Vor genau 20 Jahren ereignete sich die größte Pleite im deutschen Nachkriegs-Journalismus: Der "Stern" hatte plump gefälschte Tagebücher von Adolf Hitler als echt angesehen, für fast zehn Millionen Mark gekauft und veröffentlicht.
Nur zehn Tage hielt der Schwindel dem Blick der Fachleute stand. Dann war aus
dem Enthüllungsmagazin "Stern" die Lachnummer der Nation geworden. Vom
Einbruch der Auflage erholte sich das Blatt nie wieder ganz, auch wenn die
heutige Chefredaktion keine Folgeschäden mehr erkennt.
Am 25. April 1983 ging aus dem Hamburger Verlagshaus an der Außenalster eine
Nachricht um die Welt: Die angeblichen Tagebücher von Hitler wurden
öffentlich vorgezeigt. Chefredakteur Peter Koch tönte, die Geschichte des
Dritten Reiches müsse "in weiten Teilen" neu geschrieben werden. Auch
dabei: "Stern"-Reporter Gerd Heidemann. Er hatte die Fundsachen
angeschleppt. Seine Geschichte: Die 60 Kladden waren in einem Flugzeug,
das in den Wirren des Kriegsendes in Sachsen abstürzte. Heidemann hatte schon früher Material aus der DDR besorgt und galt als Nazi-besessen.
Einige Historiker hatten die gebundenen Hefte kurz durchsehen dürfen. Ihr Urteil: echt. Die hochkarätige "Stern"-Redaktion und die Profi-Recherche-Abteilung des Blattes dagegen wurden übergangen. Verlagsleitung und Chefredaktion hatten den Scoop - so nennen wichtige Journalisten tolle Geschichten - an allen vorbei durchgezogen. Ihr Pech: Sie waren in der Gier nach einer exklusiven Super-Story auf einen kleinen vorbestraften Fälscher, Konrad Kujau, und seinen Komplizen Heidemann herein gefallen. Am Ende waren die Millionen weg, der gute Name und auch zwei Chefredakteure.
Große Teile aus Reden abgeschrieben
Stolz hielten Heidemann und die anderen "Stern"-Größen die schwarzen Büchlein in die Kameras. Dass als Abkürzung "FH" statt "AH" vorne drauf stand, ging in der Aufregung unter. Das war nicht der einzige Fehler, der den Experten vom Bundesarchiv in Koblenz auffiel - an sie hatte der "Stern" nach großem öffentlichen Druck einige Bücher übergeben.
Eine "grotesk oberflächliche Fälschung" sei das, stellten die Fachleute am 5. Mai fest. Große Teile hatte Kujau aus Reden und Proklamationen Hitlers abgeschrieben - und mit Sprüchen wie über angeblichen Mundgeruch von Eva Braun aufgepeppt. Auch das Papier und die Bindefäden waren aus Material, das es 1945 noch nicht gab.
Kujau und Heidemann kamen vor Gericht, beide erhielten Haftstrafen von mehr als vier Jahren. Kujau starb 2000 an Krebs. Heidemann lebt als Rentner in Hamburg.
Die Tagebücher lagern heute fest verschlossen im Keller des neuen Gruner+Jahr-Hauses. Der "Stern" hat dieser Tage mal wieder den "Spiegel" in der Auflage überholt. (Da hatte der Spiegel noch keinen
Claas Relotius,
Anm. Dikigoros :-) "Wir sind der Ansicht, dass heute keine Folgeschäden mehr erkennbar sind", sagt Chefredakteur Thomas Osterkorn über die Geschichte. Doch die Auflagenhöhen der frühen 1980er Jahre sind in weiter Ferne.
Ob das Renommee sich voll erholt hat, dafür gibt es keine Gradskala. Das Blatt selbst erinnert am kommenden Donnerstag nur verschämt an seine düsterste Stunde: Auf Seite 170 klemmte die Redaktion ein paar selbstkritische Zeilen neben das Impressum.
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