SCHTONK - EIN EISHAUCH DER GESCHICHTE
"Hoffentlich bekomme ich für Eva noch Karten..."
Vom "Sensationsfund" zur größten Blamage der Pressegeschichte
Uwe Ochsenknecht als fa(e)lsche(nde)r Professor Fritz Knobel alias Konrad Kujau
(und Götz George als Skandal-Reporter Hermann Willié alias Gerd Heidemann)

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HELMUT DIETL: SCHTONK (1992)
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[Schtonk] [Filmszenen]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE [UN]SCHÖNE WELT DER ILLUSIONEN

(von Filmen, Schauspielern und ihren [Vor-]Bildern)

Dikigoros muß einräumen, daß auch ihn bei diesem Film ein "Eishauch der Geschichte" überläuft, denn er hat nicht nur die merkwürdigen Umstände der Aufdeckung der Fälschung der Hitler-Tagebücher anno 1983 (und des plötzlichen Todes ihm persönlich bekannter Gutachter, die sie für echt befunden hatten) mit erlebt, sondern auch den skandalösen Prozeß gegen die beiden Hauptbeteiligten, den mysteriösen Tod der - im Film nicht vorkommenden - Hauptgestalt der ersten Stern-Veröffentlichung und nun auch die neuesten Spekulationen um den Inhalt der britischen Geheimarchive zu diesem Thema. Und er hat inzwischen auch das eigentliche Opfer dieser Affaire kennen gelernt, den armen Gerd Heidemann, der heute als gebrochener Mann von Sozialhilfe lebt, und dem nie jemand geglaubt hat - vor allem kein Richter -, während der clevere Drahtzieher Konny Kujau sein[e] Geheimnis[se] vor Jahr und Tag mit ins Grab genommen hat. So gibt es also nun niemanden mehr, dem diese Zeilen schaden könnten, denn auch der Regisseur Helmut Dietl (nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem WK-II-General Eduard Dietl) und seine Mitspieler in diesem schmutzigen Spiel haben ja ihre finanziellen Schäfchen aufs Trockene gebracht. Dikigoros kann also vorab feststellen, daß es sich bei dem Film um eine wirklich (zur Bedeutung dieses Wortes vgl. die Einleitung zu "Die [un]schöne Welt der Illusionen") gut gemachte Komödie handelt, mit viel Tempo, hervorragender Filmmusik und hochkarätigen Schauspielern. Allerdings ist die zweite Hauptrolle mit Götz George als Skandal-Reporter Hermann Willié (Gerd Heidemann) völlig "gegen den Typ besetzt", denn der ist das genaue Gegenteil des echten Heidemann (der von ihm gesagt hat, daß der frühere Stern-Chef Henry Nannen so etwas "keine drei Tage" beschäftigt hätte); und auch Uwe Ochsenknecht als "Universal-Fälscher" Fritz Knobel hat eigentlich wenig Ähnlichkeit mit dem echten Konrad Kujau - geschweige denn der farblose Ossi Ulrich Mühe als dümmlicher Dr. Wieland (Chef der Hamburger Illustrierten HH-press) mit dem ehemaligen Gruner & Jahr-Chef Dr. Manfred Fischer, geschweige denn mit dessen Nachfolger, dem späteren Bertelsmann-Chef Gerd Schulte-Hillen. Der einzige Schauspieler, der einer der echten Personen verblüffend ähnlich sieht, ist Martin Benrath (der kurz vor Kujau und Dr. Fischer das Zeitliche segnen sollte); aber der spielt im Film nicht etwa seinen Doppelgänger, den Chef-Redakteur Peter Ferdinand Koch ("Kurt Glück"), sondern dessen Kollegen Felix Schmidt ("Uwe Esser"). Wie dem auch sei, Uwe Ochsenknecht - ein mittelmäßiger Schauspieler, der sonst nur mittelmäßige Rollen gespielt hat, mit denen ihn niemand identifiziert - wird in die Hinterköpfe des Publikums eingehen als das Gesicht Kujaus und damit als die [falsche] Hand Hitlers.

