QUO VADIS KAISER N E R O ?

 

Die Rehabilitation des Nero Caesar

und der Stoischen Philosophie

 

von Lothar Baus, Homburg/Saar

(Asclepion Edition 1997)

 

 

I n h a l t

Vorbemerkungen

I. Kapitel: Neros Abkunft und Jugend

II. Kapitel: Der Thronanwärter

Kurze Biographie Senecas

Einführung in die Stoische Philosophie

III. Kapitel: Das Jahr 51 u. Zr.

IV. Kapitel: Das Jahr 52 u. Zr.

V. Kapitel: Das Jahr 53 u. Zr.

VI. Kapitel: Das Jahr 54 u. Zr.

VII. Kapitel: Das Jahr 55 u. Zr.

VIII. Kapitel: Das Jahr 56 u. Zr.

IX. Kapitel: Das Jahr 57 u. Zr.

X. Kapitel: Das Jahr 58 u. Zr.

XI. Kapitel: Das Jahr 59 u. Zr.

XII. Kapitel: Das Jahr 60 u. Zr.

XIII. Kapitel: Das Jahr 61 u. Zr.

XIV. Kapitel: Das Jahr 62 u. Zr.

XV. Kapitel: Das Jahr 63 u. Zr.

XVI. Kapitel: Das Jahr 64 u. Zr.

XVII. Kapitel: Das Jahr 65 u. Zr.

XVIII. Kapitel: Das Jahr 66 u. Zr.

XIX. Kapitel: Das Jahr 67 u. Zr.

XX. Kapitel: Das Jahr 68 u. Zr.

XXI. Kapitel: Propagandahetze gegen Kaiser Nero

XXII. Kapitel: Zwölf Hauptthesen über Kaiser Nero

XXIII. Kapitel: Die Senatsopposition der Stoiker

Quellen - Nachweis

 

 

Kaiser Trajan urteilte über die letzten fünf Jahre der Herrschaft Neros (siehe Sexti Aurelii Victoris: >Liber de Caesaribus<, 5, 2 und Pseudo Aurelio Vittore: >Epitome de Caesaribus<, 5, 1-5. Als erster machte darauf aufmerksam: S. C. Anderson: >Traian on the Quinquennium Neronis<, in: Journal of Roman Studies, 1, 1911, pp 173 ff. Siehe auch O. Murray:>"Quinquennium Neronis" and the stoics<, in: Historia, 14, 1965):

>Die beste Epoche, die Rom je kannte.<

Dion Chrysostomos schrieb 30 Jahre nach dem Ende von Neros Pricipat (Orationes, I.9.10):

>Noch heute wünschen sich viele Römer, daß Kaiser Nero noch lebe. Tatsächlich glauben viele, daß es so ist [daß er noch lebt].<

Frage: Wie konnte der junge Nero bei einem Lehrer und Philosophen wie L. Annaeus Seneca zu einem Scheusal von Mensch und Herrscher werden?

Antwort: Nero war in Wirklichkeit das genaue Gegenteil von dem, was wir bisher über ihn zu wissen glaubten. Seine Biographie wurde aus mindestens einem ganz gravierenden Grund von antiken "Propagandisten" ins Abscheuliche verfälscht.

 

Vorbemerkungen

Das Urteil des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus über seine römischen Kollegen ist geradezu vernichtend. In seinem Werk >Jüdische Altertümer< schrieb er: "Neros Geschichte haben viele geschrieben, von denen die einen aus Dankbarkeit für seine Gunstbezeugungen die Wahrheit absichtlich verschleierten, die anderen aber aus Haß und Feindseligkeit ihn derart mit Lügen verfolgten, daß sie dafür volle Verachtung verdienen. Freilich zu verwundern braucht man sich über diesen Mangel an Wahrheitsliebe nicht, da die betreffenden Geschichtsschreiber [Suetonius, Tacitus und Cassius Dio?] nicht einmal bei der Schilderung der Taten seiner [Neros] Vorgänger der Wahrheit die Ehre gaben, obwohl sie doch gegen diese keine persönliche Abneigung haben konnten, weil sie so lange Zeit nach ihnen lebten. Mögen indes die Geschichtsschreiber, denen an der Wahrheit nichts liegt, schreiben, wie es ihnen beliebt, da sie nun einmal an willkürlichen Berichten Freude zu haben scheinen. Ich [Flavius Josephus] dagegen, der ich es mit der Wahrheit genau nehme, habe mich entschlossen, alles, was zu meinem Hauptgegenstande nicht gehört, nur kurz zu berühren und lediglich das, was meine Landsleute, die Juden betrifft, ausführlicher zu erzählen, weil ich mich nicht scheue, auch unser Unglück und unsere Schuld offenkundig zu machen ..."

Der römische Philosoph und Stoiker L. Annaeus Seneca urteilte über den römischen Geschichtsschreiber Ephoros nicht weniger abfällig: [>Naturwissenschaftliche Untersuchungen<, XVI.(1), übers. v. Otto u. Eva Schönberger] "Ephoros [...] ist ein Historiker. Manche von diesen wollen sich durch die Erzählung unglaublicher Geschichten empfehlen und locken die Leser, die nicht aufmerkten, setzte man ihnen nur Alltägliches vor, durch Wundergeschichten an. Manche [Historiker] sind leichtgläubig, manche nachlässig, bei manchen schleicht sich die Lüge ein, und manchen gefällt sie; die einen gehen ihr nicht aus dem Weg, und die anderen sind auf sie aus. (2) Dies gilt allgemein von dem ganzen Historikervolk, das meint, für seine Arbeit nur Beifall zu finden und sie populär machen zu können, wenn es sie mit Lügen würzt. Ephoros vollends nimmt es mit der Wahrheit gar nicht genau; oft läßt er sich belügen und lügt oft selbst ..."

Stellen wir zuerst einige Überlegungen an, aus welchen Quellen die antiken Geschichtsschreiber, wie Tacitus, Suetonius, Cassius Dio, Plutarch und andere Autoren schöpften und wie ihre Werke auf uns gekommen sein könnten. Folgende Vermutungen sind fast schon Beweis genug, um an der historischen Glaubwürdigkeit der auf uns gekommenen Schriften starke Zweifel hegen zu müssen:

Die Geschichtswerke der antiken Autoren setzen sich überwiegend aus mündlichen Quellen zusammen, notgedrungen von Freunden und Gegnern der Caesaren stammend. Um ein Beispiel zu nennen: Es ist so, als wenn wir die Geschichte des zweiten Weltkriegs teils nur aus den mündlichen Kriegsberichten der Alliierten und teils nur aus den mündlichen deutschen Propagandalügen kennen würden. Was das für ein Chaos aus Wahrheit, Halbwahrheit, Irrtum und Lüge ergäbe, würde ungefähr so aussehen: Nazi-Deutschland hätte den Krieg gewonnen, die vier Alliierten jedoch Deutschland besetzt.

Welch ein regelrechtes "Nachrichtengewerbe" mit echten und unechten Informationen aus dem Palast der römischen Kaiser betrieben wurde, beschreibt Ludwig Friedlaender in seinem Buch >Sittengeschichte Roms<, Seite 46: "... Mit Nachrichten über die kaiserlichen Äußerungen, Absichten und Stimmungen wurde ein gewinnbringender Handel getrieben; häufig waren diese teuer verkauften Mitteilungen bloßer Dunst ["fumus"]; bereits Martial erwähnt >das Verkaufen von eitlem Dunst beim kaiserlichen Palast< als Gewerbe, und die späten Kaiserbiographien gebrauchen den Ausdruck ["fumus"] fast wie einen technischen. Alexander Severus ließ einen seiner Leute, der über ihn >Dunst verkauft< und dafür von einem Militär 100 Goldstücke empfangen hatte, ans Kreuz schlagen und seinen Vertrauten Verconius Turinus wegen gewerbsmäßiger Betreibung dieses Handels auf dem Forum des Nerva an einen Pfahl gebunden in Rauch ersticken, wobei ein Herold ausrief: >Der Dunst ["fumus"] verkaufte, wird mit Dunst getötet<. Hadrian und Antonius Pius hielten an ihren Höfen so gute Ordnung, daß keiner von ihren Freunden und Freigelassenen etwas von dem, was sie sagten oder taten, >verkaufte, wie es die kaiserlichen Diener und Hofleute zu tun pflegen<. Die immer von neuem angewandten Maßregeln der Kaiser gegen diesen Handel mit falschen Vorspiegelungen zeigen, wie unmöglich es war, den Übelstand auf die Dauer zu beseitigen ..."

Die Geschichtswerke sind uns nicht in der Originalfassung der oben genannten antiken Autoren erhalten, sondern die Texte mußten mehrere Abschriften über sich ergehen lassen. Papyrus kann sich nur unter extrem günstigen Bedingungen fast zweitausend Jahre erhalten. Es müssen daher in mehreren Jahrhunderten Kopien von den Kopien von den Originalwerken der oben genannten Autoren angefertigt worden sein.

Es ist bereits von den antiken Kopisten, ja sogar von den antiken Autoren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß sie die Geschichte des Neronischen Prinzipats aus staatspolitisch - propagandistischen Gründen absichtlich zum Negativen, ja zum Abscheulichen hin verfälscht haben. Weshalb sie dies taten, das möchte ich erst gegen Ende des Buches ausführlich abhandeln.

Zu der vorsätzlichen Geschichtsverfälschung durch die antiken Propagandisten kommt noch die unbeabsichtigte, die aus Unwissenheit herrührende Falschinterpretation und/oder Interpolation der späteren mittelalterlichen Kopisten hinzu, die kaum weniger Unheil an der geschichtlichen Wahrheit anrichtete. Im finstersten Mittelalter wußte man von der Kultur des antiken Rom rein gar nichts mehr. Erst durch die Erkenntnisse unserer modernen Zivilisation und der Archäologie wurden uns die Errungenschaften der antiken Welt, die Höhe ihrer Kultur, wieder erschlossen. Die Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist nicht immer zum Fortschritt hin verlaufen, sondern über mehrere Jahrhunderte des Mittelalters rückwärts. Die Weltanschauung, die Philosophie eines gebildeten heidnisch - antiken Römers war der eines mittelalterlichen christlichen Mönches völlig fremd, ja sogar entgegengesetzt zu nennen. Das bedeutet, um die Texte der antiken Geschichtsschreiber verständlich zu machen, mußten sie "ausgelegt", einem mittelalterlichen Christenmenschen einigermaßen verständlich interpretiert werden. Also auch ihre Übersetzung, die sogenannte "Auslegungstradition", hat die antiken Texte im Laufe der Zeit unbewußt "interpoliert".

Die (uns bekannten) Geschichtswerke über Kaiser Nero sind überwiegend Kartenhäuser von antiken Propagandalügen und zugleich ein Chaos von bewußten und unbewußten Unwahrheiten oder Halbwahrheiten. Können wir eine oder sogar mehrere dieser "Karten" (d. h. der historischen Fakten) als falsch oder sogar als absichtlich gefälscht überführen, so stürzt logischerweise das ganze Lügengebäude in sich zusammen.

Es ist doch sehr verwunderlich, daß zum Beispiel der französische Nero - Forscher Georges Roux nicht zu dieser relativ einfachen Erkenntnis gelangt ist. Er stellt unter anderem fest, daß es zur Zeit Kaiser Neros gar kein schnell wirkendes Gift gegeben habe. Das heißt, wenn Nero oder seine Mutter Agrippina oder andere Kaiser einen Zeitgenossen mit Gift zu beseitigen beabsichtigt hätten, so wäre dieser eines langsamen und qualvollen Todes gestorben. Damit wäre der angebliche Giftmord Agrippinas an Kaiser Claudius und der angebliche Giftmord Neros an seinem Adoptivbruder Britannicus ad absurdum geführt. Wenn aber Agrippina und Nero keine Giftmörder waren, so brauchten sie demnach auch nicht voreinander Angst zu haben. Und wenn Nero nicht Britannicus ermordete, so brauchte er auch nicht seine Mutter Agrippina umbringen zu lassen. Wir werden weiter unten noch sehen, daß Georges Roux für den Tod des Britannicus eine sehr plausible medizinische Erklärung gefunden hat; und meine Überlegungen, was den Tod der Agrippina angehen, sind gewiß auch nicht zu verachten. Sie merken bereits, liebe Leserin oder lieber Leser, das "Kartenhaus der Lügen" beginnt bereits im Vorwort gefährlich zu schwanken.

Ich möchte aber kein Buch schreiben, das Abschnitt für Abschnitt die antiken Autoren oder die späteren Werkverfälscher (von mir geringschätzig "Propagandisten" genannt) der absichtlichen Geschichtsverfälschung, der absichtlichen Falschinterpretation und/oder der Unwissenheit überführt. Solch ein langweiliger "Schmarren" brauchen Sie von mir nicht zu befürchten. Ich möchte Ihnen im Gegenteil möglichst unterhaltsam das Leben Kaiser Neros darstellen, so wie es mit größter Wahrscheinlichkeit wirklich verlaufen ist, wie es mit größtmöglicher vernunftgemäßer und realitätsbezogener Objektivität aus den arg zugerichteten antiken Geschichtswerken rekonstruiert werden kann. Es ist die totale Rehabilitation eines heidnisch - römischen Caesaren. Und gerade davor haben die meisten modernen Nero - Biographen gekniffen. Jeder hat mindestens eine groteske Unwahrheit in den antiken Texten festgestellt, aber auf die logische Schlußfolgerung, daß sie damit letztendlich ihr eigenes Werk selber widerlegt haben, ist keiner gekommen. Vielleicht wollten sie es auch nicht, denn dann wäre ja ihre ganze Arbeit und Mühe umsonst gewesen.

Ohne Übertreibung kann man behaupten, daß bei den neuzeitlichen Nero - Biographen von Hermann Schiller bis Jacques Robichon der überwiegende Teil ihrer Werke aus falschen Vermutungen und Spekulationen besteht, einzig aus dem Grund, weil sie den antiken Texten zu viel Glauben schenkten. Denn die geschichtliche Wahrheit über Kaiser Nero ist nur noch in wenigen Textteilen und/oder sozusagen "zwischen den Zeilen" zu finden. Das "Kunststück" besteht also darin, daß man richtig interpretiert und richtig rekonstruiert, vor allem aber ohne irgendwelchen (zum Beispiel politischen oder religiösen) "Scheuklappen" vor den geistigen Augen unseres nüchternen und vorurteilsfreien Verstandes. Aber wer hat das schon?

Ich halte es nicht für unmöglich, daß wir eines Tages in einer Höhle oder in einer Grabkammer des afrikanisch - arabischen Wüstengebietes die Schriftrollen eines derjenigen antiken Geschichtsschreiber finden, die, nach Flavius Josephus, "nur Gutes" über Kaiser Nero berichtet haben. Es ist sowieso äußerst verdächtig, daß wir ausgerechnet nur die Geschichtswerke derjenigen Autoren kennen, die (fast) nur Schlechtes über Nero berichten. Die Bibliothek des Vatikan ist ja bekanntlich eine Geheimbibliothek. Das könnte bedeuten, daß man uns bisher einige antike Geschichtswerke bewußt vorenthalten wollte. Einen vernünftigen Grund dafür kann ich allerdings nicht erkennen, außer der Furcht der Curie vor einem Skandal. Ich meine, christlicher Glaube und Geschichtsschreibung haben nichts miteinander zu tun. Das eine kann ohne das andere bestehen. Der angebliche "Christenfresser" Nero, der angeblich auch die Apostel Petrus und Paulus ans Kreuz schlagen ließ, der (bisher) als die Inkarnation des teuflisch Bösen galt, ist bekanntlich kein Bestandteil der Bibel und des christlichen Glaubens. Oder ist er es etwa bis heute heimlich doch gewesen?

Außerdem halte ich es für unbedingt erforderlich, die lateinischen Texte noch einmal zu übersetzen, und zwar ohne dabei die alten, falschinterpretierten Übersetzungen zu Hilfe zu nehmen oder gar zu berücksichtigen. Jede Zuhilfenahme der bisherigen Übersetzungen würde natürlicherweise die Gefahr in sich bergen, daß viele frühere Falschinterpretationen automatisch wiederholt werden.

Zuletzt möchte ich noch den deutschen Altphilologen Ernst Kornemann zu Wort kommen lassen. Im Zusammenhang mit seiner Tiberius - Rehabilitation sprach er von einer "Zerstörung des wahren Geschichtsbildes, wie sie die Historie wohl kaum ein zweites Mal erlebt hat".

Eine Theorie wäre noch denkbar: Sueton zum Beispiel könnte der Verfasser eines Werkes sein, das alle senatorischen Propagandalügen und bösen Klatschgeschichten des römischen Volkes über die ersten zwölf Cäsaren zum Hauptinhalt haben sollte. Denn das ist in der Tat sein Werk >Leben der ersten 12 Caesaren< in meinen Augen tatsächlich!

 

I. Kapitel

Neros Abkunft und Jugend

Über die Jugendzeit des Lucius Domitius Ahenobarbus, des späteren Kaiser Nero, besitzen wir nur einige wenige Jahreszahlen und dazu noch einige vage Informationen von Tacitus, Sueton und Cassius Dio.

Nero wurde am frühen Morgen des 15. Dezember im Jahre 37 nach Christus geboren. Nach einer offensichtlich neunjährigen Kinderlosigkeit war er der einzige Sohn des Cnaeus Domitius Ahenobarbus und der Julia Agrippina, einer Tochter des Germanicus und der älteren Agrippina. Die Ehe der Eltern wurde von Kaiser Tiberius bereits im Jahre 28 u. Zr. arrangiert.

Hermann Schiller schrieb: "... Ihr [Agrippinas] Gemahl, schon in vorgerücktem Alter und leidend, zog sich bald nach Pyrgae in Etrurien zurück, wahrscheinlich um hier Heilung oder Erleichterung von der Wassersucht zu suchen, vielleicht auch um nicht Zeuge seiner Erniedrigung durch den kaiserlichen Schwager [Gaius Caesar] sein zu müssen ... Aus dem dunkeln Gewebe von Verbrechen an dem Hofe des neuen Kaisers tritt nur die Tatsache, nicht die Einzelheiten der Verschwörung des Lepidus deutlicher hervor. Agrippina, von ihrem Bruder zurückgesetzt, scheint sich mit jenem zum Sturze des Kaisers [Gaius], der freilich längst alle brüderlichen Bande zerrissen hatte, verbunden zu haben, um über ihn [Lepidus] oder durch ihn zu herrschen. Der Anschlag mißlang; Lepidus, von Tacitus, Sueton und Cassius Dio als Agrippinas Buhle bezeichnet, wurde hingerichtet, sie selbst und ihre jüngere Schwester Julia traf Verbannung nach den Pontischen Inseln und Einziehung ihres Vermögens. Nero hatte keine Mutter mehr. Auch den Vater verlor er bald nachher (Fußnote Schillers: Wenn Agrippina Ende des Jahres 39 [siehe Lehmann, Seite 103] verbannt wurde, so fiel des Domitius Tod jedenfalls nach dem 15. Dezember 39, also wohl in das Jahr 4O; denn "trimulus" gilt doch wohl auch vom angetretenen Jahre); er erlag zu Pyrgae seinen Leiden und das von ihm hinterlassene Vermögen zog der kaiserliche Oheim, trotz des Vermächtnisses von zwei Dritteln, ein. Den vater- und mutterlosen Knaben hatte man in das Haus seiner Tante von väterlicher Seite, Domitia Lepida, gebracht; hier wurde er mehr aus Gnade denn aus Liebe erzogen ...

