Louis-Ferdinand Céline
(L.-F. Destouches, 1894 - 1961)

[Louis-Ferdinand Céline]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
ES STEHT GESCHRIEBEN...
Große Schriftsteller des 20. Jahrhunderts


"Mein Buch ist keine Literatur (...)
Es ist aus dem Leben gegriffen.
Dem Leben, so wie es ist (...)
Ich schreibe wie ich spreche.
Ich komme aus dem Volk."

"Reise ans Ende der Nacht" hatte er den Roman überschrieben, der ihn mit 38 Jahren berühmt und reich machen sollte - er konnte nicht ahnen, daß ihm eben jene Reise noch persönlich bevor stand. Auf der Schule oder später an der Universität hat Dikigoros den Namen "Céline" (Louis-Ferdinand Destouches hatte den Vornamen seiner verstorbenen Großmutter als Nom-de-plume angenommen) nie gehört, geschweige denn irgend ein Werk von ihm oder über ihn gelesen - Gott bewahre; und französischen Schülern und Studenten seiner Generation ging es genauso. (Erst Mitte der 1980er Jahre ergossen sich plötzlich die Céline-Biografien von Gibault, Bardèche, Perugia, Vitoux und de Roux über eine verblüffte Leserschaft - aber das war nach Dikigoros' Schul- und Studienzeit.) Das hatte freilich ganz verschiedene Gründe: In Frankreich war Céline tabu, weil er ein Freund der Deutschen war (er war vom 13. bis zum 15. Lebensjahr in Diepholz zur Schule gegangen), in Deutschland, weil er ein Feind der Juden war. Ist das ein Grund? Ersteres aus Sicht der Franzosen ganz bestimmt - bis heute, macht Euch da bitte nichts vor, liebe Bundesrepublikaner, für die seid Ihr nach wie vor die bösen Nazi-Deutschen, "les sales boches"! Über letzteres kann man freilich trefflich streiten. Was ist eigentlich so schlimm daran, Anti-Semit zu sein? Gehört das nicht zur Meinungsfreiheit? Jedem Tierchen sein Plaisierchen, sagt man doch sonst; und niemand stört sich z.B. daran, daß auch die meisten Muslime Anti-Semiten sind - ist man nicht dem braven Terroristen Yāsir 'Arafāt reihum in den Hintern gekrochen? Ach, Ihr meint, nach allem, was "die" Deutschen im Krieg "den" Juden angetan haben, dürften sie jetzt keine Anti-Semiten mehr sein? Nun, nach allem, was die Alliierten im und vor allem nach dem Krieg den Deutschen angetan haben, dürfte es nach dieser zweifelhaften Logik auch keine Deutschen-Hasser mehr geben. Gleichwohl gibt es sie nach wie vor, vielleicht mehr denn je, und niemand geniert sich, selbst in Deutschland ganz offen als solcher aufzutreten. (Und selbst an deutschen Schulen werden bis heute statt der Werke Célines die des Juden Ancel alias Celan gelesen, die eigentlich wegen Volksverhetzung verboten gehörten, vor allem die Todesfuge mit dem häßlichen Satz: "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland". Leider ist er nicht nur häßlich, sondern sogar wahr: Auch Familie Eisenhauer kam bekanntlich aus Deutschland, und welche Gestalt des 20. Jahrhunderts, wenn nicht ihr Sproß David Dwight Eisenhower könnte besser den "Meister Tod" verkörpern?) Und was soll's denn? Dikigoros ist z.B. Anti-Islamist, und er vertritt ebenso offen die Meinung, daß alle Muslime, die versuchen, Andersgläubige gewaltsam zum Islam zu bekehren, getötet werden müssen (das werden übrigens bedeutend mehr sein als 6 Millionen, wahrscheinlich muß man mindestens eine, wenn nicht zwei Nullen dran hängen). Nach seiner Überzeugung ist dies ein Akt der legitimen Notwehr, und er weiß sich darin mit vielen seiner jüdischen und hinduïstischen Freunde und Bekannten einig. (Nur unter den tumpen Christen ist diese Erkenntnis - leider - noch nicht allzu weit verbreitet; hoffentlich werden sie dafür nicht eines Tages einen hohen Blutzoll entrichten müssen.)

