Der Lehrer und sein Geschichtsbild
JEAN-JACQUES ROUSSEAU:
DU CONTRACT SOCIAL*
*Vom Gesellschaftsvertrag

[Contract]

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
PAPIER IST GEDULDIG
Bücher die Geschichte machten

"Der erste Mensch der sagte: Das gehört mir, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft.
Welches Elend und welche Schrecken wären der Menschheit erspart geblieben, wenn ihm einer
geantwortet hätte: Hütet Euch, auf jenen Hochstapler zu hören, Ihr seid verloren, wenn Ihr
vergeßt, daß die Früchte allen gehören, und die Erde niemandem." (Rousseau, 1755)

[J. J. Rousseua]

"Es ist völlig falsch zu behaupten, daß der Eigentumsbegriff des primitiven Menschen so gering ausgebildet
ist, daß er keinen Besitz von Grund und Boden kennt. Individuelles Grundeigentum kennt er freilich
nicht, wohl aber eins der blutverbundenen Sippe. Das gilt auch von Jäger- und Fischervölkern,
die ihre abgegrenzten Jagdgebiete haben, selbst von den Herden der Steppentiere, die an
ihren bestimmten Weidegründen festhalten, oder den großen Raubkatzen, die
gewisse Jagdreviere für sich beanspruchen." (Colin Ross, 1937)

* * * * *

Mit dem obigen Zitat aus Rousseaus "Versuch über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen" pflegte Dikigoros' Doktorvater seine Staatsrechts-Vorlesungen einzuleiten, um seine Hörer dann ganz dumm zu fragen, wer von ihnen als braver Staatsbürger denn einen Vertrag - schriftlich oder auch nur mündlich - mit einem (oder mit mehreren) anderen braven Staatsbürger[n] oder gar mit denen an der Regierung geschlossen habe über das gemeinsame Zusammenleben in diesem unserem Lande. (Nein, das Wort "Staatsvertrag" war damals anderweitig belegt, aber das ist eine andere Geschichte.) Melden tat sich niemand; und am Ende mußte man sich darauf einigen, daß es ja auch stillschweigend eingegangene, so genannte "konkludente" Verträge gab - aber etwas dumm kam man sich schon vor. Nun war Rousseau, als er jenen Essay schrieb, kein dummer Junge mehr, sondern ein gestandener Mann von immerhin 43 Jahren - was mal wieder ein schlagender Beweis für die Richtigkeit des Satzes ist: "Alter schützt vor Torheit nicht." Oder formulieren wir es etwas höflicher und ersetzen "Torheit" durch "Unwissenheit". Woher hätte der Schweizer Hinterwäldler und Hinterweltler, der das Paradies auf Erden "wieder" herstellen wollte, auch wissen sollen, was dieses Wort ursprünglich bedeutete? Es ist eine Verballhornung des Alt-Persischen "Pairi daeeza", und das bedeutet: ein abgegrenztes (eingezäuntes, befestigtes) Stück Land, wie ja auch der "Garten Eden" ein verschließbares Tor hat, durch das Jahwe die Sünder Adam und Eva hinauswarf und sie anschließend nicht wieder hinein ließ. Nun hätte man Rousseau mit "Eden" nicht kommen dürfen, denn er war ein durch und durch a-religiöser, ja anti-religiöser Mensch. Von ihm stammt der Satz: "Das Christentum predigt nur Knechtschaft und Unterwerfung; sein Geist ist der Tyrannei allzu günstig, als daß sie nicht stets Gewinn daraus geschlagen hätte; wahre Christen sind zu wahren Sklaven bestimmt." Nun, man muß ja nicht an Gott als einen alten Mann mit langem weißen Bart glauben, nicht an die "Jungfrau" Maria (die nichts weiter als ein Übersetzungsfehler ist :-) und nicht an das liebe Jesulein, auch nicht an die Unsterblichkeit der Seele oder an den Aufenthalt im Paradies (oder der Hölle :-) nach dem "Jüngsten Gericht". Aber man kann doch mal fragen, welche Vorstellungen sich die Menschen - zu allen Zeiten und an allen Orten - von diesem Paradies gemacht haben. Rousseau sprach von "Früchten", dachte also auch an einen Garten. Aber was bedeutet dieses Wort eigentlich? Dikigoros will es Euch verraten: Es ist gemeinsames indoeuropäisches Sprachgut, das sich z.B. auch im russischen "gorod" bzw. im ukraïnischen "horod" wieder findet und last not least im deutschen "Hort". Das ist eine befestigte - und dadurch befriedete! - Einheit, in der man z.B. einen Schatz in Sicherheit bringen kann - weshalb der ebenso heißt. Die Menschen sahen also - längst bevor die Juden, Christen und Muslime mit ihrer Vorstellung von "Paradies" kamen - als ihr Ideal einen Ort an, der fest abgegrenzt war und ihnen Schutz gewährte, wo sie ihre Privatsfäre, und ja, auch ihr Privateigentum, genießen konnten! (Dikigoros könnte das noch anhand vieler anderer Sprachen belegen; aber er hat das Russische ausgewählt, weil man sich ja gerade in der Sowjet-Union ebenso intensiv wie letztlich erfolglos bemüht hat, den Menschen jenen ureigensten Instinkt auszutreiben und ihn durch ein künstliches System zu ersetzen, das man "Marxismus-Leninismus" nannte, das aber besser "Rousseauismus" heißen sollte.)