Gaius Caesar erlag am 24. Januar 41 den Dolchen einer Soldatenverschwörung, und es war eine der ersten Regierungshandlungen seines Nachfolgers Claudius, seine Nichten [darunter Neros Mutter Agrippina] aus der Verbannung zurückzurufen und ihnen Rang wie Vermögen wiederzugeben ..."

Agrippina heiratete, nachdem sie nach Rom zurückgekehrt war, den "geistvollen Redner" (nach Schiller) Crispus Passienus.

Schiller mutmaßte: "... versprachen doch der Reichtum und der hohe Rang ihres Gemahls, neben seinen übrigen Vorzügen, ihren Plänen eine bedeutende Förderung. Die Schönheit, Liebenswürdigkeit und Gewandtheit seiner Gemahlin fesselten das Herz des alternden Mannes in solchem Maße, daß er Agrippina nebst ihrem Sohne zu Erben seines kolossalen Vermögens einsetzte. Nach seinem baldigen Tode (Anmerkung von Hermann Schiller: Ich habe absichtlich nichts von einer Ermordung [des Crispus Passienus] durch Agrippina gesagt; denn dieselbe wird nur in sehr allgemeiner Weise - periit per fraudem Agrippinae - berichtet.) ... In völliger Zurückgezogenheit lebte sie [Agrippina] einzig der Erziehung ihres Sohnes, zu dessen Vormund ihr oder ihres verstorbenen Gemahls Wille den Asconius Labeo berufen hatte ...

Das erste öffentliche Auftreten des jungen Domitius fällt in den April des Jahres 47 bei Gelegenheit der Säcularfeier, wo er an dem Turnier der adeligen Knaben, dem sogenannten Trojaspiel, teilnahm. Der Beifallruf der Menge erschallte lebhafter bei dem Sohne Agrippinas als bei dem kaiserlichen Erben Britannicus; vor allem hatte das Andenken an Augustus und Germanicus dies bewirkt; aber Agrippinas Zurücksetzung und die Unzufriedenheit mit Messalinas Aufführung hatten der Auszeichnung noch einen demonstrativen Charakter verliehen. Agrippinas Aufmerksamkeit entging dieser Umstand nicht; sie tat alles, um diese flüchtige Regung nicht so schnell verrauchen zu lassen. Geschickt erfundene und vorsichtig verbreitete Gerüchte meldeten der entrüsteten Menge, wie Messalina dem einzigen echten Nachkommen des Augustus Nachstellungen bereitet, die Götter selbst aber durch ein Wunder dieselben zunichte gemacht hätten ... Messalina merkte die Gefahr, die ihr von Seiten der Agrippina und ihres Sohnes drohte; doch läßt sich in dem Kampfe, der zwischen den beiden Müttern für sich und ihre Söhne geführt wurde, wenig klar nachweisen ..."

Das Verhalten der Kaiserin Messalina wurde von den antiken Autoren und/oder den antiken Geschichtsverfälschern als lasterhaft und völlig unsinnig hingestellt. In Wirklichkeit dürfte ihr Vorgehen in direktem Zusammenhang mit der Erkenntnis gestanden haben, daß ihr Sohn Britannicus unfähig war, die Thronfolge zu übernehmen. Kaiserin Messalina suchte ihre Macht und ihr Leben offensichtlich durch eine Konspiration gegen Kaiser Claudius zu retten. Es war klar: einer von den beiden kaiserlichen Ehegatten mußte auf die Macht verzichten. Messalina setzte alles auf eine Karte. Sie vermählte sich öffentlich mit Caius Silius und versuchte, gemeinsam mit ihrem Liebhaber, die Herrschaft an sich zu reißen. Doch der Freigelassene Narcissus rettete durch entschlossenes Vorgehen Kaiser Claudius Leben und Thron. Messalina wurde angeblich auf Befehl des Claudius von einen Prätorianer mit dem Schwert umgebracht.

 

II. Kapitel

Der Thronanwärter

Das Treiben der Kaiserin Messalina machte vor aller Welt offensichtlich: Wäre Kaiser Claudius noch ein "echter" Mann gewesen, hätte sich seine Ehefrau nicht mit anderen Männern vergnügen müssen. Fazit der Administration, der Kaiser Claudius die Regierungsgeschäfte und damit sich selber anvertraut hatte: Mit einer lebens- und liebeslustigen zukünftigen Kaiserin wäre dem introvertierten, bücherschreibenden und alternden Kaiser nicht gedient, denn sonst hätte man in wenigen Jahren wieder das gleiche Problem wie bei Messalina gehabt. Es mußte dem Kaiser Claudius daher eine Frau neben den Thron gestellt werden, die für ihre Sittenstrenge, möglicherweise sogar für ihre scheinbare Frigidität bekannt war. Von drei Anwärterinnen, die in die engere Wahl kamen, setzte sich der Freigelassene Pallas mit seiner Favoritin durch: Agrippina die jüngere, Tochter des Germanicus und Mutter eines ungefähr neunjährigen halbwaisen Knaben.

Die Eheschließung des Claudius Caesar mit Agrippina diente gleichzeitig einem zweiten überaus wichtigen staatspolitischen Kalkül, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, aber, meines Wissens, von keinem modernen Nero - Forscher bisher richtig gewürdigt wurde: Agrippina besaß einen physisch und psychisch völlig gesunden Knaben, der zum Thronfolger geradezu prädestiniert war. Der leibliche Sohn des Kaisers ist Epileptiker. Seine epileptischen Anfälle waren offensichtlich so schwer, daß sichtbare Spuren der Krankheit bei dem rechtmäßigen Thronfolger erkennbar wurden: Britannicus blieb in der physischen und psychischen Entwicklung hinter Gleichaltigen zurück. Eine Übernahme des Prinzipats durch Britannicus war daher nicht oder nur kaum vorstellbar. Er würde immer von seinen Freigelassenen, von seinen "Regierungsangestellten", abhängig sein.

Tacitus berichtet: "... Pallas pries vorzüglich an Agrippina, daß sie den Enkel des Germanicus mitbrächte; einen wahrlich der kaiserlichen Hoheit würdigen Sproß. Er [Kaiser Claudius] möchte doch die Nachkommen der julischen und claudischen Familie vereinigen [Heiratsplan], damit nicht die ... noch jugendlich blühende Frau [Agrippina] der Caesaren Berühmtheit einem anderen Hause zubrächte ..."

Dieser Satz ist doppelsinnig. Er besagt einerseits, daß der junge Lucius Domitius, der Enkel des Germanicus, würdig war, um von der "kaiserlichen Hoheit" Claudius Caesar adoptiert zu werden. Er könnte aber auch besagen wollen, daß Lucius Domitius ein würdiger Sproß wäre, um später das Amt der "kaiserlichen Hoheit" (gemeint ist wohl: das Prinzipat) ehrenvoll auszuüben.

Es ist mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß von Anfang an der Plan bestand, dem Sohn der Agrippina die Thronfolge zu ermöglichen und ihn Schritt für Schritt darauf hinzuführen. Für Kaiser Claudius war es zu spät, noch einen gesunden Thronfolger zu zeugen. Agrippina bekam auch kein Kind mehr von ihrem kaiserlichen "Ehemann", was natürlich mehrere Ursachen haben konnte. Dies bedeutet wiederum, daß Agrippina gar nicht erst Claudius ermorden zu lassen brauchte, um ihrem Sohn Nero den Thron zu verschaffen. Der Zeitpunkt seines Todes war unbedeutend. Im Gegenteil, je länger er lebte um so mehr konnte sich Nero auf die Übernahme der Regierungsgeschäfte vorbereiten.

Kurze Zeit nachdem Agrippina Kaiserin des Römischen Reiches geworden war, spürte man bereits eine Veränderung. Tacitus berichtet: " ... Der Staat war von nun an umgewandelt, und alles gehorchte der Frau [Kaiserin Agrippina], die nicht in Mutwillen, wie Messalina, mit Rom ihr Spiel trieb. Streng und gleichsam männlich war die Knechtschaft [richtig: Herrschaft]. Vor der Welt herrschte Ernst, noch häufiger Stolz, im Hause keine Sittenlosigkeit ..."

Aber wie als wenn er über Agrippina zu viel Gutes berichtet habe, mußte der antike Biograph oder ein späterer antiker Fälscher eine kleine Scheißerei über die Kaiserin anbringen, wenn er hinzusetzt "... wenn sie nicht etwa der Herrschaft diente".

Außerdem berichtet Tacitus etwas Unverständliches über Agrippina: " ... Die unermeßliche Geldgier [Agrippinas] hatte den Vorwand, man suche nur für die Regierung Unterstützung ... "

Dieser Satz wird erst dann leicht verständlich, wenn man weiß, daß eine neue Kaiserkrönung, selbst wenn der Thronanwärter bereits von seinem Vorgänger auserwählt war, bei den Prätorianern "erkauft" werden mußte. Der obige Satz besagt also: Agrippina begann sofort, nachdem sie Kaiserin geworden war, die Staaatsfinanzen zu sanieren, d. h. die Ausgaben zu beschränken, alte Schulden zu tilgen, ja sogar Geld für die "Thronerkaufung" ihres Sohnes zu sparen. Welch eine Frau und Mutter! Agrippina dachte nicht zuerst an sich selber, an ein luxuriöses Leben, sondern nur an ein einziges Ziel: Ihrem Sohn Nero den Weg zum zukünftigen Herrscher des Römischen Reiches zu ebnen.

Auf der Suche nach Kreditgebern kam Kaiserin Agrippina wohl auch mit dem Bruder des Dichters und Philosophen Annaeus Seneca, namens Annaeus Mela, in Kontakt. Auch der Bruder dürfte sich dafür eingesetzt haben, daß der Philosoph aus der Verbannung nach Rom zurückkehren durfte. Agrippina war damit einverstanden. Sie fand offensichtlich so großes Gefallen an dem Dichter und stoischen Philosophen, daß sie ihn bald nach seiner Rückkehr zum Erzieher ihres Sohnes ernannte. Seit ungefähr Mitte des Jahres 49 u. Zr. befand sich Seneca wieder in Rom und avancierte bald darauf zum Prinzenerzieher, ja sogar zum Staatsphilosophen.

 

Kurze Biographie Senecas

Lucius Annaeus Seneca, dem Rittergeschlecht der Annaeer angehörend, war ein Sohn des Rhetors Marcus Annaeus Seneca. Er wurde als der mittlere von drei Kindern um das Jahr 751 nach Roms Erbauung, oder 3 vor Chr., zu Cordoba in Spanien geboren. Seine Mutter hieß Helvia und wir kennen sie aus der Trostschrift, die er während seiner Verbannung auf der Insel Korsika an sie geschrieben hat. Der ältere Bruder hieß Marcus Annaeus Novatus, an den Seneca die drei Bücher >Über den Zorn< richtete. Nach seiner Adoption durch einen reichen Römer hieß er Gallio; unter diesem Namen hat Seneca ihm auch seine Abhandlung >Über das glückliche Leben< gewidmet. Der jüngere Bruder Senecas, mit Namen Annaeus Mela, ist bekannt als der Vater des Dichters Lucanus, dessen >Pharsalia< den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompejus zum Gegenstand hat. Mela war von Beruf Geldverleiher.

Wahrscheinlich lebte Seneca bereits seit frühester Kindheit in Rom, denn er schreibt in der >Trostschrift< an seine Mutter Helvia, daß er "auf den Armen" seiner Tante, der Schwester seiner Mutter, nach Rom kam. In welchem Alter dies war, wissen wir leider nicht; doch muß es bereits sehr früh gewesen sein.

Mehr seinem Vater zu Liebe als aus Neigung widmete er sich der Beredsamkeit (Rhetorik) und der Rechtswissenschaft. Sozusagen "nebenher" beschäftigte er sich auch mit philosophischen Studien. Wir wissen, daß er in Rom den Stoiker Attalus, den Kyniker Demetrius und in Alexandria den Philosophen Sotio hörte.

Eine schwere Erkrankung, man vermutet Asthma, ließ es ratsam erscheinen, nach Ägypten zu reisen, wegen des trockenen Klimas. In Alexandria lebte seine Tante und sein Onkel C. Galerius, der von 16 bis 31 u. Zr. Präfekt von Ägypten war. Mehrere Jahre lebte Annaeus Seneca in Alexandria.

Spätestens im Jahre 31 u. Zr., als der Präfekt C. Galerius abberufen wurde, kehrte wohl auch Seneca wieder nach Rom zurück.

Im Jahre 37 u. Zr. wurde Caligula (Gaius) Prinzeps des römischen Reiches. Wahrscheinlich bekleidete Seneca unter Kaiser Gaius das Amt eines Quästors.

L. Annaeus Senecas erster großer philosophisch - literarischer Erfolg war gewiß die >Trostschrift an Marcia<. Mit dieser Abhandlung wurde er mit einem Schlag in Rom, ja im ganzen römischen Reich berühmt.

Marcia war die Tochter des Senators Aulus Cremutius Cordus, der der Willkürherrschaft des Sejan zum Opfer fiel. Er hatte ein Geschichtswerk geschrieben und nannte darin Cassius den "letzten Römer". Dies und wohl auch einige Bemerkungen über die Mißstände unter Sejan führten dazu, daß er des Hochverrats angeklagt wurde. Bevor er zum Tode verurteilt werden konnte, starb er freiwillig den Hungertod. Sein Geschichtswerk wurde öffentlich verbrannt. Marcia rettete ein Exemplar des väterlichen Werkes und ließ es unter Kaiser Gaius erneut kopieren. Dies brachte ihr bei den liberal gesinnten Intellektuellen Roms große Sympathien ein. Wohl auch deswegen, weil Caligulas Prinzipat sehr schnell zur Despotie ausartete.

Marcia, die verheiratet war, hatte einen Sohn, der in der Blüte seines Lebens starb. Drei Jahre trauerte die Mutter bereits unsäglich um ihr Kind und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Dieselbe Marcia, die den Verlust ihres Vaters so tapfer ertragen hatte, und die den Mut besaß, das Geschichtswerk erneut zu veröffentlichen, das ihrem Vater das Leben kostete. Jedoch nach dem Tode ihres Sohnes, der sie psychisch zu Boden schlug, konnte sie sich offensichtlich nicht mehr erheben. Seneca erkannte seine Chance: Er verfaßte eine >Trostschrift an Marcia<.

Aber es war nicht ungefährlich, als Philosoph und als Schriftsteller öffentlich mit der liberalen Opposition in der Stadt zu sympathisieren.

Cassius Dio berichtete über das Jahr 39 u. Zr. von Caligula, er habe vorgehabt, Seneca umbringen zu lassen, weil dieser ein gutes Plädoyer hielt. Doch eine Frau aus der Umgebung des Kaisers habe es ihm ausgeredet, mit der Bemerkung, es sei unnötig, Seneca umbringen zu lassen, da er an der Schwindsucht leide und sowieso nicht mehr lange leben würde. Welche Frau es war, ist unbekannt. Es könnte eine der Schwestern des Kaisers, Julia Livilla oder Julia Agrippina (die spätere Kaiserin und Mutter Neros) gewesen sein. Sicher ist jedenfalls, daß Seneca den beiden kaiserlichen Schwestern nahegekommen war.

Im gleichen Jahr ließ Kaiser Gaius (Caligula) Aemilius Lepidus wegen Mitwisserschaft einer Verschwörung anklagen und ermorden. Ob in diesem Zusammenhang oder aus anderer Willkür verbannte er auch bald seine Schwestern Livilla und Agrippina aus Rom auf die Pontischen Inseln.

Die Gefahr, in der Seneca unter Kaiser Gaius schwebte, erwähnt er nur kurz in den >Naturbetrachtungen< (nat. quaest. IV.19): "Caligula brachte mich nicht dazu, meine Freundschaft zu Gaetulicus zu verraten ..."

Nach Caligulas Ermordung im Jahre 41 begnadigte Kaiser Claudius seine Nichten Livilla und Agrippina und sie durften wieder nach Rom zurückkehren. Kurze Zeit später wurde Seneca von Kaiserin Messalina angeklagt, mit Livilla Ehebruch getrieben zu haben; sie war mit Marcus Vinicius verheiratet. Kaiser Claudius milderte das Todesurteil auf Verbannung.

In den >Naturbetrachtungen< (nat. quaest. IV.19) schreibt Seneca weiter: "... auch konnten Messalina und Narcissus, lange schon Feinde Roms, bevor sie Feinde ihrer selbst wurden, meine Haltung gegenüber anderen Menschen, die zu lieben Gefahr brachte [sind Livilla und Agrippina damit gemeint?], nicht wankend machen. Ich habe den Nacken für meine Treue hingehalten und ließ mir kein Wort abringen, das ich nicht mit gutem Gewissen aussprechen durfte. Für meine Freunde habe ich alles gefürchtet, für mich nichts, außer etwa, ich sei kein genügend guter Freund gewesen."

In der >Trostschrift an Polybius< (XIII. Kapitel) läßt Seneca die Gelegenheit nicht aus, auch an sein eigenes Schicksal zu erinnern. Er schreibt schmeichelnd über Kaiser Claudius: "Denn auch mich hat er [Kaiser Claudius] nicht so tief gestürzt, daß er mich nicht wieder erheben könnte, ja er hat mich nicht einmal gestürzt, sondern den vom Schicksal Gestoßenen und Fallenden gehalten und den im Fall Begriffenen [den zum Tode Verurteilten] durch Darreichung seiner Götterhand an einen Verwahrungsort [auf die Insel Korsika] gebracht. Er hat beim Senat Fürbitte für mich eingelegt und mir das Leben nicht nur geschenkt, sondern auch erbeten. Er mag zusehen, wie er meine Sache betrachtet wissen will und wie er sie beurteilt; entweder wird seine Gerechtigkeit sie als gut erkennen oder seine Gnade wird sie zu einer guten machen; in beiden Fällen wird sein Verdienst um mich ein gleiches sein, mag er nun einsehen oder nur wollen, daß ich unschuldig bin. Inzwischen ist es mir ein großer Trost in meinem Elend, zu sehen, wie sein Erbarmen sich über den ganzen Erdkreis verbreitet, und da es aus demselben Winkel, an welchen ich verbannt bin, schon mehrere, die bereits unter dem Schutt vieler Jahre begraben liegen, herausgeholt und ans Licht zurückgeführt hat, so fürchte ich nicht, daß er mich allein übergehen werde. Er selbst aber kennt am besten die Zeit, wo er einem jeden zu Hilfe kommen müsse ..."

