DIVIDE  ET  IMPERA . . .
von Italien nach Xanadu

Marco Polo: Die Welt[ver]teilung

[Marco Polos Reiseroute]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN, DIE GESCHICHTE[N] MACHTEN

Da hat Dikigoros mal wieder einen Text ausgesucht, der in zweierlei Hinsicht nach einer Rechtfertigung für die Aufnahme in diese "Reise durch die Vergangenheit" bedarf. Die erste Frage scheint leicht zu beantworten: Handelt es sich beim "Divisament dou monde" um eine "Sage" oder nicht vielmehr um einen Reisebericht? Die Waage der Keksperten scheint sich immer mehr dahin zu neigen, daß die Geschichte erfunden ist, zumal jüngst eine britische Schreibtisch-Historikerin ausführlich dargelegt hat, daß der gute Marco jedenfalls in China nicht gewesen sein kann. Aber wer die Einleitung zu "Reisen, die Geschichte[n] machten" aufmerksam gelesen hat, weiß, daß Dikigoros "Sagen" anders definiert, d.h. nicht vom Wahrheitsgehalt dessen, was sie schildern, sondern von ihrer Wirkung her. Die "Einteilung der Welt" kann also in diesem Sinne auch dann eine Sage sein, wenn Marco Polo doch in China war. Aber wie war das mit der zweiten Voraussetzung: Die Lebenslüge welcher Nation sollte dieses Buch denn im Nachhinein geworden sein? Etwa "der" Italiener? Wenn es die denn im Mittelalter schon gab, wo hatten die denn politische Ambitionen auf eine Landnahme und/oder Herrschaft in China?

Ach, liebe Leser, so kann nur die unschuldige Einfalt fragen, die immer noch glaubt, Herrschaft müsse "politisch" oder "militärisch" definiert sein, mit Soldaten, Kanonenbooten, Panzern und Schießgewehren. Ja, was glaubt Ihr denn, wie im Zeitalter des Kapitalismus und der Globalisierung die Welt beherrscht wird? Richtig: durch wirtschaftliche Macht. Aber paßt das auch auf das späte 13. und frühe 14. Jahrhundert, als Marco Polo lebte? Amerika, die "Neue Welt", war noch nicht entdeckt, Afrika war nur ein Küstenstreifen mit einem Wüstengürtel dahinter und ohne Interesse für die Europäer. (Denn jener Kontinent hatte außer Negersklaven nichts zu bieten, und die brauchte man vor der Entdeckung Amerikas noch nicht, um auf den Baumwoll-, Tabak- und Zuckerrohr-Plantagen zu schuften.) Und das alte Europa? Im Norden gab es noch nicht mal Kartoffeläcker (denn auch die Kartoffel sollte ja erst aus Amerika kommen), aber auch sonst kaum Äcker, sondern hauptsächlich Wälder. Das Reich war zwar noch nicht untergegangen, aber arm und machtlos - seit Mitte des Jahrhunderts gab es das, was die Historiker ein "Interregnum" nennen (etwas ungenau, denn bei Licht betrachtet waren schon die letzten "Staufer" gar keine solchen mehr, sondern eher islamisch angehauchte sizilianische Normannen, aber das ist eine andere Geschichte). Der Reichtum kam von den wenigen Städten, und das war damals praktisch gleich bedeutend mit Hafenstädten: Im Norden waren es ein paar bessere Dörfer, die sich zur "Hansa" zusammen geschlossen hatten, um gemeinsam Fischchen zu fangen (aber auch das ist eine andere Geschichte), im Süden... falsch geraten, liebe Leser, nicht die, an die Ihr jetzt denkt: Vergeßt Rom, Mailand und Florenz; die Lombardei war Genua, die Toscana Pisa, die ganze Adriaküste Venedig. Jede einzelne dieser drei Städte war größer, reicher und mächtiger als London, Paris, Prag und Wien (Moskau und Kiew waren nach dem Tatareneinfall, über den Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt, nur noch verkohlte Trümmerhaufen) zusammen genommen; und gemeinsam hatten sie die damals bekannte[n] Welt[märkte] praktisch unter sich aufgeteilt: Genua und Pisa beherrschten das westliche Mittelmeer, Venedig das östliche; zu seiner Herrschaft gehörten auch die griechischen Inseln - vor allem Kreta - und Konstantinopel, seit es zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf dem 4. Kreuzzug erobert worden war. Haltet Ihr es da noch für einen Zufall, daß das "Divisament dou monde" von einem Venezianer mit Hilfe eines pisanischen Ghostwriters - eines gewissen Rustichello - in Genua verfaßt wurde?

Was blieb da am Ende des 13. Jahrhunderts noch wirtschaftlich zu erobern? Na, ungefähr das gleiche wie am Ende des 20. Jahrhunderts: Asien oder - wie man damals sagte - "Indien". Das Sprungbrett Konstantinopel hatte man, von dort ging es auf der berühmten "Seidenstraße" nach Buķhara, Samarkand, Tashkend und Kashgarh, und von dort weiter nach Xanadu (Shangdu) in Kitay (China) und womöglich sogar bis nach Zipango (Japan). Mit etwas Glück fand man dabei auch irgendwo den sagenhaften Priesterkönig Johannes, und jedenfalls jede Menge lukrativer Waren, nicht nur Seide, sondern vor allem Gewürze, die in Europa mit Gold aufgewogen wurden. Wer die Handelsrouten nach China beherrschte, beherrschte den Weltmarkt und damit - die Welt. Ihr meint, Asien hätte den Menschen des Mittelalters doch ziemlich fern gelegen, nicht nur geografisch, sondern auch vom Weltbild her? Pardon, aber dann habt Ihr ein früheres, eben schon kurz erwähntes und verlinktes Kapitel dieser "Reise durch die Vergangenheit" nicht - oder nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit - gelesen. Asien war ganz nah: Seine Herren, die Mongolen, hatten im Osten China erobert und waren im Westen bis nach Europa vorgedrungen, wo man meinte, sie müßten direkt aus der Hölle - Tartaros - kommen und sie deshalb "Tartaren" nannte. Nur der plötzliche Tod ihres obersten Ķhans Ogodai im Jahre 1241 hatte das Abendland davor bewahrt, ein ähnliches Schicksal zu erleiden - dessen Neffe Batu hatte schon die Adria erreicht und hätte Venedig problemlos platt machen können. Ogodais Nachfolger waren eher unbedeutend, sein Sohn Küyük (oder Göyök) ebenso wie sein Neffe Mongu (oder Möngke) und dessen jüngerer Bruder K[h]ubilai. (Erst der Enkel des letzten, Timur Lenk (oder Tamerlan), sollte die Welt wieder in Angst und Schrecken versetzen.) Aber während er in Fernost nur in Erinnerung blieb als Initiator einer gescheiterten Invasion Japans (seine Flotte wurde von einem großen Sturm [chinesisch: Dai-fun oder Tai-fun, japanisch kamikaze [Götterwind] zerstört), verkörperte er in Europa den großen Beherrscher Asiens - denn er war derjenige Mongolenķhan, dem Marco Polo in seinem Buch ein Denkmal gesetzt hat. (Wer das Buch bis zum Ende gelesen hat weiß, daß er auch die anderen Mongolen-Fürsten nicht vergessen hat: das letzte Kapitel endet mit dem Bruderkrieg zwischen den Urenkeln Batus und seinem Großneffen.)

