstand der so genannten "Jungtürken" geschwächt, die innere Reformen wollten, mit Gleichberechtigung aller Nationen des Reichs, also auch der europäischen. Die bedankten sich sehr für den ihnen dargebotenen kleinen Finger und griffen gleich nach der ganzen Hand, und zwar mit der erklärten Absicht, wenn möglich den ganzen Arm der europäischen Türkei auszureißen. Venizelos - der bereits 1905 die "Énosis" [Einheit, hier im Sinne von Wiedervereinigung, heute "Énosi" geschrieben und "Ännoßi" gesprochen, mit offenem, also dunklem "o"] Kretas mit Griechenland vollmundig verkündet hatte (ohne daß irgend etwas dahinter steckte, das diesen Anspruch hätte durchsetzen können) - putschte sich 1909 an die Macht (mit einem Marsch auf Athen, der in den 1920er Jahren den Märschen Mussolinis auf Rom und Hitlers auf München zum Vorbild dienen sollte). 1910 wurde er offiziell Ministerpräsident und begann, das Militär zu "reformieren", d.h. kräftig aufzurüsten. 1912 - das Osmanische Reich war gerade durch den Überfall Italiens auf seine Provinz Libyen geschwächt - brachte er eine Koalition mit den Balkanstaaten Bulgarien, Serbien und Montenegro zusammen, die den Türken in den Rücken fiel. Die mußten ordentlich Federn lassen, vor allem Makedonien, über dessen Aufteilung, pardon Befreiung sich die Verbündeten freilich nicht einigen konnten, so daß sie sich alsbald untereinander im Krieg befanden. Beide Male stand Griechenland auf der siegreichen Seite und konnte sein Staatsgebiet erheblich vergrößern: um Süd-Makedonien ("Epiros"), West-Thrakien, Nord-Thessalien mit der wichtigen Hafenstadt Saloniki (von wo man erstmal die Ausländer vertrieb, erst die Türken, fünf Jahre danach auch die Juden - um es ein Vierteljahrhundert später nachträglich den bösen Deutschen in die Schuhe zu schieben) und vor allem Kreta. (Cypern hatten sich dagegen die Engländer unter den Nagel gerissen, pardon befreit, und die zwölf Inseln des "Dodekanes" die Italiener, aber darüber machte man sich - noch - keinen Kopf.) Ein überglücklicher Venizelos verkündete in einer Rede auf dem Ballhausplatz, pardon auf dem Síntagmaplatz, den Anschluß seiner Heimat an das Deutsche, pardon an das Griechische Reich. [Síntagma, auch "Syntagma" geschrieben, war ursprünglich die Marschordnung eines Regiments. Von da ging die Bezeichnung über zum einen auf das Regiment an sich, zum anderen auf die Staats-Ordnung, d.h. die Verfassung; heute wird es in beiden Bedeutungen gebraucht.]

Aber damit war es noch nicht getan: Nur ein Jahr später brach der Erste Weltkrieg aus. Das Osmanische Reich stand auf Seiten der Mittelmächte; also lag es nahe, daß Griechenland auf Seiten der Entente in den Krieg eintrat. Venizelos hatte schon seit längerer Zeit eine Idee: die Idee vom Großgriechischen Reich, die bald allgemein "megáli idéa [große Idee]" genannt wurde: Die Eroberung von Lebensraum im Osten [anatolí - daher kommt auch die Bezeichnung "Anatolía" (Land im Osten)], was die endgültige Zerschlagung des Osmanischen Reichs voraussetzte. Venizelos bereitete also alles für einen Kriegseintritt vor; aber der König - so ein krummer Hund aus Deutschland - war dagegen, setzte ihn als Premierminister ab und wollte neutral bleiben. Da hatte er aber nicht mit den Engländern und Franzosen gerechnet: Die überfielen, pardon befreiten Saloniki, setzen dort ein Marionettenregime unter Venizelos ein, das den Mittelmächten den Krieg erklärte, und verhängten eine Hungerblockade über das restliche Griechenland, bis der König verjagt und Venizelos wieder Ministerpräsident von ganz Griechenland wurde. Nachdem der Krieg gewonnen war, bekam Griechenland im Frieden von Sèvres anno 1920 seinen Judas-Lohn: die restlichen türkischen Gebiete in Europa und die kleinasiatische Küste um die überwiegend von Griechen besiedelte Hafenstadt Smírni [die Ihr, liebe deutsche Leser, wahrscheinlich als "Smyrna" kennt, obwohl sie nie so geheißen hat - im Altgriechischen hieß sie "Smyrnä"]. Hier schließt der Film, mit der vermeintlichen Verwirklichung von Venizelos' großer Idee, mit der gleichen Lüge, mit der sieben Jahrzehnte später die Deutschen ihr Grundgesetz fälschen werden, als sie BRD und DDR zusammen kleistern: "Nunmehr ist die Wiedervereinigung erreicht." Von den von Polen und Russen besetzten, pardon verwalteten Ostgebieten (einschließlich des Baltikums) ist nicht mehr die Rede, geschweige denn von der Ostmark, Südtirol, dem Sudetenland, Siebenbürgen, der Mark Krain, dem Banat, der Batschka...