Zum Plot [Dikigoros erlaubt sich, die vielen Frauengeschichten, die z.T. sehr witzig sind, aber nichts zur Handlung beitragen, weg zu lassen]: Der falsche "Professor" Fritz Knobel handelt mit Militaria und Devotionalien aus dem Dritten Reich. Karl Lentz, ein alter Nazi und Nähmaschinen-Fabrikant, kauft ihm ein "Originalbild des Führers" ab (einen Akt Eva Brauns [tatsächlich handelt es sich um die Nachahmung eines Aktes von Geli Raubal, den ihr Onkel Adolf 1929 gezeichnet - nicht gemalt - hatte; Absicht oder Schlamperei Dietls? Oder einfach nur Konzession an den mutmaßlichen Publikumsgeschmack, der "was Nacktes" sehen wollte?]), das Knobel selber gepinselt hat, und ist sehr zufrieden damit, zumal der zur Begutachtung hinzu gezogene "Professor Strasser" - ein Wichtigtuer, der sich als "persönlicher Kunstexperte des Führers" aufspielt - prompt die "absolute Echtheit" bestätigt. Er, Strasser, sei nämlich dabei gewesen, als Hitler das Bild malte ("auf der Wiese hinterm Berghof unterm Watzmann, an einem wunderschönen Sommertag im Juli 1939, nachmittags so gegen fünf" - dieses Gemälde gab es übrigens auch; aber es sah halt ganz anders aus als die Zeichnung von Geli Raubal und das dieser nachempfundene Gemälde von Veronica Ferres im Film :-), und er habe auch ein bekanntes Buch darüber geschrieben - "Der Führer und ich" -, in dem enthüllt werde, wann, wie und wo es verloren ging: im April 1945, bei einem Flugzeugabsturz über Börnersdorf in Sachsen, wobei auch noch alle möglichen anderen Dinge weg kamen, unter anderem Tagebücher. Knobel besorgt sich dieses Buch und läßt sich davon inspirieren, auch "das Tagebuch unseres Führers Adolf Hitler aus dem Jahre 1945" zu verfassen und es ebenfalls an den dankbaren Karl Lentz zu verkaufen. Bei der Vorstellung im Kreise "alter Kameraden" - anläßlich einer großen Feier zu "Führers Geburtstag" - hat Lentz freilich Probleme mit der "altdeutschen" Sütterlin-Handschrift und liest "Gott sei Dank" als "Kotze schtonk".