Weitere sieben Jahre später schrieb Rousseau das Buch, auf das Dikigoros' Doktorvater bei seiner Folgefrage anspielte: "Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundlagen [Prinzipien] des politischen Rechts". Nun waren das Begriffe, die in den Ohren angehender Juristen einen etwas merkwürdigen Klang hatten: Gesellschaftsvertrag, den schlossen die Gründer einer BGB-Gesellschaft, einer GmbH, einer OHG o.ä; "Sozietätsvertrag" ging auch nicht - den schlossen Rechtsanwälte, Steuerberater u.a. Angehörige der so genannten "freien Berufe". (Aber auf diese "Freiheit" wollte Rousseau natürlich nicht hinaus :-)

Exkurs auf die Mail eines Lesers hin. (Der eigentlich etwas verfrüht kommt, denn Dikigoros wollte auf das, was er hier einschiebt, eigentlich erst später eingehen, aber was solls.) Als Dikigoros studierte, gab es die so genannte "Reichsbürgerbewegung" noch nicht, von der die These stammt, die BRD sei nichts weiter als eine GmbH, d.h. eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Und hätte es sie schon gegeben, und hätte ein Hörer seines Doktorvaters diese These in die Vorlesung eingebracht, dann hätte er vermutlich schallendes Gelächter geerntet - damals freilich aus ganz anderen Gründen als heute. Heute hätte Dikigoros' Doktorvater, wenn er denn noch leben würde, darauf wahrscheinlich mit dem ihm eigenen Sarkasmus geantwortet: "Schön wär's, wenn die BRD eine privatrechtliche GmbH mit einem ordentlichen Gesellschaftsvertrag wäre!" Denn die Haftung der GmbH ist ja nur im Außenverhältnis beschränkt; im Innenverhältnis muß die Geschäftsführung den Gesellschaftern selbstverständlich unbeschränkt Rechenschaft ablegen über das, was sie tut oder nicht tut - es sei denn, die Arbeitsverträge und der Gesellschaftsvertrag würden nichts taugen, was leider immer öfter vorkommt, denn "Vertrag" kommt von "vertragen", und die ganze Juristenausbildung ist auf das genaue Gegenteil ausgelegt, nämlich den Rechtsstreit. Ein guter Vertrag landet nie vor Gericht, weil er Rechte und Pflichten der vertragschließenden Parteien - auch und insbesondere bei Leistungsstörungen (unter Laien meist "Vertragsverletzungen" genannt, aber das ist nur ein Unterfall, nämlich der einer vorsätzlich herbei geführten Leistungsstörung) - so genau festlegt, daß man darüber gar nicht zu streiten braucht. Aber viele Leute, die einen Vertrag, z.B. einen Gesellschaftsvertrag schließen wollen, glauben ja, die könnten/sollten/müßten sich die paar tausend Euro, die ein auf Vertragsrecht spezialisierter Rechtsanwalt für einen sorgfältig aufgesetzten Vertrag nimmt, sparen; statt dessen lassen sie sich vom ersten besten Notar - den sie ja ohnehin bezahlen müssen, wegen der Beurkundung - einen Vertrag von der Stange, d.h. aus dem Formularbuch, andrehen, der schon seit der 1. Auflage vor 'zig Jahren mitgeschleppt wird und auf die individuellen Bedürfnisse der Vertragsparteien (keine zwei Gesellschaften haben exakt die gleichen Bedürfnisse, liebe Leser!) gleich gar keine Rücksicht nimmt, nach dem Motto: "Der Mustervertrag hat sich bewährt, da ist die Wahrscheinlichkeit, daß das Gericht ihn ganz oder teilweise für unwirksam erklärt, gleich null - gehen sie doch kein Risiko ein!" Aber wie gesagt, ein guter Vertrag landet nie vor Gericht, und ein Vertrag von der Stange ist fast immer schlecht. (Schlecht ist auch ein Vertrag, der lediglich den Gesetzeswortlaut wiederkäut, ohne ihn mit Leben zu erfüllen. Nicht wahr, im Gesetz über die Aktiengesellschaften [eine AG ist eine GmbH, deren Anteile an der Börse gehandelt werden können, aber nicht müssen] ist als Kontrollorgan zwingend ein "Aufsichtsrat" vorgesehen - aber habt Ihr schon mal erlebt, daß der im Rahmen seiner vom Gesetzgeber nicht hinreichend spezifizierten "Aufsichts"-Pflicht irgend jemandem richtig auf die Finger geschaut hätte, um Fehlentscheidungen zu vermeiden? Dikigoros auch nicht.) Und ein staatsrechtlicher "Gesellschaftsvertrag", oft "Verfassung" genannt, in seltenen Fällen auch "Grundgesetz", der keine Haftung der Geschäftsführung, pardon, die heißt ja in diesem Falle "Regierung", für ihr Tun und [Unter-]Lassen vorsieht und insbesondere keine in der Praxis brauchbaren Bestimmungen darüber enthält, wie sie im Ernstfall durchzusetzen ist, ist ein schlechter Gesellschaftsvertrag. Nun, vielleicht war es doch ganz gut, daß Dikigoros diese allgemeine Betrachtung "vorgezogen" hat - das wird seinen Lesern den Blick für die Frage schärfen, welche Art von Gesellschaftsvertrag Rousseau vorschwebte, und was in der Praxis daraus geworden ist, vor allem bei denen, die sich auf ihn berufen haben und womöglich noch immer berufen. Exkurs Ende.