Was, liebe Leser, Ihr haltet diese Aufzählung für größenwahnsinnig? Dann nehmt bitte mal eine Landkarte zur Hand und vergleicht sie mit dem, was der historische Venizelos - nicht der aus Bulgaris' Film - als nächstes auf die Tagesordnung setzte: War Konstantinopel nicht immer noch die größte griechische Stadt der Welt? Lebten nicht auch an der Schwarzmeerküste reichlich Griechen? War nicht überhaupt zu byzantinischen Zeiten ganz Kleinasien griechisches Gebiet gewesen, und war es das nicht von Rechts wegen immer noch? Mußten die nicht allesamt schleunigst befreit werden vom muslimischen Joch? [Ja, liebe Leser, Dikigoros ist der letzte, der dafür kein Verständnis hätte; aber ausgerechnet damals war die Türkei kein islamistischer Staat - im Gegenteil: Das Sultanat war abgeschafft, Schleier und Fez verboten, die arabische Schrift sollte folgen!] Aber nein, das war keine Megalomanía - Venizelos rechnete das Unternehmen Befreiungskrieg kühl durch: Die Türken hatten doch überhaupt keine Chance, schließlich hatten sie den Krieg verloren, die Engländer hatten ihnen Ägypten, Palästina und Irak abgenommen, pardon befreit, die Franzosen Libanon und Syrien, und die Italiener waren gerade in Adalya [Antalya] gelandet, um sich das Festland hinter den Dodekánis-Inseln unter den Nagel zu reißen. Im Südosten war das überwiegend von Kurden bewohnte Mōssulgebiet (die spätere Flugverbotszone Nordirak :-) abgetrennt und unter internationale Kontrolle gestellt worden; im Nordosten hatte sich ein Freistaat "Armenien" gebildet, der größer war als Griechenland in den Grenzen von 1914. (Da fragt sich Dikigoros doch, wie glaubhaft die Behauptung ist, die Türken hätten im Ersten Weltkrieg alle Armenier ausgerottet - wahrscheinlich ähnlich glaubhaft wie die Behauptung, die "Hunnen" alias Deutschen hätten im Ersten Weltkrieg alle belgischen Babies am Spieß gebraten und aufgefressen.) Was die konnten, können die Griechen schon lange: Nun brausen nach Osten die Heere, und nach ein paar Monaten stehen sie am Ural, pardon am Sakaria, tief in Anatolien, frei nach Norbert Schultze:

Wie standen für Hellas auf Posten
Und hielten die große Wacht
Nun hebt sich die Sonne im Osten
Und ruft die Millionen zur Schlacht

[Müßte es nicht richtig heißen: "zur Schlachtbank"?]
Nun brausen nach Osten die Heere
Ins türkische Land hinein
Kam'raden, nun an die Gewehre
Der Sieg wird unser sein
Von Smyrna bis zum Schwarzen Meer
Vorwärts, vorwärts
Vorwärts nach Osten, du stürmend' Heer
Freiheit das Ziel, Sieg das Panier...
[usw., historisch gebildete Leser werden schon wissen, was Dikigoros hier parodiert hat;
und die anderen können es ja mal bei Gelegenheit an anderer Stelle nachlesen]