Daß Seneca einflußreiche Freunde in Rom besaß, die sich für seine Begnadigung einsetzten, davon zeugt sein folgendes Epigramm:

An die Freunde [in Rom]

Crispus, du mein Stab, du, wenn es stürmt, mein Anker,

Zierde des Forums du in älterer Zeit.

Crispus, mächtig auch, wenn du zu segnen gedachtest,

Meinem berstenden Schiff Ufer und sicheres Land.

Einzige Ehre du mir, und meine schützende Burg du,

Und nun einziger Trost für das zerschlagene Herz.

Crispus, treuestes Herz, des Friedlichen starker Schutz du,

Dem aus der Tiefe der Brust attischer Honig entströmt;

Herrliche Zierde dem Ahn, dem beredten, und dem Vater.

Jeglichem hilfreich bist du, nur dem Verbannten nicht?

Oder ist dem Schmachtenden hier auf felsigem Eiland

Nicht auch nahe der Geist, den die Erde nicht hemmt?

Acht lange Jahre mußte Seneca auf seine Begnadigung warten. Gaius Passienus Crispus war inzwischen gestorben. In Rom brachte sich Kaiserin Messalina durch einen Putschversuch selbst ums Leben und Julia Agrippina wurde Kaiserin des römischen Reiches. Ihr Sohn, Domitius Ahenobarbus, war zum Kronprinzen auserwählt. Agrippina berief Seneca zu seinem Erzieher, zumindest in der Philosophie. Im Jahre 49 u. Zr. durfte Seneca daher von der Insel Korsika nach Rom zurückkehren. Seneca erlebte aus nächster Nähe den glanzvollen Aufstieg des Sohnes der Agrippina, des späteren Nero Caesar.

Im Jahre 57 u. Zr. übte Seneca sogar das Konsulat aus. Es war dies das Jahr, in dem der Apostel Paulus in Rom vor Gericht stand und freigesprochen wurde.

Als philosophischer Schriftsteller war Seneca ungemein produktiv. Seine Schriften sind: Drei Bücher >Über den Zorn< (de ira); drei >Trostschreiben<, eines an seine Mutter Helvia, wegen seiner Verbannung, ein Trostschreiben an Polybius, wegen des Todes seines Bruders, und ein Trostschreiben an Marcia, wegen des Todes ihres Sohnes; ferner mehrere kleine philosophische Abhandlungen, mit Titel >Über das Schicksal< (de providentia), >Über die Gemütsruhe< (de animi tranquillitate), >Über die Unerschütterlichkeit des Weisen< (de constantia sapientis), >Über die Milde< (de clementia), >Über das glückliche Leben< (de vita beata), >Über die Kürze des Lebens< (de brevitate vitae), >Über die Muße< (de otio), >Die Verkürbisung des Kaisers Claudius< (apocolocyntosis sive ludus de morte Claudii), eine Satire auf Kaiser Claudius; sieben Bücher >Über die Wohltaten<, (de beneficiis), 124 >Briefe an Lucilius< (epistulae morales), sämtlich philosophischen Inhalts; sieben Bücher >Naturbetrachtungen< (naturales quaestiones); außerdem besitzen wir noch Bruchstücke von untergegangenen Schriften und einige Epigramme. Die ihm früher zugeschriebenen zehn lateinischen Trauerspiele stammen unbestreitbar von einem anderen Seneca, also nicht von dem Philosophen Seneca.

Als Philosoph bekennt sich Seneca grundsätzlich zur Stoischen Schule, jedoch mit selbstbewußter Freiheit des eigenen Denkens. Er folgt seinen Lehrern nicht sklavisch, sondern er sieht auch das Gute in den anderen philosophischen Schulen, vor allem in der des Epikur.

 

Einführung in die Stoische Philosophie

Zenon, der Begründer der Stoa, unterteilte die Philosophie in Logik, Physik und Ethik.

Die Logik zerfällt in zwei Wissenschaften, in Rhetorik und Dialektik. Die Rhetorik ist die Wissenschaft, das, was einer rednerischen Ausführung bedarf, gut auszuarbeiten und vorzutragen. Die Dialektik ist die Wissenschaft, eine Abhandlung zu schreiben, die aus Fragen und Antworten besteht; daher definieren sie die Dialektik auch als die Wissenschaft des Wahren und Falschen, und dessen, was keins von beiden ist.

Der Teil, den die antiken Philosophen >Physik< nannten, handelt von der gesamten Naturlehre.

Den ethischen Teil der Philosophie unterteilten sie in die Lehre vom Triebe, vom höchsten Glücks-Gut und [größten] Übel, von den Gemütserregungen [oder Leidenschaften], von den Tugenden, vom Endziel, von den Handlungen, von den Pflichten und von den Ermahnungen.

Der erste Trieb eines lebenden Wesens, sagen die Stoiker, ist der der Selbsterhaltung. Darauf führe jedes Lebewesen gleich seine eigene Natur, drückt sich Chrysippos im ersten Buche >Vom Endziel< aus. Einem jeden lebendigen Wesen, sagt Chrysippos, sei sein Bestehen und das Bewußtsein seines Lebens eigen. Denn es ist nicht wahrscheinlich, daß ein Wesen gegen sich selbst feindlich gesinnt ist. Es bleibt also nur übrig zu sagen, daß die Natur es mit sich selbst befreundet habe. Denn auf diese Art weicht es dem Schädlichen aus, und nähert sich dem, was ihm nützlich ist. Wenn aber einige Philosophen sagen, der erste Trieb der lebenden Wesen liefe auf das Vergnügen hinaus, so geben sie etwas Falsches an. Daher hat Zenon im ersten Buche >Von der Menschennatur< als erster gesagt: "Das Ziel des Lebens [das Telos] ist, der Natur gemäß zu leben; und dies heißt gleichzeitig, den Tugenden gemäß zu leben; denn zu ihnen führt uns die Natur."

Außerdem definierte Chrysippos im ersten Buche >Vom Endziel< [Telos]: "Nach den Tugenden leben ist einerlei mit leben nach der Erfahrung der nach der Natur sich ereignenden Dinge". Denn unsere Naturen sind Teile des Ganzen.

Daher ist das Endziel [das Telos]: Der Natur gemäß leben. Das heißt, nach der eigenen Natur und nach der Natur des Ganzen gemäß leben. Indem man nichts tut, was das allgemeine Gesetz zu untersagen pflegt, weil es die richtige und alles durchdringende Vernunft ist.

Diogenes sagt ausdrücklich: "Das Endziel [das Telos] besteht darin, daß man in der Auswahl dessen, was nach der Natur geschieht, Vernunft gebrauchen muß."

Archedomos bestimmt das Telos dahin: "So zu leben, daß man alle Pflichten vollkommen ausüben kann."

Chrysippos versteht unter der Natur, der man gemäß leben soll, nicht nur die allgemeine, sondern besonders auch die menschliche Natur.

Tugend sei erlernbar, sagt Chrysippos im ersten Buch >Vom Endziel<. Dies behaupten auch Kleanthes und Poseidonios.

Panaitios nimmt eine zweifache Tugend an, eine theoretische und eine praktische. Außerdem unterteilen die Stoiker die Tugenden in Kardinaltugenden und sonstige, diesen untergeordnete Tugenden. Zu den Kardinaltugenden gehören: Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigkeit.

Klugheit ist die Kenntnis der höchsten Glücks-Güter und der größten Übel, und dessen, was keines von beiden ist.

Tapferkeit ist die Kenntnis, sich über alle Zufälle und Schicksalsschläge zu erheben, sie mögen positiv oder negativ sein.

Gerechtigkeit ist die Kenntnis dessen, was zu wählen und was zu meiden ist.

Mäßigung ist die Kenntnis, sich vom Vergnügen nicht überwältigen zu lassen und stets nach richtiger Vernunft, ohne alle Überschreitung derselben, zu handeln.

Auf ähnliche Weise sind die Laster geordnet. Es gibt vier Hauptlaster (Unklugheit, Furchtsamkeit, Ungerechtigkeit und Unmäßigkeit), und ihnen untergeordnete Laster, wie Leidenschaft und Stumpfsinnigkeit. Laster sind Unwissenheiten derjenigen Dinge, deren Kenntnisse Tugenden sind.

Ein Glücks-Gut ist, allgemein genommen, was tugendhaft ist, oder was der Tugend nicht entgegen steht. Daher wird die Tugend selbst das höchste Glücks-Gut genannt. Auf andere Art definieren die Stoiker aber auch das Glücks-Gut als: "Das Vollkommene der vernünftigen Natur. So ist die Tugend beschaffen, so ist derjenige, der Teil an ihr hat, so sind die Handlungen nach der Tugend. Ihre Folgen sind Freude und Heiterkeit, und was diesen ähnlich ist."

Einige Glücks-Güter enthalten das Glücks-Gut in sich [d. h. in der Tugend]; andere bewirken es; eine dritte Art tut beides zugleich. So sind Freunde und die Vorteile, die sie verschaffen, bewirkende Glücks-Güter. Zuversicht aber, hoher Sinn, Freiheit, Heiterkeit und Fröhlichkeit und alle tugendgemäße Handlungen sind solche Glücks-Güter, die das höchste Glücks-Gut in sich enthalten.

Pflicht [Kathekon] nennen die Stoiker das, wovon man einen vernünftigen Grund angeben kann, warum es geschieht. Zum Beispiel, was im Leben übereinstimmend ist; das sich auch auf die Pflanzen und Tiere erstreckt. Denn es gibt auch gegen sie Pflichten. Zenon hat die Benennung "Pflicht" (Kathekon) als erster gebraucht. Ferner sind einige der pflichtmäßigen Dinge immer pflichtmäßig, andere sind es nicht immer. Immer pflichtmäßig ist, der Tugend gemäß leben; nicht pflichtmäßig ist, zu lieben, zu antworten, spazierengehen und dergleichen.

Die Stoiker behaupten, daß aus dem Irrigen [dem Wähnen] die Geistesverkehrtheiten entstehen, aus denen wiederum viele Gemütserregungen [oder Leidenschaften] erwachsen. Nach Zenon ist die Gemütserregung eine unvernünftige und naturwidrige Bewegung des Geistes, ebenso die übertriebene Begierde. Von den schlimmsten Gemütserregungen gibt es vier Arten, wie Hekaton im zweiten Buche >Von den Gemütserregungen< und Zenon in seinem gleichnamigen Buche sagt: Traurigkeit, Furcht, Begierde und affektierte Lustigkeit.

Die Stoiker sind auch der Meinung, daß die Gemütserregungen falsche Überzeugungen seien. Denn Geldgier ist die Vermutung, daß das Geld ein Glücks-Gut sei; ebenso die Völlerei, die Unmäßigkeit und andere Begierden. Die Traurigkeit nennen die Stoiker eine unvernünftige Regung des Geist-Gemütes, ebenso Mitleid, Neid, Eifersucht, Kummer, Niedergeschlagenheit und Trübsinnigkeit.

Liebe ist eine gewisse Begierde, die für rechtschaffene Menschen nicht schicklich ist. Sie ist nämlich eine Nachstellung, um wegen scheinbarer (äußerlicher) Schönheit einem anderen [Liebes-] Dienste zu erweisen.

Wahre Liebe gründet sich auf Freundschaft, wie Chrysippos in seinem Buch >Über die Liebe< schreibt. Sie ist daher auch nicht tugendhaft.

Wie es Krankheiten des Körpers gibt, z. B. die Gicht, so gibt es auch Krankheiten des Geist-Gemütes, wie Ruhm-Sucht, Vergnügungs-Sucht, Geld-Sucht, Konsum-Sucht, Luxus-Sucht und was diesen gleicht. Denn Krankheit des Geist-Gemütes ist häufig [geistige] Schwachheit und Kraftlosigkeit. Krankheit ist z. B. die Begierde nach einer für wünschenswert gehaltenen Sache. Und wie es leichte Krankheiten des Körpers gibt, so gibt es auch leichte Fehler des Gemütes, wie Unbarmherzigkeit, Zanksucht und andere.

Die Stoiker sagen auch, die zärtliche Kinderliebe sei ihnen natürlich; sie finde sich nicht bei sittlichschlechten Menschen. Sie sind auch der Meinung, daß die Sünden gleich seien, wie Chrysippos im vierten Buch der >Ethischen Untersuchungen< sagt, und außer ihm auch Persaios und Zenon. Denn wie das Wahre nicht wahrer sein kann, so kann auch das Erlogene nicht erlogener sein, und ebenso auch kein Betrug betrügerischer, und keine Sünde sündlicher. Denn wer hundert Stadien von Kanobus entfernt ist und wer nur eine Stadie davon entfernt ist, die sind beide nicht in Kanobus; also auch der, der mehr oder weniger fehlt, handelt auf jeden Fall nicht richtig.

Ein Weiser werde, wenn kein Hinderungsgrund vorliege, an Staatsgeschäften teilnehmen, schreibt Chrysippos im ersten Buch der >Lebensbeschreibungen<. Denn er werde das Tugendwidrige zu verhindern und das Tugendhafte zu befördern versuchen.

Auch werde der Weise heiraten und Kinder zeugen, wie Zenon in der >Staatsverfassung< sagt. Ferner werde er keinen eitlen Wahn haben, das heißt, er werde nichts Falschem seinen Beifall geben.

Der Weise wird sich auch an die Lehren der Kyniker halten, denn die kynische Philosophie ist ein gebahnter Weg zur Tugend, wie Apollodor in seiner >Ethik< schreibt.

Der Weise [der Stoiker] allein ist ein freier Mann; die Schlechten sind Sklavengemüter; denn Freiheit besteht in dem Vermögen, selbständig zu handeln, wie Sklaverei aus der Beraubung der geistigen Selbständigkeit besteht. Es gibt noch eine andere Art der Knechtschaft, die aus der Unterwürfigkeit besteht, und eine dritte, die aus Besitzgier und Unterwürfigkeit besteht, die der Herrschaft entgegengesetzt ist, die ebenfalls schlecht ist. Die Weisen sind aber nicht allein freie Männer, sondern gleichsam mit Königen zu vergleichen. Ihr Königreich ist eine Herrschaft, die niemandem schädlich ist; eine Herrschaft also, die sich nur allein bei den Weisen finden könne, wie Chrysippos schreibt in der Abhandlung mit Titel >Wie Zenon sich der Wörter in ihrem eigentlichen Sinne bedient<. Denn ein Herrscher, sagt er, müsse über Sittlichgutes und Sittlichschlechtes urteilen; und das versteht kein Nichtweiser. Und deswegen wären die Weisen [die Stoiker] auch allein befähigt zu Regenten, Richtern und Rednern, wozu kein Nichtweiser tauglich sei. Die Weisen wären auch schuldlos, weil sie in keine Verschuldung geraten könnten. Auch wären sie vollkommen nützlich, denn sie schadeten weder anderen, noch sich selbst.

Ferner bestaunt ein Weiser nichts Unerwartetes, oder angebliche Wunder, wie Ebbe und Flut, warme Quellen, oder Vulkanausbrüche. Ein Weiser, behaupten sie, wird auch nicht einsiedlerisch leben, denn er ist von Natur gesellig und tätig. Er wird auch Leibesübungen vornehmen, um seinen Körper ausdauernd zu machen.

Die Stoiker lehren auch, daß Freundschaft nur allein unter Weisen möglich ist, weil bei ihnen Gleichheit besteht. Sie zählen die Freundschaft zu den Dingen, die zum Leben gehören, da wir uns der Freunde wie unserer selbst bedienen.

Von den Tugenden lehren die Stoiker, daß eine so aus der anderen folge, daß der, welcher eine Tugend hat, sie alle besitzt, denn sie hätten eine gemeinschaftliche Theorie; so schreibt Chrysippos im ersten Buch >Von den Tugenden< und Apollodor in seinem Buch >Die Physik<. Ein Tugendhafter sei nämlich nicht allein zur Betrachtung, sondern auch zur Ausübung dessen geschickt, was geschehen müsse. Was aber zu tun sei, das sei auch zu wählen, zu ertragen, zu verteidigen und festzuhalten. Wenn daher ein Mann mit kluger Wahl, mit Beharrlichkeit, mit Mut und mit Standhaftigkeit handelt, so ist er klug und tapfer, weise und gerecht. Jede Tugend werde unter ihrem eigenen Hauptstück zusammengefaßt, wie zum Beispiel die Tapferkeit sich mit dem befaßt, was zu erdulden ist, die Klugheit mit dem, was zu tun und was nicht zu tun ist, und so auch die übrigen Tugenden sich mit dem, was ihnen zugehört, beschäftigen. Es folgen aber der Klugheit weise Überlegung und Einsicht, der weisen Mäßigung die Ordnungsliebe und Anständigkeit, der Gerechtigkeit folgen die Nachsicht und das Rechtsgefühl, der Tapferkeit die Unerschütterlichkeit und Kraft.

Es gibt drei Arten, wie man sein Leben einrichten kann: Ein nur betrachtendes, ein nur arbeitendes und ein sogenanntes intellektuelles Leben. Der Weise wird das dritte wählen, sagen die Stoiker. Das intellektuelle Leben besteht aus arbeiten und betrachten, denn die Natur habe den Menschen zum Betrachten und zum Arbeiten geschaffen.

Die Stoiker sind für die Gleichberechtigung der Geschlechter, so Zenon in der >Staatsverfassung<, ebenso Chrysippos in seinem gleichnamigen Buch. Der Kyniker Diogenes und auch Platon waren ebenfalls dieser Überzeugung.

 

Stoische Paradoxien (nach Marcus T. CICERO)

I. Paradoxon: Nur was sittlichgut ist, ist ein Glücks-Gut.

Was man gewöhnlich für Glücks-Güter hält, wie Reichtum, Macht, sinnliche Vergnügungen, das sind keine Glücks-Güter, denn sie sind nicht fähig, unser Gemüt zu befriedigen und können auch im Besitz schlechter Menschen sein.

(Über dieses Paradoxon vgl. Cicero >Über das höchste Gut und [größte] Übel< III. 7, 26; 8, 27-29.)

II. Paradoxon: Die Tugend allein genügt zum

vollkommen glücklichen Leben.

Wem alles vom Zufall abhängt, für den kann es nichts Gewisses geben. Wer aber ganz von sich selbst abhängt, den kann äußeres Unglück nicht unglücklich machen, der ist vollkommen glücklich.