Exkurs. Danach ist vordergründig der Film-Titel gewählt - was man freilich nur einem Kino-Publikum weis machen kann, das jene Schrift selber nicht mehr kennt, denn diese Verlesung ist völlig ausgeschlossen. Tatsächlich hat Dietl dieses jiddische Wort aus dem Film "The Great Dictator [Der große Diktator]" von und mit seinem Glaubensbruder Charles ('Charlie') Chaplin abgekupfert - was zugleich zeigt, wes Geistes Kind er ist. Aber wahrscheinlich hat Dietl den Treppenwitz der Geschichte gar nicht verstanden: Wenngleich Chaplin dem "großen Diktator" Hynkel seine eigenen Züge - also vordergründig die Hitlers - verliehen hat, so wußte er doch sehr wohl (und er sollte es nach 1945, als der Mohr seine Schuldigkeit getan hatte, noch am eigenen Leibe erfahren), daß die Juden in den USA nicht weniger diskriminiert wurden als in Deutschland, eher im Gegenteil: Anno 1917 (in dem "Der große Diktator" beginnt) kam es in den USA zu einer unglaublichen Hysterie und Verfolgung aller Deutschstämmiger (und mithin auch der damals noch überwiegend Jiddisch sprechenden Juden), die so weit ging, daß selbst Wiener Schnitzel, Sauerkraut, Lagerbier (den Amerikanern bis heute Inbegriffe "deutscher Eßkultur", auch wenn sie unter "Wienersnitzel" inzwischen das verstehen, was die Deutschen früher "Wiener Würstchen" und heute auf Neudeutsch "Hot Dog" nennen) verboten wurden. (Das sollte übrigens kein Einzelfall Mal bleiben: Als Frankreich sich 86 Jahre später weigerte, den Krieg der U.S.A. gegen den Irak mit zu tragen, verbot der Senat die Bezeichnung "French Fries" [französische Fritten] und führte statt dessen die Bezeichnung "Freedom Fries [Freiheits-Fritten]" ein; und als sich gar die Türkei [englisch "Turkey"] weigerte, amerikanische Bodentruppen in das Móssul-Gebiet - das sie sich lieber selber unter den Nagel reißen wollte - einmarschieren zu lassen, wurde auch der Amerikaner liebstes Geflügel, der Truthahn [englisch ebenfalls "Turkey"] zum Liberty Bird [Freiheitsvogel]" :-) Und obwohl die amerikanischen Kinogänger von 1939 eigentlich schon wissen mußten, wer und was gemeint war, wenn Hynkel aufzählt, was alles "schtonk" ist und deshalb abgeschafft oder zumindest massiv eingeschränkt wurde (durch seinen Glaubensbruder, den Anfang 1933 an die Macht gekommenen US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, aus dessen Amtsantrittsrede er "unauffällig" zitiert), nämlich Demokratie, politische und Rede-Freiheit, fügt Chaplin auch noch Wiener Schnitzel, hinzu, Lagerbier und Sauerkraut - das im Ersten Weltkrieg ganz offiziell umbenannt wurde in "Liberty Cabbage [Freiheits-Kohl]", in Anlehnung an die "Liberty Bonds" [Kriegsanleihen], die praktisch jeder Amerikaner zu zeichnen gezwungen wurde. Ja, liebe Leser, das deutsche Publikum mochte Hynkels Armbinden für Hakenkreuz-Imitationen halten - da stimmen indes weder Form noch Inhalt. Aber jeder amerikanische Kinogänger erkannte die - kaum verfremdete - Vorlage sofort wieder: Es war das Kreuz des berühmt-berüchtigten KuKluxKlan, der Schwarze und Ausländer, vor allem deutsch-jüdische Immigranten, verfolgte und bedrohte. Und für die letzten Zweifler: "Tomania", das Land des "großen Diktators", hat "die größte Armee der Welt", "die größte Flotte der Welt", eine Luftwaffe mit "Fliegenden Festungen" und außerdem noch richtige Ghetto's, und die "Tomania Gazette" widmet eine ihrer Schlagzeilen dem Boxkampf um die Schwergewichts-Weltmeisterschaft zwischen Jack Dempsey und Jess Willard. Welches Land kann damit wohl gemeint sein? Etwa die USA, wo gerade der Film jenes Boxkampfes, nach über 20 Jahren Sperre, endlich frei gegeben und zum Kassenhits in den Kinos geworden war?