Zurück zur Vorlesung: "Politisches Recht", das klang schon fast wie "politisches Unrecht", denn das Recht sollte doch für alle gleich sein, ungeachtet der Politik - oder. Also zog der gute Professor das ganze lieber historisch auf, und dabei stellte sich dann heraus, daß andere brave Dichter und Denker - wie Hobbes, Baruch d'Espinosa alias Spinoza, Locke oder Montesquieu - die Idee mit dem Gesellschaftsvertrag schon lange vor Rousseau gehabt hatten. Warum war sie dann aber vor allem mit dem Namen des letzteren verknüpft? Darf Dikigoros zurück fragen: Was haben die anderen vor ihm denn mit ihren Schriften bewirkt? Eben - gar nichts! Aber, werden einige jetzt weiter fragen, hat Rousseau denn so viel mehr bewirkt? Kann man wirklich von einem Buch auf eine Revolution schließen und zwischen ihnen in der Praxis das herstellen, was der Jurist in seinen schönen, am Schreibtisch ausgesponnenen Theorien einen "adäquat kausalen Zusammenhang" nennt? Konnten die Marktweiber, die am 14. Juli 1789 die Bastille stürmten, überhaupt lesen und schreiben? Wahrscheinlich nicht. Wer las dann solche Bücher? Na wer wohl: brave Studenten der Rechtswissenschaften und andere angehende Juristen; und wo landeten die erfolgreichsten von ihnen irgendwann? Genau, als Abgeordente im Parlament (damals noch ganz offiziell, denn das Parlament war in den meisten Staaten so etwas wie der oberste Gerichtshof), aber doch nicht auf dem Marktplatz - oder? Völlig richtig, liebe Leser - aber was hat denn das, was man unseren Schülern (und damit meint Dikigoros vor allem die französischen Schüler als unsere Miteuropäer und Mitdemokraten) heute in unseren Geschichts- und Märchenbüchern zu verkaufen versucht, mit der "Französischen Revolution" von 1789 zu tun? Eben - gar nichts! Die "Französische Revolution" war nicht der Aufstand der armen, geknechteten Marktweiber und anderer Hungerleider gegen das böse royalistische Unterdrückungssystem und seine Kerker (die Bastille war längst zu einem Altersheim für invalide Soldaten geworden - aber das ist eine andere Geschichte), sondern das Aufmucken der reichen, vollgefressenen Sesselpupser und anderer Großbürger im Parlament, die meinten, daß sie endlich mal etwas mehr vom Kuchen der politischen Macht abbekommen müßten. Der Staat war pleite, der König brauchte mehr Geld. Sein Finanzminister, ein gewisser Herr Necker (übrigens ein Landsmann Rousseaus, aus der Schweiz), wollte die Steuern und Abgaben massiv erhöhen. (Kommt Euch das irgendwie bekannt vor, liebe heutige Leser? Soll es auch! Aber schickt jetzt bitte nicht die Marktweiber los, um das Bonner Rathaus zu stürmen, das tun die an Weiberfastnacht schon von alleine :-) Nun war das Parlament aber nicht nur oberster Gerichtshof, sondern auch das oberste Organ für die Steuerbewilligung (oder -verweigerung :-). Und da damals - anders als heute - noch nicht die selben Partei-Bonzen im Parlament und an der Regierung zugleich saßen und sich so ihre eigenen Haushaltspläne absegnen konnten, sagten die Parlamentarier erstmal ochi nein njet non.

[der Advocat Rubinstein alias 'Robespierre']

Was waren das für Leute, die Robespierre & Co.? Sehen wir mal von der heute kaum noch gestellten, da als politisch unkorrekt geltenden Frage ab, ob sich Maximilian Isidor Robespierre irgendwie davon leiten ließ, daß noch sein Vater eigentlich Rubinstein hieß, und suchen wir nach Gemeinsamkeiten mit den anderen Revolutionsmachern, die unzweifelhaft keine Juden waren. [Bei Rousseau ist das durchaus zweifelhaft - jedenfalls in den Augen "echter" Juden, die ihre Abstammung ausschließlich von der Mutter herleiten. Rousseaus Vater - Isaac Rosenwasser - war zwar ursprünglich Jude, aber erst zum Christentum, dann zum Islam konvertiert; und seine Mutter war eine Schickse Goj.] Zunächst waren das alles Leser - und Fans - von Rousseau, die jede Parlaments-Debatte mit Zitaten aus dem Contract social schmückten, als ob das die Bibel wäre oder "Mein Kampf". Und von Beruf waren sie allesamt Rechtsanwälte; sie wußten also ganz genau - oder hätten es wissen müssen -, was es mit dem "Gesellschaftsvertrag" auf sich hatte, und ebenso genau wußten sie, daß ein Hauslehrer ohne juristische (oder sonstige :-) Ausbildung davon keine Ahnung haben konnte. Wieso folgten sie ihm dennoch so blind? Nun, die Wahrheit ist, daß Dikigoros oben nicht ganz die Wahrheit geschrieben hat: Es sind eben nicht die erfolgreichsten Anwälte, die beschließen, Berufspolitiker zu werden und ins Parlament zu gehen, denn in deren Augen sind die Abgeordneten-Diäten schlicht "Peanuts" - damals wie heute. Vielmehr sind es meist die verkrachten Existenzen - entlassene Soldaten, abgebrochene Studenten, Taxifahrer, Postkartenmaler und eben erfolglose Rechtsanwälte - die es zu den Fleischtöpfen mit der Staatsknete zieht, denn für die ist das allemal viel Geld. So war es auch mit Robespierre, Marat und wie sie alle hießen: Als Anwälte waren sie auf keinen grünen Zweig gekommen, was ihren Neid und Haß auf erfolgreichere Zeitgenossen, auf die Oberschicht im allgemeinen, auf "den" Adel und auf "die" Kirche im besonderen, nur umso mehr schürte. Und in den Schriften Rousseaus - der ebenfalls eine verkrachte Existenz war - fanden sie sich plötzlich wieder, und das Allheilmittel war: den Staat von Grund auf umgestalten.