[Kubilai und Marco Polo]

Aber wenn das nun alles frei erfunden war, wie Miss Frances Wood und andere meinen? Denn wenn Marco Polo wirklich in China gewesen wäre, hätte er doch etwas von der chinesischen Mauer, vom Buchdruck, vom Teetrinken, vom Verkrüppeln der Frauenfüße usw. wissen - und in seinem Buch berichten - müssen. Hat er aber nicht. Ihre Vermutung: Wahrscheinlich hat Marco sich nur seinen Hintern in der Bibliothek von Konstantinopel platt gesessen und die Bücher Ibn Battutas und anderer Reisender abgeschrieben. Allerdings hat sich jüngst ein schottischer Gelehrter zu Wort gemeldet, der meint, daß Fräulein Wood, die Schreibtisch-Historikerin, da wohl auf dem Holzweg sei - nomen atque omen: Die chinesische Mauer lag damals genauso in Trümmern wie die Stadtmauern Roms oder Konstantinopels (sie hätte ja - angeblich - die mongolische Invasion aufhalten sollen, und eben das hatte sie nicht getan!); die Sitte des Teetrinkens war in Südchina beheimatet und von den Mongolen (die als Nomadenvolk Milch vorzogen) nicht übernommen worden. (Außerdem erwähnt Marco Polo zwar nicht das Teetrinken, wohl aber die Teesteuer - über deren Erhöhung ein Minister stürzte :-) Und die Mongolen verkrüppelten ihren Frauen auch nicht die Füße, das taten nur die Chinesen, und auch von denen nur die Oberschicht (Bäuerinnen brauchten natürlich heile Füße, um auf den Reisfeldern arbeiten zu können - habt Ihr mal so ein chinesisches Bauerntrampel aus der Nähe gesehen?); und in deren Schlafzimmer wird man Marco Polo schwerlich Einblick gewährt haben! [Hätte der gute Mann Dikigoros' oben verlinkte Webseite gekannt (aber die war damals noch nicht fertig :-) hätte er etwas anders argumentieren können - und müssen, aber nicht weniger zwingend: Das, was Lieschen Müller (und Frances Wood :-) sich unter "chinesische Mauer" vorstellen - das große, steinerne Monster, das man heuer den China-Touristen vorführt - lag nicht etwa in Trümmern, sondern war noch gar nicht in der Welt; sie wurde nämlich erst im 16. und 17. Jahrhundert gebaut! Zu Marco Polos Zeiten gab es entlang der "Seidenstraße" bloß ihren Vorgänger, den alten, gerade mal 1,50 m hohen Lehmwall, der aussieht wie eine Mischung aus getrockeneten und übereinander geschichteten Kuh-Fladen, pardon Yak-Fladen und Kamel-Dung, die ihm kaum einer Erwähnung wert gewesen sein dürfte; die "echte" chinesische Mauer dagegen hätte, wenn sie damals schon bestanden hätte, wohl auch Niederschlag in irgendwelchen Büchern gefunden, die er in Konstantinopel hätte abschreiben können.]

Aber kommt es darauf überhaupt an? Genauer gefragt: Müssen wir diesen Gelehrten-Streit entscheiden? Kaum, denn er geht am Kern dieser "Reise durch die Vergangenheit" vorbei. Marco Polo war kein Reiseschriftsteller, der Ausschau nach "interessanten", also möglichst kuriosen Dingen hielt, um seine Leser damit zu unterhalten. Das hatten andere vor ihm getan, die nicht auf eigene Rechnung, sondern von neugierigen Auftraggebern gen Osten geschickt worden waren: Marco Polos Landsmann Giovanni da Pian' Carpini war vom Papst 1245 an den Hof Küyüks gesandt worden (jawohl, ganz offiziell, als Gesandter), um ihn zum Christentum zu bekehren (natürlich erfolglos), und der Flame Willem van Ruybruk (oder so ähnlich, es gibt fast ein Dutzend unterschiedlicher Schreibweisen) war 1253 vom französischen König Louis zu Batu Ķhan gesandt worden - auch er hinterließ einen schönen Reisebericht, den freilich knapp 700 Jahre lang niemand lesen wollte, weil Lieschen Müller damals noch nicht als Käuferin am Buchmarkt vertreten war und sich die finanzkräftigen Auftraggeber von der Reise etwas ganz anderes versprochen hatten. Und auch Marcos Vater und Onkel waren 1260 im Auftrag des Papstes unterwegs gewesen - freilich nur bis Buķhara; wieso sie von dort weiter bis in nach Kambalu (das heutige Peking) reisten, wird nicht ganz klar. Theoretisch waren sie sogar zu ihrer zweiten Fernostreise 1271 - also der, auf der sie Marco mitnahmen - im Auftrag des Papstes aufgebrochen, der ihnen zwei Legaten mit gab, die es sich freilich unterwegs anders überlegten und umkehrten - von da an reisten die Polos de facto auf eigene Rechnung.

Marco Polo war Kaufmann, deshalb interessierte ihn vornehmlich die Wirtschaft der von ihm bereisten Länder. Die Märkte beschreibt er ganz genau, was dort umgesetzt wird, wieviel es kostet, wie hoch die Umsatzsteuer ist, die der Ķhan einnimmt usw. Man kann allenfalls bezweifeln, ob seine Angaben glaubhaft sind: 5 kg schwere "Birnen"? Aber das könnten Kürbisse oder Wassermelonen gewesen sein. Ein so reichhaltiges Angebot für die Zivilbevölkerung? Nun, vielleicht in der Hauptstadt - selbst in Ostberlin, der Hauptstadt der DDR, gab es ab und zu Bananen, nicht wahr, liebe Ossis? Die Einheimischen waren freundlich gegenüber Fremden? Das klingt nun weniger glaubhaft, denn Chinesen waren - und sind - so ziemlich das fremdenfeindlichste Volk der Welt. Aber Vorsicht: Marco Polo schreibt hier über eine mongolisch beherrschte Stadt; und die Mongolen sind - wie die meisten "Reitervölker" - sehr gastfreundlich; außerdem war er meist in Begleitung hoch gestellter Persönlichkeiten unterwegs, und da kuschen selbst die Chinesen und üben sich in falscher Freundlichkeit. Und schließlich war China nicht immer kommunistisch; wenn Ihr die tüchtigen Auslands-Chinesen kennt, die sich überall auf der Welt als Händler betätigen, so sind denen "fremde" Kunden, d.h. solche aus dem Ausland, mit am liebsten, denn die kann man meist besser über den Tisch ziehen als einheimische (die man nach althergebrachter Vorstellung gar nicht betrügen darf, weil man sich sonst gegen die Volksgemeinschaft vergeht). Die Druckpresse erwähnt Marco Polo nicht? Pardon, aber was scherten ihn irgendwelche Druckerzeugnisse? Nur auf eines derselben kam es ihm an - und das erwähnt er sehr wohl: das Papiergeld. Bedurfte es da noch der Erwähnung, daß vielleicht auch schöngeistige Literatur gedruckt wurde, die im Westen eh niemand lesen konnte?