Nun war es aber so, daß man außenpolitische Erfolge nicht essen konnte. Nach dem Krieg hungerte ganz Europa, die Sieger nicht so sehr wie die Besiegten, aber bei den ersteren war die Enttäuschung nur noch größer, denn sie hatten ja gedacht, daß sie nun den Lohn der Mühe ernten könnten. Das griechische Volk murrte - und wählte Venizelos ab. Nun reagieren auch die Alliierten: Hatten sie bisher noch die griechische Invasion mit Transportern, Waffen, Munition und Verpflegung unterstützt, so drehten sie plötzlich den Hahn zu und zogen auch selber aus der Türkei ab. [Das hatte noch andere, handfeste Gründe: In Rußland war gerade Bürgerkrieg, da kämpften die Weißen gegen die Roten, wobei die Entente die ersteren unterstützte; und die Türken waren bereit, ein gleiches zu tun, wenn man ihnen die Griechen vom Hals schaffte - aber das ist eine andere Geschichte.] Deren neuer starker Mann - ein gewisser Mustafa Kämál aus Thessaloníki [Saloniki], den sie später "Atatürk [Türkenvater]" nennen sollten - schlägt zurück: Er besiegt die Armenier und die Griechen gleichermaßen, und damit die nie wieder solche Ansprüche anmelden und versuchen können, sie mit Waffengewalt durchzusetzen, nimmt er eine gründliche ethnische Säuberung vor: Nun werden tatsächlich alle Armenier - und Griechen -, die nicht rechtzeitig genug außer Landes fliehen, liquidiert, ihre Städte zerstört, so auch Smírni, die damals zweitgrößte und zweitreichste Stadt des Osmanischen Reiches; der Geburtsort des Ómiros [den Ihr, liebe deutsche Leser, wahrscheinlich als "Homer" kennt - oder auch nicht mehr; das ist der angebliche Autor der "Ilias", jenes verstümmelten und ziemlich verhunzten Berichts über den Trojanischen Krieg, und der "Odyssee", jener sagenhaften Fahrt durchs Mittelmeer, über die Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt] wird bis auf die Grundmauern abgefackelt und anschließend in "İzmir" umbenannt. Anderthalb Millionen Griechen werden ermordet oder vertrieben; und Venizelos - den das wankelmütige Wahlvolk prompt zurück ins Amt holt - weiß nichts Besseres, als Gleiches mit Gleichem zu vergelten: Er vertreibt die halbe Million in Griechenland - vor allem in seiner Heimat Kreta - lebenden Türken und die knapp 100.000 in Makedonien lebenden Bulgaren, um Platz für die aus der Türkei vertriebenen Griechen zu schaffen. Und der Rest - denn die Differenz ist beträchtlich - steckt er in schnell errichtete Konzentrationslager in und um Piräus. (Das ist der Hafen, in dem die meisten dieser unnützen Fresser - Griechenland hungert schon ohne sie! - ankommen.) Wer Glück hat, bekommt ein Visum für die U.S.A. und eine Schiffspassage auf irgend einem Viehtransporter; wer Pech hat verreckt - so einfach ist das. Nicht, daß Ihr Euch falsche Vorstellungen von den Relationen macht, liebe Leser: Nach den NürnbergerWashingtoner Rasse- und Immigrations-Gesetzen, welche die U.S.A. nach dem Ersten Weltkrieg erlassen haben, zählen die Griechen zu den "rassisch minderwertigen" Völkern; die ihnen zugeteilte Einwanderungs-Quote beträgt daher nur 307 (dreihundertsieben) Personen pro Jahr; die Zahl derer, die in den Lagern verrecken, ist mehr als hundertmal so hoch; aber das ist halt die bekannte amerikanische Großzügigkeit und Gastfreundschaft, die keinerlei Ausnahmen wegen irgendwelcher unvorhergesehener Notfälle duldet, wovon sich einige Jahre später ja auch die europäischen Juden überzeugen können - deren Überlebensrate in Hitlers Konzentrationslagern übrigens wesentlich höher war als die der Türkei-Griechen in Venizelos' Flüchtlingslagern. Und so wie man später alle 1933-1945 auf der Welt umgekommenen Juden den Deutschen mit in die Schuhe schieben wird, so wird man später auch alle in den griechischen Flüchtlingslagern umgekommenen Griechen den Türken mit in die Schuhe schieben. (Deshalb konnte Venizelos bei den Griechen zum Film- und Nationalhelden werden, nicht aber Hitler bei den Juden - obwohl sie ihm doch indirekt ihren Staat "Israel" verdanken :-)

