* SPORT UND SPIELE *
* VON OLYMPIA NACH ATHEN *
VON ATHLETEN UND OLYMPIONIKEN,
MEDALISTEN UND ANABOLISTEN
[Ringe]
"Ich rufe die Jugend der Welt..."
Die Lügen von gestern sind
die Wahrheit von morgen.
"YOU DIE FOR IT"

[sterbender Sportler]
EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

Fortsetzung von Teil 1

Zurück zu den Olympischen Spielen von 1896. Die Marathon-Strecke für den Geländelauf (damals lief man ihn noch nicht auf asfaltierten Straßen - die gab es in Griechenland nicht) ist nicht markiert, nur die griechischen Teilnehmer kennen sie. Die anderen werden in die Wüste geschickt, wo ihnen eine feindlich gesonnene Bevölkerung auflauert, die keinerlei Anstalten macht, ihnen weiter zu helfen - sie müssen froh sein, wenn sie nicht gelyncht werden. Am Ende belegen drei Griechen die ersten Plätze. (Später stellt sich heraus, daß sie erstens ein paar "Abkürzungen" kannten und daß zweitens ein paar Eselskarren zur Verfügung standen, um ihnen die Laufarbeit abzunehmen - sie werden weder disqualifiziert noch wird etwa dem Obergauner Spiridon nachträglich der Sieg aberkannt - ganz im Gegenteil, man feiert ihn umso mehr ob seiner Poniriá, seiner listigen Schlauheit, die einem Landsmann des Odysseus so gut zu Gesicht steht.) Der Marathon der Radfahrer (ja, auch den gibt es, allerdings über die doppelte Distanz, hin und zurück) wird zum Glücksspiel mit gezinkten Karten, denn die Strecke ist so schlecht, daß kein Rad und kein Fahrer heil durch kommt, auch keiner von den fünf Deutschen, die das NOK offiziell gemeldet hat. Aber da ist ja noch der Schlesier August Gutreich, der zwar weder reich noch gut im Radfahren ist, aber einfach auf eigene Faust nach Athen gereist ist - als blinder Passagier auf einem Kohlefrachter und mit einem geklauten Fahrrad. Wahrscheinlich wollte er ursprünglich nur als Zuschauer hin; aber unterwegs hat er Radfahren gelernt, und so meldet er sich halt mal an. Freilich gibt der alte Stahlesel, auf dem er antritt, schon nach dem ersten Schlagloch seinen Geist auf; aber irgend ein freundlicher Zuschauer, der ihn für einen Griechen hält, da er so ärmlich und abgerissen aussieht (da er wohlweislich auch die Schreibweise seines Namens ein wenig abgeändert hat, damit er möglichst undeutsch aussieht, wird er als "Grieche niederländischer Abstammung" namens "Goedrich" in die Ergebnislisten und in die Geschichte eingehen), leiht ihm seinen, und er strampelt, obwohl vom Sturz leicht verletzt, tapfer weiter. Hinter ihm kommt - als einziger offizieller Ausländer - ein Engländer ins Ziel geschoben, vor ihm ein echter Grieche. Die anderen haben nicht so viel Glück, sondern bleiben allesamt auf der Strecke - im wahrsten Sinne des Wortes. Die übrigen griechischen Teilnehmer werden posthum, pardon nach dem Rennen, zu gemeinsamen Vierten erklärt - obwohl sie nicht mehr ins Ziel kommen; die übrigen Ausländer werden, da sie nicht mehr ins Ziel kommen, disqualifiziert. So war das damals.

[Spiridon ergaunert die erste Medaille für Griechenland]

Darf Dikigoros an dieser Stelle wenigstens etwas einschieben, das ihm (als jemandem, der die vielen Boykotte aus politischen Gründen bei späteren Spielen mit erlebt und noch in guter - oder vielmehr schlechter - Erinnerung hat) an jener ersten Olympiade der Neuzeit sympathisch ist? Damals konnte man, wie das Beispiel Gutreich zeigt, noch als Privatmann zu den Olympischen Spielen reisen, nicht nur, wenn einen die Sesselpupser vom eigenen NOC nominiert hatten. Nein, nicht nur wenn man von Hause aus Millionär war. Natürlich erleichterte das die Sache, aber es ging auch so, und es gab nicht nur den einen Fall "Goedrich". Die Schweiz zum Beispiel hat keine Olympia-Mannschaft. So trampt Louis Zutter auf eigene Faust nach Athen, pennt im Hotel der deutschen Turner-Riege und gewinnt am Ende eine Gold- und zwei Silber-Medaillen, genauer gesagt eine Silber- und zwei Bronze-Medaillen, denn damals bekommt der Sieger noch eine Medaille aus Silber, und der zweite eine aus Bronze - der undankbare dritte Platz geht leer aus. (Was Ihr da oben seht, liebe Leser, ist eine Teilnehmer-Medaille.) Muß Dikigoros noch eigens erwähnen, daß die griechischen Schiedsrichter beim Gewehr- und Pistolen-Schießen (es wird mit Armee-Waffen geschossen) auf beiden Augen schielen und daß deshalb alle Medaillen an Griechen gehen? Das hat übrigens ein böses Nachspiel: Die Türken nehmen diese Siege ernst und bezeichnen die Olympiade als "Manöver zur Vorbereitung eines Krieges". Bald darauf bricht er aus - um Kreta. Am Ende bekommen es weder die Griechen noch die Türken, sondern - wie schon Gibraltar, Menorca, Malta, die Ionischen Inseln und Cypern - die Briten (aber das ist eine andere Geschichte).

[Turnen auf dem Heiligengeistfeld in Sankt Pauli] [IX. Deutsches Turnfest 1898 in Hamburg]

Wen wundert es da, daß das Ausland von dieser Olympiade wenig begeistert ist und das IOC einig, sie nie wieder in Griechenland statt finden zu lassen? Und die wenigsten der 295 Sportler aus 13 Ländern, die teilgenommen haben, glauben, daß es überhaupt nochmal "Olympische Spiele" geben wird - auf solche Veranstaltungen kann man gut und gerne verzichten! (Zum Vergleich: 1898 kommen über 20.000 aktive Sportler aus aller Welt zum - glänzend organisierten - "IX. Deutschen Turnfest" nach Hamburg, genauer gesagt nach Sankt Pauli, auf das "Heiligengeistfeld", wo noch kein Fußball gespielt wird - der FC St. Pauli wird erst zwölf Jahre später gegründet -, und wo noch kein Luftschutzbunker steht, sondern nur eine alte Windmühle.) Und selbst wenn es doch nochmal eine Neuauflage der "Olympiade" geben sollte: Für Spiele außerhalb Griechenlands wird kein griechischer Millionär mehr die Spendierhosen anziehen. Auch die französische Regierung, von Coubertin bekniet, denkt gar nicht daran, sich auf ein solches finanzielles Wagnis einzulassen. Die Grande Nation braucht Kanonen für den Revanche-Krieg gegen Deutschland, Zeppeline für den Bombenkrieg, und Soldaten, die sie bedienen können, keine Männer, die in langen Unterhosen und Unterhemden im Kreis laufen und andere Sperenzchen treiben wie Seilchenhüpfen oder Tauziehen. Für eine Weltausstellung ist Geld da, jawohl - aber darüber berichtet Dikigoros an anderer Stelle. Coubertin spricht mit den Veranstaltern: Könnte man nicht am Rande der Weltausstellung, zur Publikumserheiterung, auch ein paar sportliche Wettkämpfe unterbringen? (Das hatte es schon einmal gegeben, 33 Jahre zuvor, bei der zweiten Weltausstellung in Paris, als das erste Radrennen ausgetragen wurde, um eine brandneue und im wahrsten Sinne des Wortes bahnbrechende Erfindung bekannt zu machen: Das "Célérifère" - das erste Rennrad, eine Verbesserung des sechs Jahre zuvor erfundenen Velocipeds, das unseren heutigen Fahrrädern schon sehr ähnlich sah.) Warum nicht, nennen wir sie "Internationale Championate", das klingt gut, vielleicht kommen ja sogar ein paar Teilnehmer aus dem Ausland (und wenn nicht - umso besser für die Franzosen!), die Engländer und Amerikaner zum Beispiel, die im Juli einen Länderwettkampf in London austragen, könnten das als Probelauf nehmen. Nur die verhaßten Deutschen, die Boches, sind natürlich auf keinen Fall willkommen. Hauptmann Alfred Dreyfus - von dem alle anständigen französischen Patrioten glauben, daß er richtig "Dreifuß" heißt und für den deutschen Kaiser Wilhelm spioniert hat - ist gerade im ersten Wiederaufnahme-Prozeß erneut als Vaterlands-Verräter verurteilt worden. (Erst viele Jahre später, als ihn die französischen KZ-Wärter auf der berüchtigten Teufels-Insel schon fast zu Tode gefoltert haben, wird heraus kommen, daß seine einzigen Verbrechen darin bestanden, einen deutschen Namen zu tragen, jüdischer Abstammung zu sein und sich vom Geld seiner Eltern eine Planstelle im französischen Generalstab gekauft zu haben - was einigen anderen Offizieren, die meinten, daß sie eher dran gewesen wären mit der Beförderung, gar nicht gefiel.) Warum Dikigoros das hier erwähnt? Nein, nicht nur deshalb, sondern auch, weil er Euch bisher vorenthalten hat, um was die antiken Athleten abgesehen von Baumzweigen, Ruhm und Ehre sonst noch kämpften. In der Literatur wird meist von einem "Dreifuß" gesprochen. Nein, nicht von mehreren Dreifüßen, sondern immer nur von einem; allerdings wird auffallend oft die Größe mit angegeben, und zwar ausgedrückt in Volumen. Wir dürfen also davon ausgehen, daß es weniger um den Dreifuß als solchen ging, sondern vielmehr um den Pott, der drauf stand, und der zwischen 4 und 22 Litern faßte.