[Il Milione] [Il Milione] [Le livre des merveilles]

Was aber macht nun den Bericht Marco Polos zur "Sage" im Sinne von Dikigoros' Definition? Ganz einfach: Er sollte - ohne Zutun seines Autors - zur Rechtfertigung für die Versuche einiger italienischer Kauf- und Seeleute werden, die Handelsrouten nach Indien und China zu erobern. Nein, liebe Leser, natürlich nicht zu Lebzeiten Marco Polos - da war man noch nicht so weit. Seht Ihr, das ist wie mit all den anderen Sagen: Wenn man im falschen Jahrhundert herum sucht, nämlich dem, in dem die historischen Ereignisse spielen, die sie schildern, statt in dem, da derjenige gelebt hat, der sie aufgeschrieben hat, findet man nichts - oder nur Unsinn: Dann reiste Alexander nach Indien, Karl der Große nach Bagdad, die Niflungen nach Ungarn, die Römer waren Troianer, die Westgoten Araber, die Karolinger kämpften gegen die Sarazenen, die Hunnen gegen die Burgunder, und die Amerikaner landeten 1969 auf dem Mond (aber das ist eine andere Geschichte). Als Marco Polos Reisebeschreibung zum ersten Mal erschien (man weiß nicht mal genau, ob auf Lateinisch oder auf Französisch), da lachte man darüber nur herzlich, nannte ihren Verfasser scherzhaft "Il Milione" - was im übertragenen Sinn "der Aufschneider" heißen sollte, weil er so oft mit riesigen Zahlen jonglierte, die ihm niemand so recht abnehmen wollte - und verwechselte bei der ersten Übersetzung ins Italienische diesen Beinamen mit dem Buchtitel, so daß dieses zwei Jahrhunderte lang als "Il Milione" bekannt wurde - oder vielmehr unbekannt blieb. (Die Franzosen nannten es "Le livre des merveilles [Das Buch der Wunder]", und damit meinten sie nicht, daß es wunderbar sei, sondern daß sein Verfasser wohl ein Märchen-Onkel sein müsse.) Doch dann kam das Zeitalter des ("Früh"-)Kapitalismus und der ersten Globalisierung, das Zeitalter der Fugger und Welser in Augsburg, der Medici in Florenz und all der anderen, weniger bekannten Handelshäuser, in denen man mit solchen Zahlen umzugehen gewohnt war; und die Welt wurde zum ersten Mal ganz offiziell in wirtschaftliche "Interessensfären" aufgeteilt. Das war anno 1494 im Vertrag von Tordesillas, den die Könige von Spanien und Portugal mit dem Segen des italienischen Papstes - Alexanders VI aus dem berühmt-berüchtigten Hause Borgia - schlossen.

[Die Weltverteilung nach dem Vertrag von Tordesillas 1494: Grönland, Brasilien, Afrika, Indien und China fielen in die portugiesische 'Einflußsfäre'/Wirtschaftszone]

Schaut Euch bitte die Karte oben gut an, liebe Leser, und vergeßt alles, was Ihr bisher über das "Zeitalter der Entdeckungen" gehört und gelesen habt: Damals interessierte sich niemand dafür, daß Kolumbus einen bis dahin unbekannten Kontinent entdeckt hatte (genau genommen hatte er ja auch bloß die Antillen erreicht; auf die wirklichen Entdecker Nord- und Südamerikas kommen wir gleich); man wollte keine "Neue Welt" erobern, sondern vielmehr das alte Asien mit all seinen Schätzen. Und laßt Euch auch nicht den Blick auf die wahre Bedeutung von Marco Polos Reisebericht durch den Umstand verstellen, daß Kolumbus "Il Milione" so oft gelesen haben soll, bis er ihn auswendig kannte. Dieser Text interessierte niemanden mehr - wenn er denn je außer Kolumbus jemanden interessiert hatte. Das Buch, das urplötzlich zum Bestseller wurde, stammte nicht von Marco Polo, auch nicht von Rustichello, sondern von - Giovanni Benedetto Ramusio. Nie gehört? Das ist eine weit verbreitete Bildungslücke, und Dikigoros will in aller Kürze versuchen, sie zu stopfen. Ramusio, Jahrgang 1485, war venezianischer Staatssekretär und Botschafter, und als er 1550 pensioniert wurde, kam er auf die - nur in den Augen seiner neuzeitlichen Biografen wunderliche - Idee, eine Sammlung mit "Reisebüchern" heraus zu geben unter dem Titel "Delle navigazioni e viaggi [Von Seefahrten und Reisen]". (Er verbrachte den Rest seines Lebens damit - er starb 1557; die letzten Bände erschienen posthum.) Ja, warum wohl, und was sollte das bloß? rätseln die Herren Professoren herum. Nun, ein Blick in jene Sammlung (die, zumal in deutscher Übersetzung, im Bücherhandel fast unerschwinglich ist; aber wer des Italienischen mächtig ist, kann bei "Liber Liber" für wenig Geld eine Abschrift auf CD bestellen :-) in Verbindung mit der Karte oben hilft uns weiter. Wie gesagt, alles was Ihr dort seht, hatte nur ein Ziel: den Seeweg nach Indien und China, wo der Reichtum wartete, abgeholt zu werden (die Portugiesen hatten gerade in Macao ihren erste Handelsfaktorei eingerichtet und sich gleich das Monopol für den Handel mit Japan übertragen lassen, wohin sich zur gleichen Zeit Francisco Xaver aufgemacht hatte, um das Christentum zu verbreiten); und alles, was es dazu brauchte - u.a. die Küsten von Brasilien und Afrika, wo man Stützpunkte für Zwischenstops zum Verproviantieren anlegte -, war bei der Aufteilung der Welt an die Portugiesen und die mit ihnen verbündeten Venezianer gefallen. (Überhaupt waren alle großen Entdecker jener Zeit Italiener - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle.) Gewiß, Cortés und Pizarro hatten México und Perú für Spanien erobert, die Reiche der Azteken und Inka zerstört - aber wer hatte etwas davon? Die sagenhaften Goldschätze Chinas und Japans, von denen Marco Polo berichtet hatte, gab es dort offenbar nicht; und bis auf jenen Hügel in Potosí, den die Aymará "Sumac Orko" und die Spanier "Cerro Rico" nannten, und der gerade erst - 1545 - entdeckt worden war, hatte man - noch - nicht mal Silber gefunden.

Welche Reiseberichte befinden sich also in Ramusios Sammlung? Was würdet Ihr vermuten, wenn Ihr Euch die Karte anschaut und Dikigoros' These ernst nehmt, daß jene Sammlung der Rechtfertigung der Eroberung des Seewegs nach Indien dienen sollte? Ganz recht, sie reihen sich auf wie Perlen an einer Schnur: Zunächst einmal die "Beschreibung Afrikas" von Leo de Medicis (der als Hasan Ibn Muhamad Al-Fa'si in Granada geboren wurde, aber nach der Vertreibung der Mauren aus Spanien 1492 nach Italien emigrierte), der den Seeweg nach Indien an dessen Küste entlang beschreibt (das Hinterland interessiert ihn nicht), also die Route, der Vasco da Gama 1497/98 folgte. (Seither - also posthumm, denn Leo starb im Jahr der Veröffentlichung durch Ramusio - heißt er bei der Nachwelt auch "Leo der Afrikaner".) Dann kommen wir zur ersten Alternativ-Route - die freilich noch nicht ganz gefunden war: Die Suche nach der Nordwest-Passage, auf der Giovanni Caboto aus Venedig Grönland - das in die portugiesische Einflußsfäre fiel - entdeckte, und nebenbei noch Neufundland und Kanada (deshalb nennen ihn die Franzosen und Engländer, die sich Kanada später unter den Nagel rissen, "Jean Cabot" bzw. "John Cabot") Auch seinen Reisebericht druckte Ramusio ab, wohlgemerkt immer im Hinblick auf Indien - an dem ganzen anderen Plumquatsch (den er abschätzig "Terra de Bacalão [Land der Stockfische]" nannte) war er nicht interessiert. Dann die zweite Alternative - und die war schon erfolgreicher, denn obwohl die Route auf der Karte weiter aussieht als die "direkte" um Afrika herum (und es kilometermäßig ja auch ist), ist sie doch von den Strömungen und Winden her die einfachere: Pedro Álvarez Cabral hatte sie anno 1500 entdeckt; er war an dem kleinen östlichen Zipfel Südamerikas gelandet, den der Vertrag von Tordesillas noch Portugal zugesprochen hatte, den wir heute nach seinem einstigen Haupt-Exportartikel, dem Brasil-Holz, nennen. Cabral nannte ihn "Terra de Santa Cruz [Land des Heiligen Kreuzes]" (wenn Ihr, liebe deutsche Leser, in einem Eurer Geschichts- und Märchen-Bücher statt "Santa Cruz" etwas von "Vera Cruz" lest, dann hat das jemand mit dem ersten europäischen Hafen in México verwechselt :-) und richtete einen Stützpunkt ein, den er "Porto Seguro [Sicherer Hafen]" nannte, und von dort segelte er weiter bis nach Cochin im heutigen Keral. (Porto Seguro sollte seine Stellung bald an Salvador de Bahía verlieren; aber der Tourismus hat die "Costa do Descubrimento [Küste der Entdeckung]" Ende des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt: Porto Seguro ist heute ein beliebter Badeort nicht nur für die Salvadoreaner; und zehn Kilometer weiter nördlich heißt ein anderer Badeort "Santa Cruz Cabralia", in Erinnerung an den Entdecker und den ersten Namen, den er dem Land gab.) Seinen Reisebericht druckte - natürlich - niemand anderer ab als Giovanni Ramusio. Und dann war da noch ein Buch, das die heutigen Filologen geringschätzig als "Manuskript R" (wie "Ramusio") bezeichnen. Denn, nicht wahr, wir kennen doch den Reisebericht des Marco Polo nur unter zwar gänzlich unpassenden, aber dafür umso großartigeren und unschuldigeren Titeln wie z.B. "Die [Welt]Reisen des Marco Polo", "Die Wunder der Welt" (offenbar in Anlehung an den alten französischen Titel), "Die Beschreibung der Welt", "À la croisée des mondes" oder "Discovery of the World" - schließlich kann es ihm doch nicht um schnöden Gewinn oder gar, wie Ramusio, um die brutale Eroberung von Kolonien und Absatzmärkten gegangen sein, sondern nur um weltweite Entdeckungsreisen als akademischen Selbstzweck (weshalb heute auch der größte deutschsprachige Reiseführer-Verlag nach ihm benannt ist)!

