Nächtliche Ausgangssperre? Das ist doch mal was!

von Ahmet Refii Dener (Die Achse des Guten, 18. April 2021)

leicht gekürzt und bebildert von Nikolas Dikigoros

Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sind einfach zu amüsant, dass man sich kaum bremsen kann, ständig darüber zu schreiben. Ich wäre dafür, dass man eine nächtliche Ausgangssperre, und zwar dauerhaft, einführt, aber nicht in Deutschland, sondern in der Türkei!

Als ich in Istanbul lebte und arbeitete, hatte ich meine Wohnung direkt am Bosporus. Genau gegenüber waren die meisten Sehenswürdigkeiten der Stadt, so dass ich immer, wenn ich Gäste aus Deutschland hatte, diesen lediglich mit dem Fingerzeig die Blaue Moschee, die Hagia Sophia und den Topkapi Palast von der Terrasse aus zeigte. [...]

Aber kommen wir zur nächtlichen Ausgangssperre. Folgende Situation: Wir hatten ca. 20 Uhr und waren mit dem Essen fertig. Die Küche aufgeräumt, kam die Zeit zum Chillen. Bei dem Ausblick waren wir selten in der Wohnung, sondern meist auf der Terrasse. Nicht nur der Bosporus, auch viele Menschen kamen nachts in unser Viertel, saßen bis nach Mitternacht in den vielen Teegärten und genossen die Aussicht. Fernsehen hatten wir zwar, aber schauten kaum, denn die meiste Zeit war ein Mann mit Schnauzer zu sehen, der alle anderen beschuldigte, für die Misere der Wirtschaft und der Menschenrechte in der Türkei schuld zu sein - und dabei vergaß, dass er regierte und nicht die Opposition. Nach 18 Jahren hat sich nichts geändert. "Wenn wir gewählt werden, werden wir alles besser machen!" sagte der Mann mit Schnauzer gestern noch. Witzig ist, dass er sich somit ein 18-Jahres-Zeugnis ausstellt und bestätigt, dass er auf der ganzen Linie versagt hat.

Kommen wir wieder auf unsere Terrasse. Draußen immer noch fast 30 Grad, die Grillen singen, wir trinken Tee oder Kaffee und machen es Hunderten, die die Teegärten füllen, gleich. Wenn sich der Mensch nicht eigene Regeln aufzwingen würde, könnte man die Nacht zum Tag machen und erst gar nicht schlafen gehen, denn die Stimmung ist immer danach. Kurz nach Mitternacht sage ich: "Wenn ich in Deutschland wäre, würde ich schon längst schlafen." Dann tun wir auch so, als wären wir in Deutschland und stehen auf, um schlafen zu gehen. Schnell die Terrasse aufräumen, Tassen und Teller in die Küche schaffen, den Tisch auf der Terrasse einmal schnell wischen und fertig. Immer freute ich mich auf den nächsten Morgen, zumal der Ausblick, obwohl immer gleich, doch anders schön war, wobei ich mich nicht festlegen möchte, ob der Sonnenuntergang nicht doch schöner war. Gut, wir lagen im Bett. Nicht, dass ihr denkt, dass unser Sohn, wie in Deutschland üblich, mit seinen 5-6 Jahren nach dem Sandmännchen direkt schlafen ging, nein, mit Mühe und Not schafften wir es, ihn zu überzeugen, knapp eine Stunde vor uns ins Bett zu gehen.

So kurz nach ein Uhr dann passiert es. Die Türklingel geht los. Schlaftrunken springe ich auf, schaue zu meiner Frau und sage: "Was kann da passiert sein? Ist bei den Nachbarn vielleicht was los?" Ich gehe zur Haustür und schaue durchs Guckloch. Niemand zu sehen. Also muss jemand draußen vor dem Haus stehen. Ich mache die Terrassentür auf, gehe raus und schaue runter. Heiliger Bimbam, ich zähle 6-7 Personen, alles bekannte Gesichter und alles Verwandte meiner Frau. Ginge auch nicht anders, denn meine Verwandtschaft weiß, dass ich deutsch geeicht bin; das wussten die anderen zwar auch, aber wer weiß, vielleicht wollten sie mich ja nur ärgern.