Nachdem Dikigoros das vorweg geschickt hat, wird man ihm hoffentlich abnehmen, daß, er keine ideologischen Vorbehalte gegen Céline hat - er hat ganz andere, und die sind auch der eigentliche Grund, weshalb er sich lange nicht mit ihm beschäftigt hat (obwohl er schon Mittel und Wege gehabt hätte, sich seine Werke zu besorgen). Kleiden wir sie in eine Frage, die sich der geneigte Leser womöglich auch schon gestellt hat: Was macht jemand, der sich sprachlich so schlecht wie James Joyce, stilistisch so schlecht wie Alfred Döblin und inhaltlich so schlecht wie Carlos Fuentes und Marcel Proust ausdrückt, in ein- und derselben "Reise durch die Vergangenheit" neben Leuten, die sprachlich, stilistisch und inhaltlich so klar schrieben wie Romain Rolland, Ignazio Silone, Frederick Forsyth und José Maria Gironella oder gar ihre Sprache so souverän beherrschten wie George Orwell das Englische, Ernst von Salomon das Deutsche und Aleksandr Solzhenitsyn das Russische? Nun, Dikigoros schreibt hier ja keine Literaturgeschichte - das können andere viel besser; ihm geht es vielmehr um Schriftsteller, in deren Werken sich selbst erlebte Geschichte widerspiegelt, wie man sie in den herkömmlichen Geschichtsbüchern nicht findet, und wie man sie auch nicht aus den offiziellen Memoiren irgendwelcher Politiker nachvollziehen kann, denn die pflegen die Fakten nur selten wahrheitsgemäß offen zu legen, geschweige denn ihre persönlichen Beweggründe, die man indes kennen müßte, um über Ursachen und Wirkungen in der Geschichte richtig zu urteilen. "Private" Schriftsteller haben es da leichter - zumal wenn sie ihre Erlebnisse unverbindlich als "Romane" verkaufen; und da liegt die Gemeinsamkeit: Von Rolland erfahren wir, wie man schon vor dem Ersten Weltkrieg zum Pazifisten werden konnte (hinterher waren bekanntlich viele "klüger" - aber da war es meist zu spät), von Salomon, wie man nach dem Ersten Weltkrieg zum Freikorpskämpfer, von Silone, wie man nach einem Besuch in Moskau zum Anti-Stalinisten, von Gironella, wie man am Vorabend des Spanischen Bürgerkriegs zum Anti-Republikaner, von Orwell, wie man im Spanischen Bürgerkrieg zum Anti-Kommunisten und im Zweiten Weltkrieg zum Anti-Sozialisten, von Solzhenitsyn, wie man im und nach dem Zweiten Weltkrieg zum Anti-Sowjet werden konnte. Und von Céline? Nun, von ihm erfahren wir, wie man vor dem Zweiten Weltkrieg zum Anti-Semiten werden konnte und wie Frankreich derart auf den Hund kam.