[Die Reisen des Marco Polo] [Die Wunder der Welt] [Beschreibung der Welt] [A la croisée des mondes] [Discovery of the World]

Und nun kommt dieser dumme Italiener Ramusio daher und gibt Marco Polos Werk einen ganz anderen Titel - den auch Dikigoros in seiner Unwissenheit übernommen hat: "Die [Ver]Teilung der Welt". Seht Ihr, und erst unter diesem Titel wurde Marco Polos Bericht zum Bestseller, den jedermann las und diskutierte; und nun glaubte man auch endlich, was er geschrieben hatte. Nein, nicht daß er alles persönlich gesehen habe (das hatte er auch gar nicht behauptet; wenn Ihr mal genau lest, schreibt er z.B. ausdrücklich, daß er nie in Japan war, seine Informationen also aus zweiter Hand hat), aber eben doch, daß es wahr sei und deshalb wert, erobert und verteilt zu werden.

Und - hatte sie Erfolg, diese erste Globalisierung? Aber sicher, liebe Leser, so sicher wie Porto Seguro. Sie brachte der Welt alles, was sie unbedingt zum Leben brauchte: den armen Europäern Gold, Silber und Elfenbein; überdies die Wohltat jeder Menge exotischer Gewürze, deren Notwendigkeit man schon daran erkennt, daß die drei wichtigsten - Muskat, Nelken, Zimt (allein wegen der Gewürznelken hatte Magalhães als erster Mensch die Welt umsegelt, genauer gesagt die wenigen seiner Mannschaft, die jene [Tor]Tour überlebten; er selber ging ja unterwegs drauf) - heute, da sie in beliebiger Menge preiswert zu haben sind, kaum noch nachgefragt werden (außer von Leuten wie Dikigoros, die keinen "fertig" vorgewürzten Glühwein kaufen - aber diesen Spleen teilen zum Glück nur noch wenige, sonst würde das Zeug am Ende wieder so teuer wie einst im Mittelalter :-), und die nächsten drei - Safran, Cardamom und Ingwer - selbst auf Spezialseiten im Internet nicht einmal mehr erwähnt werden. (Wozu auch? Man benötigte sie vor allem zur Herstellung von "Curry", und auch das kann man heute viel einfacher als "fertige" Gewürzmischung kaufen, die hauptsächlich aus billigem Kurkuma besteht. Ihr vermißt in dieser Aufzählung den "Pfeffer", liebe Leser? Das war damals der Oberbegriff für alle exotischen Gewürze; an dem so genannten "Pfefferkuchen" war kein Gramm Pfeffer, sondern vielmehr Zimt, Nelken und vor allem Ingwer - weshalb er auf Englisch auch bis heute "ginger bread [Ingwer-Brot]" genannt wird). Den faulen Amerikanern brachte die erste Globalisierung fleißige Sklaven ein, die seit 1510 aus Schwarzafrika importiert wurden, und an deren Nachfahren sie sich heute noch erfreuen können (ja, auch das war als Wohltat gedacht, zur Arbeitsentlastung der Indios - irgendwo hat Dikigoros in diesem Zusammenhang sogar das Wort "Arbeitsschutzgesetz" gelesen -, nach einer Idee des Menschenfreundes Bartolomé de las Casas; eine Alternative gab es nicht, denn auch Tabak, Zuckerrohr und vor allem der aus letzterem gewonnene Rum sind bekanntlich lebensnotwendig, darauf konnte man natürlich nicht verzichten!), den Afrikanern Glasperlen, Rasiermesser und Spiegel; und den Völkern Indiens und Chinas brachte die Globalisierung zentralisierte Einheitsstaaten mit bürokratischer Verwaltung nach europäischem Muster. Und - was manche für die größte Wohltat überhaupt hielten: Die Europäer brachten den unwissenden Heiden in aller Welt den einzig wahren, den christlichen Glauben (zu einer Zeit, als sich ihre eigenen Schäfchen anschickten, ihnen davon zu laufen und Protestanten zu werden, aber was solls :-).

[Die erste Globalisierung. Handelsrouten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts]

Am meisten profitierten Spanien und Portugal, fast 100 Jahre lang, die man folgerichtig "Siglo de Oro [Jahrhundert des Goldes]" nannte (manche Historiker, vor allem in Deutschland, die auf der Schule Mengenleere statt Rechnen hatten, kommen sogar auf knapp 200 Jahre :-); dann waren beide Länder von Hunger, Armut und Inflation ruiniert, denn Gold und Silber konnte man nicht essen, sondern es nur zu Geldstücken prägen, und der wundersamen Edelmetall- und Geldvermehrung stand keine Vermehrung gleichwertigen Waren gegenüber (von den Gewürzen mal abgesehen, aber auch davon konnte man letztlich nicht satt werden), so daß die Preise für Konsumgüter immer mehr anstiegen - wer wollte schon so blöd sein und noch etwas produzieren, wenn er statt dessen einfach nur "Welthandel" zu treiben brauchte? Spanien und Portugal erklärten den Staatsbankrott - Spanien zum ersten Mal 1557, zum zweiten Mal 1560, zum dritten Mal 1575, aber da erlangte es jeweils noch ein Moratorium von seinen Haupt-Gläubigern, den multinationalen Handels- und Bank-Konzernen Fugger und Welser. Erst beim vierten Mal, 1627, also 94 Jahre nach Eroberung der Inka-Hauptstadt Cuzco und ihres Goldes durch Pizarro, war endgültig Schluß mit dem "Goldenen Zeitalter" auf Pump (das zwar viele große Dichter hervor gebracht hatte, aber keinen scharfen Beobachter wie Mark Twain, der es als bloß "vergoldetes Zeitalter" entlarvt hätte, geschweige denn einen, der rechtzeitig vor dieser Entwicklung gewarnt hätte - aber auf den hätte wohl eh niemand gehört :-). Denn nun konnten auch die Multis nicht mehr helfen: Die Welser hatten schon 1614 bankrott gemacht; und die Fugger hatten ihre Geschäfte nach und nach liquidiert und sich auf die Rittergüter zurück gezogen, die sie von den traurigen Resten ihres einstigen Reichtums gerade noch hatten kaufen können (nicht ohne zuvor die Hanse ruiniert zu haben, aber das ist eine andere Geschichte). Spanien riß Portugal - mit dem es seit 1580 in Personal-Union unter Felipe II vereint war - mit in den Abgrund. Kurzum, die Epoche des Frühkapitalismus fand ein ziemlich unrühmliches Ende. Aber das war sicher nicht Marco Polos Schuld.