(Über dieses Paradoxon vgl. Cicero >Über das höchste Gut und [größte] Übel< III. 12, 41; 13, 42 ff. 14, 45 ff.)

 

III. Paradoxon: Sünden und gute Handlungen haben

keine graduellen Unterschiede.

Die Sünden sind nicht nach ihren Folgen, sondern nach den Lastern der Menschen zu bemessen. Der Gegenstand der Sünde kann zwar bald wichtiger, bald geringer sein, aber das Sündigen ist immer einerlei. Wenn die Tugenden einander gleich sind, so müssen es auch die Laster sein. Nun aber sind die Tugenden einander gleich, denn niemand kann besser als gut sein. Es gibt nur eine Tugend, der mit der Vernunft übereinstimmende und stets gleichbleibende Geisteszustand.

Die Überzeugung aber, daß zwischen den Vergehen kein Unterschied stattfinde, muß die Menschen am meisten von jeder Schlechtigkeit abhalten. Nur die Umstände machen in der Sünde einen Unterschied, aber nicht das Wesen der Sache. Nicht soll im Leben die für jede Vergehung bestimme Strafe berücksichtigt werden, sondern wie viel jedem Menschen erlaubt sei. Was aber nicht erlaubt ist, muß als ein Unrecht angesehen werden. In jeder Sünde wird durch Störung der Vernunft und Ordnung gesündigt. Sobald aber einmal diese gestört worden sind, so kann nichts hinzutreten, wodurch man in höherem Grade zu sündigen scheinen könnte.

(Über dieses Paradoxon vgl. Cicero >Über das höchste Gut und [größte] Übel< III. 9, 32; 10, 33; 34, 12; 41, 13; 42 ff.

IV. Paradoxon: Nur der Weise ist ein Bürger,

der Unweise ist ein Verbannter.

Diese Abhandlung ist eine gegen Clodius gerichtete Rede Ciceros. Cicero zeigt, daß Clodius ihn gar nicht aus dem römischen Staat verbannen konnte, da alle Gesetze und alle Gerechtigkeit aufgehoben gewesen seien. Cicero sei daher immer römischer Bürger gewesen, Clodius hingegen, obwohl er in Rom gelebt habe, sei nicht ein Bürger, sondern ein Feind Roms gewesen. Der wahre Bürger müsse nach Gesinnung und Taten beurteilt werden, nicht nach Abstammung und Wohnort.

V. Paradoxon: Der Weise allein ist frei, der Thor ist ein Sklave.

Nur der ist frei, der seine Gemütserregungen [und Leidenschaften] zu beherrschen vermag. Denn Freiheit ist die Macht, so zu leben, wie man will. Nur der lebt wie er will, der jederzeit dem Sittlichguten folgt. Also ist nur der Weise frei, der Unweise aber ein Sklave. Denn Sklaverei besteht darin, wenn man einem kraftlosen und kleinmütigen Geist-Gemüt nachgibt, das keinen freien Willen hat. Demnach sind alle Leichtfertigen, Leidenschaftlichen, kurz alle Schlechten Sklaven.

 

VI. Paradoxon: Der Weise allein ist reich.

Für reich ist der zu halten, der so viel besitzt, als zu einem anständigen Leben genügt, und damit zufrieden ist. Diejenigen aber, die man gewöhnlich reich nennt, sind nicht reich, sondern vielmehr arm. Denn sie sind nie mit dem zufrieden, was sie haben, sondern begehren immer mehr. Der wahre Reichtum beruht auf der Tugend, die dem Menschen nie entrissen werden kann. Die Tugendhaften sind daher allein reich. Sie allein besitzen gewinnreiche und dauernde Güter und sind mit dem zufrieden, was sie haben, und vermissen nichts.

Dies sind die wichtigsten Lehren der Stoiker.

 

Als Nero zum Kaiser proklamiert wurde, versprach er jedem Prätorianer 15.000 Sesterzen. Claudius war der erste Caesar, der sich die Treue seiner Prätorianer mit Geld erkaufte. Die gesamte Summe belief sich, nach Schätzung von Gérard Walter, auf 180 Millionen Sesterzen. Diese Summe konnte gewiß nicht ohne Beihilfe der Kapitalisten, der sogenannten "Geldverleiher", aufgebracht werden. Für Annaeus Mela, Senecas Bruder, war es daher wichtig, daß er in den richtigen zukünftigen Kaiser sein Kapital investierte. Ein häufiger Thronwechsel war für die römischen Großkapitalisten uninteressant; davon hätten nur die Prätorianer profitiert, die "Geldverleiher" aber wären ruiniert worden.

Nachdem Lucius Domitius zum "Kronprinzen" auserwählt war, also seit der Eheschließung seiner Mutter Agrippina mit Claudius, bestand sein Dasein aus doppeltem Lernen, außerdem noch aus Repräsentationspflichten und aus - Angst. Angst vor Neid, vor Mißgunst, vor Verleumdung und vor - Konspiration, was einem Todesurteil gleichkommen konnte.

Seit dem zehnten Lebensjahr wurde das Letzte an Leistungskraft von dem Jungen abverlangt. Bereits vorher, zu Lebzeiten seines Stiefvaters Crispus Passienus, dürfte Lucius Domitius eine gute Bildung und eine noch bessere Rhetorikausbildung zuteil worden sein. Nach dessen Tod erhielt er einen Erzieher namens Anicetus. Seit dem Jahre 49 war Annaeus Seneca verantwortlich für die Erziehung des Thronanwärters.

Hermann Schiller schrieb dazu: "... Schon die Zurückberufung aus dem Exil mußte Seneca der Kaiserin verpflichten; seine Erhebung zur Prätur steigerte seine Ergebenheit, und der Haß gegen Claudius, den Urheber seiner Verbannung, ließ eine Parteinahme desselben für den eigentlichen Thronerben [Britannicus] nicht befürchten. Bot so Senecas Ernennung Agrippina die nötigen Garantien für seine Treue und Anhänglichkeit, so hatte sie doch noch eine weitere Errungenschaft damit gemacht, indem sie die eigene Popularität und die ihres Sohnes durch die vom Publikum freudig begrüßte Maßregel erhöhte. Es kann unter diesen Umständen kaum befremden, daß der Stadtklatsch von einem unerlaubten Verhältnis zwischen der Kaiserin und Seneca zu erzählen wußte ... Auch hinsichtlich der Erziehungsgrundsätze mußte er zu bestimmten Ansichten zu gelangen suchen, und es ist kein Zweifel, daß er dieselben in der Schrift >Über den Zorn< niedergelegt hat ..."

Am 25. Februar des Jahres 5O u. Zr. wurde Lucius Domitius Ahenobarbus unter dem neuen Namen Nero Claudius Caesar Drusus Germanicus in die Claudische "Gens" adoptiert. Schiller konstatiert: "Indem Nero in die Familie des Claudius aufgenommen war und damit in gleiche Rechte mit Britannicus, dem leiblichen Sohne des Kaisers eintrat, stand er [Nero] der Nachfolge näher als jener, da er älter war ... Daß man im Reiche diesen Fall bereits wie eine Tatsache betrachtete, zeigen eine Reihe von gleichzeitigen Denkmälern."

 

III. Kapitel

Das Jahr 51 u. Zr.

Nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres war ein junger Römer volljährig. Als sichtbares Zeichen wurde ihm öffentlich die Männertoga angelegt. Nero hätte demnach erst nach dem 15. Dezember des Jahres 51 die Männertoga erhalten dürfen. Einige Historiker glauben jedoch, daß er sie bereits im März erhielt.

Tacitus berichtet in den >Annalen<: "Unter dem fünften Konsulat des Tiberius Claudius [des Kaisers Claudius] und dem ersten Konsulat des Servius Cornelius Orfitus beeilte man für Nero die Anlegung der Männertoga, damit er zur Übernahme der Staatsgeschäfte fähig schiene."

Der Grund hierfür kann nur in dem schlechten Gesundheitszustand des Kaisers gesucht werden. Das heißt, es nützte gar nichts, wenn Nero zum Thronfolger designiert war, zum Zeitpunkt des Todes des Claudius' aber noch nicht die Männertoga trug, also noch nicht rechtsfähig oder volljährig war. Für Nero wurde, aus Staatsraison, eine Ausnahme geschaffen und ihm rund neun Monate vor seinem vierzehnten Geburtstag die Männertoga verliehen.

Hermann Schiller schrieb: "... Kaiser Claudius führte seinen Adoptivsohn selber in den jubelnden Senat, der dem jungen Mann den Titel >Erster der Jugend<, die proconsularische Gewalt, die Designation zum Consulat und mit dem zwanzigsten Lebensjahr die Bekleidung dieses Amtes decretierte. Da alle diese Beschlüsse Claudius' Zustimmung fanden, so gab dies Nero Gelegenheit, seine Redekunst in einer Danksagung an den Senat und seinen kaiserlichen Vater zu beweisen. Ferner wurde dem jungen Fürstensohn durch Senatsbeschluß die außerordentliche Ehre zuteil supra numerum in die vier höchsten Priestercollegien der Pontifices, Augures, Quindecimviri und Septemviri aufgenommen zu werden. Der Ritterstand endlich huldigte dem so Geehrten als Cos. design. und Princ. Juventut. durch Überreichung eines Ehrenschildes. Selbst die Arvalen nahmen ihn [Nero] bereits in ihr Gebet auf und veranstalteten außerordentliche Gelübde für "die Gesundheit" des Kaisersohnes ..."

Anschließend wurde für Nero ein Zirkusspiel gegeben, "um ihm die Volksgunst zu erwerben". Britannicus, der leibliche Sohn des Kaisers Claudius, fuhr dabei im Knabenkleid, wie es sich gehörte, und Nero fuhr im "Triumpfgewand" einher. Tacitus schließt daraus eine Absicht der Agrippina: "Sehen sollte das Volk diesen [Nero] im Imperatorenschmuck, jenen [Britannicus] im Kinderanzug und daraus auf das Schicksal beider schließen".

 

IV. Kapitel

Das Jahr 52 u. Zr.

Zu Anfang des Jahres 52 sprach Nero auf griechisch vor dem Senat zu Gunsten einer Autonomie von Rhodos. Der Senat stimmte zu. Die Rhodier feierten daraufhin ihren Fürsprecher auf Münzen und das Gedicht des Antiphilos Brunck pries Nero als einen Sonnengott, der ihnen das goldene Licht der Freiheit geschenkt habe.

 

V. Kapitel

Das Jahr 53 u. Zr.

Tacitus berichtet, Nero habe unter dem Konsulat des Decimus Junius und des Quintus Haterius des Kaisers Tochter geheiratet, angeblich die Tochter der Kaiserin Messalina, namens Octavia.

Bereits zu Anfang des Jahres 53 muß die Eheschließung Neros mit einer Tochter des Claudius stattgefunden haben. Welche von den drei Töchtern des Claudius es war, ist nach unseren antiken Geschichtsschreibern ungewiß, denn wir haben widersprechende Aussagen. Tacitus, Suetonius und Cassius Dio berichten, es sei Octavia, die Tochter der Messalina, gewesen. Flavius Josephus schrieb, Nero habe Antonia, die ältere Tochter des Kaisers, geheiratet. Sueton berichtet von einer noch älteren Tochter, die Claudius mit einer Frau namens Urgulanilla Plautia zeugte.

Nero stand im sechzehnten Lebensjahr, Octavia, die Tochter der Kaiserin Messalina, erst im zwölften oder dreizehnten. Es wäre für Nero gewiß nicht ohne Reiz gewesen, eine ernsthafte Liebesbeziehung mit einer jungfräulichen und noch sehr jungen Ehefrau anzuknüpfen. Stattdessen erfahren wir, daß Nero, bald nachdem er Kaiser geworden war, angeblich eine Freigelassene namens Claudia Acte liebte.

Octavia, die Tochter der Messalina, lebte mit Sicherheit im Kaiserpalast. Agrippina war nach der Eheschließung mit Kaiser Claudius ihre Stiefmutter. Da die Hochzeit Neros mit einer Tochter des Kaisers erst nach seiner Adoption erfolgte, wodurch er in die Claudische "Gens" aufgenommen wurde, war er rechtlich gesehen ein Bruder der Octavia. Nun mußte bereits bei der Eheschließung der Agrippina mit Claudius eigens ein Gesetz im Senat verabschiedet werden, das die Ehe mit Brudertöchtern erlaubte (Agrippinas Vater Germanicus und Kaiser Claudius waren Brüder). Also bei einer Heirat Neros mit der Octavia hätte wiederum ein Gesetz im Senat eingebracht werden müssen, das sogar die Geschwisterehe legitimiert hätte, obwohl Nero und Octavia nicht verschwistert (blutsverwandt) miteinander waren. Solch ein Gesetz wäre selbst für das antike Rom undenkbar gewesen.

Cassius Dio berichtet, Kaiser Claudius habe seine Tochter in eine andere "Gens" aufnehmen lassen, damit sie ihren Adoptivbruder Nero heiraten könne. Ich frage, hätte es nicht Hohngelächter im ganzen römischen Reich erregt, wenn Octavia, des Kaisers jüngste Tochter, von einer gesellschaftlich unter ihr stehenden Familie adoptiert worden wäre? Die angebliche Adoption der Octavia wird auch von keinem anderen antiken Historiker erwähnt. Sie und die antiken Propagandisten hätten sich eine solche Begebenheit gewiß nicht entgehen lassen.

Die Tochter der Messalina wäre wohl am wenigsten nach dem Geschmack der Kaiserin Agrippina gewesen. Octavia wußte, daß Agrippina erst durch den Tod ihrer Mutter zu höchsten Ehren gelangte. Es wird außerdem berichtet, daß die Großmutter der Octavia versucht habe, Agrippina und damit auch Nero zu stürzen. Selbstverständlich unternahm sie dies, um ihrem Enkel Britannicus die Thronfolge zu verschaffen. Domitia bezahlte diesen Versuch mit ihrem Leben.

Flavius Josephus berichtete in seinem Werk >Jüdische Altertümer< zu Anfang des 8. Kapitels: " ... Außerdem war er [Claudius] schon früher mit Paetina verheiratet gewesen, die ihm seine älteste Tochter Antonia geboren hatte. Diese Antonia gab Claudius sogleich dem Nero zur Ehe, so nannte er nämlich den Domitius, als er ihn an Sohnesstatt annahm ... "

Jedoch mit zwei Kaisertöchtern, Antonia und Octavia, ist es noch nicht genug, denn Suetonius berichtet, Kaiser Claudius sei Vater von drei Töchtern gewesen. Vier Monate vor der Scheidung von seiner ersten Frau Urgulanilla Plautia, kam diese mit einer Tochter nieder, angeblich Claudia genannt. Diese erste und älteste Tochter des späteren Kaisers Claudius könnte ebenfalls Octavia geheißen haben. Claudius erkannte das Kind nicht als das seinige an, obwohl es vor seiner Scheidung zur Welt kam, da er seine Frau, Urgulanilla Plautia, im Verdacht hatte, die eheliche Treue gebrochen zu haben.

Kaiserin Agrippina, die nichts unversucht ließ, um ihrem Sohn die Thronfolge zu sichern, könnte eines Tages auch die Tochter der Urgulanilla Plautia kennengelernt haben. Auf den ersten Blick erkannte sie, daß die junge Frau dem Kaiser in Gesicht, Statur und Wesensart frappierend glich. Agrippina war überzeugt, daß die Tochter der Urgulanilla Plautia das leibliche Kind von Claudius Caesar ist. Da der Vater, dieses Ekel, aus Geldmangel seine Tochter einst nicht anerkannt hatte, gehörte sie einer anderen "Gens" an. Eine Heirat mit Nero war problemlos.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, ja für wahrscheinlich, daß die antiken Historiographen und/oder ihre Historienverfälscher die Tochter der Urgulanilla Plautia, namens Octavia, mit der Tochter der Messalina, ebenfalls mit Namen Octavia, absichtlich "verwechselt" haben.

 

VI. Kapitel

Das Jahr 54 u. Zr.

Tacitus berichtet, daß in diesem Jahr Kaiser Claudius von einer Krankheit befallen wurde und er nach Sinuesa reiste, um "seinen Kräften durch die Milde des Himmels und die Heilsamkeit der Bäder wieder aufzuhelfen".

In den letzten Jahren stand es um seine Gesundheit allgemein sehr schlecht. Die vorgezogene Volljährigkeitserklärung Neros ist daraus zu ersehen.

Agrippina benutzte die Situation, um den Thronfolger in der öffentlichen Meinung noch ein weiteres Stückchen zu heben. Nero versprach dem Volk der Stadt Rom ein Pferderennen, falls Claudius gesunden würde.

Ob der Kaiser tatsächlich gesundete oder ob man bei den ersten Anzeichen einer Besserung bereits das Gelöbnis als erfüllt ansah, jedenfalls wurde das Pferderennen auf glanzvolle Weise abgehalten.

Wohl im letzten Augenblick, als das Ableben des Claudius Caesar nur noch eine Frage der Zeit war, hielt die Mutter der Messalina, namens Domitia, ihre Stunde für gekommen, um das Letzte für ihren Enkel Britannicus zu wagen. Sie verleumdete die Kaiserin Agrippina, um sie und ihren Sohn Nero aus der Gunst des Kaisers zu verdrängen und zu stürzen. Ich halte es jedoch für sehr unwahrscheinlich, daß Domitia sich ausgerechnet mit dem Mörder ihrer Tochter Messalina, dem Freigelassenen Narcissus, verbündet haben könnte. Vielmehr muß es ein Alleingang Domitias gewesen sein. Der Versuch mißlang. Dieses mehr als aussichtslose Unternehmen, Neros Nachfolge war nach menschlichem Ermessen so gut wie sicher, bezahlte Domitia natürlicherweise mit ihrem Leben. Von ihrem Familienoberhaupt, Kaiser Claudius, wurde sie der Zauberei angeklagt und zum Tode verurteilt. Claudius hatte sich auch in diesem Intrigenstück wieder einmal eindeutig für den designierten Nachfolger, den Sohn der Agrippina, entschieden. Narcissus war Claudius' Beschützer, der über das Leben des Kaisers wachte, bis er eines natürlichen Todes gestorben wäre.

Am 12. Oktober wurde das Fest zu Ehren des Kaisers Augustus, die sogenannten Augustalien, gefeiert. Claudius vergaß den Rat seiner Ärzte, nicht übermäßig viel zu essen und vor allem nicht zu viel Wein zu trinken. Bei den vielen köstlichen Speisen und auserlesenen culinarischen Spezialitäten konnte er nicht widerstehen. Er aß und aß, probierte dieses und jenes, natürlich mehr als ihm gut tat. Beim Trinken konnte er sich noch nie beherrschen. Am späten Nachmittag oder am Abend des 12. Oktober brach Claudius im Vollrausch zusammen. Er erbrach zwar die köstlichen Speisen und den vielen Wein und erleichterte dadurch seinen Magen, aber es war zu spät. Alle lebenswichtigen Organe seines Körpers waren verbraucht. Claudius hatte sich, im wahrsten Sinne des Wortes, totgefressen und -gesoffen.