[Exkurs. Dikigoros hat dieses Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit" chronologisch gestaltet, nicht nach Bedeutung oder Wirksamkeit der vorgestellten Bücher. Nun will es aber der Zufall, daß dieses nicht nur das älteste Werk ist, sondern auch das politisch einflußreichste - was immer von anderen Gegenteiliges behauptet werden mag: "Onkel Toms Hütte" hat gewiß das Mitleid mit den armen Negersklaven stark verbreitet; aber entgegen Lincoln war es nicht die Ursache für den Sezessionskrieg oder dessen Ausgang; die "Protokolle der Weisen von Zion" waren nicht Ursache, sondern vielmehr (eine von vielen) Folge(n) des Anti-Semitismus; "Vom Ursprung der Arten" begründete nicht das, was man heute unter "Darwinismus" versteht (das taten erst die Schriften von Herbert Spencer u.a.); "Das Kapital" führte ebenso wenig zur Russischen Revolution wie "Der Wille zur Macht" ins "Dritte Reich"; und die deutschen Kriegsgefangenen wären wohl auch ohne "Andersonville" ermordet worden. Aber die Leser des "Gesellschaftsvertrags" machten nachweislich auf Grund seiner Lektüre die Französische Revolution - der Wurzel aller politischen Übel der Neuzeit. Robespierre faßte es in dem einen Satz zusammen (der Euch, liebe Leser, abwegig erscheinen mag - Dikigoros auch, und dem toten Rousseau, der sich nicht mehr wehren konnte, erst recht; aber darauf kommt es nicht an): "Nur der Terror zwingt die Menschen zu ihrem Glück; der Terror ist die Tugend." Gewiß, diesen Schluß kann man auch aus der Lektüre des Talmuds, der Bibel und ihres dreistesten Plagiats, des Qur'an, ziehen - und viele haben das ja auch getan bzw. tun es heute noch. Aber diese drei Bücher hat Dikigoros bewußt außen vor gelassen, nicht aus Desinteresse, sondern mangels tiefer gehender Kenntnisse seinerseits: Rousseaus Hauptwerk und seine Folgen kennt er genau - er hat darüber promoviert -; die drei anderen hat er dagegen "nur so" gelesen, etwa wie die Weden, die Upnishaden oder den Pali-Kanon. Exkurs Ende.]

In einigen heute als überholt geltenden Staatsfilosofien heißt es, daß die Familie die Keimzelle eines jeden Staates sei; und böse Zungen bräuchten nur darauf zu verweisen, wie es um Rousseaus Familie bestellt war, um eine Vorstellung zu gewinnen, welcher Art und Güte seine Staatstheorie war: Sein Vater machte sich aus dem Staub, als er zehn Jahre alt war; und er selber schob seine - oder besser gesagt: die von ihm gezeugten - fünf Kinder gleich nach der Geburt ausnahmslos ins Findelhaus ab. Was kann man damit für einen "Staat" machen? Aber Rousseau wollte ja gar keinen Staat, sondern vielmehr den Staat zerstören, um wieder zum - vermeintlichen - "Naturzustand" zurück kehren. [Das Wort "Staat", liebe Leser, bedeutet ursprünglich gar nicht das, was wir darunter verstehen, ebenso wenig wie das französische "état", dessen Übersetzung es ist, sondern einfach nur Zustand, so wie Verfassung ["constitution"] ursprünglich nicht das bedeutet, was man heute in Deutschland viel besser "Grundgesetz" nennt - womit Dikigoros nicht sagen will, daß er das Grundgesetz und den Zustand des Staates, für das es einmal gelten sollte, für besser hält als das, was sich Rosenwasser und in seinem Gefolge Rubinstein, pardon Rousseau und in seinem Gefolge Robespierre anschickten, zu zerstören.] Nun dürft Ihr, liebe Kinder des 20. Jahrhunderts, diese Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte Idee nicht verwechseln mit dem, was Euch die heutigen Natur-Apostel predigen. Aus unserer Sicht waren die Zeitgenossen Rousseaus so nahe an der Natur, wie wir es uns kaum noch vorstellen können. Stellt Euch vor, es gab keine Flugzeuge, Eisenbahnen und Autos, kein Internet, Fernsehen, Radio oder auch nur regelmäßig erscheinende Tageszeitungen, keine Wasser-, Gas- oder Stromleitungen, und somit all das nicht, was uns heute beinahe selbstverständlich erscheint: keine Elektroherde (geschweige denn Mikrowellen), keine Kühlschränke (geschweige denn Tiefkühltruhen) - also auch kein Fastfood -, kein Kunstlicht (nur wenige konnten sich Kerzen leisten), keine Zentralheizungen (Holz gabs im Wald) und keine Wasser-Closetts, kurzum, man lebte eigentlich ganz "natürlich". Aber das meinte Rousseau ja nicht, sondern das Verhältnis der Menschen untereinander. Und das hatte sich nach seiner Meinung schlecht entwickelt, nämlich von der vermeintlichen Gleichheit aller weg zu wachsender Ungleichheit. Es scheint dies etwas zu sein, was die Menschen am meisten stört: Wenn jemand mehr hat als sie selber, dann erzeugt das Neid und Mißgunst, auch wenn es ihnen eigentlich gar nicht schlecht geht - und das gilt bis heute. Niemand sagt sich: Schön, daß ich ein Auto habe und nicht, wie Monsieur Rousseau, zu Fuß gehen muß, schön, daß ich ein Häuschen habe, wo ich warm und trocken sitzen kann, nicht in einer dunklen, kalten Hütte, wie viele Menschen im 18. Jahrhundert; schön, daß ich immer genug zu essen und zu trinken habe, nie Hunger und Durst leiden muß, wie viele Menschen in anderen Teilen der Welt noch heute. Nein, man sagt sich: Wie ärgerlich, daß der Nachbar ein noch dickeres Auto hat als ich und ein größeres Haus, daß der Mensch am Nebentisch im Restaurant Austern und Trüffeln ißt und dazu Champagner schlürft, während ich mir nur simple Muscheln und Pilze mit Sekt leisten kann. Nein, das ist schlimmer, als wenn alle nur Wasser und Brot hätten, sogar wenn alle Hunger und Durst litten - Hauptsache, es geht allen gleich schlecht! (Vielleicht sind manche "arme" Gesellschaften der "Dritten Welt" deshalb so viel glücklicher als der "reiche" Westen, weil es bei ihnen mangels Überflusses viel weniger Grund zum Neid gibt?)