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[Die zweite Globalisierung. WTO-Mitgliedsländer im Jahre 2001]

Es blieb den gutmenschlichen Deppen, pardon "Wissenschaftlern" des 20. Jahrhunderts vorbehalten, diese Tatsachen - und ihre Folgen - zu verdrängen, und statt dessen um müßige Fragen zu streiten wie die, ob Marco Polo irgendwo persönlich war oder nicht oder doch. Wie heißt es so schön: "Die größten Irrtümer in der Geschichte entstehen durch falsche Fragestellungen." Aber geht uns der ganze andere Krempel, vom Seeweg nach Indien bis zu den portugiesischen Kolonien, denn heute, im Zeitalter der Flugreisen und der Dekolonisierung, überhaupt noch etwas an? Und ob, liebe Leser, und ob. Wir leben in einer Zeit, da die Themen "Eroberung der Welt[märkte]" und "Globalisierung" wieder so aktuell sind wie nie zuvor, seit die Welser bankrott machten und die Fugger aufgaben. Wieder wird die Welt verteilt, halt nicht mehr in Form von Kolonien, sondern von Absatzmärkten, und nicht mehr zwischen Nationalstaaten, sondern zwischen multinationalen Konzernen. Und wie Ihr oben seht, sind die Symptome wieder die gleichen: Wieder schuften sich ein paar blöde Eingeborene kaputt, um Rohstoffe auszubeuten; anschließend lassen sie sich bei deren Verkauf wieder von cleveren Welt-Händlern über den Tisch ziehen; und zum Schluß wird wieder alles mit Billiglohn-Sklaven verarbeitet - und China steht dabei wieder ganz an der Spitze. (Ist der magere Drache auf rotem Grund, den Dikigoros da oben ausgegraben hat, nicht ein schönes Sinnbild für diese Entwicklung?) Und die Folgen? Werden die etwa auch wieder die gleichen sein? Unsere Politiker haben so viel von Karl Marx übernommen - zumeist den Unsinn -, daß sie darob die wenigen richtigen - und wichtigen - Lehrsätze schlicht vergessen haben, z.B. daß ein Staat seine "Produktionsmittel" keinesfalls aus der Hand geben darf, wenn er überleben will. Werden also die Staaten, die jetzt Kapital, Know-how und Arbeitsplätze in die "Dritte Welt" exportieren, genauso enden wie Spanien und Portugal am Ende des "Siglo de Oro"? Ach was, solche Fragestellungen will niemand hören, also wollen wir sie tunlichst verdrängen. Lernt und lehrt bloß nichts aus der Geschichte, liebe Fach-Historiker, denn Ihr werdet ja von den Politikern, die bei der Inszenierung dieser neuen Globalisierung massiv gegen jene eherne Marx'sche Regel verstoßen haben, besoldet, um ihnen nach dem Mund zu schreiben! Tröstet Euch mit der Gewißheit, daß die "Manager" (das kommt übrigens vom italienischen Wort "maneggiare", was ursprünglich soviel bedeutete wie "manipulieren und vermurksen"), wenn sie das Staatsschiff und/oder die Firma aufs Riff gesteuert haben, heutzutage wenigstens einen "Golden handshake" bekommen, gewissermaßen zur Belohnung, und nicht hingerichtet werden, wie damals in jener finsteren Zeit. Denkt immer an den schönen Satz: "Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing'", verteidigt die Globalisierung und streut dem dummen Volk tüchtig Sand in die Augen, damit es Euch in die Falle geht und die da oben "kreativ" weiter machen können wie bisher - auf daß sich die Geschichte wiederhole.

Nachtrag. Dikigoros legt Wert auf die Feststellung, daß er all das schon lange vor den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems im Herbst 2008 und dem sich abzeichnenden neuerlichen Staatsbankrott von Portugal und Spanien in den 2010er Jahren geschrieben hat. Und dennoch - oder gerade deshalb - legt er ebenso großen Wert auf eine Klarstellung, nämlich daß viele Kritiker das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn sie "die" Globalisierung nun für alle Übel der Welt verantwortlich machen. Es kommt nämlich immer darauf an, was man darunter versteht und wie weit man sie treibt, d.h., wo man gewisse Grenzen überschreitet, die vernünftiger Weise nicht überschritten werden dürften. Schauen wir uns doch ein paar Stufen auf diesem Weg an und beginnen wir mit dem Welthandel: Zu Lebzeiten des Marco Polo war alles noch ganz harmlos. Ein Produzent von schönen, aber nicht unbedingt lebensnotwendigen Waren, suchte sich einen Abnehmer im fernen Ausland und tauschte dort andere Produkte ein, die auch nicht unbedingt lebensnotwendig, aber schön waren. In diese Kategorie fallen Glasperlen, Gewürze usw. - niemandem tut es weh, wenn damit Tauschhandel getrieben wird; und wenn er denn einmal nicht mehr statt findet, mögen das einige zwar bedauern, aber als Katastrofe wird es niemand empfinden. Noch besser ist es, wenn man von solchen Reisen Rezepte für Speisen und Getränke mitbringt, die man auch zuhause aus eigenen Grundstoffen herstellen kann, wie Nudeln oder Speiseeis. (Ob Marco Polo die tatsächlich beide aus China mitgebracht hat, ist umstritten - Dikigoros hegt da gewisse Zweifel -, aber wenn, dann umso besser.) Und wenn einige dieser Grundstoffe zwar zuhause noch nicht vorhanden sind, aber dort ebenso gut angebaut werden können (Kartoffeln, Mais, Tomaten usw.), dann ist auch das nur erfreulich, zumal wenn sie eine echte Bereicherung des Speisezettels bedeuten. (Bei Tabak, Mohn, Coca u.a. mag das schon anders aussehen; aber stellen wir das mal zurück - das Zeug zwingt uns ja niemand auf.) Und wenn es nicht zuhause produziert werden kann? Da müssen wir schon zweimal überlegen: Wollen wir wirklich auf Bananen, Schokolade u.a. Kakaoprodukte verzichten, bloß weil sie nicht bei uns wachsen? Oder auf Kaffee und Tee? Letzteres würde auch Dikigoros schwer fallen; aber sagen wir mal so: Wenn wir das in Übersee im Überfluß vorhandene Zeug irgendwie eintauschen können gegen bei uns im Überfluß vorhandene Produkte, dann müssen wir ja nicht unbedingt drauf verzichten, oder? Und wenn doch, weil z.B. die Handelswege vorübergehend gestört sind, sei es durch Tsunamis oder Piraten am Horn von Afrika, oder wenn mal eine Mißernte vorkommt, dann ist das zwar schon ärgerlicher als wenn die Gewürze und Glasperlen ausfallen, aber verhungern wird dennoch niemand; wir machen also weder uns noch sonst jemanden abhängig von jener Importware. So weit, so gut. Nun kommen wir jedoch zu einem qualitativen Sprung: Irgendwann kommt jemand auf die Idee, daß es viel praktischer ist, nicht nur Ware, die bisher als Überschußproduktion abgegeben werden konnte, einzutauschen, sondern so etwas wie eine weltweite Arbeitsteilung (also ein "divisament dou monde" anderer Art :-) vorzunehmen: Warum soll jede Region der Erde ihre Grundnahrungsmittel selber herstellen, wenn das Klima doch ganz bestimmte Regionen für ganz bestimmte Produkte bevorzugt? Nicht, daß sie zuhause partout nicht produziert werden könnten, aber halt nur mit bedeutend mehr Arbeits- Zeit- und Kostenaufwand. Auch zuhause spezialisiert man sich doch: Der eine Bauer baut Getreide an, der zweite Obst und Gemüse, der dritte züchtet Geflügel, der vierte Rinder, der fünfte Schweine... Und hinterher wird halt ausgetauscht, und insgesamt wird so viel mehr produziert als wenn jeder für sich selber alles machen wollte. Also warum nicht den Weizen nur noch in Kanada und Argentinien anbauen, den Mais und den Reis nur noch in den USA, die Rinder nur noch in Südamerika züchten, ebenso die Fische. (Ja, was glaubt Ihr denn, liebe Leser, woher Euer billiger, aber hoch giftiger Räucherlachs kommt? Aus Chile!) Wenn wirklich mal Not am Mann sein sollte, kann man die einheimische Produktion ja wieder aufnehmen. Kann man wirklich? Wenn ja, dann ist ja alles in Ordnung. Aber nun gibt es Länder, die in nennenswertem Umfang nur noch ein Produkt herstellen, oder wenige Produkte, und sich darauf verlassen, alles andere auf dem "Weltmarkt" eintauschen zu können, einschließlich der Grundnahrungsmittel. Und da geht es halt ans Eingemachte. Solange ein Land hauptsächlich Reis produziert, das zweite hauptsächlich Kartoffeln und das dritte hauptsächlich Getreide, können sie zum allseitigen Vorteil einen Teil davon tauschen; und wenn nicht, dann können sie notfalls ihre eigenen Erzeugnisse essen, basta. (Es wäre also nicht weiter schlimm, daß Deutschland Nudeln und Weintrauben hauptsächlich aus Italien bezieht, wenn es inzwischen nicht auch bei Kartoffeln und Erbsen auf Importe - überwiegend aus Ägypten, dessen eigene Versorgungslage immer kritischer wird! - angewiesen wäre.) Aber wenn ein Land nur noch Kaffee und Kakao anbaut, das andere nur noch Bananen, das dritte nur noch Ananas, dann wird es in einem solchen Notfall sehr schnell sehr eng.