Die antiken Historiographen unterstellten, wie könnte es auch anders sein, er sei von Kaiserin Agrippina mit Pilzen vergiftet worden, weil er an seinem letzten Lebenstag Pilze aß. Was kein antiker und kein neuzeitlicher Historiker anscheinend wußte, ist die Tatsache, daß manche Pilze, zum Beispiel Tintlinge, mit viel Alkohol genossen giftig, ohne Alkohol gegessen aber ohne weiteres genießbar sind. Kaiser Claudius könnte sich daher auch unbewußt selber vergiftet haben.

Es gibt keine Motivation für Kaiserin Agrippina, solch eine riskante und gefährliche Tat, wie einen Giftmord, zu begehen. Die geradezu suggestiven Ausführungen der antiken Autoren, bzw. der späteren Propagandisten, Claudius hätte sich in den letzten Wochen seines Lebens noch anders besonnen und wollte seinem leiblichen Sohn Britannicus die Thronfolge sichern, ist unlogisch. Dann hätte er erst gar nicht Agrippina zu heiraten und deren Sohn, Lucius Domitius, zu adoptieren brauchen. Es bleibt dabei: Britannicus war Epileptiker und unfähig, der Prinzipat zu übernehmen.

Kaiserin Agrippina teilte dem Senat und den Priesterkollegien den bedenklichen Zustand des Kaisers mit. Konsulen und Priester sprachen den Göttern wiederum Gelübde aus für die Genesung des Claudius. Diesmal war die Parze Clotha unerbittlich, sie zerriß seinen Lebensfaden.

Tacitus machte der Kaiserin Agrippina zum Vorwurf, Claudius wäre bereits tot gewesen, jedoch die Priester hätten den Göttern immer noch Gelübde für seine Genesung gesprochen, ja die Feierlichkeiten wären nicht einmal unterbrochen worden, so daß sogar noch Tänzer vor der Leiche des Kaisers aufgetreten wären. Wenn es wirklich so gewesen wäre, die antiken Historiker haben, was die Todesstunde betrifft, wieder einmal widersprüchliche Berichte geliefert, so dann nur aus dem einen Grund, um Tumulte unter der Bevölkerung zu vermeiden, was mit Sicherheit zu Plünderung, Raub und Mord geführt hätte.

Am 13. Oktober, am Tag nach dem Fest der Augustalien, öffneten sich gegen Mittag die Türen des Palastes. Von Burrus, dem Präfekt der Prätorianer, begleitet, trat Nero zu der wachhabenden Kohorte hinaus. Burrus hielt eine kurze Ansprache an die Prätorianer. Er teilte ihnen mit, daß Kaiser Claudius eines natürlichen Todes gestorben sei. Vor ihnen stünde der designierte Nachfolger, von Claudius selber zum Thronerben auserwählt: Nero, der Sohn der Kaiserin Agrippina.

Die Palastwache jubelte dem jugendlichen, erst sechzehn Jahre und neun Monate jungen Nero Caesar zu. Anschließend begab er sich in einer Sänfte zur Kaserne der Prätorianer, die außerhalb der Stadtmauer Roms lag. Auch hier wurde Nero jubelnd empfangen und zum neuen Kaiser ausgerufen, nachdem er versprochen hatte, jedem Prätorianer ein Geldgeschenk von 15.OOO Sesterzen zu machen.

Am Nachmittag begab sich Nero auch in den Senat. Kaiserin Agrippina befand sich derweilen bei den Kindern des Claudius im Palast. Sie umarmte sie immer wieder tröstend und versicherte ihnen, daß sie nichts zu fürchten hätten. Bemerkenswert ist, daß außer den beiden Kindern der Messalina, Britannicus und Octavia, auch die Tochter der Paetina, namens Antonia, von Tacitus erwähnt wird.

Erst am Abend kehrte der frischgekürte Nero Caesar aus dem Senat in den Palast zurück, nachdem er, laut Sueton, "von all den ungeheuren Ehren, mit denen er überhäuft wurde, nur den Titel >Vater des Vaterlandes< seines jugendlichen Alters wegen abgelehnt hatte".

Spät am Abend trat ein Offizier der wachhabenden Prätorianerkohorte in den Palast, um von Nero Caesar das Losungswort für die Nachtwache zu erbitten. Nero antwortete: "Optima mater", was zu deutsch heißt: "Die beste Mutter".

Agrippina stand am Ziel all ihrer Hoffnungen und Wünsche: Ihr einziger Sohn Lucius Domitius Ahenobarbus, alias Nero, war Kaiser des römischen Reiches. Welch herrliche Aussichten für die Zukunft eröffneten sich Agrippina dadurch!

Die Totenfeier für Claudius wurde mit großem Pomp in Rom begangen. Nero Caesar hielt selber die Totenrede für seinen verstorbenen Adoptivvater.

Welch übergroße Hoffnungen und Wünsche in die zukünftige Regierung des jungen Nero Caesar gesetzt wurden, dokumentiert ein Gedicht Senecas in seinem satirischen Werk >Die Verkürbissung des Kaisers Claudius< (übersetzt von Anton Bauer). Darin heißt es über den jungen Nero Caesar:

Lachesis aber, die Locken gesteckt und geflochten die Haare,

Flechten und Stirn bekränzt vom Schmucke pierischen Lorbeers,

Zieht mit glücklicher Hand aus der schneeweißen Wolle

Glänzende Fäden, die, wenn sie versponnen, im Nu ihre Farbe

Wechseln. Ihr Werk bewundern erstaunt die göttlichen Schwestern:

Denn in edles Metall verwandelt sich einfache Wolle,

Goldene Zeiten steigen hernieder von prächtigem Garne.

Und sie kennen kein Maß und ziehen beglückende Fäden,

Freudig füll'n sie die Hände und süß scheint ihnen die Arbeit.

Ganz von allein scheint's eilt das Werk, und mühelos fließen

Weich die Fäden [Neros Lebensfäden] herab von der

rasch sich drehenden Spindel.

Sie übertreffen die Jahre des Nestor und die des Tithonus.

Phoebus ist da und spornt an mit Gesang und freut sich der Zukunft,

Schlägt bald fröhlich die Laute, bald reicht er den Parzen die Wolle,

Hält mit Gesang sie am Wirken und täuscht sie über die Mühe.

Während sie preisend das Spiel und die Lieder des

Bruders hervorheben,

Spinnen sie mehr als das übliche Maß; und menschliches Ausmaß

Schon übersteigt das gepriesene Werk. "O nehmt nichts, ihr Parzen,

Davon ihm weg", sang Phoebus, "ja spreng' er des irdischen Daseins

Schranken, mir ähnlich im Antlitz, mir ähnlich an Schönheit,

Gleich an Gesangskunst und Stimmgewalt mir. Glückselige Zeiten

Wird er [Nero] bringen den Schwachen und brechen das

Schweigen des Rechtes.

Gleich wie Lucifer scheucht er hinweg die fliehenden Sterne,

Und so wie Hesperus steigt er empor bei der Rückkehr der Sterne,

So wie Helios - wenn Aurora, die Dunkelheit lösend,

Rosig erstrahlend herauflenkt den Tag - stets erleuchtend die Erde

Anschaut und aus den Schranken den Sonnenwagen heranführt.

Solch ein Kaiser ist nah, so wird auf Rom Nero nun scheinen!

Leuchtend erstrahlt in mildem Glanze sein liebliches Antlitz,

Und unter wallendem Haar sein wohlgestalteter Nacken.

 

Über Neros Regierungspläne berichtet Sueton, daß er vor dem Senat erklärt habe, nach den Grundsätzen des Kaisers Augustus regieren zu wollen. Er ließ auch keine Gelegenheit vorbeigehen, um seine Freigebigkeit, Milde und sogar Leutseligkeit unter Beweis zu stellen. Allzu schwere Steuern schaffte er ab oder verringerte sie. Auch das Volk erhielt eine Geldspende, pro Kopf vierhundert Sesterzen, und altadeligen, jedoch verarmten Senatoren wurden jährliche Gehälter oder Pensionen ausgesetzt, manchen bis zu fünfhunderttausend Sesterzen. Außerdem erhielten die Prätorianer noch eine monatliche kostenlose Getreidelieferung.

Die Kaiserinmutter Agrippina erhielt oder behielt die Oberaufsicht über alle privaten und öffentlichen Angelegenheiten des Staates.

Ergänzend zu Sueton berichtet Tacitus, daß Nero vor dem Senat "ein Gemälde von der künftigen Regierung entwarf". Er, Nero Caesar, "werde sich nicht in allen Händeln zum Richter machen, so daß, indem sich Ankläger und Verklagte unter diesem einen Dache [des Senats] befänden, nur die Macht einiger wenigen schalte. Nichts werde im Kreise seiner Penaten käuflich oder der Intrige zugänglich sein; geschieden solle Kaiserhaus und Staat sein. Der Senat solle seine alten Geschäfte behalten, vor den Richterstühlen der Konsuln würden Italien und die Staatsprovinzen erscheinen, sie sollten den Zutritt zum Senate verleihen".

Für seinen Vater Gnaeus Domitius Ahenobarbus erbat sich Nero vom Senat ein Standbild, und für seinen Erzieher, Asconius Labeo, die Konsularinsignien.

Wegen des Herrschaftsantritts Nero Caesars kam auch eine rhodische Gesandtschaft nach Rom, um dem jungen Princeps die Glückwünsche des Rates und Volkes von Rhodos zu überbringen. Nero gab den Abgesandten einen Brief mit, der dem Rat und dem Volk als Antwort Neros vorgelesen werden sollte:

[Quelle: >Historische Inschriften ...<, übersetzt von Dr. Helmut Freis]

(Im Jahre), als Diogenes Priester war, als die Kollegen zusammen mit Menekles, dem Sohn des Archagoras, Prytanen waren, als Neikasimachos, Sohn des Diaphanes, nach Annahme an Kindes Statt Sohn des Archedamos, Schreiber des Rates war, (wurde) der Brief, der von Nero Claudius Caesar abgesandt worden war, am 27. des (Monats) Petageitnyos (verlesen).

[Nero] Claudius Caesar Augustus Germanicus, Sohn des vergöttlichten Claudius, Enkel des Tiberius Caesar Augustus und des Germanicus Caesar, Urenkel des vergöttlichten Augustus, Pontifex maximus, im Besitz der tribunizischen Gewalt, Imperator, grüßt die Archonten, den Rat und das Volk von Rhodos. Eure Gesandten, die Ihr mir sandtet, da Ihr auf den Brief hin, der Euch fälschlicherweise im Namen der Konsuln überbracht worden war, in Unruhe geraten wart, haben den Volksbeschluß übergeben und mich betreffs der Opfer informiert, die Ihr ihnen auftrugt, wegen der Gesundheit meines ganzen Hauses und der langanhaltenden Dauer meines Prinzipats dem Juppiter Capitolinus darzubringen, der von uns besonders verehrt wird; auch was Ihr ihnen bezüglich der demokratischen Regierungsform der Stadt aufgetragen habt, legten sie über Claudius Teimostratos, den Sprecher der Gesandtschaft, dar, der mit eindringlichem Eifer vor mir zu Euren Gunsten sprach; ein Mann, der in meinen Augen besonders bekannt ist wegen des erneuten Anspruchs auf seine Privilegien uns gegenüber und der unter Euch zu den angesehensten Bürgern gezählt wird. Ich bin also von meiner frühen Jugend an gegen Eure Stadt wohlgesonnen ...

[Der Schluß fehlt.]

Gegen Ende des Jahres 54 u. Zr. fielen die Parther in Armenien ein. Nero Caesar sah sich in den ersten Krieg während seines Prinzipats gezwungen. Da er sich nicht selber als Heerführer betätigte, sondern die Kriegführung erfahrenen Generälen überließ, gehört die Geschichte der Partherkriege nicht zum eigentlichen Leben Neros. Ich werde daher die militärischen Ereignisse jetzt und in Zukunft nur am Rande erwähnen.

 

 

VII. Kapitel

Das Jahr 55 u. Zr.

Nero übte in diesem Jahr, zusammen mit Lucius Antistius, sein erstes Konsulat aus.

In den >Annalen< des Tacitus wird berichtet, daß angeblich bereits in diesem Jahr "die Macht der Mutter gebrochen" worden wäre, da sich Nero mit der Freigelassenen Claudia Acte in einen "Liebeshandel" einließ.

Ich bin überzeugt, daß diese "Gruselgeschichten" über Agrippina und Acte einerseits und über Agrippinas angebliche Umsturzpläne andererseits nur einem einzigen Zweck dienten: Dem Leser ein Motiv zu suggerieren, weshalb Nero angeblich seinen Stiefbruder Britannicus umbringen ließ und nachfolgend (d. h. erst über drei Jahre später) angeblich auch seine Mutter. Ich möchte diese "Gruselmärchen" in knappen Worten nacherzählen. Der Titel des ersten lautet:

>Die Ermordung des Britannicus durch Nero<

"Nero ließ sich mit der Freigelassenen Acte in einen "Liebeshandel" ein. Seine Mutter Agrippina tobte deswegen. Eine Freigelassene sei ihre Nebenbuhlerin [Tacitus unterstellt Mutter und Sohn Inzest], ihre Schwiegertochter sei angeblich eine Magd. Sie wartete Neros Reue nicht ab, noch daß er Acte überdrüssig werden könnte, sondern entflammte ihn, je Schimpflicheres sie ihm vorwarf, nur um so heftiger, bis er sich, vom Ungestüm der Liebe [zu Claudia Acte] überwältigt, vom Gehorsam gegen die Mutter lossagte. Da änderte Agrippina ihre Taktik und bot sich ihrem Sohn Nero als Geliebte an. Sie versuchte, ihm mit Liebkosungen beizukommen und bot ihm sogar ihr eigenes Schlafgemach als Zufluchtsort an, um das zu verhüllen, was sein jugendliches Alter und des Standes Höhe verlangte. Agrippina schenkte ihrem Sohn Nero außerdem noch ihr ganzes Vermögen, um ihn fester an sich zu ketten. Dieser Sinneswandel täuschte Nero aber nicht. Auch seine nächsten Freunde waren besorgt und flehten Nero an, sich vor den Nachstellungen seiner Mutter, des stets fürchterlichen, jetzt auch noch falschen Weibes, zu hüten. Nero sandte der Mutter eines Tages ein kostbares Kleid, jedoch Agrippina wies es empört zurück und rief dabei aus, daß es ihr ja bereits gehöre, er teile das aus, was er von ihr erhalten habe. Es fehlte nicht an Leuten, die ihm dies in noch schlimmeren Ausdrücken hinterbrachten. Nero, gegen die erbittert, an welchen dieser Weiberstolz eine Stütze hatte, entfernte Pallas aus seinem Amt. In blinder Hast griff Agrippina zu Drohungen und sagte Nero ins Gesicht, Britannicus sei nun erwachsen, er sei ein wahrer und würdiger Sproß, um seines Vaters Herrschaft zu übernehmen, während er, Nero, nur eingeschoben und adoptiert sei. Sie, Agrippina, habe nichts dagegen, daß alle Greuel an den Tag kämen, auch ihre [angebliche] Giftmorde. Mit Britannicus wolle sie ins Lager der Prätorianer marschieren und ihn zum neuen Caesar ausrufen lassen. Dabei erhob Agrippina gegen Nero die Hände, überhäufte ihn mit Schmähungen, rief den vergöttlichten Claudius an und wünschte die Folgen all der fruchtlosen Verbrechen auf Nero herab. Deswegen und weil Britannicus bald sein vierzehntes Jahr vollendete, an welchem ihm die Männertoga angelegt wurde, faßte Nero den Plan, seinen Adoptivbruder Britannicus mit Gift beseitigen zu lassen. Gedacht, getan. Er rief die gleiche Giftmischerin, die seiner Mutter [angeblich] bereits Dienste erwiesen hatte, namens Locuste. Diese bereitete das Gift zu und Britannicus wurde es in aller Öffentlichkeit, während eines Festmahles, in den Trinkpokal geschüttet. Er trank daraus und brach augenblicklich tot zusammen."

Dieses "Schauermärchen" ist wahrhaftig so grandios erfunden und zugleich so suggestiv von Tacitus und/oder von dem anonymen antiken Propagandisten erzählt, daß bisher fast alle Nero - Biographen darauf hereingefallen sind. Je grandioser eine Lüge ist und je frecher erfunden, um so mehr Glauben wird ihr anscheinend geschenkt.

Mindestens vier gewichtige Indizien sprechen dagegen:

1. Indiz: Neros "Thronerkaufung" bei den Prätorianern kostete mindestens 180 Millionen Sesterzen. Außerdem machte er dem Volk von Rom ein Geldgeschenk von vierhundert Sesterzen pro Kopf. Wir können also gut die gleiche Summe hinzurechnen, was einen Betrag von mindestens 360 Millionen Sesterzen ergäbe. Eine zweite Inthronisierung innerhalb eines Jahres (die des Britannicus) wäre, rein finanziell gesehen, bereits eine schiere Unmöglichkeit gewesen.

2. Indiz: Wenn Agrippina alle Verbrechen des Claudius und ihre angeblich eigenen, einschließlich ihrer angeblichen Giftmorde, ausgeplaudert hätte, hätte sie sich damit selber das Todesurteil gesprochen. Da haben die antiken Propagandisten und Geschichtsverfälscher offensichtlich etwas zu dick aufgetragen.

3. Indiz: Britannicus wurde, nach den Recherchen des Nero - Forschers Georges Roux, gar nicht von Nero Caesar ermordet, sondern starb höchstwahrscheinlich an den Folgen seiner Epilepsie. (Siehe dazu weiter unten die Argumente des Georges Roux.)

4. Indiz: Ist dasselbe, welches ich als Hauptindiz gegen das zweite "Gruselmärchen" aufführe. Siehe weiter unten die >Verteidigungsrede< der Kaiserin Agrippina.