[Dreifuß aus Delfí]

War nun so ein großer, häßlicher Pott aus Bronze wert, sein Leben dafür einzusetzen? Natürlich nicht, liebe Leser, deshalb können wir weiterhin davon ausgehen, daß die Dinger nicht leer waren, wie die Geldbörsen vom Fundbüro, welche die Sieger der "Olympischen Spiele" von Paris bekommen sollten (dazu gleich mehr), sondern vielmehr prall gefüllt mit Silber-Drachmen. Bis zu zwei Tálente Silber à 6.000 Dr. dürften da hinein gepaßt haben, das war schon ganz ordentlich. (Für 1 Dr. bekam man ein Schaf, für 5 Dr. einen Ochsen; wenn also Dikigoros die Kaufkraft der antiken Drachmä an anderer Stelle auf ca. 12,50 Teuro heutiger Kaufschwäche taxiert hat, dann ist das eher niedrig geschätzt. Richtiger wäre vielleicht 25.- DM vor der Währungsunion und vor dem Beitritt Griechenlands zur EU - was erheblich mehr ist.)

Selbstverständlich gehört zu Frankreichs Olympia-Équipe kein einziger Jude; und durch die Straßen von Paris zieht in jenen Tagen randalierend der von Coubertins "Patrioten-Liga" aufgehetzte Pöbel mit der Forderung, alle Juden - die ja gar keine echten Franzosen sind - des Landes zu verweisen und dorthin abzuschieben, wo sie hingehören: nach Deutschland! (Es ist der gleiche Pöbel, der knapp 102 Jahre später randalierend durch die Straßen von Paris ziehen, Polizisten angreifen, Autos anzünden und Fensterscheiben einwerfen wird, mit der Forderung, den bretonischen Präsidentschafts-Kandidaten Jean-Marie LePen - der ja gar kein echter Franzose ist - und seine Glaubensgenossen des Landes zu verweisen und dorthin abzuschieben, wo sie hingehören: nach Nazi-Deutschland! Und es ist der gleiche Pöbel, der ziemlich genau 103 Jahre später, als die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Saint-Denis - zur Zeit der 2. Olympiade neuer Zeitrechnung noch ein beschaulicher kleiner Vorort von Paris, in dessen Kirche die französischen Könige begraben liegen, inzwischen das Schwarzen-Ghetto von Paris mit der höchsten Kriminalitätsrate Frankreichs, noch vor Marseille - statt finden, aus voller Kehle die "Marseillaise" - die französische National-Hymne - mit singen, nein grölen wird, als Frankreich endlich seine erste Gold-Medaille einfährt: die im Rollstuhlfahren für Paralysierte. "... qu'un sang impur abreuve nos sillons [auf daß ein unreines Blut unsere Gefilde dünge]" wird es durchs Stadion tönen. Ja, la Grande Nation multi-culturelle wird allen Grund haben, auf ihr reines Blut stolz zu sein, denn der Sieger - Joël Jeannot aus Saint-Joseph auf der Insel Martinique - wird zwar eine etwas breite Nase und etwas schwulstige Lippen haben, aber als nur Viertel-Neger immerhin eine fast weiße Hautfarbe und deshalb schon beinahe als "reinblütiger" Gallier durchgehen, pardon durchfahren können - alle anderen, die Medaillen für die französische Statistik gewinnen, werden entweder pechschwarze Voll- oder schokoladenbraune Halbneger[innen] sein. Aber immer noch besser als die deutsche Statistik, in der keine einzige Goldmedaille auftauchen wird, obwohl auch die BRD längst nicht mehr nur auf "reinblütige" Germanen setzen, sondern ebenfalls eingebürgerte Neger einsetzen wird - die freilich den anderen nur hinterher laufen werden :-) Man fragt sich, warum die Franzosen überhaupt das Elsaß zurück haben wollen, da es dort doch so viele Menschen gibt, die keine "echten Franzosen" sind... Als die deutschen Turner dennoch wagen, nach Paris zu reisen, werden ihnen dort für teures Geld (die Seine-Metropole ist schon damals ein teures Pflaster) die letzten Schweineställe als Quartiere angewiesen; in die Betten wird Scheiße gepackt, und an die Wände wird "Schweine", "Tod den Preußen" und "Vive la France" geschmiert - auch mit Scheiße. Das, liebe Leser, ist die wahre französische Gastfreundschaft, und das ist der wahre olympische Geist, ganz im Sinne Coubertins! Als die deutsche Turner-Riege sich für die Wettkämpfe anmelden will (sie ist weltweit noch immer ohne ernst zu nehmende Konkurrenz), lehnt man ihre Registrierung einfach, d.h. ohne weitere Begründung, ab - voilà.

[Plakette] [Plakat der Fecht-Wettbewerbe: Florett - Degen - Säbel] [Plakat] [Plakette]

Doch nun wollen wir endlich mit dem Sportlichen beginnen, liebe Leser. Meint Ihr vielleicht, die Skandal-Spiele von Athen seien nicht mehr zu toppen? Aber aber, wir stehen doch erst am Anfang unserer Reise! Ein paar Deutsche sind cleverer als ihr NOK (das den Kopf - in Person Gebhardts - einfach in den Sand steckt und sich nicht traut, die skandalösen Vorgänge in die Öffentlichkeit zu tragen, geschweige denn in die internationale Öffentlichkeit; selbst im offiziellen Abschlußbericht für den Hausgebrauch werden sie tot geschwiegen, um die Atmosfäre nicht noch mehr zu vergiften). Der Deutsch-Österreicher Alwin Kräntzlein zum Beispiel, der einen Zweitwohnsitz in den USA hat, meldet sich kackfrech als Amerikaner "Al[vin] Kraenzlin" an und gewinnt alle Lauf- und Sprung-Wettbewerbe, an denen er teilnimmt. Seine Landsleute Schönfeld (alias "Shoenfield") und Prinstein machen es genauso; allerdings ist letzterer ein religiöser Fundamentalist, und als die Franzosen merken, daß man sie gelinkt hat, legen sie die Endkämpfe der Wettbewerbe, an denen er teilnimmt, auf einen Sonntag, und da tritt ein anständiger Christ natürlich ebenso wenig an wie etwa ein anständiger Jude am Schabbat oder ein anständiger Muslim am Jumāt. So bleibt Prinstein (der als Konvertierter natürlich ein 110%iger ist und sein muß) erfolglos. Da auch andere fromme Christen keine Neigung verspüren, die geheiligte Sonntagsruhe zu verletzen, geht das IOC in den Straßen von Paris auf die Suche nach unfrommen Christen. In einem Café findet man, im Sonntagsanzug herum sitzend, einen gewissen Irving Baxter. Der ist eigentlich Hochspringer, aber das interessiert niemanden, sondern nur eine Frage: "Sind Sie Deutsch-Amerikaner?" - "Nein." - "Gut, mitkommen." Unterwegs gabelt man noch einen zweiten Amerikaner nicht-deutscher Abstammung namens Mike Colket auf, und die beiden läßt man den Stabhochsprung unter sich austragen. Der Sieger springt 3,30 m, der zweite 3,25 m - hier muß Dikigoros einfach mal die Höhen nennen, nur damit Ihr, liebe Leser, in etwa eine Vorstellung bekommt, was da gespielt wird.