Widerwillig mache ich in Shorts die Tür auf und laufe auch die ganze Nacht in Schlafmontur rum, damit sie verstehen, dass sie gehen sollen. "Wir wussten nicht, was wir tun sollten, da haben wir gedacht, wir sollten zu Euch kommen und Tee trinken." Halleluja, warum zu uns? Nicht genug, dass der Besuch nach Mitternacht kam, nein, es waren auch drei Kinder unter 10 Jahren dabei. Fast wollte ich mich über die Kinder um diese Schlafenszeit wundern, da hörte ich die Kinder im 100 m weiter befindlichen Park schreiend spielen. Warum sollten also die Kinder der Verwandtschaft schlafen, wo doch alle anderen Kinder der Türkei auf den Beinen waren?

Tee macht man in der Türkei nicht einfach so schnell, nein, man muss die Teeblätter mit Heißwasser übergießen und dann ziehen lassen, denn es sind lauter Tee-Experten zu Besuch, die alle schwören, guten Tee von schlechtem unterscheiden zu können - was sie natürlich nicht können. Das Problem ist, wenn man so vielen Tee einschenkt, ist die Teekanne bei einem Mal wieder leer. Also kannst du dich dranhalten und wieder Tee machen. Klar, dass man Tee nicht nur so trinkt, es gehört auch Gebäck dazu. Süß- oder Salzgebäck ist egal, Hauptsache ungesund.

Was kann um diese Zeit sowieso gesund sein? Die Themen sind immer gleich. Dabei meine ich nicht nur die Überschriften, auch die Inhalte. Was soll man sich auch erzählen, wenn man sich schon tagsüber getroffen und auch mehrmals schon telefoniert hat? Gegen drei Uhr gibt es dann rege Betriebsamkeit, denn die Besucher möchten nach Hause. Das ist keine einfache Prozedur. Bei 7 Personen sind das 14 Schuhe, die man beim Kommen und Betreten der Wohnung ausgezogen hat, die angezogen werden müssen. Die Kinder sind ins Schlafkoma gefallen und geben kein Lebenszeichen mehr von sich. Gut so! Jemand sagt: "Nicht, dass die Kinder draußen frieren!" Ich mache mir eher Sorgen, dass sie durch spielende Kinder wieder wach werden. Nun gut, die Kussprozedur fällt kürzer aus, weil die Kinder schlafen. So müssen vier Erwachsene lediglich acht Mal abgeküsst werden. Macht keinen Unterschied, Mann oder Frau, jede lebende Person ist zu küssen. Eigentlich verwunderlich, dass der Erdogan mit Schwulen und Lesben nicht klar kommt, wo doch den ganzen Tag lang die ganze Türkei sich küsst.

Ruhe kehrt ein. Egal, wann ich schlafen gehe, so lässt mich meine innere Uhr seit den Internatszeiten immer um 5 oder 6 Uhr wach werden. In Mathematik war ich immer gut. Es blieben noch maximal zwei Stunden Zeit zum Schlafen. Allein der Gedanke, ob ich in so kurzer Zeit einschlafen und mich bis 6 Uhr erholen könnte, lässt mich erst gar nicht einschlafen. Die gezählten Schafe gehen aus. Da haben wir den Salat. Kurz nach 5 stehe ich auf. So wie die Hybrid-Autos vom Vergaser- auf E-Motor umstellen können, stelle ich mich auf Impuls-Energie. Nichts zu machen, der Tag muss so überstanden werden. Während des Tages kommen mir Gedanken wie, ob die Selbstschuss-Anlagen aus DDR-Zeiten noch käuflich zu erwerben wären usw.

So, jetzt wisst Ihr, dass die nächtliche Ausgangssperre, zumindest in anderen Ländern, durchaus Sinn machen würde - aber in Deutschland?

Nächtliche Hausbesuche gibt es in Deutschland nicht, und wenn die Gastronomie sowieso dicht ist und die Treffen und Events nicht stattfinden dürfen, wo soll dann die Gefahr herkommen, dass sich die Menschen in Scharen auf der Straße aufhalten? Was ist wann falsch gelaufen, dass alle Regierenden so drauf sind, wie sie sind? Vor dem Aufsetzen der Nasen- und Mundbedeckung scheint der gesunde Menschenverstand draußen geblieben zu sein.


zurück zu Lockdown-Terror

heim zu Reisen durch die Vergangenheit