* * * * *

Langer, aber notwendiger Exkurs. Die "humanistisch" gebildeten unter Dikigoros' älteren Lesern werden sich dunkel an die so genannten Perserkriege im 5. Jahrhundert v.C. erinnern, an die Schlacht bei den Thermopylen, wo 300 Lakedämoníer ("Spartaner") unter ihrem "König" Leonídas das Heer des Perserkönigs Xerxes aufgehalten haben sollen, bis sie verraten und massakriert wurden. (Die Hilfstruppen, die mit verheizt, pardon geopfert wurden - sicher ein Vielfaches der spartanischen - wurden nicht mit gezählt.) Wenn man dem griechischen Historiker Heródot glaubt (eine andere Quelle haben wir nicht), dann stiftete daraufhin ein gewisser Simonídis einen Gedenkstein mit folgendem Spruch:

   
O xein, angéllein Lakedaimoníois hoti täde
keimetha tois keinon rhämasi peithómenoi.

Der Römer Cicero (den Ihr doch bitte nicht immerzu "Tsitsero" aussprechen wollt - er hieß Kikero, nach der kichererbsen-förmigen Warze auf seiner Nase) übersetzte das in der ihm und seinen Zeitgenossen eigenen krausen, pardon klassischen Syntax, die bis heute unsere Lehrbücher der lateinischen Sprache beherrscht, wie folgt:

"Dic hospes Spartae nos te hic vidisse iacentes
Dum sanctis patriae legibus obsequimur"
[schon Cicero - nicht erst Schiller - ersetzte das Volk durch die Stadt!]
["Gesetze" - Mehrzahl!]

Diese Fassung ist Dikigoros noch am wenigsten unsympathisch, denn man könnte sie auch so verstehen, daß die Spartaner während ("dum") der Schlacht die geheiligten Regeln ihrer vaterländischen Kriegskunst befolgten, die darin bestanden, daß jeweils zwei Schwulfreunde Rücken an Rücken gegen den Feind kämpften, so daß nie jemand von hinten getroffen werden konnte - denn das hätte nach schändlicher Flucht ausgesehen. Aber das war wohl nicht gemeint; insoweit dürfte vielmehr Friedrich Schiller richtig gelegen haben, als er übersetzte:

"Wanderer, kommst du nach Sparta
verkündige dorten,
du habest uns hier
liegen gesehen
wie das Gesetz es befahl."
[Das ist gleich dreifach falsch; wenn man dem armen Leser, der den
Grabstein bei den Thermopylen findet, denn schon zumuten will, bis
ins ferne Sparta zu wandern, muß es richtig heißen: "Fremder, kommst
du zu den Lakedämoníern" - aber dann stimmt das Vermaß nicht mehr]
["wie" im Sinne von "weil"]     [das Gesetz - Einzahl!]