Außerdem soll Kaiserin Agrippina in diesem Jahr auch eine Verschwörung gegen ihren Sohn Nero angezettelt haben. Hier folgt das Gruselmärchen von

>Agrippinas Verschwörung gegen ihren Sohn Nero<

"Agrippina durchzuckte bei der Ermordung des Britannicus ein solcher Schreck und solche Bestürzung, daß damit [nach Tacitus] ersichtlich war, sie habe so wenig wie die Schwester des Britannicus, Octavia, etwas von diesem [angeblichen] Mord gewußt. Agrippina sah nun ihre letzte Hilfe entrissen und ein Vorbild zum Muttermord gegeben. Agrippina wollte natürlich dem Muttermord Neros zuvorkommen und ihren Sohn stürzen lassen. Sie verbündete sich heimlich mit Rubellius Plautus, der im gleichen Grade wie Nero vom göttlichen Augustus abstammte. Sie wollte, da Britannicus nicht mehr lebte, jetzt den Rubellius Plautus durch Umsturz emporzuheben versuchen, und durch Vermählung mit ihm sich erneut der Herrschaft bemächtigen. Agrippinas Plan wurde jedoch verraten. Junia Silana denunzierte Agrippina durch den Schauspieler Paris bei Kaiser Nero. Nero befand sich im Alkoholrausch, als Paris zu ihm trat, um ihm die Umsturzpläne der Agrippina zu berichten. Der nach der Ermordung seiner Mutter "begierige" Nero konnte kaum zurückgehalten werden. Erst als Burrus versprach, daß Agrippina getötet werden würde, wenn sie für schuldig befunden wäre, ließ sich Nero zum Aufschub bewegen. Anderentags begaben sich Burrus und Seneca zu Agrippina, um sie zu verhören."

Die >Verteidigungsrede< der Kaiserinmutter Agrippina ist wahrhaftig so großartig, daß damit nicht nur ihre Unschuld klar zu Tage tritt, sondern auch gleichzeitig die Schauermärchen des Tacitus ad absurdum geführt werden. Agrippina sprach:

"Ich wundere mich nicht, daß der Silana, da sie nie ein Kind geboren hat, die Gefühle einer Mutter unbekannt sind. Denn es werden ja nicht von den Eltern Kinder ebenso wie die Buhlen von einer unzüchtigen Frau gewechselt. Wenn Iturius und Calvisius, nachdem sie alle ihre Habe aufgezehrt, ihre letzte Anstrengung, eine Anklage zu übernehmen, einem alten Weibe [der Junia Silana] verkaufen, so brauche weder ich deshalb die Schande des Kindermordes zu tragen, noch der Kaiser dessen Argwohn. Denn der Domitia Feindschaft würde ich danken, wenn sie in Wohlwollen gegen meinen Nero mit mir wetteifern würde. So aber dichtet sie durch ihren Buhlen Atimetus und durch den Schauspieler Paris ein Schauspiel für die Bühne zusammen. Ihre Fischteiche in Baiae verschönerte sie, als durch meine Vorkehrungen Adoption und prokonsularische Gewalt und Bestimmung zum Konsulat und die übrigen Vorbereitungen zur Erlangung der Herrschaft [für meinen Sohn Nero] betrieben wurden. Es trete jemand auf, der mich beschuldigen kann, die Kohorten in Rom aufgewiegelt, die Treue der Provinzen wankend gemacht, endlich Sklaven oder Freigelassene zum Verbrechen [zum Sturz Neros] bestochen zu haben! Konnte ich wohl am Leben bleiben, wenn Britannicus zur Herrschaft gelangte? Oder wenn Plautus oder irgendein anderer als Richter an die Spitze des Staates träte; dann fehlten mir wohl Ankläger, die mir nicht Worte aus liebevoller Ungeduld bisweilen unvorsichtig hingeworfen, sondern die [mir angebliche] Verbrechen vorwerfen könnten, von denen ich nur vom Sohn [Nero] freigesprochen werden kann?"

George Roux hat sich die Mühe gemacht, eine Liste von allen Giften zusammenzustellen, um herauszufinden, durch welche Art von Gift Britannicus umgebracht worden sein könnte. Er kommt zu dem Schluß, daß es zu damaliger Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gar kein Gift gab, das schnell, fast plötzlich wirken konnte, wie zum Beispiel das Cyanid. Auch der Toxikologe Prof. Dr. Kohn-Abrest bestätigte ihm, daß es kein Gift gab, "dessen Einnahme in nicht massiver Dosierung den sofortigen Tod hervorgerufen haben könnte." Bei einer hohen Dosierung hätte dem Opfer, in diesem Falle dem jungen Britannicus, bzw. seiner Umgebung, aber die Absicht auffallen müssen: "Aussehen der Mischung und ihre sonstigen organoleptischen Eigenschaften können nicht unbemerkt bleiben", so der Toxikologe.

Robichon schrieb in seinem Buch >Nero - Die Komödie der Macht<:

(Deutsche Übersetzung von Elmar Braunbeck, Casimir Katz Verlag 1986)

"... Andere Experten bestätigten Georges Roux, daß >die Gifte, die in der Lage sind, einen sofortigen Tod hervorzurufen, bei den Römern unbekannt waren. Dies gilt insbesondere für die Cyanide, die noch nicht in Gebrauch waren und den schnellsten Tod hervorrufen ... Der Vergiftete stößt einen Schrei aus, fällt nieder und stirbt<.

Roux konnte also nur zu dieser Schlußfolgerung kommen: unter den von Tacitus und Sueton berichteten Bedingungen hat Britannicus ganz unmöglich einer Vergiftung erliegen können.

Wenn nun Britannicus nicht vergiftet worden ist, wenn er einem Schlaganfall erlegen ist und "einen Schrei ausgestoßen hat und zusammenbrach", welches war nun der Grund für seinen Tod? Der Arzt Raymond Martin, Sachverständiger bei den Gerichten des Départements Seine, glaubt, diese Frage beantworten zu können, und stützt sich ebenfalls auf die Meinung von Fachkollegen aus der Neurochirurgie:

"Wir kennen das Erscheinungsbild eines bei einem jungen Menschen durch Gefäßbruch im Hirnhautbereich hervorgerufenen Todes recht gut. Er wird von dem Bruch kleiner arterieller Aneurismen hervorgerufen. Es wurden schon Fälle von plötzlichem Tod aus diesem Grunde bei Personen festgestellt, die an epileptischen Anfällen litten ... Epilepsie verursacht größere Veränderungen im Gefäßsystem und Blutdruckstörungen, die im Zusammenspiel eine Ruptur des Aneurismas nach sich ziehen können. Dies hat den sofortigen Tod zur Folge.

... Über Jahrhunderte hinweg sind die Historiker Tacitus gefolgt und haben die Haltung und die Worte des Nero als blanken Hohn dargestellt, der seine Höflinge und seine Familienmitglieder angeblich zynisch beruhigte, nachdem Britannicus bewußtlos (oder tot) aus dem Saal des Palatin hinaustransportiert worden war. Niemand wollte noch versuchte, der vom Kaiser seinem Hofstaat vorgegebenen Version des Dramas zu glauben. Nach dieser Version würde "Britannicus ganz schnell wieder fühlen und sehen können". Nero behauptete, daß es nur ein ganz gewöhnlicher Vorfall sei, der der Epilepsie ..."

Jacques Robichon stellte die Frage:

"Und wenn Nero nun Recht hat?"

Wenn also Kaiser Nero gar nicht seinen Adoptivbruder Britannicus umbrachte (ich frage: warum sollte er?), was bleibt dann noch von diesen (und logischerweise auch noch von den späteren) "Gruselgeschichten" übrig? Sie lösen sich, im wahrsten Sinne des Wortes, in "fumus" auf.

Wie war das erste Jahr unter dem Prinzipat Neros wirklich gewesen? Das genaue Gegenteil von dem, was wir bei Tacitus, Sueton und Cassius Dio lesen können: Nero Caesar übte sein erstes Konsulat aus. Er nahm seine Pflichten sehr ernst und die überwältigende Mehrheit des Senats war hellauf begeistert von ihm.

Nero war ein glücklicher Ehemann und zugleich ein liebevoller Sohn. Die Kaiserinmutter Agrippina strahlte im Glanz ihres höchsten Glückes. An der Seite ihres Sohnes erschien sie bei öffentlichen Anlässen. Ja sie regierte sogar in Eintracht und in vorheriger Abstimmung mit ihrem Sohn. Die öffentlichen und privaten Angelegenheiten des römischen Staates waren ihr belassen oder gar erst übertragen worden.

In der Kaiserloge des Circus saß Neros Ehefrau Octavia, die älteste Tochter des vergöttlichten Kaisers Claudius und der Urgulanilla Plautia, zu seiner Rechten. Seine Mutter, die Kaiserinwitwe und Augusta Agrippina, zu seiner Linken. In aller Öffentlichkeit benahm sich Nero gegenüber seiner Mutter fast so wie zu seiner Ehefrau. Er teilte liebevolle Küsse an beide Frauen aus. Was war denn schon dabei? Agrippina war ja schließlich seine Mutter. Er liebte sie, wie ein Sohn seine Mutter nur lieben kann.

Im Triumph seines Glückes achtete Kaiser Nero nicht auf die scharfen Blicke seiner Neider, der senatorischen Opposition. Zuerst war es nur eine scherzhafte Bemerkung: Nero liebt seine Mutter aber sehr. Er liebt sie? Liebt er sie tatsächlich? Ist es möglich, daß er auch mit ihr ins Bett geht? So wurde aus dem "fumus" seiner Neider die angebliche Gewißheit: Nero und seine Mutter treiben Inzest. Keine Ungeheuerlichkeit wurde von den antiken Propagandisten ausgelassen, um Kaiser Nero in den Augen ihrer Leser moralisch herabzusetzen.

Die Intrige der Junia Silana mag wohl wirklich geschehen sein, jedoch Kaiser Nero war nicht "begierig" seine Mutter umzubringen, sondern - er lachte lauthals darüber. Er bat seine Mutter, um jeder weiteren Gerüchtebildung vorzubeugen, sich öffentlich zu den Verleumdungen der Silana zu äußern. Die Verteidigungsrede der Agrippina (siehe oben), die ich für eine authentische Rede der Kaiserin halte, überzeugte jeden vernünftig Denkenden. Damit war der "fumus" von Agrippinas Umsturzplänen ad absurdum geführt.

Im selben Jahr wurde auch der Regierungsangestellte Pallas und der Prätorianerpräfekt Burrus von dem Immobilienspekulant Paetus verleumdet, angeblich den Cornelius Faustus Sulla zum Kaiser erheben zu wollen. Burrus gab als Richter seine Stimme ab über die Denunziation, die ihn selber betraf. Das bedeutet, kein Mensch glaubte es, am allerwenigsten Kaiser Nero.

Am 3. Januar des Jahres 58 u. Zr. wurde Faustus Sulla noch in den steinernen Akten der Arvalbrüder genannt. Selbst Sulla hatte für seine Person nichts Nachteiliges von Nero Caesar zu befürchten, weil das Ganze eine offensichtliche Denunziation war.

Junia Silana und Paetus wurden wegen ihrer Verleumdungen nur aus Rom verbannt, wodurch Kaiser Nero demonstrierte, daß er tatsächlich gewillt war, eine milde und nachsichtige Herrschaft auszuüben.

 

VIII. Kapitel

Das Jahr 56 u. Zr.

Tacitus berichtet, daß in diesem Jahr an den Grenzen des Reiches Ruhe geherrscht habe, jedoch "daheim" in Rom sei angeblich der Übermut Neros "gräßlich" gewesen. Der Kaiser habe sich in "Sklaventracht" gekleidet, um unerkannt des Nachts die Straßen Roms, die Bordelle und die Kneipen zu durchstreifen; ja selbst die Läden der Händler seien vom Kaiser ausgeraubt und die Waren anderentags auf dem Markt verkauft worden. Die Nächte wurden, so Tacitus wörtlich, "wie bei einer feindlichen Eroberung verlebt", das heißt wohl, es wurde im nächtlichen antiken Rom geplündert, geraubt, gemordet und vergewaltigt. Kein Geringerer als Kaiser Nero selber sei der Anstifter dazu gewesen? Hier haben die antiken Geschichtsverfälscher offensichtlich erneut zu dick mit Propagandalügen aufgetragen.

Kein vernünftig Denkender kann glauben, daß ein römischer Kaiser sein kostbares Leben aufs Spiel setzte, um Frauen zu vergewaltigen oder gar die Bordelle Roms zu durchstreifen, vom Plündern seiner eigenen Hauptstadt ganz zu schweigen.

Oder glauben Sie, der Besitzer oder Generaldirektor eines Luxuslimousinen - Werkes (Namen nennen wir natürlich keine) schleicht sich heimlich des Nachts auf einen Schrottplatz, um mit einem gebrauchten "Crèmeschnittchen" ein paar Runden zu drehen? - Nein, das glauben Sie ganz gewiß nicht.

Glauben Sie, Kaiser Nero schlich sich heimlich des Nachts auf den "Schrottplatz der Liebe", um mit einem "gebrauchten" und noch dazu mit Krankheitskeimen verseuchten "Model" ein Schäferstündchen zu verbringen? Obwohl er in seinem Palast eine große Zahl schönster Dienerinnen und Sklavinnen besaß, die ihrem Kaiser nichts verweigerten, ja möglicherweise nichts lieber taten, als sich ihm nicht zu verweigern?

Ich bin überzeugt, Sie kennen den Unterschied zwischen einem "Luxus - Model(l)" und einem "Crèmeschnittchen". Aber ein einfacher, ungebildeter Legionär oder Prätorianer, was wußte der davon? - Rein gar nichts.

Der wahre geschichtliche Kern dieses Berichts könnte vielmehr sein, daß es zu damaliger Zeit in den nächtlichen Straßen Roms grauenhaft zuging. Natürlich wurde die kaiserliche Regierung für diese Mißstände verantwortlich gemacht, und mit Recht. Das "goldene Zeitalter" war eben nur für die Reichen und für die Privilegierten wiedergekehrt. Für die armen Freigelassenen und für die Ärmsten der Armen, die Sklaven, wurde der Kampf um's nackte Überleben mit dem Regierungsantritt Neros wohl kaum oder nur ein wenig leichter.

Möglicherweise versuchte der junge Kaiser Nero auch für die ärmste Schicht seines Volkes, die Sklaven, einige "Grundrechte" einzuführen. Doch dieses Vorhaben scheiterte an der Bereitschaft der herrschenden Klasse, ihre Privilegien schmälern zu lassen.

Der Senat konterminierte diese Bestrebungen offensichtlich, indem er über ein Gesetz beriet, das den Patronen das Gesetz an die Hand geben sollte, bei sogenannten "undankbaren" Freigelassenen die Freiheit widerrufen zu können, d. h. sie wieder zu Sklaven erklären zu können. Kaiser Nero schrieb an den Senat, daß man die Sache der Freigelassenen, das heißt also die Entscheidung, ob sie undankbare oder dankbare Freigelassene wären, in jedem einzelnen Falle prüfen müsse und sie nicht pauschal verurteilt werden dürften.

Weder der Kaiser noch der Senat konnte sich durchsetzen, beide mußten sich zu Kompromissen bequemen. Tacitus stellte fest, daß ein "gewisser Schein" von "republikanischem Leben" zu bemerken war.

Der Schein trügte nicht. Durch eine Revolution von oben, aus dem Neronischen Kaiserpalast, wurde das römische Recht gestärkt und die Einhaltung der Gesetze strenger überwacht. Der Anarchie der Gesetzesmißachtung wurde der Kampf angesagt. Ein Vorhaben, bei welchem Nero Caesar sich einzig und allein nur bei den Privilegierten, bei den Mächtigen im Reiche, unbeliebt machen mußte.

Mit der "verzeihenden Milde", der clementia, die seit Cäsar und Augustus zu den Herrschertugenden gehörte, übertraf Kaiser Nero sogar alle seine Vorgänger. Die Lehre von dem gerechten Herrn (Gott), dem Herrscher (Gott) der Milde und Liebe, von den Urchristen gepredigt, diese Lehre wurde selbstverständlich auch und sogar noch konsequenter von dem stoischen Philosophen L. Annaeus Seneca vertreten und seinem Thronanwärter, bzw. seinem jungen Kaiser gelehrt. Er suggerierte Nero: Wenn Du mild und gerecht herrschst, wirst Du unüberwindlich sein. Dies ist der sicherste Weg zu einem langen Prinzipat und damit auch zu einem langen Leben. Vor einem Attentäter ist zwar kein Herrscher absolut sicher, aber die gezückten Dolche Deiner Neider sind stumpf und kraftlos, wenn Du von Menschen umgeben bist, die Dich lieben, Dich wegen Deines Gerechtigkeitssinnes zumindest achten und ehren. Diese Lehre schrieb Seneca in seinem Werk >Über die Milde< nieder.

Lesen Sie dazu in meinem Buch >Die "Bibel" der Freidenker< die Abhandlung Senecas:

>Über die Milde - An Kaiser Nero<

 

IX. Kapitel

Das Jahr 57 u. Zr.

Nach Tacitus ereignete sich in diesem Jahr wenig Erwähnenswertes, "es müßte denn jemandem gefallen, mit dem Lobe des Fundamentes und des Balkenwerkes, worauf Kaiser Nero den Bau eines ungeheuren Amphietheaters [des Colosseums?] auf dem Marsfelde errichten ließ, Bücherrollen anzufüllen".

Außerdem wurde in diesem Jahr dem Volk von Rom ein Geldgeschenk von 400 Sesterzen pro Kopf gemacht. Ob es ein erneutes Geldgeschenk war oder aber das Versprechen, bei Neros Thronübernahme gegeben, erst erfüllt wurde, das ist ungewiß.

Ist es Ihnen bereits aufgefallen? Wichtige Vorgänge und Ereignisse werden von Tacitus oder Sueton in wenigen, manchmal nur in einem einzigen Satz zusammengefaßt. Und dann lesen wir stellenweise wieder seitenlange "Gruselgeschichten" über Kaiser Nero und seine Mutter Agrippina. Ist das nicht ein eindeutiges Indiz, das gegen ihre historische Glaubwürdigkeit spricht?

Über das Jahr 57 u. Zr. weiß Tacitus, leider, sonst nichts von Nero Caesar zu berichten.

Aus den steinernen Akten der Arvalbrüder geht hervor, daß Annaeus Seneca in diesem Jahr sogar das Konsulat ausübte. Ist es nicht sehr verdächtig, daß keiner unserer drei antiken Historiographen davon etwas gewußt haben soll? Höchstwahrscheinlich wurde es zu verschweigen versucht.

 

X. Kapitel

Das Jahr 58 u. Zr.

Zu Beginn des Jahres wurde der Krieg gegen Armenien erneut aufgenommen. Der römische Feldherr Corbulo ließ seine Legionen bis Artaxata marschieren. Die Hauptstadt der Armenier wurde geplündert, in Brand gesteckt und angeblich dem Erdboden gleichgemacht.

Wegen des glücklichen Feldzuges rief der Senat Kaiser Nero zum Imperator aus. Durch Senatsbeschluß wurden Dankfeste angeordnet, für Kaiser Nero außerdem Standbilder, ein Triumphbogen und anschließendes Konsulat bestimmt.

In dieses Jahr legte Tacitus auch den Beginn der Liebe des Kaisers zu Poppaea Sabina.