Aber über all das machte sich Rousseau keine Gedanken - er hätte ja auch Hellseher sein müssen, um zu ahnen, wie rasant der technische Fortschritt in den nächsten 200 Jahren verlaufen würde. Nein, er blickte zurück und glaubte allen Ernstes, daß die Menschen früher politisch "gleich" gewesen wären. Hm... ob der mal die Tiere in der Natur angeschaut hatte? Gab es da irgendwo "Gleichheit"? Kämpfte da nicht auch immer der fysisch Stärkste sich an die Spitze und "unterdrückte" die anderen? Glaubte denn ausgerechnet Rousseau, der sich sonst so "freidenkerisch" gab, das von der Kirche verbreitete Märchen, daß der Mensch kein Tier sei, sondern eine ganz andere Art von Lebewesen, für die das alles nicht galt? Daß sich die größeren, stärkeren Steinzeitmenschen nicht gegen die schwächeren durchgesetzt hätten? Und daß Familien zusammen hielten, um andere Familien zu unterdrücken, Sippen, Stämme, Völker? War das "unnatürlich"? Oder nicht vielmehr ein unabänderliches Gesetz eben der Natur, das auch die selbst ernannte "Krone der Schöpfung", eben der Mensch, nicht abändern konnte? Wenn also die Königsfamilie - oder die Adelsfamilien - an der Herrschaft fest hielten, war das un-natürlich? Aber ja, sagte Rousseau und sagen bis heute die Kritiker der Monarchie und der Oligarchie, denn nur eine durchlässige Gesellschaft, die jedem, auch aus ärmsten Verhältnissen, den Aufstieg bis an die Spitze der Hierarchie ermöglicht, ist eine gute Gesellschaft - wenn es denn überhaupt eine solche Spitze geben muß. So so - aber gab es das nicht längst, auch schon zu Zeiten eines Rousseau? Hatte nicht die katholische Kirche - durch ihr heute viel geschmähtes Zölibat - verhindert, daß Nepotismus und Vetternwirtschaft herrschten? Ermöglichte sie nicht theoretisch jedem den Aufstieg vom kleinen Klosterschüler bis zum Kardinal? Und dennoch kritisierten Rousseau und seine Anhänger gerade diese Kirchen-Organisation ganz besonders, da der Klerus nicht "gleich" war mit den Laien. Hatte nicht auch Rousseaus Zeitgenosse, Friedrich II von Preußen, gesagt, in seiner Armee könne jeder vom Grenadier zum Feldmarschall aufsteigen, wenn er nur ein tüchtiger Soldat sei? (Was natürlich gelogen war: nicht jeder gepreßte Muschik trug den Marschallstab im Tornister, sondern nur Adelige - aber die trugen keine Tornister :-) Und hatte es nicht auch außerhalb von Kirche und Militär immer wieder Leute gegeben, die von "ganz unten" gekommen waren und mit ihres "gleichen" die Macht an sich gerissen hatte, kürzer oder länger? Schon im 17. Jahrhundert hatte es ein kleiner Krautjunker namens Cromwell fertig gebracht, den König von England einen Kopf kürzer zu machen und die Regierung des nunmehr "Commonwealth" genannten Staatswesens zu übernehmen. Und bereits im 16. Jahrhundert hatten die Niederländer den Statthalter des Königs von Spanien zum Teufel gejagt und eine Republik - "Generalstaaten" genannt - aufgemacht. War das nichts?

Aber Rousseau wollte offenbar gar keine gleichen Aufstiegs-Chancen, sondern eine möglichst egalitäre Gesellschaft. Auch das dünkt uns eher befremdlich - Mitte des 18. Jahrhunderts war die Gesellschaft doch in einem Maße egalitär, wie wir uns das heute kaum noch vorstellen können: Über 90% der Menschen in Europa (und wohl auch anderswo auf der Welt) lebten als Bauern, 9% als Handwerker und nur der Rest als "Adelige", "Kleriker" oder "Bürger". (Die größten Städte Europas hatten gerade mal fünfstellige Einwohnerzahlen, und selbst diese "Metropolen" konnte man in jedem Land an den Fingern einer Hand abzählen.) Die Gesellschafts-Pyramide war also an der Basis mehr als breit, und der Neid des einen Bauern auf den anderen, der vielleicht etwas größere Kartoffeln hatte oder dessen Huhn mal ein Ei mehr legte, kann doch so schlimm nicht gewesen sein - oder? War er auch nicht, liebe Leser. Was immer man Euch erzählt hat (besonders wenn Ihr gebürtige Ossis seid :-) über Arbeiter- und Bauern-Aufstände, glaubt es nicht! Die Bauern des 16. Jahrhunderts wollten keine Veränderung der Gesellschaft, sondern die Bewahrung der alten Zustände, sie waren zutiefst "reaktionär", jedwedem Wandel abhold. "Proletarische Arbeitermassen" gab es vor dem 19. Jahrhundert nicht, und weder Handwerker noch Bauern hätten 1789 in Paris von sich aus Revolution gemacht. (Gewiß, sie mochten den König und vor allem die Königin - Marie Antoinette, eine Ausländerin, zu allem Überfluß auch noch eine Deutsche, eine Tochter Maria Theresias von Österreich - nicht; aber selbst die von fleißigen Flugblattschreibern hoch gekochte "Halsband-Affäre" hätte, Goethe zum Trotz, niemals ausgereicht, um eine Revolution auszulösen.) Die machten vielmehr die Herren Parlamentarier, um ihre Herrschaft an die Stelle der des Königs zu setzen - und auch sie machten ihn einen Kopf kürzer, wie einst Cromwell. Und - war die Gesellschaft, die sie danach errichteten, "egalitärer"? Auf dem Papier ja, denn "égalité" war ja eines ihrer Schlagwörter. Aber Gleichheit sollte natürlich nur für "Gleiche" gelten, nicht für Frauen, Kinder und Ausländer, schon gar nicht für Sklaven (zumal, wenn sie dunkle Hautfarbe hatten, denn dann galten sie als seelenlose Tiere). Aber auch unter den "Gleichen" waren einige eben noch "gleicher" - das war nicht erst auf Orwells Farm der Tiere so, sondern schon unter Napoléon Bonaparte. Worin unterschied sich der von Cromwell? Nun, der letztere hatte es abgelehnt, sich "König" zu nennen (er wollte nur "Protector" sein :-); der Korse dagegen nahm den Kaisertitel mit großem Brimborium an - und das Volk, das plötzlich gar nicht mehr "gleich" sein wollte, jubelte ihm zu!