Exkurs. Ob sich schon mal ein Stabhochspringer Gedanken gemacht hat, woher diese merkwürdige Sportart kommt? Die Sporthistoriker kennen als älteste Darstellung eine Zeichnung in dem Turnerbuch "Gymnastik für die Jugend" von Johann Christoph Friedrich GutsMuths aus dem Jahre 1793. Aber wie so viele andere Disziplinen geht auch diese auf eine kriegerische Übung zurück, und dafür gibt es eine viel ältere Quelle, nämlich den Bericht aus der Chronik des Büsumer Küsters Neocorus über die Schlacht am "Dusenddüwelswarf [Tausendteufelshügel]" bei Hemmingstedt anno 1500. Dorthin war der dänische König - der sich schon Schleswig und Holstein unter den Nagel gerissen hatte - mit seinem Heer aus Rittern und Berufssöldnern gezogen, um den aufmüpfigen Dithmarschern mal ordentlich eins überzubraten. Aber die Bauern hatten rings um die "Heerstraße" (die eigentlich eher ein etwas breiterer Feldweg war) Entwässerungs-Gräben durch das Marschland gezogen, und die überquerten sie nun - unter Führung der Jungfer Telse (oder, als Koseform, Telske) Kampen aus Wöhrden (oder Hochwöhrden, die beiden Nachbardörfer streiten sich um das Heimatrecht) - der Jeanne d'Arc von Dithmarschen - mit "Sprungstöcken" in bester Stabhochspringer-Manier und fielen den Feind so von allen Seiten an. (Von da an stand das Stockspringen in jeder ordentlichen Armee auf dem [vor-]militärischen Ausbildungsplan - in der Schweiz noch bis 1874!) Aus den deutschen Geschichtsbüchern hat man diese Schlacht - die einst die populärste zwischen der im Teutoburger Wald und der von Sedan war - inzwischen weitgehend getilgt, weil die "Historiker" der BRD zu der Überzeugung gelangt sind, daß die Dithmarscher Bauern erstens ganz böse Nazis waren (jawohl, zumindest ließen sie sich gut vier Jahrhunderte später von den Nazis "mißbrauchen"!), daß zweitens nur die Franzosen eine Heilige Jungfrau als Schlachtenlenkerin haben durften (jawohl, Telse Kampen wurde einfach zur "Sagengestalt" erklärt - selbst im als "rechts" geltenden "Deutschen Soldatenjahrbuch" 1996, erwähnt sie Gunther Bardéys Aufsatz, der an die Schlacht von Hemmingstedt erinnern soll, mit keinem Wort!), und daß es drittens ganz unsportlich, ja fast schon ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war, ausländische Besatzungs-, pardon, Schutz- und Friedenstruppen, die nur mal ein bißchen in Deutschland morden, sengen und plündern wollten, mit Springstöcken anzugreifen, deren Einsatz weder der Völkerbund noch die UNO jemals offiziell erlaubt haben! Daher muß es in den Augen eines jeden braven Gutmenschen als ganz bedenkliches Zeichen von wachsender Ausländer-Feindlichkeit in Deutschland gewertet werden, daß im Jahre 1999 ein immerhin 44-minütiger Kurzfilm über die Schlacht gedreht und ein Jahr später am Ort des Geschehens sogar ein Freilichtmuseum eröffnet wurde. Exkurs Ende.

Zurück zu den Spielen von 1900. Einige Deutsche sind aber auch geradezu unverschämt erfinderisch, wenn es darum geht, sich den berechtigten Diskriminierungen seitens der Franzosen zu widersetzen. So meldet sich der Deutsch-Österreicher Rudi Bauer kackfrech als "Ungar" an (Ungarn und Böhmen - und Finnen - gelten wie gesagt als separate olympische Nationen, nicht aber Iren, Schotten, Waliser, Bretonen, Korsen, Basken oder andere Minderheiten in den Staaten der Westalliierten) und gewinnt das Diskuswerfen. [Auch für eine solche Notlüge gibt es übrigens antike Vorbilder. Als man z.B. im Jahre 420 v.C. aus irgend einem Grunde die Spartaner von der Teilnahme ausgeschlossen hatte, meldete ein gewisser Lichas sich bzw. seine Pferde als Thebaner an - und siegte im Wagenrennen. Als das heraus kam, bezog er zwar eine ordentliche Tracht Prügel, aber der Sieg blieb Theben erhalten (ja, auch damals gab es schon eine "Nationen-Wertung!"), und auch Lichas persönlich durfte ein paar Jahre später, als Sparta wieder zugelassen wurde, eine Siegesstatue aufstellen und wurde nicht aus der Liste der Olympioniken gestrichen.] Hände ringend suchen die Franzosen nach Möglichkeiten, wenigstens den einen oder anderen Sieg für ihre eigenen Athleten zu ergaunern. Sie erfinden einfach eine neue Disziplin, die 5x5.000-m-Staffel. Keine andere Nation hat fünf Langstreckenläufer vor Ort. Aber ganz ohne Gegner geht es halt auch nicht, das wäre ja kein Wettbewerb, sondern bloß ein Schaulaufen. Man nötigt die Briten, einen Australier in ihr Team aufzunehmen, das dann freilich nur aus einem 100-, einem 200-, einem 800-, einem 1.500- und einem 3.000-m-Hindernis-Läufer besteht. Die Franzosen feixen und haben leichtes Spiel. Glauben sie zumindest. Am Ende werden sie dann doch nur zweiter. Merde alors. Auf zum Tauziehen. Die französischen Zuschauer ziehen einfach mit. Der Ärger ist nur: So lang ist das Tau gar nicht, daß nun ganz Paris mit pfuschen könnte, und so unterliegen die Pfuscher im Finale dem sechsköpfigen Team aus Skandinavien. (Weil es ein gemischtes Team aus Schweden und Dänen ist, werden die USA hinterher behaupten, daß eigentlich sie die wahren Sieger des Wettbewerbs gewesen seien, und ihre eigene Statistik aufstellen. Vier Jahre später, als sie die Olympischen Spiele ausrichten, werden keine Ausländer zum Tauziehen zugelassen; folgerichtig siegt Team USA I vor Team USA II und Team USA III. Und weil die Diziplin danach aus dem olympischen Programm gestrichen wird, bleiben die USA im Tauziehen für alle Zeiten ungeschlagen - ist das nicht schön?)