Das mit den Nahrungsmitteln kann also schon ärgerlich genug werden. Aber das ist es ja nicht alleine. Zur Zeit Marco Polos dachte noch niemand daran, auch so genannte "Bodenschätze" aus Übersee mitzubringen. Für die Spanier und Portugiesen des 16. Jahrhunderts war das dagegen schon das Hauptmotiv: Gold und Silber lieb' ich sehr... auch wenn ich es nicht essen kann, und wenn ich dadurch die einheimische Produktion völlig vernachlässige, und wenn am Ende Inflation und Staatsbankrott stehen, wie wir gesehen haben. Aber das ist wie mit Tabak u.a. Suchtmitteln: Wer zwingt uns denn... schließlich hat sich unsere Finanzwirtschaft längst von der Deckung mit "Edelmetallen" abgewendet; man lebt von Krediten; und ein kunstvoll gewebtes Netz solcher finanziellen Verpflichtungen überzieht unsere Welt des Handels. Deshalb ist es ja auch völlig unschädlich, wenn ein Land mal eine Mißernte hat und ein bestimmtes Produkt knapp wird, auf das es sich spezialisiert hat: Es bekommt einfach einen Überbrückungskredit, und dann geht es schon wieder. Und schließlich gibt es auch sinnvollere Bodenschätze als Gold und Silber: Eisen- und andere Erze, ohne die eine Metallverarbeitung auf hohem Niveau gar nicht möglich wäre, Erdöl und Erdgas, das uns der Notwendigkeit enthebt, mühsam mit Kohle oder Holz zu heizen und dafür unsere Wälder zu vernichten. Und im Austausch dafür können wir Fertigprodukte liefern, die wir aus eben jenen Grundstoffen herstellen: Maschinen, Schiffe, Autos, Flugzeuge, Waffen... Was, liebe Leber, vor allem liebe Pazifisten, Ihr meint, das sei cynisch formuliert? Wieso denn? Weil Waffen keine sinnvolle Gegenleistung darstellen, weil sie ja ohne Sinn und Verstand verbraucht werden? Pardon, aber auch Autos und Flugzeuge rosten, und auch Lebensmittel werden "verbraucht" - das ist kein Grund für eine unterschiedliche Bewertung! Aber Dikigoros will auf etwas anderes hinaus: Solange zwei Länder überwiegend Lebensmittel produzieren, mag der Fortfall einer Tauschmöglichkeit zwar extrem ärgerlich sein, aber noch immer keine Katastrofe: Man kann sich zur Not auch ohne Gewürze (außer Salz, aber das gibts überall, selbst in Mitteleuropa :-) von Bananen und Kakao ernähren, ebenso von Pellkartoffeln und Butter, von Reis und Chinakohl, von Fisch und Algen, ja sogar von Wasser und trocken Brot, Maiskolben, Steckrüben und Graupen. (Wer nicht weiß, was das ist, frage seine [Ur-]Großeltern.) Was aber, wenn man nicht mal mehr davon genügend produziert, sondern nur noch Maschinen, Autos, Flugzeuge usw. - davon aber mehr als genug, nämlich so viel, daß es niemand mehr haben bzw. gegen Lebensmittel eintauschen will? An diesem Punkt sind die Staaten des alten Europa heute angelangt - während in den Hinterköpfen einiger Menschen noch immer die Milchseen und Butterberge aus Dikigoros' Jugendzeit herum spuken. Hat man den europäischen Bauern nicht einst sogar Prämien gezahlt, damit sie ihre Produktion einstellten, um billigere Ware aus Übersee zu importieren? Dikigoros schimpft ja regelmäßig über das Land, das Marco Polo einst besuchte; aber inzwischen ist es so weit, daß sowohl Europa als auch Nordamerika von dessen Nahrungsmittel-Produktion abhängig ist. (Und nicht nur von der: Ohne Silizium-Chips made in V.R.C. könnte dort auch kein Computer, kein Auto und kein Flugzeug mehr gebaut werden; denn die eigenen Firmen, die so etwas früher herstellten, haben angesichts der Billig-Konkurrenz aus Fernost längst dicht gemacht.) Das Zeug mag minderwertig sein, aber es ist reichlich vorhanden und relativ billig - so billig, daß es immer noch günstiger kommt, es um die halbe Welt zu transportieren als das Gleiche zuhause herzustellen. Na und? Ist es nicht nett, daß Rotchina den billigen Jakob für uns und andere macht und dafür fleißig unsere Produkte abnimmt? (Außerdem sparen sich die Chinesen inzwischen sogar schon die Transportkosten, indem sie ihre Produktion nach Europa verlagern. Nicht nur in die vom Bürgerkrieg entvölkerten Regionen des Balkans - wovon Dikigoros an anderer Stelle berichtet -, sondern mitten in der alten EWG: In der einstigen Modehauptstadt der Lombardei, Italiens und Europas, Mailand, wird kaum noch anspruchsvolle "Luxus"-Ware hergestellt; das dortige Chinatown ist vielmehr zum Umschlagplatz für billigen Plünn in Rotchina-Qualität geworden; und den zaghaften Versuchen der milanesischen Stadtverwaltung, etwas dagegen zu tun, wird aus Peking gleich mit diplomatischem Druck und von Seiten der linken Medien mit der "Antifa-" und "Antira[ssismus]"-Keule begegnet.) Tja... wenn es denn so wäre! Aber das ist gar nicht so; vielmehr verzichten die Chinesen auf den Kauf unserer Produkte und häufen statt dessen einen von Jahr zu Jahr stetig anwachsenden Außenhandels-Überschuß an, d.h. jede Menge Papiergeld, vor allem US-Schatzbriefe, obwohl man all das bekanntlich nicht essen kann, ebenso wenig wie einst das spanische Gold und Silber. Aber das ist den rotchinesischen Bonzen egal; lieber lassen sie mal eben 20 Millionen "Wanderarbeiter" verhungern als ihre wertvollen Devisen etwa für Lebensmittel-Importe zu vergeuden; die behalten sie vielmehr, damit die USA u.a. Schuldnerländer politisch erpreßbar werden. Erpreßbar? Ja, was glaubt Ihr denn, was geschähe, wenn Rotchina all seine ausländischen Schuldverschreibungen auf den Geldmarkt werfen würde? Dann würden nicht nur Pisselstaaten wie Island, Irland, Lettland und Zimbabwe vor dem Staatsbankrott stehen, sondern selbst die großen, einst so mächtigen USA!