Dikigoros fragt sich, was das für ein Sch...-Gesetz gewesen sein soll. (Nein, liebe Altfilologen, das ist nur eine retorische Frage; Dikigoros hat Heródotos' Geschichte auch gelesen und weiß, daß es das Gesetz war, nie vor dem Feind zu fliehen. Leider vergaß er, auch die Durchführungs-Verordnung zu überliefern zur Abgrenzung dessen, was militärisch sinnlose Flucht und was militärisch sinnvoller Rückzug ist - wenn es die denn gab.) Parlamentarische Sesselpupser, die solche Gesetze machen, sollte man sofort an die Front schicken, damit sie diese dorten höchstpersönlich in die Praxis umsetzen können - Dikigoros wird ihnen dann gerne einen schönen Spruch auf den Grabstein schreiben:

"MdB, kommst du nach Prizren
verrecke Du dorten
und lasse uns hier
Tagesschau sehen
Wie das Programm es empfahl."
[Kābul, Baģdād... oder was immer der geneigte Leser hier
einsetzen möchte, es bieten sich ja genügend Ortsnamen an]
 
 
 

Wohlgemerkt: Nichts spricht dagegen, für das Vaterland in den Kampf zu ziehen (das entspricht sogar den Regeln der Natur, immer vorausgesetzt, "Vaterland" steht für eine echte Volksgemeinschaft, nicht bloß für eine kunterbunte Ansammlung von Menschen aus aller Herrn Länder und Söhne aller möglichen Väter, die nichts miteinander gemeinsam haben als einen Fetzen Papier - oder ein digital lesbares Stück Kunststoff -, der bzw. das sie als Untertanen desselben Staates ausweist) - aber doch um zu siegen und weiter zu leben, nicht um zu verlieren und zu sterben!

Aber Dikigoros scheint mit dieser seiner Meinung ziemlich alleine zu stehen. Bis heute steht auf dem Heldenfriedhof der U.S.A. in Arlington (auf dem so illustre "Helden" begraben liegen wie der boxende Neger Joe Louis Barrow, der anno 1938 den bösen Nazi-Deutschen Max Schmeling im Freiheits-, pardon Faustkampf um die Weltherr-, pardon Weltmeisterschaft besiegte) ein pseudo-griechischer Tempel, "Amphitheater" genannt, mit der inzwischen etwas verwitterten lateinischen Inschrift:

DVLCE ET DECORVM EST PRO PATRIA MORI
[süßlich ist's und eine Zier für's Vaterland sterben]

(Ja ja, Dikigoros weiß, daß das Versmaß nicht stimmt, aber er hat es nicht gemacht;
gewiß würde das italinische "morire" am Ende viel besser passen; aber die Römer hatten
richtig erkannt, daß "sterben" aus der Sicht des Betroffenen nie ein aktiver Vorgang ist,
sondern immer ein passiver, erlittener. [Selbst der "natürliche" Tod ist - wie Nietzsche
einst zutreffend bemerkte - nichts anderes als der Selbstmord der Natur.] Deshalb hat
Dikigoros auch in der deutschen Übersetzung das Wörtchen "zu" vor "sterben" weg
gelassen, obwohl das Gesetz der Grammatik ihm eigentlich befahl, eines zu setzen.)

Dieser Spruch stammt von einem gewissen Horatius (von "Humanisten" u.a. Küchenlateinern auch zu "Horaz" verballhort), den manche heutige für einen großen Dichter halten (vor allem solche, die entweder nichts von gutem Latein verstehen oder denken, Unverständlichkeit sei ein Kennzeichen "großer" Dichtung :-) Seine Zeitgenossen dagegen belegten ihn mit dem Beinamen "Flaccus", meist höflich mit "Schlappohr" übersetzt - gemeint war aber das, was wir heute einen "Schlappschwanz" nennen, nämlich ein Feigling. Er hatte sich - wiewohl selber nur der fünfte Sohn eines frei gelassenen Sklaven - dem Kreis der feigen Mörder Caesars angeschlossen, jener kleinen Adelsclique von Verschwörern, die den "bösen Tyrannen" beseitigen wollten, um sich selber an seine Stelle zu setzen. Als sich im folgenden Bürgerkrieg (den er als höherer Offizier mit machte) die Niederlage der "Republikaner" abzeichnete, dachte Horatius freilich gar nicht daran, fürs Vaterland zu sterben; vielmehr verpißte er sich aus der Schlacht und tauchte in Italien unter, um weiter zu leben. Mit Erfolg: Nachdem etwas Gras über die Sache gewachsen war, protegierte ihn erst Maecenas (daher unser Begriff "Mäzen"!), dann sogar Kaiser Augustus höchstpersönlich; und Horatius schmeichelte sich bei jenem Blutsäufer just mit jenen schönen Zeilen ein (Dikigoros hat das "v" jeweils durch ein "u" ersetzt, damit die Suchmaschinen es auch finden :-)