Gibt es dafür Gründe? Na klar - gute Gründe sogar. Aber Vorsicht, Dikigoros will Euch wieder mal aufs gedankliche Glatteis führen. Wer hat "gute Gründe", ein Anti-Semit zu sein? Jemand, der persönlich Unbill von einem - oder mehreren - Juden erfahren hat? Ihr irrt: Was wäre Wagner gewesen ohne seinen jüdischen Dirigenten und Konzert-Manager Levy? Was Goebbels ohne seine jüdischen Professoren? (Bestimmt nicht "Dr." Goebbels!) Was Hitler ohne seine jüdischen Feldmarschälle Lewinsky ("v. Manstein") und Milch? Aber Dikigoros hat Euch doch schon in der Einleitung erklärt, daß es vielmehr auf das geschriebene Wort ankommt: Wagner las irgendwo, daß die Juden schlechte Musiker seien und schloß sich dieser Meinung an (wohlgemerkt ohne Levy fallen zu lassen; und er legte auch Wert auf die Feststellung, daß er mit Meyerbeer, über dessen Musik er so viel Böses gesagt und geschrieben hatte, persönlich gut befreundet war); auch Goebbels und Hitler werden irgendwo gelesen haben, daß die Juden Deutschlands Unglück seien und es geglaubt haben (ohne daß Goebbels darob seine jüdischen Maitressen aufgegeben hätte; und Hitler machte es sich noch einfacher: er ließ sich einfach eidesstattliche Versicherungen vorlegen, daß die arischen Mütter "seiner" Juden ihre jüdischen Ehemänner mit guten Ariern betrogen hätten, daß es sich bei ihren Kindern folglich nicht um Halbjuden, sondern um gut-arische Fehltritte handelte :-). Was hatte also Céline gelesen, das ihn zum Anti-Semiten machte? "Suchet, so werdet Ihr finden" steht in der Bibel; aber in diesem Falle findet sich einfach nichts - es sei denn, man wollte es sehr weit herholen: Muß Céline nicht Wilhelm Hauff gelesen haben, und war der nicht Anti-Semit? Gewiß, aber das einzige Werk von ihm, das er mit Sicherheit gelesen hat, war "Der kleine Muck" - und was ist daran anti-semitisch? Nein, liebe Leser, Céline ist einer der seltenen Fälle, in denen jemand persönlichen Grund hatte, "die" Juden zu hassen, weil sie ihm massiv geschadet hatten, und das auch noch völlig grundlos und ungerecht.

Seht Ihr, als Rolland aus der Sowjetunion Stalins zurück kehrte, verfiel er in Schweigen; als Silone zurück kam, wandte er sich vom Stalinismus ab; als Céline zurück kam, rechnete er mit dem Kommunismus insgesamt ab - auch dem französischen. Daß er dabei auch einigen französischen Juden auf den Schlips trat, lag in der Natur der Sache, denn damals regierte die Volksfront, und Ministerpräsident war der Jude Léon Blum. Na und? Wenn man feststellt, daß einige der besten politischen Köpfe im Deutschland des 20. Jahrhunderts Juden waren - von Walther Rathenau bis Gregor Gysi -, dann macht einen das noch lange nicht zum Filosemiten; und umgekehrt macht es einen noch lange nicht zum Anti-Semiten, wenn man feststellt, daß einige der schlechtesten politischen Köpfe im Frankreich des 20. Jahrhunderts Juden waren - von Blum bis Mendès. (Ihr kennt den letzteren gar nicht, liebe deutsche Leser? Nun, das war der, der im Juli 1954 Deutschland den Krieg erklären und die Pfalz besetzen wollte, als die DFB-Auswahl - die zur Hälfte aus Spielern des 1. FC Kaiserslautern bestand - Fußball-Weltmeister wurde, während Frankreich schon in der Vorrunde ausgeschieden war. Man mußte ihn - der erst seit ein paar Tage Außenminister war und vorher offenbar auf dem Mond gelebt hatte - mühsam darüber aufklären, daß der Kriegszustand mit Deutschland noch gar nicht beendet war und daß die Pfalz ohnehin von französischen Truppen besetzt war. Mendès begnügte sich dann damit, den Indochina-Krieg zu verlieren und den Araber-Aufstand in Algerien zu provozieren.) Anderer Ansicht waren nur Célines jüdische Vorgesetzte in der Klinik, wo er arbeitete; und so setzten sie ihn kurzerhand auf die Straße, nicht weil er ein schlechter Arzt gewesen wäre oder mit sonst irgend einer passenden Ausrede, sondern ganz offen, weil sie ihn für einen Anti-Semiten hielten, voilà.