Wie wär's denn mit Fechten? Um zu verstehen, was das für die Franzosen und ihren Nationalstolz bedeutet, muß Dikigoros etwas weiter ausholen: In fast allen anderen Staaten der Welt - zumindest denen, die sich nach französischem Verständnis als "zivilisiert" bezeichnen dürfen - ist das Säbel-Duell verboten, auch im ach-so-militaristischen Deutschen Reich. Nicht so in Frankreich, dort ist es im Gegenteil nicht nur salonfähig, sondern wer sich davor drückt, hat ein für alle mal sein Gesicht verloren. Welches war der erste Akt des Strafvollzugs an Dreyfus nach seiner Verurteilung? Natürlich das öffentliche Zerbrechen seines Säbels! Das (einstmals - heute ist es verschwiegen und vergessen und/oder verdrängt) berühmteste Säbel-Duell Frankreichs hatte aber schon einige Jahre vor der Olympiade statt gefunden: Damals gab es einen Abgeordneten namens Boulanger. (Wenn Ihr, liebe Leser, im Geschichtsunterricht gut aufgepaßt habt, dann kennt Ihr ihn vielleicht als kurzzeitigen Gegenspieler Bismarcks; wenn nicht, ist es auch nicht schlimm - hier geht es um etwas anderes.) Der schrie ständig nach einem Revanche-Krieg gegen Deutschland. Aber dem Staatspräsidenten, einem gewissen Floquet, ging das irgendwann doch zu weit, deshalb hatte er Boulanger schon als Kriegsminister entlassen - sehr zum Zorne des Wahlviehs, pardon Wahlvolkes, das ihn mit überwältigender Mehrheit ins Parlament wählte. Boulanger, nicht faul, nahm eine angebliche "Beleidigung" (Floquet hatte ihn im Laufe einer hitzigen Parlaments-Debatte in unvorteilhafter Weise mit Napoléon Bonaparte verglichen) zum Anlaß, ihn zum Säbel-Duell zu fordern. Nun war Boulanger 50 Jahre alt, Berufsoffizier und General a.D.; Floquet dagegen war 65, von Beruf Rechtsanwalt - also ein für gewöhnlich mit dem Gänsekiel fechtender Schreibtisch-Ritter. Niemand glaubte im Ernst, daß er die Forderung annehmen würde - lieber den Präsidentenstuhl verlieren und die so genannte Ehre, als das Leben! Aber Flocki, auch nicht faul, stellte sich dem Duell und - gewann! Boulanger wurde am Hals verwundet, zwar nicht tödlich im fysischen Sinne, aber politisch und moralisch war der gerade noch populärste Mann Frankreichs nach dieser blamablen Niederlage, die in den Augen der meisten Franzosen einem Gottesurteil gleich kam, mausetot; er emigrierte nach Belgien, wo er zwei Jahre später Selbstmord beging. Soviel zum Stellenwert des Fechtens in Frankreich - das sich nun fieberhaft auf die Suche begibt nach jemandem, der die Ehre der Grande Nation verteidigen kann. Albert Ayat, Fechtmeister (also Profi) und Weltmeister der Berufsfechter, erklärt sich schließlich bereit, für ein Preisgeld von 3.000 Goldfranc (etwa 30.000 Teuro) bei den Amateuren anzutreten. Da es diesen "gemischten" Wettbewerb zwischen Amateuren und Profis eigentlich gar nicht gibt, bekommt er als einzigen Gegner den 17-jährigen kubanischen Schüler Ramón Fonst vorgesetzt, einen echten Amateur - und nun klappt es endlich mit dem ersten französischen Olympia-Sieg, hurra!

Es soll nicht der einzige bleiben: Da war ja noch der Marathonlauf. Wie war das anno 1896 gewesen? Von Griechenland lernen heißt siegen lernen! Im Jahre 1900 führt die Strecke irgendwie und -wo durch die Straßen von Paris - gekennzeichnet ist sie nicht, und die Bevölkerung achtet strikt darauf, daß kein Ausländer in Erfahrung bringen kann, wo es eigentlich lang gehen soll. Sogar die Polizei ist angewiesen, die Ausländer in die Wüste zu schicken. So belegen plangemäß zwei Franzosen die ersten beiden Plätze, ein Pizzabäcker griechisch-italienischer Abstammung, der eine kleine "Abkürzung" mitten durch Paris genommen hat, und ein Spaßvogel, der sich etwas voreilig "Champion" nennt und einen Teil der Strecke auf dem Fahrrad zurück gelegt hat. Aber die Sache hat noch ein Nachspiel: Ein Schwede deutscher Abstammung (pfui!), Ernst Fast, schafft es trotz aller Schikanen, ins Ziel zu kommen (natürlich zu spät, um zu gewinnen, denn er kannte ja die Abkürzung nicht und hatte auch kein Fahrrad mit) und macht den Skandal publik - er kann sogar den Polizisten genau beschreiben, der ihn in die Irre zu führen versucht hat. Die Franzosen lassen den Hilfswachtmeister ermorden, damit die Sache nicht weiter untersucht werden kann, und deklarieren das ganze als "Selbstmord aus Gram ob der versehentlichen Falschauskunft". Bravo.

Und dann war da noch Kricket. Ja, trotz der Pleite vor vier Jahren in Athen ist es wieder im Programm. Aber erneut treten bloß die Engländer an. Was tun? Erneut durchkämmt das IOC tapfer die Straßen von Paris. Es findet zwar keinen Franzosen, der auch nur die Kricket-Regeln kennt, geschweige denn dieses komische Spiel beherrscht. Aber einige verbummelte englische Studenten hängen in den Bars und Cafés der französischen Hauptstadt herum. Das IOC sammelt sie ein und stellt sie auf, als "französisches Team". Und ob Ihr es glaubt oder nicht liebe Leser... doch, Ihr müßt es glauben, der Schiedsrichter war nämlich auch Franzose. A propos Schiedsrichter: Radfahren ist bekanntlich der Nationalsport der Franzosen. 30 Wettbewerbe werden ausgetragen. Leider gewinnen die Franzosen nur einen, das Zeitfahren (der Schiedsrichter, der die Stoppuhr und beide Augen zu drückt, ist zufällig Franzose). Was tun? Ganz einfach: Alle anderen Sieger werden als "Professionals" disqualifiziert und die 29 übrigen Wettbewerbe nicht gewertet, voilà. Zum Rugby - einer weiteren Nationalsportart der Franzosen - haben nur zwei Teams gemeldet, das aus Frankreich und das aus Frankfurt am Main (vom Fußballclub Eintracht, der damals noch 1. FC Frankfurt heißt). Trotz krasser Benachteiligung durch den Schiedsrichter führen die Frankfurter am Ende der regulären Spielzeit. Was tun? Er läßt einfach weiter spielen und pfeift weiter konsequent gegen die Deutschen, und zwar so lange, bis die Franzosen in der 20. Minute der Nachspielzeit in Führung gehen. Dann pfeift er sofort ab, voilà. (Erklärung im Nachhinein? Seine Uhr war stehen geblieben - so ein Pech aber auch.) Doch beim Fußball klappt das beim besten Willen nicht, die Engländer sind einfach zu stark. Wenn man sie weiter spielen ließe, würden sie womöglich nicht 4:0, sondern 8:0 gewinnen gegen die schwachen Franzosen (die noch nicht ihre Neger, Araber und sonstige Kolonial-Völker gegen den Ball treten lassen; sie selber können bekanntlich bis heute nicht ordentlich Fußball spielen). Was tun? Hm... stellt da nicht eine Vereinsmannschaft - der FC Upton Park - die komplette englische Nationalmannschaft? Gewiß, na und? Hat es im Rugby irgend jemanden gestört, daß die Deutschen alle vom FC Frankfurt kamen? Natürlich nicht, denn sonst hätten die Franzosen ja keinen Gegner gehabt, und sie haben ja schließlich auch gewonnen, egal wie. Aber im Fußball ist das ein Grund, den Wettbewerb nicht zu werten!