Ja, liebe Leser, so ist das in Wahrheit. Die Menschen wollen gar nicht alle selber Häuptling oder Kaiser sein - sie freuen sich schon, wenn einer der ihren es ist. Er vertritt sie doch, er "repräsentiert" sie. Was lag also näher, als diese "Repräsentation" auf eine breitere Basis zu stellen als nur die eines Einzelherrschers, zumal als die menschlichen Gesellschaften an der Zahl ihrer Individuen zunahmen? Nicht wahr, für einen Eingeborenenstamm von wenigen hundert Häuptern in der Karibik mag es genügen, einen Häuptling und einen Medizinmann zu haben; aber für ein Land wie Frankreich mit vielen Millionen "Bürgern"? Da brauchte es schon mehrere "Repräsentanten", und was lag näher, als die alte Institution des "Parlaments" zu übernehmen, die Abgeordneten-Mandate aber nicht mehr als erbliche Pfründen zu besetzen, sondern mit vom "Volk" gewählten Vertretern, die der Regierung auf die Finger sahen, wenn die wieder die Steuern erhöhen wollte bzw. die bereits erhobenen für Unsinn ausgeben wollten? Und wenn der "Fortschritt" schon so weit gediehen war - warum sollten die "Volksvertreter" die Regierung nicht gleich ganz übernehmen?

(...)

* * * * *

Mehr als zwei Jahrhunderte waren nach der "Französischen Revolution" vergangen. Längst war jedem, der Augen zum Sehen und Ohren zum Hören (und dazwischen ein Gehirn zum Denken) hatte, klar, daß sie außer einer Veränderung der Nomenklatur nichts gebracht hatte. Es war wie in dem Witz mit der Sanduhr, in der sich die kleine Spitze von der breiten Masse tragen läßt: Um das zu ändern, muß umgestürzt werden, und nach kurzer Zeit (je nachdem, wie groß die Sanduhr ist :-) ist es genau umgekehrt: wieder läßt sich die kleine Spitze von der breiten Masse tragen - und es ist nicht gesagt, daß die eine Spitze besser ist als die andere. Und was die Legitimation durch einen fiktiven Gesellschaftsvertrag und schein-demokratische Wahlen zwischen vorgefertigten Parteileisten anbelangt... auch da gab sich niemand mehr Illusionen hin: Hatte der "tiers état", also der bürgerliche Untertan, 1789, unter dem ach-so-bösen "Ancien Regime" der Monarchie, wenigstens noch das Recht, Steuern zu bewilligen oder zu verweigern, so hatte er im Zeitalter der Parteien-"Demokratie" nur noch das "Recht", d.h. die Pflicht, Steuern und "Sozial"-Abgaben zu zahlen - wobei die letzteren größtenteils nicht an die Gesellschaft zurück flossen, wie es ihr Name ja eigentlich suggerierte, sondern in den Taschen der Herrschenden kleben blieben - die ein Hungerleider wie Louis XVI glühend beneidet hätte: 200 Jahre nach seinem Tode vertraten die Parlamentarier nicht mehr das Volk, sondern die Regierung, die keine Verträge mehr aushandelte, sondern sie diktierte.

Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts kam in der Heimat Spinozas eine neue Idee auf, nämlich die, das Wort "Gesellschafts-Vertrag" einmal wörtlich zu nehmen, d.h. ihn nicht mehr auf das Verhältnis zwischen Herrscher und Untertanen anzuwenden - da war eh nichts mehr zu retten -, sondern darauf, daß die Mitglieder einer Gesellschaft sich untereinander vertragen müssen. Inzwischen hatte sich die Gesellschaft (nicht nur in den Niederlanden - aber in so einem kleinen Land fiel das vielleicht eher auf) in einem Maße verändert, wie es sich ein Rousseau nicht hätte träumen lassen: Frauen waren gleichberechtigt geworden, auch Kinder hatten ungeheuer viele Rechte (und kaum noch Pflichten), und Ausländer mit dunkler Hautfarbe gab es jetzt wie Sand am Meer: Neger aus der Karibik, Kanaken aus Insulinde und Araber aus Nordafrika waren ins Land geströmt, und die galten jetzt auch als Menschen - manche meinten sogar als Holländer -; jedenfalls hatte man ihnen großzügig Pässe des "Königreichs der Niederlande" (schau mal an - das war aus den einstigen "Generalstaaten" geworden; auch aus Cromwells britischem "Commonwealth" war längst wieder eine Monarchie geworden, die übrigens mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte :-) ausgestellt und ihnen gleiche Rechte eingeräumt, d.h. sie konnten ihr Leben gestalten wie es ihnen gefiel - "Toleranz" nannte man das. Das war schön und gut, aber es setzte voraus, daß die so gepamperten auch ihrerseits "tolerant" waren, d.h. ihre Gastgeber so leben ließen, wie es denen gefiel - und eben das erschien ihnen auf die Dauer gar nicht mehr so selbstverständlich. Vielleicht war es gar nicht "natürlich"? (Dikigoros gebraucht dieses Wort hier ungern, zumal es im Holländischen zweideutig ist; aber da Rousseau so auf dem "Natur"-trip war, macht er hier mal eine Ausnahme.) Vor allem die muslimischen Einwanderer wollten das dekadente Christentum der Holländer und ihre Unmoral (vom Zurschaustellen halbnackter Frauen in der Öffentlichkeit bis zur Gleichstellung Schwuler und Lesben) nicht mehr tolerieren; sie wollten vielmehr zurück zur Natur, pardon, zurück zu Rousseau, d.h. zur Beschränkung "der" Gesellschaft und ihrer - nicht nur politischen - Rechte auf die erwachsenen Männer des einzig wahren Glaubens, nämlich ihres eigenen. (Als "Gäste" fühlten sie sich schon lange nicht mehr, vielmehr als Eroberer, wie es ihnen ihr Profet gepredigt hatte. "Islam" bedeutet wörtlich "Unterwerfung" - also genau das, was Rousseau dem Christentum unterstellte!) Nachdem sie begonnen hatten, Holländer, die anders dachten, erst zu bedrohen, dann zu ermorden, besannen sich die letzteren urplötzlich darauf, daß man mit solchen Leuten nur zusammen leben konnte, wenn sie bereit waren, einen "Gesellschaftsvertrag" abzuschließen, der ihre Rechte und Pflichten gegenüber den Mitgesellschaftern - einschließlich der Toleranz gegenüber anders denkenden und lebenden - festschrieb; wer dazu nicht bereit war mußte gehen, und war er nicht willig, so brauchte man Gewalt, d.h. er wurde gegangen, man "schob" ihn ab. Der Aufschrei der politisch korrekten Gutmenschen - vor allem im Ausland - war groß ob solcher "Rücksichtslosigkeit" im einstigen Vorzeigeland der bedingungslosen Toleranz. Jetzt verlangte man dort gar die Anerkennung einer holländischen "Leitkultur" einschließlich des Spacherwerbs! Das war brutal, denn Rousseau war natürlich (s.o.) davon ausgegangen, daß alle Mitglieder der Gesellschaft Französisch sprächen, nicht dieses harte, kratzige Niederländisch, das zudem noch so schwierig zu erlernen ist!

"Aber was denn?" fragten die neuen Gesellschaftsvertragler, "wir geben doch jedem Einwanderer die Möglichkeit, sich zu integrieren, wenn er nur will; und wenn er nicht will..." Nun hat Dikigoros nie einen Zweifel daran gelassen, was er von "Integration" - freiwillig oder unfreiwillig - hält: Sie entwurzelt ("Rasse" heißt "Wurzel"!) einen Fremden, indem sie ihm seine eigene Kultur (oder die seiner Eltern) nimmt, und macht ihn doch nie zu einem echten, vollwertigen Mitglied einer anderen Kultur - das haben selbst die USA lernen müssen, die nur so lange an den "melting pot [Schmelztigel]" glauben konnten, wie sie Indianer und Negersklaven außer Acht ließen und die Einwanderer aus den mehr oder weniger gleichen Kulturen Europas kamen, denen die "Integration" leicht fiel. Man sollte die Menschen vielmehr ermuntern, ihre eigene Sprache und ihr eigenes Kulturerbe zu bewahren, damit sie eines Tages dorthin zurück kehren können, wo sie hin gehören. Das muß nicht notwendigerweise der Ort sein, wo sie geboren sind, denn ein Pferd, das in einem Schweinstall zur Welt kam, bleibt dennoch ein Pferd, und ein Franzose, der in China geboren wird, kann dennoch nie ein Chinese werden. Das sahen Rousseau und seine Anhänger (und seine Kritiker :-) übrigens genauso: Der boshaft vereinfachte Spruch "zurück auf die Bäume" wollte ja nicht besagen, daß die Franzosen wieder auf die Bäume klettern sollten (die brauchte man nicht mal mehr, um jemanden aufzuknüpfen, dafür gab es inzwischen - zumindest in Paris - Laternen: "ah, ça ira, ça ira, ça ira..." :-), sondern daß man die Negersklaven wieder in ihre angestammte Heimat zurück kehren ließ, nach Afrika, wo sie ihre dunkle Hautfarbe, ihr schwarzes Kraushaar, ihre dicken Lippen und Nasen und ihre besonders gut entwickelten Schweißdrüsen die Hitze viel besser ertragen ließen als die weißen Narren, die bald darauf aufbrachen, um jene Länder zu erobern und zu "Kolonien" zu machen. Umgekehrt ertrugen sie die nördliche Kälte Europas viel schlechter, was sich auf ihre Arbeitskraft und -bereitschaft äußerst negativ auswirkte. Warum sollte man also - um im Sinnbild zu bleiben - ein Pferd im Schweinestall halten und/oder ein Schwein im Pferderennen laufen lassen? Machte das Sinn? Natürlich (s.o.) nicht!