Nachtrag im Nachtrag. Etwas haben sowohl die Rotchinesen als auch Dikigoros übersehen, nämlich wie leicht[fertig] sich eine solche Erpreßbarkeit mit etwas Chuzpe [scheinbar] abwenden läßt: Ende 2010 bedruckten die USA kaltlächelnd etwas grünes Papier mit Zahlen - insgesamt für 600 Mrd. US-$ - und kauften damit Staatsanleihen zurück, also praktisch umsonst, denn der Dollar war ja nun im Verhältnis zur ausgeweiteten Geldmenge entsprechend weniger wert. Von den europäischen Monopol-Medien wurde das geflissentlich unter den Teppich gekehrt oder jedenfalls nur am Rande kurz erwähnt; aber die Chinesen begriffen durchaus, daß man sie herein gelegt hatte - und die Folgen werden die USA bald zu spüren bekommen: Peking beschloß nämlich daraufhin, künftig keine US-Schatzbriefe mehr zu kaufen, sondern im Gegenteil seine Dollar-Reserven in Europa anzulegen. [Und inzwischen - seit 2011 - sogar für den Import von Getreide, Speiseöl u.a. Grundnahrungsmitteln, die die marode chinesische Landwirtschaft selber nicht mehr in ausreichender Menge produzieren kann; was Dikigoros oben geschrieben hat, ist also insoweit überholt.] Ganz uneigennützig, versteht sich: Da werden z.B. den vor dem Bankrott stehenden südeuropäischen SchweinePIGS-Staaten (Portugal, Italien, Griechenland und Spanien) großzügige Finanzspritzen angeboten... na ja, nicht ganz uneigennützig: Von Griechenland hat man sich dafür z.B. den Hafen von Piräus abtretenverpachten lassen - auch das von unseren Medien tunlichst verschwiegen. Wo ist der Unterschied zwischen der "Verpachtung" Hongkongs u.a. chinesischer Häfen an europäische Großmächte im 19. Jahrhundert und dieser umgekehrten wirtschaftlichen Kolonisierung Europas durch China im 21. Jahrhundert? Ganz einfach: in der Laufzeit. Großbritannien investierte 99 Jahre in Hongkong und machte es zu einer der modernsten Städte der Welt; die Chinesen denken gar nicht daran, ein gleiches zu tun: Sie haben nur für 30 Jahre gepachtet; in dieser Frist werden sie sämtliche Hafenanlagen bis zur Unbrauchbarkeit abnutzen, ohne auch nur ein Rädchen zu erneuern, und anschließend einen Schrotthaufen hinterlassen, der es mit den sowjet-russischen Truppen-Übungsplätzen in der Ex-DDR aufnehmen kann, um sich woanders etwas Neues zu pachten - in Lissabon oder La Coruña, und wieso nicht auch irgendwo in Italien, das ebenfalls kurz vor der Pleite steht? Und die USA? Die werden bald nicht mehr das Geld haben, um in großem Stil Waren aus China zu importieren, denn der Kurs des RMR steigt; und während das den einheimischen Produzenten nur recht sein mag, werden die ärmeren Bevölkerungsschichten, die auf billige Importwaren angewiesen sind bzw. sich an sie gewöhnt haben, früher oder später ob der Inflation auf die Barrikaden gehen; und die Folgen, die daraus entstehen könnten und die Dikigoros sich gar nicht im einzelnen ausmalen mag - von Hungersnöten bis zum Bürgerkrieg -, könnten weitaus teurer sein als 600 Mrd. US-$. Nachtrag im Nachtrag Ende.

Nun könnten Cyniker meinen, so ein Staatsbankrott sei doch gar nicht so schlimm: Innenpolitisch können sich die Untertanen ja eh nicht dagegen wehren, und nach außen müsse man halt etwas abwarten, bis die Gläubiger die Rückstände abgeschrieben haben und wieder neue Kredite fließen; unterdessen würde sich die Wirtschaft gesund schrumpfen; man könne wieder auf Binnenhandel umsteigen, notfalls zunächst auf Tauschbasis, und dann halt mittels einer Währungsreform... Beispiele gibt es doch viele: Nicht nur Spanien, das wie gesehen mehrere Staatsbankrotte hatte und dennoch überlebt hat; auch andere Länder hatten Hyperinflationen und Geldentwertungen, Deutschland noch im 20. Jahrhundert sogar zwei; und im Grunde genommen war ja auch die Währungsumstellung von DM auf Teuro zu Beginn des 21. Jahrhunderts nichts weiter als eine Geldentwertung um 50%, denn ein TE hat heute nicht mehr, sondern eher etwas weniger Kaufkraft als zuvor eine DM. Also, was solls, wenn ein paar Nullen vom Papiergeld gestrichen werden, denen eh keine realen Werte gegenüber stehen, sondern nur eine illusorische Fantasiegeldblase? - Eine ganze Menge, liebe Leser, eine ganze Menge. So ein Binnenhandel setzt voraus, daß eine gesunde Volkswirtschaft vorhanden ist. (Aber dann gäbe es gar keinen Staatsbankrott :-) Und selbst dann ist "Autarkie" ein Ding der Unmöglichkeit; selbst die bösen Nazis, die mit großen Anstrengungen versuchten, eine solche herzustellen (und damit die Angelsachsen so verärgerten, daß die den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brachen), schafften das nicht. Aber unsere Volkswirtschaft ist, um mit Billy Wilder zu sprechen, krank wie Hund. Noch einmal: Die BRDDR, ja die ganze EU produziert heute nicht mal mehr genügend Grundnahrungsmittel, um ihre Bevölkerung auch nur von Kartoffeln und trocken Brot zu ernähren (geschweige denn ihre Tiere von Steckrüben oder Mais - die würden noch früher verhungern als die Menschen)! Es käme zu Hungersnöten und Aufständen - denn die Menschen heute sind nicht mehr so geduldig wie noch vor 100, 200 Jahren, als Millionen stillschweigend verhungerten. (Es gäbe auch nicht mehr genug Militär und Polizei, um solche Aufstände nieder zu schlagen.) Und neue Kredite von außen? Ja, die kann man bekommen, solange es überhaupt noch Kredit gibt. Wenn aber das ganze Weltfinanzsystem zusammen bricht, dann geht auch das nicht mehr - und seit Herbst 2008 ist das de facto der Fall; da helfen auch staatliche "Konjunktur-Pakete", Bürgschaften und Garantien auf Dauer nichts, egal wie hoch und wie weit reichend; denn die sind ja im Grunde nichts anderes als es früher der Griff zur Notenpresse war, d.h. ungedeckte Wechsel auf die Zukunft und ein ungeheures Anheizen der Inflation. Eine vor die Wand gefahrene (Volks- oder Welt-)Wirtschaft kann man nicht so einfach wieder flott machen, indem man Nullen auf Papier schreibt.