Ja, die Engländer sind in einigen Sportarten einfach zu stark. Dafür kann man in anderen nur lachen über die Witzfiguren, die sie da ins Rennen schicken, z.B. beim 1.500 m Freistil-Schwimmen. Kommt da doch so ein kleines, dickes Männchen angewatschelt, das eigentlich überhaupt keinen Stil hat - jedenfalls keinen, von dem man bisher gehört hätte -, es ist eher eine Art Hundepaddeln mit lang gestreckten Armen und Beinen. (Alle anderen Schwimmer befleißigen sich des schönen, sauberen Froschstils, den wir heute "Brustschwimmen" nennen, oder des "Seitschwimmens" - von dem Dikigoros nie so ganz verstanden hat, wie das funktionieren soll.) Das Publikum lacht John Arthur Jarvis herzlich aus - so herzlich, wie es erst wieder 68 Jahre später jenen Spinner auslachen wird, der beim Hochsprung die Latte rückwärts überquert, und dessen Stil man etwas voreilig zum "Flop" erklären wird. Das Hundepaddeln von J.J. - mit dem er sich bestimmt nur kriechend, im Schneckentempo, wird bewegen können, nennt man dementsprechend "crawling". (Die Deutschen nennen es "Kraulen" - obwohl da ja nichts gekrault wird, nicht mal der Hund, der so durchs Wasser paddeln soll.) Jarvis siegt überlegen und bricht in den folgenden Jahren alle Rekorde zwischen 440 Yards und der Meile. (Da die "Weltrekorde" erst seit 1908 ermittelt werden, und das in Metern, wird er offziell nie einen halten; aber egal von wem und über welche Distanz wird es nie mehr einen in einem anderen Stil geschwommenen Weltrekord geben, der den im Kraulen übertrifft; Kraulen wird zum Synonym für "Freistil", denn seitdem ist niemandem mehr etwas eingefallen, das Jarvis' Idee toppt; und dem Publikum ist sein dummes Lachen längst vergangen.) Und noch etwas Erfreuliches zum Abschluß - leider nicht für die Franzosen: Auch Damen haben teil genommen - sechs Tennis-Spielerinnen und fünf Bogenschützinnen! (Beides englische Domänen - schon Queen Victoria hatte in ihrer Jugendzeit Bogen geschossen.) Coubertin, der Frauenfeind, rauft sich die Haare, aber er kann es nicht verhindern - schließlich ist es nicht seine Weltausstellung!

Was war das nun eigentlich? Eine Olympiade? Eine Gaudi? Oder nicht mal das? Medaillen gab es keine (außer für die Schieß-Wettbewerbe, aber ob die überhaupt dazu gehörten war zweifelhaft, zumal auch ganz offiziell nur Franzosen daran teilnehmen durften - es war ein "concours national" -, nicht wie an so vielen anderen "olympischen" Wettbewerben nur inoffiziell), sondern als Preise wurden Spazierstöcke, Regenschirme, (zuvor geleerte) Portemonnaies und andere Preziosen aus dem Fundbüro der Weltausstellung verteilt. Als die zuende geht, sitzen die Veranstalter noch auf einem Haufen unverkaufter Weltausstellungs-Medaillen. (Ihr seht oben auf dem Plakat Mitte rechts eine abgebildet, liebe Leser. Auch die Plakette oben rechts hat nichts mit Olympia zu tun, wenngleich Euch die Rückseite so erscheinen mag: Der Fackellauf mit dem Olympischen Feuer wird erst 1936 von den bösen Nazis erfunden und wundersamer Weise nach 1945 nicht verboten.) Sie werden zum Sonderpreis ans IOC verramscht, und das schickt nachträglich jedem Sieger und jedem Zweitplazierten ein versilbertes bzw. unversilbertes Exemplar per Post zu, zusammen mit einem netten Brief Coubertins, daß das übrigens die II. Olympischen Spiele gewesen seien. (Den Ersten im Marathon-Lauf, Michel Theato, wird diese Post getreu dem Bibel-Spruch "Die ersten werden die letzten sein" als letzten erreichen, nach sage und schreibe zehn - andere meinen sogar erst nach zwölf - Jahren; er war umgezogen, und so lange hat das IOC gebraucht, um seine neue Adresse ausfindig zu machen :-) Die Überraschung ist groß, denn damit hatte nun wirklich niemand gerechnet.

[Schützenmedaille auf den 7. Nationalen Schießwettbewerb] [Weltausstellungs-Medaille] [Schützenmedaille Rückseite]

A propos Medaillen: Wißt Ihr eigentlich, liebe Leser, wer der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten war? Nein, kein Turner, kein Fechter und kein Schwimmer (die ja ihre Medaillen-Ausbeute durch Mannschafts-Wettbewerbe und Staffeln leicht verdoppeln können), sondern ein Leichtathlet. Nein, kein Sprinter (für die das gleiche gilt in Sachen Staffeln) und auch kein finnischer Langstrecken-Läufer (auf die kommen wir später), sondern ein Amerikaner, und er führt die Statistik auch nur dann an, wenn man die "Zwischen-Olympiade" von 1906 mit zählt (dazu später mehr). Wahrscheinlich habt Ihr seinen Namen noch nie gehört, denn er hat seine zehn Goldmedaillen in drei Disziplinen geholt, die es nicht mehr gibt (weshalb er in ihnen noch immer den olympischen Rekord hält), obwohl man heute sogar Wettbewerbe extra für Behinderte ausschreibt. Sein Name ist Ray Ewry, und er war - ein Krüppel. Nein, er war nicht erbkrank und auch nicht versehrt, sondern "nur" mit fünf Jahren an Kinderlähmung erkrankt. Mit ungeheurer Willensanstrengung und eiserner Disziplin lernt er wieder zu stehen und sich vorwärts zu bewegen, Schritt für Schritt, jeden Muskel einzeln kontrollierend, mit Konzentration auf die Balance und Koordination des langen, dünnen Körpers. Mit 20 Jahren kann er wieder - nein, nicht laufen, aber immerhin gehen. Mit 24 hört er, daß im Vorjahr in Europa eine so genannte "Olympiade" statt gefunden hat, und daß in drei Jahren wieder eine statt finden soll. Als er einem Sportclub beitritt und verkündet, daß er daran teilnehmen wolle, lacht man den Witzbold herzlich aus: Laufen kann er nicht, und um ein Wurfgerät zu bedienen ist er zu schmächtig. (Das Werfen des relativ leichten Speers wird erst in sechs Jahren olympische Disziplin werden.) Aber es gibt ja noch die Sprung-Disziplinen. Wir erinnern uns: damals wurden sowohl die Würfe als auch die Sprünge noch getrennt ausgetragen, "aus dem Stand" und "mit Anlauf". Was hätten wir denn da? Weitsprung rückwärts aus dem Stand - da stellt Ewry bald einen Weltrekord auf, doch das ist leider keine olympische Disziplin. Wohl aber Weitsprung vorwärts aus dem Stand, Dreisprung vorwärts aus dem Stand und Hochsprung vorwärts aus dem Stand. (Hochsprung rückwärts gibt es noch nicht; und wenn damals jemand voraus gesagt hätte, daß es den in 68 Jahren geben würde und daß er binnen kurzen den Hochsprung vorwärts völlig verdrängen würde, hätte man den wohl für verrückt erklärt und in die nächste Klapsmühle eingewiesen.) Mit 27 Jahren schafft Ewry die US-Qualifikation in allen drei Disziplinen, und zwei Tage nach dem französischen National-Feiertag gewinnt er alle drei Wettbewerbe. Er wird diesen Triumf vier Jahre später in St. Louis wiederholen - sechs Jahre später in Athen und acht Jahre später in London wird er jeweils "nur" zwei Goldmedaillen gewinnen, weil der Dreisprung aus dem Stand nicht mehr ausgetragen wird. (Interessiert Euch übrigens seine Weite? 10,58 m - das würden die meisten von Euch nicht mal mit Anlauf schaffen!) Ab 1912 werden auch der einfache Weitsprung und der Hochsprung aus dem Stand nicht mehr ausgetragen; der alte Ewry tritt ungeschlagen ab. In Dikigoros' Augen ist er nicht nur der erfolgreichste Olympionik, sondern der größte Leichtathlet aller Zeiten. Aber er hat vorgegriffen - noch sind wir im Jahre 1900.