Roosevelt hatte nicht die geringsten Zweifel - zumal er, der sich außerhalb seines Rollstuhls allenfalls hinkend fortbewegen konnte, genügend Deutsch verstand, um die Bedeutung von "Hynkel" zu kennen. Und die rechte Hand des großen Diktators trug zwar auf den ersten Blick die Züge Görings, aber nicht etwa den Namen "Hering", mit geschlossenem "e", sondern den Namen "Herring", mit offenem "ä" gesprochen - und das erinnerte an Harry Hopkins, Roosevelts engsten Vertrauten. Der wollte den Film sofort verbieten; aber dann einigte man sich schließlich darauf, offiziell zu verlautbaren, daß mit Hynkel allein Hitler gemeint sei. (Eine bemerkenswerte Parallele zu Orwell's "Animal Farm [Farm der Tiere]", die ausweislich seines vier Jahrzehnte lang unterdrückten Testaments die Sowjetunion - und nur die Sowjetunion - meinte; aber noch Dikigoros mußte auf der Schule die "amtliche" Version lernen, daß damit vielmehr das Dritte Reich gemeint sei, mit "Napoleon" nicht Stalin, sondern Hitler und mit "Schneeball" nicht Trotski, sondern - ja, wer eigentlich? Röhm? Das paßte doch gar nicht! Egal, als Schüler wollte man das eh nicht so genau wissen...) Dabei spricht Hynkel mit geradezu grotesk auffälligem jiddischem Akzent, was man von Hitler nun wahrlich nicht behaupten konnte. (Von Roosevelt auch nicht - aber die Anspielung war eindeutig.) Vielleicht war sogar die berühmte Szene mit der Weltkugel, die neuerdings auch als DVD-Cover herhalten muß, eine Anspielung? Hitler hat ja im Gegensatz zu Hynkel nie einen Globus im Arbeitszimmer gehabt (geschweige denn eine Büste von Abraham Lincoln :-) wie Roosevelt, dessen Namen für des Jiddischen nicht mächtige Amerikaner ohnehin leicht mit "Ruletheworld [beherrsche die Welt]" assoziiert werden kann, zumal er ständig das Wort "Welt" im Munde führte. Schon bei seiner Antrittsrede als U.S.-Präsident am 4. März 1933 (für alle, die den Link oben nicht angeklickt oder nicht so genau auf das Bild geachtet haben - hier ist er noch einmal) hatte er vor seinem Rednerpult statt eines rechteckigen Sternenbanners demonstrativ einen Weltkreis mit Sternen und einem protzigen Reichs-, pardon See-Adler anbringen lassen. Ein letzter Clou dürfte freilich selbst Roosevelt entgangen sein - nicht einmal Dikigoros hätte ihn bemerkt, wenn ihn nicht ein besonders fleißiger und verdienstvoller Leser seiner "Reisen durch die Vergangenheit" darauf aufmerksam gemacht hätte: In der berühmten Abschlußrede, die der kleine Friseur hält, nachdem er in die Rolle des großen Diktators geschlüpft ist, in der er Freiheit für alle Völker und gleiche Rechte für alle Menschen - Schwarze, Weiße, Rote und Juden - anmahnt (in welchem Land konnte das wohl ein Problem sein?), gibt er vor, das 17. Buch des Lukas-Evangeliums zu zitieren, wenn er sagt: "Gott liegt in euch allen, und ihr als Volk habt allein die Kraft..." Aber davon steht nichts bei Lukas, sondern es handelt sich um das nur leicht abgewandelte Zitat aus - einer Rede Hitlers! Nein, nicht aus der allseits bekannten Radio-Ansprache vom 1. Februar 1933, über die sich Neo-Nazis und Antifa-Kämpfer in diversen Internet-Foren streiten wie um des Kaisers Bart, sondern aus der weniger bekannten Sportpalast-Rede vom 10. Februar 1933. Als böser Diktator zitierte Chaplin also aus Roosevelts Amtsantrittsrede, als guter Friseur aus einer Rede Hitlers? Ja, liebe Leser, der britische Jude Chaplin war eben nicht nur ein Feind der Deutschen und des National-Sozialismus, sondern auch ein Feind der Amerikaner und des Kapitalismus; als überzeugter Kommunist wollte er durch die Hintertür zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen - die eine vordergründig, die andere etwas hintergründiger. Chaplin wurde nach 1945 halt doch nicht ganz ohne Grund verfolgt und sowohl in den USA als auch in Großbritannien des Landes verwiesen. (Er ging übrigens nicht nach Palästina, um beim Aufbau Israels mit zu helfen, wie es jeder anständige Jude damals getan hätte, sondern verpißte sich in die Schweiz, wie so viele andere prominente Juden auch - aber das ist eine andere Geschichte.) Bleibt noch nachzutragen, daß Roosevelts Amtsantrittsrede wenige Monate, nachdem "Karten für Eva" online gegangen war, aus dem Web verschwand, selbst aus dem halbamtlichen Douglass-Archiv, das die Amtsantrittsreden aller anderen U.S.-Präsidenten enthält. Ihr findet sie also einstweilen nur noch bei Dikigoros, der sie rechtzeitig zuvor kopiert hat.

Nachtrag auf eine Lesermail: Aber damit ist doch nur die zweite Hälfte von Karl Lentz' Satz erklärt - was ist denn mit der ersten? Berechtigte Frage. Habt Ihr Euch auch schon gefragt, liebe Leser, warum im Vorspann völlig überflüssiger Weise der - schon im Originalfilm, nämlich "Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl - völlig überflüssige Satz von Rudolf Hess "Es spricht der Führer" so penetrant wiederholt wird? (Zweimal überflüssig, auf dem Nürnberger Reichsparteitag, weil ohnehin jeder wußte, wer da sprach, und in "Schtonk", weil er danach ja gar nicht spricht!) Nun, als Dietl seinen Film drehte, hatte sich die offizielle Politik darauf geeinigt, daß Kujau die "Hitler-Tagebücher" aus Max Domarus' "Hitler, Reden und Proklamationen" von 1965 abgeschrieben hatte. Wahrscheinlich suchte Dietl darin nach passenden Passagen, um sie entsprechend zu verhackstücken, wurde aber trotz vier dicker Bände nicht fündig. Also suchte er wohl weiter und stieß dabei auf eine andere, 1966 veröffentlichte Sammlung von Hitler-Reden mit dem Titel "Es spricht der Führer". Da schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er verwendete den Titel des Buchs für seinen Vorspann, und den Namen der Herausgeberin für den Spruch von Karl Lentz: Kotze! Exkurs und Nachtrag Ende.