Schockiert, liebe Leser? Dabei hat Dikigoros die schlimmsten Stufen einer ausufernden "Globalisierung" noch gar nicht betreten! Ihr meint, die Energieversorgung, bei der wir auch sooo erpreßbar sind, die kurz vor der Weltfinanzkrise zu einer Verfünffachung des Öl- und Gaspreises geführt hatte? Pardon, aber das ist doch nur ein Scheinproblem: Kaum sank infolge der Wirtschaftsflaute die Nachfrage, fiel auch der Öl- und Gaspreis wieder auf ein halbwegs vernünftiges Niveau; denn wenn keine neuen Autos und Flugzeuge mehr gebaut und benutzt werden, braucht man auch keinen Treibstoff mehr; und es ist ja nicht wirklich lebensnotwendig, daß jeder faule Hund zum Briefkasten oder zur Arbeit mit dem eigenen Auto fährt! (Auch nicht, daß jeder Warmduscher seine Wohnung im Winter auf 25° heizt, statt auch zuhause mal einen etwas dickeren Pullover und warme Wollsocken anzuziehen - das stützt die Textil-Industrie :-) Außerdem ist es - trotz einer unverantwortlichen, ja verbrecherischen Politik der so genannten "Umweltschützer" - noch möglich, unsere Energieversorgung auf Atomkraft umzustellen. (Und wenn das BRDDR-Regime das versäumt, werden die Nachbarländer, vor allem Frankreich, uns sicher Atomstrom verkaufen.) Alles halb so wild. Aber wir müssen noch einmal auf die "Arbeitsteilung" zurück kommen und auf die Waren, die zwar auch zuhause hergestellt werden können, aber halt nur zu einem höheren Preis. Wie kann man da Abhilfe schaffen, wenn man sich nicht vom Ausland abhängig machen will? Nun, das haben uns die großen Wirtschaftsmächte doch zu allen Zeiten vorgemacht: Durch Ausbeutung von Arbeitssklaven. (Die Rotchinesen tun ja auch nichts anderes :-) Ach richtig, sagt Lieschen Müller, so war das ja: Die bösen Weißen, die zu faul waren, um selber Tabak und Baumwolle anzubauen, fuhren einfach nach Afrika, fingen dort die armen Negerlein ein und zwangen sie, auf ihren Plantagen zu schuften. Und dann waren da die Zwangs- und Fremdarbeiter usw. usw. Aber pardon, so einfach ist das nicht - ganz im Gegenteil: Noch nie - auch nicht in den Sklavenstaaten Babylons, Ägyptens, Griechenlands, Roms, Mittel- und Südamerikas vor Kolumbus - konnte eine Volkswirtschaft ausschließlich auf der Ausbeutung von Zwangsarbeitern beruhen; hinter jedem Arbeiter hätte ja sonst ein Aufseher/Soldat o.ä. stehen müssen, um diesen zu bewachen, damit er nicht die Arbeit einstellt oder davon läuft; und da auch die Sklaven irgendwie mit ernährt werden mußten, um sie als "Produktions-Kapital" zu erhalten, wäre das unökonomisch gewesen; da hätten die Aufseher gleich selber arbeiten können. Nein, der Ärger ist, daß diese "Sklaven" und "Zwangsarbeiter" oft freiwillig kamen und kommen. Die Weißen fuhren nicht nach Afrika und "raubten" dort die Neger; diese wurden vielmehr in der Regel von ihren eigenen Häuptlingen verkauft und als "Sklaven" bei den Weißen auch nicht schlechter behandelt - vielfach sogar besser - als von ihren eigenen Herren zuhause in Afrika. Daß die während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland eingesetzten "Zwangsarbeiter" in Wahrheit zu 99% angeworbene Freiwillige waren, darf zwar heute nicht mehr offen ausgesprochen werden; aber jeder, der diese Zeit noch mit erlebt hat und welche kannte, wird es Euch bestätigen. (Die verschleppten Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten dagegen nicht freiwillig; aber sie haben die Volkswirtschaft der Sowjetunion und anderer Sklavenstaaten auch nur unwesentlich bereichert.) Und heute? Da kommen jedes Jahr Millionen moderner Arbeitssklaven aus aller Welt (vor allem, aber nicht nur, der so genannten "dritten") freiwillig nach Europa, um als Illegale "schwarz" zu arbeiten - ohne sie wäre manche Volkswirtschaft, oder zumindest manche Bauwirtschaft, z.B. die italienische und die spanische (böse Zungen behaupten: auch die deutsche :-) längst zusammen gebrochen, denn zu deren Hungerlöhnen wären Einheimische angesichts des doch relativ bequemen sozialen Netzes (nein, Dikigoros schreibt nicht "Hängematte", denn er weiß, daß es gar nicht so bequem ist, in einer Hängematte zu schlafen!) gar nicht bereit zu arbeiten - von den übrigen Lebensumständen (Unterkunft, Verpflegung, Behandlung) ganz zu schweigen. Solche Methoden ruinieren eine Volkswirtschaft aber auf die Dauer genau so, als wenn man die Arbeiter draußen und den billigen Ramsch im Ausland herstellen ließe, um ihn dann zu importieren - Abhängigkeit und Erpreßbarkeit hin oder her; denn der soziale Sprengstoff, der aus ihrer permanenten Anwesenheit im Inland resultiert, ist eine noch viel größere Gefahr: Die Schweinehunde von "Unternehmern" (Dikigoros ist versucht, hier das englische Wort "undertaker" zu gebrauchen, aber den Witz würde ja niemand verstehen), die sich ihrer bedienen und sie ausbeuten, um sich selber immer mehr Nullen auf ihre Konten in Liechtenstein, auf den Bahamas oder sonstwo (auch das ist eine Form der "Globalisierung"!) zu schreiben, nehmen ja dafür den "Eingeborenen" ihre Arbeitsplätze weg und stürzen sie dadurch in Armut und Unzufriedenheit. (Und jene Ausbeuter tun über die politischen Parteien und andere kriminelle Vereinigungen Lobbyisten-Verbände mit ihren Schmiergeldern alles, damit ihre illegalen Schwarzarbeiter unter dem Deckmäntelchen der "humanitären Gründe" nicht abgeschoben, sondern im Lande geduldet werden - bisher mit Erfolg.) Der Druck im Kessel dieser Globalisierung nimmt zu; und viele von Dikigoros' Lesern werden noch mit erleben, wie er platzt. Die einzige Frage ist, an welcher Ecke, d.h. wer wird zuerst den Aufstand proben: die 'zig Millionen freiwillig gekommener fremder Arbeitssklaven, oder die 'zig Millionen Einheimischen, gegen deren Willen sie gekommen sind und denen sie die legale Arbeit weg genommen haben?

Und - wer will jetzt noch der müßigen Frage nachgehen, ob Marco Polos Buch ein Reisebericht war oder bloß eine Sage? Die Frage muß ganz anders lauten: War nicht die Geschichte von der Machbarkeit der totalen Globalisierung, die mit ihm unmerklich begann, bloß eine Sage (wenngleich sie vielleicht - wie so viele Sagen - einen wahren Kern hatte)? Und diese Frage würde Dikigoros heute, ohne ein ausgesprochener Pessimist zu sein, mit "ja" beantworten.


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