Tacitus berichtet, daß Otho, der als "der Heißgeliebteste" in Neros Freundschaft galt, Poppaea Sabina, die bereits verheiratet und Mutter eines Knaben war, durch seine Jugend und durch Verschwendung an sich lockte. Ja nach dem Ehebruch habe Otho die Ehebrecherin angeblich auch noch geheiratet. Unvorsichtigerweise pries er vor dem Kaiser die Schönheit und feine Bildung seiner Gattin. Sobald Poppaea bei Kaiser Nero Zutritt erhalten habe, suchte sie zuerst durch Schmeicheleien und Verführungskünste Einfluß zu gewinnen, sich dabei stellend, als erliege sie ihrer Leidenschaft und sei von Neros Schönheit ganz eingenommen. Zu guter Letzt wurde Otho von Kaiser Nero von der "gewohnten Vertraulichkeit" ausgeschlossen und, damit er nicht in Rom ein Nebenbuhler wäre, über die Provinz Lusitanien als Legat eingesetzt.

Dieses Märchen über Otho und Poppaea ist an Prüderie, an Frauenhaß und an fehlendem Realitätssinn kaum noch zu überbieten. Wir können in Wirklichkeit folgende Vorgänge zwischen diesen Zeilen des Tacitus herauslesen:

Eines Tages lernte Kaiser Nero irgendwo und bei irgendeiner Gelegenheit die junge und hübsche Römerin Poppaea Sabina kennen. Ob es Liebe auf den ersten Blick war oder ob Nero und Poppaea erst nach mehrmaligen Rendezvous herausfanden, daß sie für ihn und er für sie die "ganz große Liebe" war, darüber schweigen unsere Berichterstatter.

Damit nicht ein riesiger Stadtklatsch entstehen würde, nämlich, daß der Kaiser ehrbare verheiratete Frauen verführe, mußte Otho, ein Freund Neros, die "Rolle" des Verführers übernehmen.

Poppaea Sabina, in Kaiser Nero ebenfalls verliebt, willigte in den Plan ein, nach außen, in der öffentlichen Meinung, als die Geliebte des Otho zu gelten. Sie ließ sich sogar von ihrem Ehemann, dem Ritter Crispinus, scheiden, bzw. er ließ sich von ihr scheiden, weil sie nämlich die eheliche Treue zuerst brach. Otho hatte damit den üblen Ruf weg, ehrbare und noch dazu verheiratete Frauen zu verführen. In Wirklichkeit war er nur der Sündenbock für den wirklichen Liebhaber der Poppaea, Kaiser Nero, dessen Ansehen und Ruf, seiner kaiserlichen Würde und seines Prinzipats wegen, makellos bleiben mußte.

Poppaea Sabina zog nach ihrer Scheidung in ein Haus, das angeblich Otho gehörte. Möglicherweise bewohnte Otho auch ein oder sogar mehrere Zimmer in diesem Haus. Die Ehre der Poppaea wurde selbstverständlich von mehreren Dienerinnen des Kaisers "behütet". In diesem Haus und "unter der schützenden Hülle der Nacht" wurde Poppaea des öfteren heimlich von ihrem wirklichen Liebhaber, Kaiser Nero, besucht. Mehrere Monate, möglicherweise sogar über mehrere Jahre lebte Poppaea Sabina im Konkubinat, auf gut deutsch in "wilder Ehe", mit Kaiser Nero.

Erst vier Jahre nach dem Tode der Kaiserinmutter Agrippina wagte es anscheinend Nero, die Ehe mit Octavia aufzuheben, die auf Drängen seiner Mutter im Hinblick auf seine Thronfolge geschlossen worden war. Es gab dafür auch einen Grund, der als eine wirkliche (zumindest eine staatspolitische) Entschuldigung für die Scheidung angesehen werden kann: Die Tochter des Claudius konnte Nero offensichtlich keine Kinder schenken. Ein Thronfolger war jedoch für sein Prinzipat, für seine Gerechtigkeitspolitik (Wiederkehr des goldenen Zeitalters für Rom und für das römische Weltreich) und auch für das Leben Neros von existentieller Bedeutung.

Zum Dank für seinen "Dienst", den er Kaiser Nero leistete, das ist keineswegs ironisch gemeint, erhielt Otho die Statthalterschaft über die Provinz Lusitanien. Wahrhaftig eine fürstliche Entlohnung für so wenig Verdienste!

 

XI. Kapitel

Das Jahr 59 u. Zr.

Wen wundert es noch, wenn die antiken Geschichtsverfälscher in dem (angeblich) "täglich heftiger in Liebe zu Poppaea glühenden Nero" ein weiteres Motiv mehr gesucht als gefunden hatten, um uns zu suggerieren, warum Kaiser Nero den nun bereits über drei Jahre lang anscheinend vergessenen Mordplan gegen seine Mutter wieder aufnahm.

Wir erinnern uns, angeblich bot sich die böse Kaiserinmutter ihrem Sohn zum Inzest an, um ihn von Claudia Acte wegzulocken. Nun bot sie sich Nero angeblich erneut an, um ihn von Poppaea Sabina abzubringen.

Nun hatte der böse Sohn aber endlich genug. Da er angeblich einen zweiten Giftmord scheute, in Wahrheit hatte er gar keinen Giftmord begangen, plante er, seine Mutter auf eine "unauffälligere Art" umzubringen. Es sollte wie ein Schiffsunglück aussehen. Warum Tacitus und/oder die antiken Propagandisten ausgerechnet auf ein Schiffsunglück kamen, ist auffallend. Es hätte ja zum Beispiel auch ein Hauseinsturz, ein Reitunfall oder ein Badeunfall sein können. Aber nein, Tacitus behauptet, Nero wollte seine Mutter durch einen "unauffälligen" Schiffsuntergang umbringen lassen. Dies ist ein klares Indiz dafür, daß sich die Geschichtsverfälscher klugerweise an vorgegebene wirkliche Ereignisse halten.

Der frühere Erzieher Neros und jetzige Befehlshaber der Flotte von Misenum, namens Anicetus, mußte daher in den angeblichen Mordplan Neros eingeweiht werden. Dieser schlug vor, man könne ein Schiff bauen, das sich mitten auf See aufklappen lasse, die Kaiserin würde herausfallen und im Meer versinken. Gedacht getan. Noch rechtzeitig zum Fest der Quinquatrien wurde der "aufklappbare Dreiruderer" fertig.

Dieses "Schauermärchen" von der Art und Weise der angeblichen Ermordung Agrippinas durch ihren Sohn Nero zählt ebenfalls zu denjenigen Lügen, die deswegen so wenig Verdacht erregen, weil sie so grandios und so frech erfunden sind.

Die Ausführung des angeblichen Mordanschlags gegen die Kaiserinmutter Agrippina wurde in den >Annalen< des Tacitus wiederum bis in die kleinsten Einzelheiten beschrieben: Das Dach des Dreiruderers war angeblich mit Blei beschwert. Auf Befehl des Kapitäns sollte das Schiff auf dem Mittelmeer auseinanderklappen, die Kaiserin sollte herausfallen und vom Blei unters Wasser gedrückt werden. Das Auseinandergehen des Schiffes erfolgte jedoch nicht. Nur das Dach (gemeint ist wohl: der Aufbau) des Schiffes stürzte ein. Nun stellten sich die in den Mordplan eingeweihten Matrosen alle auf eine Seite des Schiffes, um es zum Kentern zu bringen, was für die meisten jedoch der sichere Tod bedeutet hätte. Die anderen Matrosen, die nicht eingeweiht waren, arbeiteten dagegen und stellten sich auf die andere Seite, um ein Kentern des Schiffes zu verhindern. Sie "veranlaßten einen sanfteren Sturz ins Meer". Das heißt demnach, die eingeweihten und die uneingeweihten Matrosen arbeiteten gegeneinander und schaukelten das Schiff so lange hin und her, bis die Kaiserinmutter Agrippina und deren Dienerin Acerronia "sanft" ins Meer fielen.

Es ist wirklich mehr als verwunderlich, wie es möglich war, daß selbst einige neuzeitliche Nero - Biographen diesem grotesken Unsinn Glauben schenken konnten. Bereits Voltaire glaubte es nicht.

Zur Entschuldigung der Historiker müssen wir ihnen aber gerechterweise zugute halten, daß die Geschichtswerke des Sueton, Cassius Dio und Tacitus leider die Hauptquellen über die ersten zwölf Caesaren sind. Ein schrecklicher Gedanke, wenn die Gewißheit aufdämmert, daß die Geschichtswerke über die frühe römische Kaiserzeit aus propagandistischen Zwecken in größtem Ausmaße zum Abscheulichen hin verfälscht wurden. Wer wagt es schon, solch einen furchtbaren Gedanken zu denken und sogar noch drucken zu lassen? Außer Ernst Kornemann, Wilhelm Kammeier und meiner Wenigkeit anscheinend noch keiner.

Ich habe Ihnen am Anfang versprochen, mich nur so viel als unbedingt nötig über die gefälschten Darstellungen der antiken Propagandisten und über die daraus resultierenden Trugschlüsse der modernen Historiker zu äußern und Sie damit zu langweilen. Kommen wir daher sogleich zu meiner Rekonstruktion, was in Wirklichkeit mit allergrößter Wahrscheinlichkeit geschehen war.

Kaiser Nero beschloß, das "Geburtstagsfest" des Frühlings, zu Ehren der Göttin Minerva, auf seinem wunderschönen Landsitz bei Baiae in der Campania zu feiern. Welch einen schöneren Ort konnte man sich wohl dafür denken als die herrliche Campanialandschaft.

Agrippina kam mit dem Schiff von Antium oder von Puteoli und legte wohl im Hafen von Baiae an, wohin Nero ihr entgegen kam. Nero begrüßte die Mutter herzlich, da er sie möglicherweise mehrere Wochen oder gar Monate nicht gesehen hatte.

In letzter Zeit hielt sich Agrippina wohl immer öfters und länger auf ihren Landsitzen bei Antium auf. Möglicherweise war ihr "Vertrauter", namens Crespereius Gallus, ihr neuer Lebensgefährte, ihr Geliebter? Schließlich war Agrippina seit vier Jahren Witwe.

Offensichtlich hatte sich die Kaiserinmutter immer mehr aus der Politik und der Regierungsverantwortung zurückgezogen. Sie fand sogar Zeit und Muße, ihre Memoiren zu schreiben!

Es wäre gewiß sehr interessant, wenn wir die Memoiren der Kaiserin Agrippina lesen könnten. Höchstwahrscheinlich wurden sie vernichtet, weil sie zu sehr gegen die "Gruselmärchen" des Tacitus und Sueton abstachen. Pech für uns, die wir so gerne "die ganze Wahrheit" aus den Meinungen entgegengesetzter Parteien herauszulesen versuchen.

Ob Agrippina nur zum Höhepunkt des Festes, für einen Tag, nach Bauli kam, oder sogar während der ganzen fünftägigen Dauer des Frühlingsfestes bei ihrem Sohn weilte, das ist ungewiß.

Tacitus berichtet, daß Neros Betragen zu seiner Mutter ausgesprochen herzlich war, nicht angeblich wie früher, sondern - wie immer. Es gab wohl in der Vergangenheit die eine oder andere Meinungsverschiedenheit in der Regierungsverantwortung, was die Liebe und vor allem die Achtung des Sohnes vor der Autorität der Mutter aber keineswegs vermindern konnte.

Die Abreise der Agrippina wurde von Tacitus in die Mitternachtsstunde gelegt. Es war eine sternenhelle und windstille Nacht. Das Meer lag still zu ihren Füßen und in den sanften Wellen spiegelten sich die Sterne des Nachthimmels.

Bevor die Kaiserinmutter das Schiff, eine römische Trieme, betrat, verabschiedete sie sich von ihrem Sohn, dem Kaiser des römischen Reiches. Mutter und Sohn umarmten sich herzlich.

"Alles, alles Gute, mein Sohn", flüsterte die Mutter ihrem einzigen Sohn ins Ohr. Mit Mühe konnte sie ein Schluchzen unterdrücken, jedoch ein paar Tränen rollten ihr über die Wangen. Agrippina kannte die Gefahr nur zu gut, die jedem Princeps drohte: Durch Mörderhand zu sterben.

"Sei unbesorgt, liebe Mama", sprach Nero selbstsicher. "Mein Thron ist sicher und treue Männer wachen darüber, dank Deiner Vorsorge." Vor Trennungsschmerz überwältigt, küßte Nero seine Mutter mehrmals herzlich auf beide Wangen und zuletzt sogar - mitten auf das Brustbein - zwischen ihre Brüste.

Als der Dreiruderer vom Kai ablegte, winkten sich Mutter und Sohn im Schein der Fackeln zu und sahen einander an, bis sie sich in der Dunkelheit aus den Augen verloren. Kaiser Nero kehrte zu seinem Landsitz im Landesinneren zurück.

Dieser Abschied sollte ein Abschied für die Ewigkeit gewesen sein.

Die prachtvolle Trieme der Kaiserin Agrippina war möglicherweise mit Aufbauten zur Bequemlichkeit der Besitzerin überladen. Außerdem befanden sich womöglich in dieser Nacht zu viele Passagiere und Prätorianer an Bord. Entweder war die Statik des Schiffes falsch berechnet oder es war überladen oder es war ein Materialfehler. Auf hoher See, möglicherweise war das Kap von Misenum bereits umfahren, geschah das Unglück. Das Schiff brach mit gewaltigem Krachen stellenweise auseinander, nachfolgend stürzten die Aufbauten ein. Der Vertraute oder Liebhaber der Agrippina, Crespereius Gallus, der nicht weit vom Steuerruder stand, wurde von einem Balken erschlagen. Die Kaiserin Agrippina und ihre Dienerin Acerronia überlebten möglicherweise in der Kajüte den Zusammenbruch der Aufbauten. Sie wurden von den querverstrebten Balken geschützt.

Natürlich brach sofort Panik an Bord des Schiffes aus. Wasser drang ins Unterdeck ein. Die Rudersklaven, die mit Ketten an ihren Sitzen festgebunden waren, schrien um Hilfe. Man löste ihnen selbstverständlich die Eisenfesseln, damit sie sich retten könnten. Das Schiff legte sich bereits nach kurzer Zeit auf eine Seite.

Die Diener der Kaiserin versuchten, ein Rettungsboot zu Wasser zu lassen. Jedoch die Rudersklaven, die in wilder Panik nur an Rettung ihres eigenen Lebens dachten, bemächtigten sich der Rettungsboote, da viele von ihnen nicht schwimmen konnten. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den wenigen Prätorianern und der Menge der Rudersklaven. Die Sklaven waren in der Überzahl. Durch die Kämpfe um die Rettungsboote ging viel wertvolle Zeit verloren. Das Schiff neigte sich immer mehr auf eine Seite und die Gefahr des Kenterns stand unmittelbar bevor, als man die tödliche Gefahr erst erkannte. Beherzte Männer versuchten zwar noch, auf die andere Seite des Schiffes zu gelangen, die sich bereits mehrere Meter höher als die sinkende befand, um ein Gegengewicht zu bilden, doch der Versuch kam zu spät. Das Schiff neigte sich mehr und mehr zur Seite - dann kenterte es. In diesem gräßlichen Durcheinander, in dem jeder nur an Rettung seines eigenen Lebens dachte, war an eine Hilfe für die Kaiserinmutter Agrippina gar nicht zu denken. Vielleicht sprang sie noch kurz vor dem Kentern des Schiffes ins Wasser und wurde von den Nichtschwimmern, die sich verzweifelt an ihr festklammerten, unter die Wasseroberfläche gedrückt, wodurch sie ertrank? Möglicherweise konnte sich die Kaiserin nicht mehr aus dem Sog des sinkenden Schiffes befreien, blieb mit ihren Kleidern irgendwo hängen und wurde mit dem Schiff in die Tiefe gerissen? Wir wissen es nicht. Sicher ist jedenfalls, Kaiserin Agrippina kam bei einer Schiffskatastrophe um's Leben. Mit größter Wahrscheinlichkeit wurde ihr Leichnam nicht gefunden, weil er entweder durch die Schwere ihrer Kleider oder mit dem Schiff auf den Grund des Mittelmeeres sank.

Erst am Mittag oder gar erst am späten Nachmittag des darauf folgenden Tages wurde Kaiser Nero die Unglücksnachricht gemeldet. Auf die Frage, wie es seiner Mutter gehe, ob sie gesund und unverletzt sei, erhielt Nero von dem Boten die Antwort, daß er darüber keine Nachricht habe.

Kaiser Nero ritt in Begleitung einer Prätorianerkohorte bis zum Hafen von Baiae. Augenblicklich lief ein Schnellruderer mit dem Kaiser an Bord aus, um an die Stelle zu fahren, an der das Unglück geschah. In weitem Umkreis wurde alles abgesucht und wohl auch noch einige Überlebende aus dem Wasser gerettet.

Nero ließ sich an Land rudern und befragte einige der Geretteten, ob sie eine Nachricht über den Verbleib der Kaiserin Agrippina hätten. Niemand wußte etwas Genaues über das Schicksal der Kaiserin zu berichten.

Der zweite Tag verging mit dem Absuchen der umliegenden Landhäuser und Dörfer. Die Mehrzahl der entflohenen Rudersklaven wurde von den Prätorianern wieder eingefangen. Die überlebenden Diener und Dienerinnen der Kaiserin, sowie die Matrosen des Schiffes, stellten sich freiwillig den Verhören der Prätorianer.

Kaiser Nero hatte, um einer "fumus - Bildung" vorzubeugen, selbstverständlich eine Nachrichtensperre über das Schiffsunglück verhängt. Der Gardepräfekt Burrus und Annaeus Seneca, die sich wohl in Rom befanden, wurden heimlich verständigt und nach Baiae befohlen.

Am dritten Tag des Unglücks führte Burrus die ersten Verhöre durch. Sämtliche Personen, die das Schiffsunglück überlebten, wurden peinlich genau und streng verhört. Ihre Aussagen wurden von Protokollführern schriftlich festgehalten.

Auf den ersten Schicksalsschlag, Tod der geliebten Mutter, folgte noch ein zweiter: eine Verschwörung gegen Nero Caesar wurde aufgedeckt. Die erste während seines Prinzipats. Einige der Verschworenen hatten sich in widersprechenden Aussagen verfangen. Die Folter brachte sie vollends zum Reden.

Dies ist die einzige plausible Erklärung für die von Tacitus berichteten Vorgänge, daß Kaiser Nero einerseits dem Senat in Rom erklärte, seine Mutter sei durch einen Schiffbruch um's Leben gekommen, und andererseits fast gleichzeitig oder kurz danach Dankfeste vom Senat beschlossen und abgehalten wurden für die Errettung des Kaisers.