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Zurück zu Dietls Plot: Mit einiger Mühe gelingt es Karl Lentz dann doch noch, den Text zu entziffern. Das Publikum ist gerührt, besonders bei dem Satz: "Ich habe beim Röhmputsch nicht geweint, ich hab am 20. Juli nicht geweint, nicht einmal bei Stalingrad hab ich auch nur eine Träne vergossen; aber heut nacht, da hab ich geweint - bitterlich." - "Unser Führer hat geweint?" fragt ein alter Obergruppenführer a.D. den neben ihm stehenden Professor Strasser. "Ja," gibt der zurück, "wußten Sie das nicht?" - "Nö." Aber der politisch korrekte Zuschauer wußte - selbst wenn er die erste halbe Stunde des Films verpaßt hatte - spätestens an dieser Stelle, daß die Tagebücher eine Fälschung sein mußten; denn Hitler war ja kein Mensch, sondern ein Teufel in Menschengestalt und somit jeglicher Gefühlsregungen, wie sie Tränen ausdrücken, nicht fähig. Diese unumstößliche Doktrin gilt heute mehr denn je, deshalb will Dikigoros auch dazu ein paar Worte verlieren: Selbstverständlich können auch Schurken weinen - sogar (in alfabetischer Reihenfolge) Churchill, Eisenhower, Roosevelt und Stalin - auf die doch noch in viel höherem Maße als auf Hitler die allegoriche Bezeichnung "Teufel in Menschengestalt" zutrifft - sollen mal geweint haben. Und speziell von Hitler ist mindestens eine Gelegenheit glaubhaft überliefert, bei der er geweint hat, und zwar entgegen der Behauptung im Film ausgerechnet im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944, nämlich am Sterbebett seines Adjutanten Schmundt, der dem feigen Mordanschlag des Versagens und Verräters Schenk von Stauffenberg zum Opfer gefallen war. (Wer sich an dieser Bezeichnung stößt, möge den Link anklicken und lesen, was Dikigoros über jenen saubärnen Grafen geschrieben hat; wer dann noch anderer Meinung ist - oder irgendwelche Fehler entdeckt zu haben glaubt - darf ihm gerne mailen.) Ob Hitler aus Schmerz, Trauer oder Wut weinte, mag dahin stehen; aber der Verlust von Tagebüchern oder irgendwelcher anderer Sachen dürfte ihn nach all den Menschen, die er verloren hatte - worüber er nach allen Memoiren ihm nahestehender Personen häufig klagte -, kaum mehr zu Tränen gerührt haben. Wenn dieser Satz also tatsächlich in den Tagebüchern gestanden hätte (was nicht der Fall ist :-) hätte auch Dikigoros sie sofort als Fälschung erkannt.