Vielleicht ist Dikigoros mit Céline etwas zu hart ins Gericht gegangen. Seine Sprache ist nicht wirklich so chaotisch wie die von James Joyce, sondern halt mehr umgangs- als schriftsprachlich. Nein, nicht sprechblasenhaft mit allerlei lautmalerischen Kraftausdrücken wie etwa die von "Astérix und Obélix", aber eben auch nicht comme il faut. Für Leser, die des Französischen mächtig sind: Céline verzichtet z.B. auf die doppelte Verneinung mit "ne (...) pas", d.h. er läßt das "ne" weg. Und er verzichtet auf das "passé simple" zugunsten des "passé composé". Ist das eigentlich schlimm? Darüber könnte man eine Menge schreiben, und hier ist der Ort, wenigstens etwas davon zu diskutieren. Dikigoros ist Sprachpurist, auch wenn einige seiner Leser das noch nicht bemerkt haben und seine Ausdrucksweise "flapsig" nennen. Richtig ist, daß er sich stets einer extrem korrekten Schreibweise befleißigt (die sich nicht unbedingt mit derjenigen des DUDEN decken muß), Fremdwörter grundsätzlich vermeidet, sie aber dort, wo sie unumgänglich sind - z.B. bei fremden Namen - stets korrekt transkribiert (also meist anders als üblich), und daß er auch in Sachen Grammatik einen strengeren Maßstab anlegt - nämlich den der Logik - als den des allgemein Üblichen, vor allem bei der Zeitfolge, mit der es im Deutschen besonders im Argen liegt. Bis zur Wiedervereinigung war z.B. in Westdeutschland der Gebrauch des Plusquamperfekt völlig in Vergessenheit geraten - man ersetzte es einfach durchs Imperfekt, ebenso wie das einfache Perfekt, das der deutschen Sprache bereits verloren gegangen ist. (Auf Anfrage eines jüngeren Lesers: Es bestand darin, daß man nur das Partizip gebraucht [hat], d.h. ohne die Hilfsverben "sein" oder "haben". Das führte freilich in einigen Fällen - wie diesem - zur Verwechslungsfähigkeit mit dem Präsens, was einigen Leuten wohl zu kompliziert war :-) Es gibt nur noch das zusammen gesetzt Perfekt, und dieses nur in der Umgangssprache - leider ersetzt es dort auch das Imperfekt, so daß es im Deutschen praktisch keinen Unterschied mehr gibt zwischen Perfekt und Imperfekt (was deutschen Schülern das Erlernen von Fremdsprachen, in denen dieser Unterschied noch vorhanden ist, ungemein erschwert; die meisten Deutschen fallen, auch wenn sie akzentfrei Englisch sprechen, sofort dadurch auf, daß sie nicht wissen, wann sie das Imperfekt durch das Perfekt ersetzen müssen). Besteht eine solche Gefahr der Sprachverwirrung auch im Französischen, wenn man das "passé simple" durch das "passé composé" ersetzt? Nein, es bleibt Perfekt, deshalb kann man Céline diese kleine "Sünde" nachsehen. Und die doppelte Verneinung? Das ist doch (mit Verlaub, liebe Bayern, die Ihr Euch das auch nie nicht abgewöhnen könnt :-) purer Schwachsinn. Wer immer sich das vor vielen Jahrhunderten ausgedacht hat, gehört aufgeknüpft, und derjenige, der das wieder abgeschafft hat, müßte in die Académie Française aufgenommen werden. (Zugegeben, Dikigoros hätte eher das "pas" als das "ne" abgeschafft, aber besser als gar nichts :-) Also sprechen wir Céline auch in diesem Punkt frei, und wenden wir uns dem Inhalt seiner Bücher zu.

Die sind, wie bei den meisten der Schrifsteller, die Dikigoros Euch auf dieser "Reise durch die Vergangenheit" vorstellt, überwiegend biografisch, und deshalb weicht er einmal mehr von der üblichen Reihenfolge der so genannten Literatur-"Wissenschafler" ab, sie in chronologischer Reihenfolge ihres Erscheinens zu besprechen. Vielmehr reiht er sie so aneinander, wie sie das Leben Célines wieder geben, denn er selber sah sie so, als Lebensschilderung, nicht als "Literatur".

(Fortsetzung folgt)

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