Bereits die antiken Geschichtsschreiber konnten offensichtlich den Ablauf der Geschehnisse nicht recht auseinanderhalten oder gar verstehen. So unterstellten sie Kaiser Nero, er habe seine Mutter umbringen lassen, weil sie eine Verschwörung gegen ihn angezettelt habe.

In Wirklichkeit bleiben uns zwei Möglichkeiten, die aus den arg verstümmelten Texten des Tacitus leider nicht mehr genauer rekonstruiert werden können: Entweder war der Tod der Agrippina ein zufälliges Schiffsunglück und im Verlauf der Verhöre kam der Gardepräfekt Burrus auch noch einer Verschwörung gegen Nero auf die Spur. Oder aber die Verschwörung und der Schiffbruch standen miteinander in direktem Zusammenhang; die Kaiserinmutter verlor dabei ihr Leben. Kaiser Nero, der entgegen seinen ursprünglichen Absichten nicht mit seiner Mutter per Schiff (nach Puteoli oder Antium?) reiste, hatte Glück und blieb außer Gefahr.

Weil die beiden Ereignisse, Tod der Mutter durch ein Schiffsunglück und Aufdeckung einer Verschwörung gegen Kaiser Nero, zeitlich so nahe beieinanderlagen, konnten die antiken Propagandisten so leicht die Lüge konstruieren, Agrippina sei von ihrem Sohn Nero umgebracht worden, weil sie sich angeblich gegen ihn verschworen habe. In Wirklichkeit zählte Agrippina zu den Opfern einer Verschwörung, falls das Unglück kein Schiffbruch war. Kaiser Nero blieb unversehrt, weil er sich nicht an Bord des Unglücksschiffes befand. Was die Propagandalügen der antiken Geschichtsverfälscher betrifft, so werde ich gegen Ende des Buches noch einmal ausführlich darauf eingehen.

Einige Sätze in den Annalen des Tacitus stimmen, wenn man die offensichtlich propagandistischen Zusätze entfernt, mit meiner Darstellung der Ereignisse sogar verblüffend überein: "... Vom Kaiser wurde erst, als es vollbracht war [gemeint ist: nachdem das Schiffsunglück geschehen war] die Größe des Verbrechens erkannt [Indiz, daß der Schiffbruch der Agrippina auch Sabotage gewesen sein kann] ... Da richtete ihn, auf Burrus Antreiben, die Schmeichelei [Glückwünsche] der Centurionen und Tribunen zur Hoffnung auf, indem sie seine Hand ergriffen und ihm Glück wünschten, daß er der unvorhergesehenen Gefahr [dem Schiffbruch und/oder der Verschwörung] ... entkommen sei. Sodann begaben sich die Freunde in die Tempel ... und es bezeugten die nächsten Landstädte Campaniens [Baiae, Cumae, Puteoli, u. a.] durch Opfer und Gesandtschaften ihre Freude [über die Rettung des Kaisers], während er [Nero] selbst niedergeschlagen schien, gleichsam seiner Lebensrettung zürnend und über den Tod der Mutter weinend ..."

An die Curie von Rom erging ein Schreiben, in welchem Kaiser Nero die Senatoren von der Entdeckung einer Verschwörung benachrichtigte. Angeblich war ein Freigelassener der Agrippina, namens Agerinus, in die Konspiration verwickelt und er büßte deswegen mit seinem Leben. In diesen Mitteilungen des Tacitus könnte ein Körnchen Wahrheit stecken. Aber, wie oben bereits gesagt, leider ist nicht mehr aus den verfälschten Texten über diese erste Verschwörung gegen Kaiser Nero zu eruieren.

Die steinernen Akten der Arvalbrüder berichten von Bittgebeten, die für Kaiser Nero vom Senat beschlossen und angekündigt wurden, sicherlich im Zusammenhang mit der Aufdeckung einer Konspiration gegen sein Prinzipat. Piso, der Vorsitzende der Bruderschaft, opferte deswegen am 5. April auf dem Kapitol.

Kaiser Nero befand sich zum ersten Mal während seines Prinzipats und dazu noch ohne eigenes Verschulden in einer furchtbaren Situation. Das für ihn so kostbare Leben seiner Mutter Agrippina war verloren. Wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel traf ihn dieser große, unersetzliche Verlust. Es konnten keine Trauerfeierlichkeiten stattfinden, da ihre sterblichen Überreste nicht vorhanden waren. Höchstwahrscheinlich lag Agrippinas Leichnam auf dem Grund des Meeres. Auf die Nachricht ihres Todes brachen in Rom Tumulte aus. Ein Teil des römischen Pöbels feierte Agrippinas Tod und stieß ihre Standbilder um. Der "fumus" wurde an die Häuserwände gekritzelt oder, mit vorgehaltener Hand, sogar ausgesprochen, daß Agrippinas Tod kein Unglück gewesen sei, sondern der Kaiser habe seine Mutter umbringen lassen, weil sie angeblich nach der alleinigen Herrschaft strebte.

Auch der Senat von Rom konnte seine Schadenfreude über den Tod der Kaiserinmutter, dieser strengen und ehrgeizigen Frau, nicht oder nur schlecht verhehlen. Man beglückwünschte den Kaiser für die Rettung seines Lebens. Vielleicht begingen einige oppositionelle Senatoren sogar die Kühnheit, Nero für den Erhalt der Alleinherrschaft zu beglückwünschen, da er angeblich die Macht mit seiner Mutter in Eintracht "geteilt" hatte?

In dem antiken Werk >Ausbildung des Redners< von Marcus Fabius Quintilianus wird (in Kapitel VIII 5,15) berichtet, daß Africanus zu Kaiser Nero anläßlich des Todes seiner Mutter sagte: "Es bitten dich, Caesar, deine gallischen Provinzen, tapfer das Glück zu ertragen, das dir beschieden." Ein starkes Indiz dafür, daß Kaiserin Agrippina durch Sabotage oder durch einen Terroranschlag das Leben verlor.

Es war eine schier unvorstellbare politische, menschliche und psychische Krise, in die Kaiser Nero sich mit einem Schlage versetzt fand. Aus Angst vor einer Revolution wagte es Nero nicht, die Freude des Volkes (anläßlich des Todes seiner Mutter) zu unterdrücken. Diese öffentliche Freude über das persönliche Unglück der Kaiserin bedeutete ja geradezu eine unverhüllte Beleidigung für ihn, den Sohn der Agrippina.

Tacitus berichtet, Kaiser Nero sei bei seiner Rückkehr nach Rom jubelnd vom römischen Volk empfangen worden. In den Augen des Pöbels hatte Nero, nach dem Tode der Kaiserinmutter, seine Herrschaft jetzt erst wirklich angetreten. Er wurde offensichtlich wie ein "Thronfolger" empfangen, obwohl er schon vier Jahre lang Kaiser war. Aus Angst vor einem Umschlagen der Volksgunst wagte es Nero anscheinend nicht, sich diesem, für ihn persönlich so makaberen Schauspiel, zu entziehen.

Diese Ereignisse müssen bereits den Zeitgenossen unverständlich geblieben sein. Unzweifelhaft war damit der Gerüchtebildung höchsten Auftrieb gegeben. Die "fumus - Küche", die Gerüchteküche, nahm bisher ungeahnte und immer groteskere Formen an. Am Ende war es für jedes Kind in Rom eine nicht mehr oder nur noch schwer zu widerlegende "Wahrheit", daß Kaiser Nero am Tode seiner Mutter mitschuldig gewesen sei. Auch Tacitus wurde offensichtlich von dem "fumus" getäuscht, wenn er schrieb: "... Natürlich sprach er [Kaiser Nero] auch von dem Schiffbruch. Daß dieser [der Schiffbruch] ein Werk des Zufalls gewesen sei - wer möchte als so stumpfsinnig gefunden werden, das zu glauben? ..."

Tacitus glaubte es offensichtlich nicht.

Auch Quintilianus wurde von dem "fumus" getäuscht, wenn er in seinem Werk >Ausbildung des Redners< schrieb (Kapitel VIII 5,18): " ... Auch die bloße Verdoppelung macht manche Sentenzen aus, wie die des Seneca in dem Schriftstück, das Nero an den Senat nach dem Tode seiner Mutter sandte, als er den Anschein erwecken wollte, er sei in Lebensgefahr gewesen: >Daß ich [Nero] gerettet bin, kann ich noch jetzt weder glauben noch mich darüber freuen< ..."

Eine regelrechte Verleumdungskampagne wurde gegen Nero Caesar von der senatorischen Opposition in Szene gesetzt. Dies geht aus Cassius Dio hervor, wenn er berichtet: " ... Man konnte aber auch davon offen reden hören, daß Nero seine Mutter umgebracht habe. Denn viele Leute erstatteten Anzeige, gewisse Personen hätten davon gesprochen, wobei aber die Ankläger nicht das Ziel verfolgten, jene [die Verleumder] zu verderben, als vielmehr Nero in einen üblen Ruf zu bringen. Er ließ daher in der bewußten Sache keine gerichtliche Untersuchung durchführen, entweder weil er dadurch das Gerücht nicht weiter verbreiten wollte oder weil er sich schon damals nicht mehr um das Gerede der Masse kümmerte ..."

Die rechtliche Lage war diese: Es stand unter Strafe, Kaiser Nero einen Muttermörder zu nennen, und mit Recht, denn es war, so meine Überzeugung, eine Unwahrheit. Solche Leute aber, Denunzianten genannt, die andere Verleumder "verleumdeten", sie hätten gesagt, der Kaiser wäre ein Muttermörder, konnte man nicht bestrafen. Was tat daher der Kaiser oder seine Administration? Sie ließen in diesen Verleumdungsklagen (Denunziationen, jemand habe gesagt, Nero sei ein Muttermörder) keine gerichtliche Untersuchung zu, damit das Gerücht, bzw. der "fumus", keine weitere Nahrung erhalten sollte und in sich selbst "ersticken" würde.

Durch Stimmenmehrheit wurde im Senat beschlossen, die Quinquatrien, an welchen die Putschpläne entdeckt worden waren, durch jährliche Spiele zu feiern. Außerdem wurde zu Ehren der Göttin Minerva, die offensichtlich das Leben Kaiser Neros beschützte, eine goldene Statue in der Curie errichtet und daneben auch eine Statue des Kaisers aufgestellt.

Außerdem lesen wir, daß der Geburtstag Agrippinas unter die Unglückstage gerechnet worden wäre. Dies halte ich wiederum für eine bewußte Propagandalüge der späteren Geschichtsverfälscher. Wenn der Kaiser dies zugelassen hätte, hätte er damit ja offensichtlich eingestanden, daß seine Mutter gegen ihn konspirierte. Dies haben wir bereits weiter oben als Propagandalüge entlarvt. In Wirklichkeit wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der Geburtstag der Agrippina, sondern ihr Todestag zum Unglückstag des antiken römischen Kalenders erklärt!

Cassius Dio berichtet weiterhin, was im grassesten Widerspruch zu allen Propagandelügen steht, daß (im darauf folgenden Jahr) zu Ehren und zum Andenken Agrippinas von Kaiser Nero ein ungemein großes und kostspieliges Fest veranstaltete wurde, das sich viele Tage lang zugleich in fünf oder sechs Theatern [zu Rom?] abspielte.

Dies ist wiederum ein gewichtiges Indiz für die These, daß Kaiser Nero am Tode seiner Mutter völlig unschuldig war.

Auch die Begnadigung aller persönlichen und politischen Feinde und Feindinnen der Agrippina durch Kaiser Nero geschah nicht, weil der Sohn dadurch seine Mutter diskriminieren wollte oder weil er sich gar vor der Opposition gefürchtet hätte, nein, ganz im Gegenteil! Diese Gnadenerlasse geschahen vielmehr, um das Ansehen der Agrippina im römischen Volke zu heben. Kaiser Nero registrierte mit Verwunderung, wie sehr man an Ansehen und Popularität einbüßt, wenn man eine gerechte Politik zum Wohle der Allgemeinheit betreibt, wie es seine Mutter tat. Ein Teil des Pöbels kann seinen Vorteil nicht erkennen und ist leicht von den Propagandisten der senatorischen Opposition zu verführen.

Die Vorgänge in Rom, nach dem Tode der geliebten Mutter, bedeuteten für Kaiser Nero eine Lektion, die nicht dazu geeignet war, Vorsicht und Wachsamkeit einschläfern zu lassen. Mehr denn je war Nero darauf bedacht, alles zu unterlassen, was die Gunst der Mehrheit des Volkes gegen ihn einnehmen konnte. Dies war der einzige Weg zum politischen und gleichzeitig auch zum physischen Überleben.

Zur geistigen Erbauung, wir würden heute sagen zur psychischen Stabilisierung, und um die Sanftmut des jungen Nero Caesar zu stärken, das könnte der Beweggrund für L. Annaeus Seneca gewesen sein, die Abhandlung >Über die Unerschütterlichkeit des Weisen< zu schreiben.

Lesen Sie an dieser Stelle in meinem Buch >Die "Bibel" der Freidenker< die Abhandlung Senecas:

>Über die Unerschütterlichkeit des Weisen<

Da der Tod der Kaiserinmutter Agrippina ein so tiefer Einschnitt in das Leben Neros bedeutet, nehmen wir ihn zum Anlaß zu einer Retrospektive, was die bisherigen angeblichen "Verbrechen" des sechsten Caesar betreffen:

Nero war der designierte Nachfolger des Claudius. Agrippina brauchte ihren kaiserlichen Gatten daher nicht ermorden zu lassen, um ihrem Sohn zum Caesarenthron zu verhelfen.

Britannicus, der Adoptivbruder Neros, war wegen seiner schweren Epilepsie nicht fähig, das Prinzipat auszuüben. Er starb bereits wenige Monate nach seinem Vater an einem epileptischen Anfall, was gleichzeitig die These bekräftigt, daß er wegen seiner schweren epileptischen Krankheit zur Thronfolge nicht fähig war.

Der "fumus" der antiken Geschichtsverfälscher (von denen Flavius Josephus berichtet, daß sie Nero "aus Haß und Feindseligkeit derart mit Lügen verfolgten, daß sie dafür volle Verachtung verdienen" ), Agrippina wollte ihren Sohn bereits im ersten Jahr seiner Herrschaft wieder stürzen und stattdessen Britannicus, nach dessen Tod Faustus Sulla auf den Caesarenthron setzen, ist geradezu grotesk und entbehrt jeden Sinnes für geschichtliche Realität.

Allein schon aus finanziellen Gründen wäre eine zweite Inthronisierung innerhalb eines Jahres unmöglich gewesen, weil dann den Prätorianern wiederum eine astronomisch hohe Bargeldsumme hätte versprochen und ausgezahlt werden müssen.

Welche von den drei Töchtern des Kaisers Claudius mit Nero, dem Kronprinzen, verheiratet wurde, ist nach den Texten der antiken Historiker absolut ungewiß. Nero war, so meine Überzeugung, nicht mit der Tochter der Messalina namens Octavia (siehe Sueton und Tacitus) und nicht mit Antonia (siehe Flavius Josephus) verheiratet, sondern mit der ältesten Tochter des Claudius, die er mit Urgulanilla Plautia zeugte und die höchstwahrscheinlich ebenfalls Octavia hieß.

Die Kaiserinmutter Agrippina verlor während oder nach dem Frühlingsfest der Minerva bei einem Schiffbruch das Leben.

Wenig später, im Verlauf der Untersuchungen über die Schiffskatastrophe, kamen die Sicherheitskräfte einer Verschwörung auf die Spur. Es war die erste gegen Neros Prinzipat. Es gibt Indizien, die darauf hindeuten, daß der Tod der Mutter im Zusammenhang mit dieser Konspiration gestanden haben könnte.

Die Gerüchteküche in Rom kochte wegen dieser Ereignisse über. Das verblendete und von der Opposition angestiftete Volk warf Agrippinas Standbilder um und unterstellte ihrem Sohn, Kaiser Nero, daß er mitschuldig am Tode der Mutter gewesen sei. Angeblich habe Agrippina nach der Alleinherrschaft gestrebt und deswegen sei sie von ihrem Sohn umgebracht worden.

Ob die schöne Poppaea Sabina zum Zeitpunkt von Agrippinas Tod bereits in Neros Leben getreten war, ist ungewiß und sogar bezweifelbar. Er könnte ihr sehr wohl erst mehrere Jahre nach dem Tode der Mutter begegnet sein. Erst vier Jahre später trennte sich Nero von seiner Ehefrau Octavia, wegen Kinderlosigkeit, und heiratete Poppaea, nicht zuletzt aus dem Grund, um einen legitimen Thronfolger von ihr geschenkt zu bekommen.

Wie beim Tode des Kaisers Tiberius gab es in Rom Freudenkundgebungen über den Tod der Kaiserinmutter Agrippina. Ihre Statuen wurden umgestürzt (später von Kaiser Nero aber wieder aufgestellt) und die Leute liefen mit Freiheitsmützen durch die Straßen Roms. Warum Agrippina bei einem Teil des römischen Volkes verhaßt war, ist schwer zu beantworten. Möglicherweise waren es senatorische Oppositionelle, die ihre Sklaven, Freigelassenen und sonstigen Klienten auf die Straßen schickten und ihnen zu "feiern" geboten.

Diese Vorgänge, Schiffbruch der Mutter und Aufdeckung einer Verschwörung, müssen bereits den Zeitgenossen unverständlich geblieben sein. Unzweifelhaft war damit der Gerüchtebildung höchsten Auftrieb gegeben. Der "fumus" nahm bisher ungeahnte Ausmaße an. Am Ende war es für viele Nero - Gegner und oppositionelle Kreise eine ausgemachte "Wahrheit", daß der Sohn und Kaiser angeblich mitschuldig am Tode seiner Mutter gewesen sei. Auch Tacitus wurde offensichtlich von diesem "Dunst" getäuscht.

Wir können aus den bisher aufgedeckten Propagandalügen schließen, daß die Biographie des sechsten Caesar bereits von den antiken Geschichtsschreibern mit voller Absicht zum Abscheulichen hin verfälscht wurde. Aus welchem Grund sie dies taten, tritt am Ende von Neros Prinzipat deutlich zu Tage. Ich konstatiere: Das Kartenhaus der Lügen ist somit zusammengebrochen. Ich brauche mich daher in Zukunft nicht mehr an den Propagandalügen und "Gruselgeschichten" zu wiederholen, die kann man, je nach Bedarf, in den "Geschichtswerken" von Tacitus, Suetonius und Cassius Dio nachlesen. Ich möchte mich vielmehr nur noch auf die Rekonstruktion des wirklichen Lebens des Nero Caesar konzentrieren, soweit man es aus den Texten der antiken Propagandisten in schwachen Umrissen und mit großen zeitlichen Lücken noch zu erkennen und zu rekonstruieren vermag.

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