[Medal]
[Medal]
[Plakat] [Medal]
[Medal]
[Plakette] [Medal] [Plakette]

Vier Jahre gehen ins Land, aber auch 1904 findet sich niemand, der "Olympische Spiele" finanzieren will. Das IOC - das sie gerne nach Chicago in Illinois vergeben hätte - sucht und sucht... und gelangt schließlich zu dem Ergebnis, daß es am einfachsten (und billigsten) ist, sich wieder an eine Weltausstellung zu hängen. Wo findet die denn dieses Jahr statt? Eigentlich nirgends. Aber die in St. Louis anläßlich der Hundertjahrfeier des "Louisiana Purchase" (Napoleons Verkauf der französischen Kolonie Louisiana an die USA anno 1803) geplante ist verbummelt und um ein Jahr verschoben worden, so paßt es, und US-Präsident Roosevelt persönlich macht sich dafür stark, die Olympiade dran zu hängen. Warum auch nicht? St. Louis, eine Stadt mit französischem Namen, von Franzosen gegründet, aber kulturell und von der Einwohnerschaft her noch überwiegend deutsch geprägt. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit, auf amerikanischem, gewissermaßen neutralem Territorium wahrhaften "olympischen" Geist - oder das, was man ständig dafür ausgibt - zu demonstrieren? Versöhnung, Völkerfreundschaft usw.? Pustekuchen - es wiederholt sich das unrühmliche Trauerspiel von Paris, mit Haß, Betrug, Schiebungen und Skandalen, nur unter umgekehrten Vorzeichen, d.h. diesmal nicht zugunsten der Franzosen, sondern der Amerikaner. (Doch, einen Unterschied gibt es: Diesmal bekommen die Sieger gleich eine Ausstellungs-Medaille in die Hand gedrückt - das nachträgliche Versenden per Post hat dem IOC doch zu hohe Portokosten verursacht -, und es gibt sie erstmals in drei statt in nur zwei Ausführungen: vergoldet, versilbert und in Bronze! Laßt Euch übrigens nicht täuschen, liebe Leser: Die ach-so-olympische Medaille in der Mitte ist eine Fantasie-Prägung aus den 70er Jahren. Links oben sind die Besucher-, rechts oben die Sieger-Medaillen, die sowohl an Aussteller als auch an Sportler vergegeben wurden.) Die Gelackmeierten sind diesmal - neben den wenigen die Deutschen, die teilnehmen - vor allem die Briten; aber es ist Dikigoros einfach zu dumm, das alles im einzelnen aufzuzählen; und was sonst noch los war, darüber schreibt er an anderer Stelle mehr.

Nur auf etwas will er hier noch kurz eingehen, da es heutzutage - wenn es nicht überhaupt verschwiegen wird - durchweg verteufelt wird: auf die so genannten "Anthropologischen Tage". Denn während es seit der Antike selbstverständlich war, daß an Olympischen Spielen nur "zivilisierte Völker" teilnehmen durften, keine "Barbaren", wollte man jetzt auch den un-, pardon nicht-zivilisierten Völkern etwas Gutes tun, den Indianern, Hottentotten, Ainu usw. "Pfui, Rassismus", schreien da einige, die nicht dabei waren und sich auch sonst nicht ernsthaft mit dem Thema auseinander gesetzt haben. Nein, liebe Leser, es ist zwar richtig, daß die USA (und nicht nur die) damals ein rassistisches Land waren, aber im Sport galt das nicht - oder jedenfalls nicht allgemein. Wenn man sich davon einen nationalen Vorteil erhoffte, schickte man auch schwarze Leichtathleten ins Rennen. (Nein, im Kurzsprint noch nicht, den läßt man den eingebürgerten Deutschen Archibald Hahn gewinnen - auf die schmutzigen Tricks, deren man ihn sich zu diesem Zweck bedienen läßt, will Dikigoros an dieser Stelle noch nicht näher eingehen; er beschreibt sie weiter unten, bei seinem geistigen Enkel Armin Hary.) Der Neger George Poage wird über 400 m sechster und über 200 und 400 m Hürden jeweils dritter. Niemand käme auf die Idee, ihn bloß wegen seiner Hautfarbe nicht mitlaufen zu lassen. Nein, den Wilden will man wirklich etwas Gutes tun, da klar ist, daß sie in den "typisch weißen" Sportarten, wie Tauziehen, Sackhüpfen und Degenfechten, einfach nicht genügend geübt sind, um eine Chance zu haben. Umgekehrt mutet man ja auch keinem Weißen zu, im Bäume-Klettern, Kokosnuß-Weitwurf oder Blasrohr-Schießen anzutreten. Es geht also um die Sportarten, nicht um die Sportler!

[Speerwerfen]

Exkurs. Ihr meint, liebe Leser, diese Vorstellungen seien spätestens seit der UN-Charta von 1945 überholt, zumindest im Westen? Weit gefehlt. Wie Ihr unten seht, wurde noch anno 1968, anläßlich der Olympiade in Mexiko, eine Medaille geprägt, wonach der Sport [nur] die "zivilisierten Völker" vereint. Die Mexikaner scheinen unter Zivilisation etwas anderes zu verstehen als wir, denn sie bilden dazu ausgerechnet einen nackten Indio ab, der barfuß mit der Olympia-Fackel durch die Kakteen-Wüste läuft. Vordergründig mag dieses Verständnis falsch sein, denn "Zivilisation" kommt ja vom lateinischen Wort für Stadt [Civis], und sie sollte nicht mit "Kultur" verwechselt werden (was vom lateinischen Wort für Ackerbau kommt).

[Pueblos civilizados]

Aber schaut Euch die Medaille mal etwas genauer an: Im Hintergrund links könnt Ihr eine Pyramide erkennen, wie die prä-azktekischen Indios sie bauten - und damit standen sie zumindest an der Schwelle zur Zivilisation. Kleidung dagegen ist nicht deren notwendiger Bestandteil (obwohl man es angesichts des Klamotten-Fetischismus, der heutzutage im Westen herrscht, fast meinen könnte), die trugen bei uns schon die Wilden in der Steinzeit, um in der Eiszeit nicht zu [er]frieren; dagegen wäre es in der Hitze des mexikanischen Hochlandes kein Zeichen von Zilivisation, sondern vielmehr von Dummheit, welche zu tragen - auch Dikigoros ist auf den mexikanischen Pyramiden meist oben ohne herum geturnt. Aber so weit waren unsere "zivilisierten" Sportler anno 1904 noch lange nicht - die trugen selbst beim Schwimmen Badeanzüge, wie heute nur noch Frauen und Schwule. Exkurs Ende.

Bei all der Aufregung um die "Anthropologischen Tage" - die wie gesagt nicht dazu gedacht waren, die "Wilden" zu diskriminieren - wird heutzutage meist eine echte Diskriminierung vergessen, die an einen Skandal grenzte: Von den insgesamt 681 Teilnehmern, die zu den nicht-turnerischen Wettbewerben gemeldet hatten, waren 525 US-Amerikaner (der Rest meist Kanadier), d.h. das Interesse an diesen "internationalen" Spielen war mal wieder gleich Null. Mit einer Ausnahme: zu den Turnwettkämpfen hatten 3.280 Teilnehmer gemeldet - ausnahmslos Deutsche, und zwar meistenteils solche, die zwar in den USA lebten, aber deren Staatsbürgerschaft (noch) nicht angenommen hatten - pfui! Was tun? Ganz einfach: Sie wurden nicht zur Olympiade zugelassen, d.h. die Turnwettbewerbe wurde diesmal ganz aus dem offiziellen Programm gestrichen und zu "Exhibitions [Schaukämpfen]" degradiert. Noch Fragen?


Ach so - die nach den Sportlerinnen... Ja, liebe Leserinnen, die sind auch wieder dabei, wie gehabt im Bogenschießen und Tennis, in knöchellangen weißen Kleidern, mit schönen, großen Hüten - nur auf den Schleier dürfen sie verzichten. (Wohlgemerkt, auch die Tennis-Herren treten damals selbstverständlich noch in ordentlichen langen Hosen an, mit Bügelfalte. Und wehe, die wird beschmutzt - da ist noch nichts mit Hechtrolle!) Moment, da war doch noch etwas? Ach ja, die Amerikaner haben ihren National-Sport eingeführt, das Boxen. (Keine andere Nation stellt Teilnehmer, denn jeder weiß, daß es im Box-"Sport" keine Amateure gibt - wer prügelt sich schon umsonst im Ring herum?) Das der Männer wird vom IOC zähneknirschend als olympische Disziplin anerkannt, nicht aber das der Frauen - das auch statt findet und sich der höchsten Zuschauerzahlen erfreut haben soll; aber da es aus den olympischen Annalen gestrichen wurde, weiß das heute kaum noch jemand. Warum eigentlich nicht? Weil es gesundheitsschädlich war? Ach was - es war unmoralisch! Denn die Frauen traten nicht in Korsetts und langen Kleidern an, wie die Tennisspielerinnen, sondern in Pluderhosen, Gamaschen und Schnürschuhen ohne Absätze! Und "oben ohne", d.h. ohne Hüte - da kamen die Voyeure so richtig auf ihre Kosten! Nein, so ging das wirklich nicht - und so bleibt Damen-Boxen bis auf weiteres von den Olympischen Spielen ausgeschlossen.