Weiter im Filmplot: Zufällig ist bei der Tagebuch-Verlesung auch der HH-press-Reporter Hermann Willié anwesend, dem sein Ressort-Leiter Thomas Walde alias "Pit Kummer" (Harald Juhnke in seiner letzten großen Rolle - die er glänzend spielt, er ist eigentlich die einzige Nicht-Fehlbesetzung) erst kürzlich den Marsch geblasen hat, weil er ihm schon lange keinen echten "Knaller" mehr geliefert habe, nur "so'n Kack da", wie den von der Chef-Redaktion mit Empörung ("wir wollen Ihren Nazi-Scheiß nicht mehr sehen, davon will keiner mehr etwas wissen, niemand und niemals!") zurück gewiesenen Bericht über die alte Yacht von Hermann Göring, die Willié privat gekauft hat. (Diese recht amüsante Szene - die auf dem jedem Hamburger vertrauten "Affenfelsen" spielt, dem häßlichen Klotz, in dem der Stern sitzt - soll zeigen, was für lächerliche Figuren bei HH-press das Sagen haben.) Diesem Willié bietet Knobel auf Befragen an, weitere Tagebücher Hitlers zu besorgen. Der Reporter, durch den Kauf der Göring-Yacht in ziemlicher Geldnot, wittert das große Geschäft. Er macht sich sogleich an die Überprüfung der Behauptung, daß in den letzten Kriegstagen ein Flugzeug mit persönlichen Aufzeichnungen Hitlers über Börnersdorf bei Dresden abgestürzt sei, indem er noch in derselben Nacht spontan hin fährt (unter Bestechung eines Busfahrers und eines DDR-Grenzers) und erst sich, dann auch seine Vorgesetzten - von Pit bis zu Dr. Wieland, dem aalglatten, etwas beschränkten Verlagsleiter von "HH-press", der ursprünglich lieber "jemand seriöseres" auf dieses "delikate Thema" hätte ansetzen wollen als "ausgerechnet diesen schmierigen Willié" - anhand fragwürdiger Indizien überzeugt, daß das alles seine Richtigkeit habe. Eines dieser Indizien ist ein Trümmerteil des abgestürzten Flugzeugs, das Willié stolz präsentiert, und bei dessen Anblick Dr. Wieland einen Spruch aufsagt, der auch ihn als heimlichen Nazi entlarven soll: "Abgeschmiert aus 100 Metern, aus der alten Tante Ju..." (Dikigoros war zwar nicht bei den Fallschirmjägern, aber er dachte immer, deren Lieblingslied sei "Rot scheint die Sonne" gewesen - und der Titel hätte auch viel besser gepaßt zu dem roten Gesocks beim Stern als jener makabre Text, den man dem alten russischen ukraïnischen Lied von Stenka Razin untergeschobenlegt hat; aber Dietl hat überhaupt nicht gedient, woher sollte er das also wissen :-) Dr. Wieland ist schon schwer beeindruckt, bevor er den Inhalt der Tagebücher überhaupt gesehen hat; als er den ersten Band von Kummer in die Hand gedrückt bekommt, sinniert er feierlich: "Wenn ich denke, daß wir jetzt in Händen halten, was seine Hände einst berührt haben... dann weht einen hier schon so etwas an, so ein... Eishauch der Geschichte." Ausschlaggebend bei der Überzeugungsarbeit ist jedoch die mühsame Entzifferung des Satzes: "Die ständigen Anstrengungen der letzten Wochen verursachen mir Blähungen im Darmbereich, und Eva sagt ich habe Mundgeruch." Solch ein "intimes Geständnis" muß einfach echt sein, denn wer würde so etwas erfinden? Dr. Wieland (der das ganze kurz zuvor noch "eine ziemlich braune Sauce" genannt hatte) macht das Geld für den großen Coup locker, und Willié sucht unter konspirativen Umständen "Professor" Knobel auf und beauftragt ihn, die restlichen Tagebuchbände zu beschaffen, für je 40.000.- DM. Knobel macht sich gleich an die Arbeit, d.h. er beginnt, mit selbst gemischter Tinte und einem Vorrat alter DDR-Schulkladden ("mit diesem fabelhaft hohen Anteil von Lumpen und Altpapier") lauter Banalitäten aus seinem eigenen Leben nieder zu schreiben, die er als Hitlers Erlebnisse und Gedanken ausgibt. ("Die Olympischen Spiele sind schon fast ausverkauft; hoffentlich bekomme ich für Eva noch Karten.")