"DULCE ET DECORUM EST
PRO PATRIA MORI

MORS ET FUGACEM PERSEQUITUR VIRUM



NEC PARCIT INBELLIS IUVENTAE




POPLITIBUS TIMIDOQUE TERGO"
[Die Zeile hatten wir ja schon]


[Mag sein, daß der Tod auch den fliehenden Mann verfolgt
- aber erwischt er ihn auch immer? Und selbst wenn es so
wäre: Wieso macht das den Tod des nicht Fliehenden süß?]

[Wohl wahr - aber was folgt daraus? Sollen wir unsere Kinder
zu Soldaten ausbilden, wie das in vielen Ländern der Dritten
Welt heute schon geschieht? Oder sie gar unausgebildet in
den Krieg schicken, weil sie eh nicht verschont werden?]

[Und die Tattergreise auch nicht; es zittern die morschen Knochen!]

[Eine britischer Dichter schrieb dieses Gedicht im 20. Jahrhundert um und bezeichnete den Titelsatz abschließend als "alte Lüge"; aber Dikigoros bezweifelt, daß dies das "bekannteste Gedicht des Ersten Weltkriegs" war, wie auf einer Webseite des 21. Jahrhunderts behauptet wird; der gute Wilfred Owen dürfte vielmehr wegen Defätismus an die Wand gestellt worden sein, wenn er wirklich gewagt hätte, das schon vor Kriegsende zu veröffentlichen.]

Ja, die Geschichte wiederholt sich oft, wenn jemand unter dem Vorwand, "die Republik", "die Freiheit" oder "die Demokratie" retten zu wollen, einen Diktator beseitigt, um selber an seine Stelle zu treten, aber dann einem anderen Diktator weichen muß. (Wie hieß es am Ende des im letzten Link zitierten Liedes: "Die Freiheit stand auf in Deutschland..." - doch sie wurde von seinen, pardon ihren Feinden nieder getrampelt: Augustus war zehnmal schlimmer als Caesar; Napoleon war hundertmal schlimmer als Ludwig XVI; Eisenhower war tausendmal schlimmer als Hitler - aber die ersteren hatten ihre Kriege gewonnen, also brachten sie in den Geschichtsbüchern nicht Tod und Verderben, sondern Frieden und Freiheit, denn sie ließen die Geschichte aufschreiben, wie das Gesetz es befahl, das die Wahrheit - ja schon die Suche nach ihr - unter Strafe stellte (und z.T. heute noch stellt). Dennoch bleibt Dikigoros dabei: Er würde das "mori" in "dulce et decorum est pro patria mori" ersetzen durch "vincere" oder "vivere" - nur dann macht der Satz für ihn einen Sinn.

Exkurs. A propos Sinn: Kann man zu diesem Thema kein sinnvolleres Zitat aus der Antike finden, ohne gleich in Defätismus zu verfallen? Doch, das kann man, z.B. von Perikläs, der - im Gegensatz zu Schlappi - ein erfolgreicher Feldherr und Staatsmann war und gesagt haben soll:

"Ich rede nicht dem Wahn das Wort,
Daß der Tod vor dem Feinde köstlich sei.
Aber ich rede einer Wahrheit das Wort:
Daß es allzeit ein unentrinnbarer Zwang ist,
Das, was man liebt, verteidigen zu müssen
- auch mit dem Leben."