Noch einen Wettbewerb gibt es nur einmal und nie wieder: das Taubenschießen. Tausende von den Viechern hat man eigens eingefangen, um sie abzuknallen; der Ärger war nur: viele wollen partout nicht still halten und fliegen einfach auf und davon, bevor man sie erlegen kann. Diesmal dürfen auch Nicht-Franzosen und Nicht-Veranstalter mitmachen - prompt gewinnt ein Belgier, mit gerade mal 21 Vögeln. Damit solch eine Blamage nicht noch einmal vorkommt, wird man die lebenden Tiere künftig durch fliegende Untertassen aus billigem Ton ersetzen, die man mit einem Katapult in die Luft schleudert - die sind nicht so flatterhaft, deren Flugbahn läßt sich leichter berechnen, und die Trefferquote kann gegen 100% gesteigert werden. "Tontaubenschießen" wird man diesen groben Unfug, pardon diese neue olympische Disziplin, fortan nennen.

[Medaille] [Medaille] [Medaille]

Kopfschüttelnd haben die Griechen die Trauerspiele in Paris und St. Louis mit verfolgt - weniger ob der schlechten sportlichen Leistungen, als ob der Tatsache, daß sie bei der Medaillen-Vergabe leer ausgegangen sind, denn die pfuschten sich wie gesagt andere in die Taschen. Also müssen sie endlich mal wieder selber eine "Olympiade" veranstalten - natürlich nicht in Olympia, sondern - wiederum gegen den hartnäckigen Widerstand von Coubertin und Konsorten - in Athen. Zu diesem Zweck wird das Stadion auf Betreiben des Generals Metaxás ausgebaut, ganz in Marmor. Nein, nicht etwa die Laufbahn (die ist nach wie vor nur 333 statt 400 m lang - das kostet Zeit in den viel zu engen Kurven), sondern die Tribüne - die faßt nun 40.000 Zuschauer. Die kommen auch, und die sportlichen Leistungen sind etwas besser als die in St. Louis (Kunststück - es kommen fast doppelt so viele Aktive zusammen, vor allem Europäer, denen die Reise an den Mississippi zu weit und zu teuer war); aber ein Erfolg werden die Spiele aus griechischer Sicht dennoch nicht, vor allem da die Scheiß-Deutschen bzw. Deutsch-Österreicher (die z.T. wieder unter amerikanischer oder kanadischer - also jedenfalls falscher - Flagge segeln) drei Disziplinen gewinnen, die Griechenland fest für sich selber eingeplant hatte: das Tauziehen (die Düsseldorfer Turnerschaft um Hein Rondi - der auch im Gewichtheben und Ringen antritt, freilich ohne größeren Erfolg), das 400-m-Schwimmen (Otto Scheff alias "Sheff") und den Marathon-Lauf (Willi Schering alias "William Sherring") - letzteren zu allem Überfluß auch noch in Rekordzeit (die bis heute Bestand hat - warum erfährt der geneigte Leser weiter unten).

[Stadion] [Briefmarke]

Immerhin gewinnen die Griechen das Tauhangeln - wie schon 1896 das Tauklettern und das - letztmalig ausgetragene - Steinstoßen (der "Stein" war nur halb so schwer wie der heute für's Sportabzeichen verwendete), dagegen reicht es im Diskuswerfen wieder nicht, obwohl sie neben einem im "Freistil" (mit Drehung) wieder separat einen im "griechischen Stil" (aus dem Stand) austragen. Der US-Ire Sheridan räumt ab, den Rest teilen sich die Schweden Lemming, Lindberg, Mellander und der für Finnland startende Werner Järvinen (dessen vier Söhne ebenfalls große Olympioniken werden sollten; sie hätten die Sportler-Dynastie des 20. Jahrhunderts begründet, wenn nicht drei von ihnen - und die Söhne des vierten - im Krieg gegen die Sowjetunion gefallen wären). Mellander gewinnt auch den Penthathlon nach "antiken" Regeln, d.h. mit Ausscheiden nach Standweitsprung, Diskus- und Speerwerfen, dann nach dem 200-m-Lauf, und mit abschließendem - aber nicht bis zum Exitus verfolgten - Ringkampf. (Dafür bekommt er einen Pokal, der eigentlich als "Wanderpokal"gedacht war; aber zwei Jahre später weigert er sich, ihn zurück zu geben, und da sich das IOC genauso bockig anstellt wie er, wird diese Disziplin nie wieder ausgetragen.) Und die Dänen? Leisten die als einzige Skandinavier gar nichts? Aber doch, liebe Leser, denn es wird ja auch noch Fußball gespielt! Die Dänen haben als einzige Nationalmannschaft gemeldet, aber die Ausrichter wissen Rat: Warum soll man nicht drei griechische Vereins-Mannschaften mit machen lassen? Eine aus Athen, eine aus Saloniki und eine aus Smyrna (dem heutigen Izmir)?! Das Osmanische Reich nimmt zwar nicht an den Spielen teil; aber erstens ist Smyrna damals noch weitgehend griechisch, und zweitens tritt in der Elf nur ein Grieche an - der Rest sind Engländer und Franzosen. Was soll wohl bei einem solchen Turnier heraus kommen, liebe Leser? Die Griechen hatten damals noch keinen Rehakles, und entsprechend fallen die Resultate aus: Im Endspiel führt Dänemark bei Halbzeit 9:0 gegen Athen - die Athener verzichten auf eine Fortsetzung des Matches und damit auch auf die Silber- bzw. Bronzemedaille, die nun zwischen Smyrna und Saloniki ausgespielt wird: Die Engländer und Franzosen schlagen die Griechen 12:0.

Und, waren das nun "Olympische Spiele", wie das die griechische Briefmarke behauptet? Eigentlich ja, jedenfalls viel eher als die beiden "Olympiaden" von 1900 und 1904, zumal sie - im Gegensatz zu der von 1900 - auch als solche ausgeschrieben waren. Die Sache hatte nur einen Haken: Da der Stadion-Umbau nicht erst 1908, sondern schon 1906 abgeschlossen war (das waren noch Zeiten - ein gutes Jahrhundert später sollte man die umgekehrten Probleme haben :-) und man nicht noch zwei Jahre zuwarten wollte, stimmt das Datum nicht. Also werden sie von den Offiziellen nachträglich zu "Olympischen Zwischenspielen" herab gestuft - aber auf eine Idiotie mehr oder weniger kommt es in der Geschichte der Olympiaden nun wahrlich nicht an.