Allerdings gibt es Probleme: Die mißtrauische Chefredaktion besteht "in Kenntnis der Person des Herrn Willié" darauf, daß drei unabhängige Schriftsachverständige ("ein Neutraler, ein Jude und ein alter Nazi") die Tagebücher vor einer Veröffentlichung auf ihre Echtheit prüfen. Nun bekommen Willié und Knobel doch kalte Füße, vielmehr Fieber, ja Todesangst: Willié läßt schon einen Priester zur letzten Beichte kommen, der zum Glück nicht versteht, was er ihm sagen will. (Eine köstliche Szene, die wieder nur an Dietls Unkenntnis des Treppenwitzes krankt: Die "Paulusbriefe", die er als Parallele zu den Hitler-Tagebüchern heran zieht, sind nämlich tatsächlich eine Fälschung, und niemand geht zum Papst und sagt ihm das. Der dürfte das freilich - im Gegensatz zu den meisten seiner dumm gehaltenen Schäfchen - ohnehin längst wissen. Wenn Ihr Euch den langen Link antun wollt, liebe Leser, könnt Ihr die Einzelheiten hier nachlesen - aber Vorsicht, es handelt sich um die mehr als umfangreiche, hochwissenschaftliche Abhandlung eines auf Bibel-Exegese spezialisierten Theologie-Professors, also ganz schwere Kost!) Auch Knobel glaubt sein letztes Stündchen gekommen; er fürchtet, daß die Gutachter seinen Taschenspielertrick durchschauen - er hatte dem Verlag über Willié als "Vergleichsmaterial" einen Brief Hitlers (an Prof. h.c. Ferdinand Porsche, mit dem Befehl, einen Volkswagen zu erfinden) unter gejubelt, den er ebenfalls selber geschrieben hat. Unnötige Sorgen: Alle drei Gutachter lassen sich täuschen, d.h. sie bestätigen übereinstimmend, daß die Schriftproben vom selben Verfasser herrühren (was ja auch stimmt). Der Verlag läßt die Echtheit der Tagebücher notariell beglaubigen (in der pompösen Kanzlei des Dr. Cornelius - wieder eine köstliche Szene) und verkauft dann die Rechte zum Abdruck ihres Inhalts weltweit. Das erfreuliche Ergebnis (und sein Berufs-Jubiläum) feiert Willié zünftig auf der frisch renovierten "Carin II", zusammen mit seinen Kollegen und Vorgesetzten, die in ihm plötzlich keinen zwielichtigen Schmierfinken mehr sehen, sondern die große "Supernase", die ja schon immer die besten Stories aufgespürt hat. (Dr. Wieland schreibt sogar einen eigenen, ziemlich lächerlichen Text auf die Melodie von "La Paloma adé" und gibt das ganze höchstpersönlich zum besten.) Zur offiziellen Vorstellung des "Funds" wird eine große, von Journalisten und Fernseh-Teams aus aller Welt besuchte Pressekonferenz anberaumt, auf der sich alle Beteiligten - außer Knobel, der schon seine Flucht vorbereitet - darum reißen, die Haupt-Verantwortlichen für diese "sensationelle Entdeckung" zu sein, vor allem Willié.

[George]"
Pressekonferenz im Film: alle jubeln Willié zu...
[Heidemann] [Irving]
und so war es wirklich: Heidemann (links) und Irving (rechts) streiten über die Echtheit der Tagebücher

Der kann seinen Ruhm freilich nur kurze Zeit genießen ("Das gibt's nur einmal, das kommt nie wieder, das ist zu schön um wahr zu sein..." trällert Lilian Harvey in einem alten Film-Schlager von 1931): Das Bundeskriminalamt stellt anhand inhaltlicher Kriterien und einer Materialprobe der Kladden einwandfrei fest, daß die Tagebücher eine plumpe Fälschung sind; der Ruf (und die an Willié gezahlten Millionen) des Verlags sind dahin; die Verantwortlichen werden gefeuert; Knobel setzt sich mit einem gefälschten Paß ins Ausland ab; Willié - der sich prompt auf die Suche nach Adolf Hitler machen will, denn wenn die Tagebücher erst nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben wurden, dann sei das doch der Beweis dafür, daß der Führer noch lebe - wird verhaftet (jedenfalls im Drehbuch; im Film hat man das Ende weg geschnitten, er endet mit dem Aufheulen der Sirenen der Hafenpolizei). So weit, so schlecht - aber zweifelt der geneigte Leser, nachdem er die Geschichten der anderen Filme aus "Die [un]schöne Welt der Illusionen" kennen gelernt hat, noch daran, daß auch bei diesem letzten in Wahrheit alles ganz anders war?


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