So kann man es sehen - Dikigoros meint sogar, daß man es so sehen muß, denn wie heißt es gleich in einem etwas jüngeren Satz: "Wer das Schwert nicht tragen will, muß das Joch tragen" - was nicht bedeutet, daß man das Schwert gerne tragen muß, und schon gar nicht, daß man gerne mit dem Schwert in der Hand fallen muß - weder fürs Vaterland noch sonstwofür. (Es ist viel süßer und verdienstvoller, fürs Vaterland und/oder für das, was man sonst liebt, zu leben.) Aber es bedeutet, daß diejenigen, die dem alt-testamentarischen Rat der Juden an ihre Feinde - und nur an diese - folgen, ihre Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden, sich nicht wundern dürfen, wenn sie nach der Unterwerfung durch solche, die das nicht getan haben, selber als Ochsen davor gespannt werden; doch das ist eine andere Geschichte. Exkurs Ende.

Anno 480 v.C. starben 300 Spartaner; ihr Opfer war zwar sinnlos, aber sie hatten das Glück, den Krieg gegen Persien später doch noch zu gewinnen (oder das Pech, denn sie verbauten sich - und dem Rest Europas - damit die Teilhabe an der großen persischen Kultur, die ihrer eigenen damals turmhoch überlegen war; aber das ist eine andere Geschichte). Wie dem auch sei, nach dem Abzug der Perser entfachten die Griechen in ganz Hellas Freudenfeuer zu Ehren des Zevs Elevthérios, ihres obersten Gottes in seiner Eigenschaft als "Liberator". (Nein, liebe Leser, das hat sich Dikigoros nicht einfach nur so ausgedacht; Ihr könnt es in Euren Geschichtsbüchern nachlesen. Venizélos wurde nach ihm benannt - indirekt; natürlich hatte die christliche Kirche auch ihn zu einem Heiligen umfunktioniert, Sankt Elevthérios.) Rund 24 Jahrhunderte später starben 300.000 Griechen (was bedeutet gleich Megalomanie wörtlich? "tausendfacher Wahn"!), und nach dem Abzug der Überlebenden entfachten die Türken in ganz Kleinasien Freudenfeuer (nicht nur Smírni brannte); das Opfer der Griechen war sinnlos - kein aber. Noch einmal zwei Jahrzehnte später sollten drei Millionen Russen, Ukrainer, Deutsche, Italiener, Ungarn und Rumänen (in der Reihenfolge der Verlustziffern) an der Wolga sterben, und der fette deutsche Parlamentspräsident entblödete sich nicht, darob die Verse Schillers zu zitieren. (Wobei er übrigens entgegen weit verbreiteter Meinung "Sparta" nicht durch "Stalingrad" ersetzte; aber es wußte auch so jeder, was gemeint war. 12 Jahre später setzte der jüdische Generalfeldmarschall a.D. Erich v. Lewinski alias Manstein diesen blöden Spruch an den Beginn des Stalingrad-Kapitels seiner Memoiren ["Verlorene Siege"] und bedauerte ausdrücklich, daß er dort wohl nie in Stein gemeißelt würde, um der deutschen Soldaten zu gedenken - die er nicht geschafft hatte, heraus zu hauen.) Am Ende des Krieges brannten in ganz Mitteleuropa die Freudenfeuer, welche die "Liberator"-Bomber der Alliierten entfacht hatten. 'zig Millionen Opfer der "re-education" nennen das heute noch "Befreiung". Exkurs Ende.

[der heilige Elevthérios] [amerikanische Befreier]

Das, liebe Leser, ist das wahre Erbe des Elevthérios Venizélos: die megáli katastrofí [große Katastrofe] der griechischen Geschichte der Neuzeit; und wenn Ihr die Parallelen zu seinem deutschen Kollegen in spe (der gerade auf der Festung Landsberg sitzt und ein Buch schreibt, als das alles passiert) immer noch nicht seht, dann weiß Dikigoros auch nicht weiter. Ach so, das Ende ist ein anderes: Selbst die dümmsten Griechen merken irgendwann, was sie an Venizélos haben und jagen ihn zum Teufel (während die Deutschen seinem Kollegen bis zum bitteren Ende die Treue halten werden). Der haust bekanntlich wie Gott in Frankreich, und dort bekommt der alte Gauner tatsächlich politisches Asyl (das seinem deutschen Kollegen niemand gewährt hätte); er stirbt 1936 in Paris.