Aber denkt heute noch jemand so wie Rousseau? Hat irgend jemand von all denen, die ständig Lippenbekenntnisse zu jenem "Vordenker der Demokratie" im Munde führen, begriffen, wie brennend aktuell Rousseau heute wieder ist, weil die gesellschaftlichen Probleme inzwischen viel größer sind als noch im 18. Jahrhundert? Offenbar nicht, oder jedenfalls nicht offiziell. Heute lautet die Parole: Alle Menschen sind gleich und können überall gleich gut leben (zur Not mit "Entwicklungshilfe", mit der man die Lebensbedingungen überall möglichst angleichen will). Daß dem nicht nur alle theoretischen Überlegungen, sondern auch alle praktischen Erfahrungen widersprechen, darf nicht laut gesagt werden. Dabei lehrt uns die Biologie, daß das in der Natur erreichte Maß an "Gleichheit" stets mit der Gleichheit der Gene einher geht - Geschwister können annähernd gleich[berechtigt] sein, unter Verwandten, in Familien kann bis zu einem gewissen Maße (das wiederum durch Alter, Erfahrung und Stärke bestimmt wird) etwas ähnliches erreicht werden; aber wo es an dieser Voraussetzung fehlt, kann es allenfalls zu Symbiosen kommen, bei denen ein Teil vom anderen als Schmarotzer gelitten wird - aber mehr auch nicht. Genau an diesem Punkt sind die Gesellschaften des Westens heute angekommen - und nicht nur die beiden eben genannten, sondern auch und besonders die von Rousseau so stark beeinflußte "französische", die Dikigoros ganz bewußt in Anführungsstriche setzt, denn Frankreich ist längst nicht mehr der Staat der Franzosen. Was meint Ihr denn, liebe Leser, wer heute ein Land "repräsentiert", jedenfalls eines, in dem es keine Könige und Kaiser mehr gibt? Der [Minister-]Präsident? Die großen Dichter und Denker? Nicht doch! Fragt mal die Franzosen (und nicht nur die :-), mit wem die sich identifizieren: es sind die "Künstler" (vor allem die Musikanten) und noch mehr die Sportler - und hier besonders die Balltreter, die spätestens seit dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft regelmäßig zu den "beliebtesten Franzosen" gewählt werden. Habt Ihr, liebe Nicht-Franzosen, Euch mal gefragt, wer oder was Frankreich rund 200 Jahre nach Robespierre repräsentiert? Und was wohl Rousseau dazu sagen würde?


Vielleicht wäre ihm ein ganz spezielles Paradox aufgefallen, das seine These, daß sich die Franzosen zu weit von der Natur entfernt haben, bestätigen könnte: Während die letzten Franken, die noch in Frankreich leben, offenbar keine Probleme damit haben, sich durch Neger, Araber und andere "Zugereiste" repräsentieren zu lassen (1998 trat Frankreich mit 8 Negern, 2 Basken und 1 Araber zur Fußball-WM an, 2006 mit 12 Negern, 1 Araber und 1 zum Islam konvertierten Flamen, 2018 mit 19 Afrikanern - inzwischen muß man ja "politisch korrekt" formulieren -, 1 Katalanen, 1 Lothringer und 1 Flamen - denn die Gallier selber konnten noch nie ordentlich Fußball spielen :-) und sich sogar mit ihnen zu identifizieren, trifft das umgekehrt überhaupt nicht zu: Keiner der hier abgebildeten Balltreter macht einen Hehl daraus, daß er sich nicht im Mindesten mit "Frankreich" identifiziert, sondern allein mit seiner Rasse, seinem Stamm, seiner Religion, und daß er sich alles andere als gleich fühlt - wieso auch, da sie doch anders sind? Wer war nun [farben-]blind, und wer ist es? Rousseau? Zidane & Co.? Oder die politisch-korrekten Gutmenschen, die - noch - an der Macht, aber schon dabei sind, den Ast abzusägen, auf dem sie hocken wie einst die Affen auf den Bäumendie Monarchen des Ancien Regime auf ihrem Thron? Merken sie denn nicht, daß sie mit dem anti-racistischen Versuch, dafür andere Äste aufzupropfen, im Begriff stehen, die MenschenBäume zu zerstören - bis in ihre racesWurzeln, aus denen sie sonst wieder nachwachsen könnten? Doch, liebe Leser, sie sind nicht blind, sie merken es sehr wohl, aber sie wollen genau das: die Zerstörung der RassenWurzeln, und zwar nicht nur bei sich zuhause, sondern weltweit, denn unterschiedliche Rassen stehen ja ihrem Wunsch nach der Gleichheit aller entgegen. (Freilich wollen die Gutmenschen, daß ihre Untertanen blind für diese Unterschiede werden, weil doch nicht sein kann was nicht sein darf - wer sie dennoch sieht und gar darüber spricht oder schreibt, wird als "Rassist" gebranntmarkt und kriminalisiert.) Sie kritisieren die Schwarzen, weil die - trotz aller verzweifelter "[Um]Erziehungs"-Versuche der Weißen - offenbar nicht bereit sind, sich in abstrakte Staatsgrenzen einzufügen und sich als abstrakte "Staatsbürger" zu fühlen, weder in Afrika noch in Amerika noch in Europa, sondern lieber in Volks- und Stammesgemeinschaften unter ihres Gleichen leben wollen, d.h. unter Menschen, die wirklich gleich sind bzw. gleich sein können. Aber diese Kritik teilt Dikigoros nicht, denn er hält diesen Wunsch der Schwarzen - und anderer "Naturvölker" - für die natürlichste Sache der Welt; und er profezeit den westlichen Gesellschaften den Untergang binnen weniger Generationen, wenn sie nicht bald in diesem Sinne "zurück zur Natur" finden - notfalls auch mit der Methode Robespierre, d.h. indem sie Terror mit Gegenterror begegnen. Und Rousseau? Der mag zwar ein Narr gewesen sein, aber er konnte nicht wissen, was noch viel größere Närrinnen und Narren einst aus seinem Traum von einer Gesellschaft gleich[berechtigt]er Menschen für einen Albtraum machen würden, eben durch das von ihm propagierte Einreißen der schützenden Grenzen bzw. das Öffnen der Tore zum (vermeintlichen) Wohlstands-Paradies. Aber vielleicht hat man ihn bloß mißverstanden, und er würde sich, wenn er die heutigen Folgen sähe, im Grabe umdrehen?!?

[Rousseau]


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