Venizelos' Nachfolger, General Metaxás, dem von Rechts wegen das Prädikat "fähigster Politiker Griechenlands im 20. Jahrhundert" zustünde, wird Anfang 1941 von den Briten ermordet, weil er Griechenland nicht erneut von denen in einen Weltkrieg ziehen lassen wollte. Als dieser - und der darauf folgende Bürgerkrieg - zuende sind, wird Venizélos' unfähiger Sohn Sofóklis Premier-Minister (zum Glück hat er keine Gelegenheit, ähnliche Eskapaden zu reiten wie sein Vater); sie liegen beide zusammen auf Kreta begraben. Aber erst zwei Generationen nach Elevthérios' Tode werden sich wieder Narren wie Voulgaris finden, die sein Andenken verherrlichen und ihn zum größten griechischen Politiker der Neuzeit hoch stilisieren. (Noch eine Generation später wird auch Elevthérios' Urenkel Evángelos, ein fettes, korruptes Schwein, als Abgeordneter der PASOK [sozialistische Partei] in die griechische Politik einsteigen und bald Minister werden). Damit liegt der griechische, pardon kretische Freiheitsheld Elevthérios Venizélos ganz gut im Schnitt, gleichauf etwa mit dem staufischen Kaiser Friedrich Barbarossa oder mit der Jungfrau von Orléans Jeanne d'Arc. Der französische, pardon korsische Korporal Napoleon Bonaparte hat zwar nur eine Generation gebraucht, aber das ist die absolute Ausnahme; für gewöhnlich dauert es wesentlich länger; und manche - z.B. besagter deutscher Kollege, den sein poplitischer (Dikigoros darf doch das schöne Wort aufgreifen, das auch Horaz gebraucht?!) Vorgänger als "der böhmische Gefreite" zu bezeichnen beliebte, weil er nicht wußte, wo der Inn fließt - warten heute noch.

[Denkmal auf Lenin, pardon Venizelos, den Verderber Griechenlands, um den ein ähnlicher Heldenkult 
veranstaltet wird wie um den sowjetischen Revolutionsführer] [Venizelos' Grabstein auf Kreta]

Nachtrag: Als die Griechen 2002 den Teuro einführen, verewigen sie ihren geliebten Freiheitshelden selbstverständlich auf dem häufigsten Geldstück, dem halben Teuro. Damit sich alle täglich daran erinnern, wie teuer die Freiheit bisweilen bezahlt werden muß?

[50 Lepta 2002]

Wie teuer sie die Einführung des Teuro zu stehen kommt - Venizelos hat ihnen wieder kein Glück gebracht - erfahren sie acht Jahre später, als Griechenland - das nun nicht mehr Herr seiner eigenen Finanzen ist, insbesondere nicht mehr abwerten kann - vor dem Staatsbankrott steht, wie einst, im Geburtsjahr Venizelos', das Osmanische Reich, "der kranke Mann am Bosporus".

Und, hat der todkranke Eunuch an der Ägäis wenigstens etwas daraus gelernt? Ach wo - seine Politiker haben noch immer die gleichen Flausen im Kopf wie einst Venizelos: Während sie nach außen lautstark den bösen Nazi-Deutschen die Schuld an ihrem Dilemma zuweisen und nach "Reparationen" in Milliardenhöhe schreien, kaufen sie insgeheim Waffen von ihnen. (Griechenland ist der größte Abnehmer der deutschen Rüstungs-Industrie - dafür ist immer Geld da, auch wenn das Volk den Gürtel enger schnallen muß!) Es könnte ja sein, daß man doch noch einmal die Chance bekommt, gegen die Türkei (den zweitgrößten Abnehmer der deutschen Rüstungs-Industrie - so ein Zufall :-) in den Krieg zu ziehen und Kleinasien zurück zu erobern - Venizelos' "megáli idéa" lebt! Und wenn es so weit ist, werden die Griechen - und vielleicht auch wir - diesen Film sicher noch öfter zu sehen bekommen.

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