[Medal]
[Medal]
[Medal]
[Plakat] [Medal]
[Medal]

1908 will man das Ganze etwas fachmännischer (nein, natürlich nicht professionell - wo kämen wir denn da hin?) anpacken, nicht mehr als Anhängsel einer Weltausstellung, und in einem ordentlichen, neuen Stadion: in Rom, das ja auch schon in der Antike Schauplatz zahlreicher Agώnien war (besonders der Gladiatoren, aber das ist eine andere Geschichte). So stellen Coubertin und das IOC sich das jedenfalls vor. Aber wie das so ist bei dem allseits bekannten Organisations-Talent der Italiener... Kurzum, London springt ein, dort (in Shepherd's Bush) ist gerade ein Super-Stadion gebaut worden: Innen ein Fußballfeld mit Rasen, daneben ein 50-m-Schwimmbecken, drum herum eine 600-Yard-(536-m-)Aschenbahn für die Läufer, und dann noch ein zweiter Ring mit einer superschnellen Zementbahn für die Radfahrer! Jetzt ist es vorbei mit den Ausreden für schlechte sportliche Leistungen... Die deutschen Teilnehmer finden trotzdem welche: Das englische Essen schmeckt ihnen nicht, die Hotels sind schlecht und teuer, und das Taschengeld zu knapp bemessen - das NOK hat jedem mal gerade 100 Goldmark [ca. 1.000 Teuro] in die Hand gedrückt; was darüber hinaus geht, muß aus eigener Tasche finanziert werden, und ein britisches Pfund wiegt damals 20 Goldmark auf! Das wäre ja weiter nicht schlimm, wenn sich die Spiele nicht so fürchterlich lange hin ziehen würden! Man ist nämlich auf die originelle Idee gekommen, den Spieß diesmal umzudrehen: Man hängt der Olympiade eine Industrie-Austellung an, und immer wenn mal wieder ein paar Pfunde herein gekommen sind, führt man die nächste Disziplin durch. Insgesamt dauert der Spaß dann von Ende April bis Ende Oktober - ein schlappes halbes Jahr! Sportlich gibt es nicht viel Erfreuliches zu berichten - bereits hier zeichnet sich ab, daß echte (?) Leistungs-Verbesserungen zunehmend nur noch durch Regel-Änderungen oder technischen Fortschritt möglich sind. Bei den Spielen von Athen war man im Meer geschwommen, lediglich einigen Bojen nach, bei denen von Paris in der Marne und bei denen von St. Louis im Mississippi - jeweils mit Wende, also halb mit der Strömung, halb gegen sie. In London hat man nun endlich eine ordentliche, gerade Strecke in stehendem Wasser, und bei den Wenden kann man sich abstoßen. Wen wundert es da, daß in sämtlichen Schwimm-Disziplinen neue Weltrekorde aufgestellt werden? Niemanden.

Eher schon, daß fast 200 Frauen an den Olympischen Spielen teilnehmen - sehr zum Unwillen Coubertins. Nein, nicht in der Leichtathletik, aber im Turnen! Dazu zählt auch der Hochsprung, bei dem es nicht um die übersprungene Höhe geht, sondern um Haltungsnoten für die Grazie, mit der die Latte überquert wird - im Scherensprung: Hoch das Bein in knielangen Unterhosen, durchsichtigen Strümpfen (nein, noch nicht aus Nylon, das wird erst später erfunden) und hochhackigen Schühchen! Medaillen gibt es dafür übrigens keine, das Ganze gilt bloß als "Demonstrations-Wettbewerb", als Kuriosum am Rande...

Wenn Ihr mal einen Blick in eine amerikanische "Geschichte der Olympischen Spiele" werft, werdet Ihr dort seitenlang Klagen über Schikanen und Fehlentscheidungen zu Lasten der US-Athleten lesen, vor allem im 400-m-Endlauf, wo zwei Amerikaner grundlos disqualifiziert werden - dem dritten stellt ein britischer Kampfrichter höchstpersönlich ein Bein, so daß am Ende ein Brite siegt. Daß das nur die Revanche für das Verhalten der Amerikaner vier Jahre zuvor in St. Louis ist, liest man dagegen nicht; und überhaupt klingt das bei den Briten ganz anders: Da drängt ein böser Amerikaner auf der Zielgeraden den einzigen Briten (im Endlauf stehen nur vier Teilnehmer, weil man damals in den Stadien noch nicht genügend Bahnen für mehr Läufer hat) von der Bahn, weshalb er disqualifiziert und das Rennen neu angesetzt wird. Die beiden anderen Amis weigern sich, am Wiederholungslauf teilzunehmen, so daß der Brite alleine laufen muß und glorreich siegt - in einer Zeit, die Dikigoros selbst als Senior noch laufen konnte... (Na ja, im Vor- und Zwischenlauf, gegen Konkurrenz, war er schneller :-) Aber in London 1908 war er nicht dabei, und Filmaufnahmen gibt es nicht; deshalb kann er nicht sagen, welche Version wahr ist und welche erlogen - für möglich hält er alles. Vielleicht waren die Amerikaner auch nur so sauer, weil der Brite einen scheinbar deutschen Namen - Halswelle - trug? Aber verlaßt Euch drauf, liebe Leser, das war ein waschechter Schotte, ein Offizier und Gentleman. 1915 wandelte er - wie das bei britischen Offizieren üblich war - nur mit einem Stöckchen bewaffnet über ein Schlachtfeld in der Champagne, um die Schützengräben seiner Truppen zu inspizieren; dabei wurde er von einem bösen deutschen Kriegsverbrecher doch tatsächlich erschossen!

Aber man muß ja nicht unbedingt Berufs-Offizier werden - warum nicht Polizei-Offizier? Melvin Sheppard aus Philadelphia hatte sich beworben; aber man hatte ihn mit der Begründung abgewiesen, daß er gesundheitlich nicht geeignet sei: Ein schwaches Herz, das ging doch nicht, wenn man am Schreibtisch sitzen - oder gar Streife gehen - wollte. Es geht auch nicht, wenn man Mittelstreckenläufer werden will. 100 Meterchen laufen, das geht vielleicht auch noch mit einer Herzschwäche; und eventuell auch Langstrecke - da wurde ja damals nicht gar so schnell gerannt. Aber 800 m und 1.500 m? Sheppard gewinnt auf beiden Distanzen Gold, und außerdem Gold als Schlußläufer der "Olympischen Staffel" - einer uns heute etwas merkwürdig anmutenden Veranstaltung, bei der vier Läufer insgesamt eine Meile absolvierten, aber auf ungleich langen Abschnitten: 200 + 200 + 400 + 800 m. Doch was machte Sheppard beruflich, da er nicht Polizist werden konnte? Er studierte Jura und wurde Rechtsanwalt. Seinen berühmtesten Prozeß verlor er, als Verteidiger von Bruno Hauptmann, der wegen vermeintlicher Entführung des ältesten Sohnes von Charles Lindbergh zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle.

Kommen wir endlich zu dem Skandal der Londoner Olympiade: dem Marathon-Lauf. Die Original-Strecke in Griechenland beträgt etwa 40 km, liebe Leser; heute läuft man dagegen, wie Ihr wahrscheinlich fast alle wißt, rund 42,2 km. Ihr meint, das macht keinen großen Unterschied - wenn man schon 40 km gelaufen ist, kann man die paar Runden doch auch noch drauf legen? Seid Ihr selber mal Marathon gelaufen? Im Wettkampf? Wahrscheinlich nicht, sonst wüßtet Ihr, wie mörderisch gerade diese letzten 2,2 km sein können. Warum hat man die dran gehängt? Da muß Dikigoros etwas weiter ausholen: In England regiert damals der fette Hurenbock Berti Battenberg, der sich als König von Groß-Britannien (und Kaiser von Indien) "Edward VII." nennt. (Wer sich wider Erwarten für ihn interessieren sollte, kann etwas mehr über ihn hier nachlesen.) Sein Ruf ist so verheerend, daß sich der Fahnenträger der US-Delegation sogar weigert, beim Einmarsch das Sternenbanner vor ihm zu senken. Er ist so stinkend faul, daß er seinen Fettarsch nicht mal die paar Meter bis zur königlichen Kutsche schieben will, die ihn zum Stadion bringen könnte. Nein, die Marathon-Läufer sollen gefälligst bei ihm an Schloß Windsor vorbei laufen. Kleiner Umweg? Tut den blöden Untertanen doch nur gut - und den Scheiß-Ausländern sowieso. Und das IOC hat diesem Ansinnen nicht nur entsprochen, sondern an der verlängerten Strecke auch später fest gehalten, trotz allem, was 1908 in London (und auch noch bei späteren Olympiaden) auf diesen letzten 2,2 km geschehen ist. Nach 42 km führt der Italiener Dorando Pietri, ein krasser Außenseiter, mit großem Vorsprung. Auf der Zielgeraden bricht er zusammen. Natürlich ist er gedopt - aber das sind sie alle damals, es ist nicht verboten (weder bei den Läufern noch bei den Radfahrern), denn jeder weiß, daß man diese Anstrengung ohne eine ordentliche Dosis Strichnin nicht durchhält. Das ist nicht die Art Doping die Ihr heutzutage kennt, liebe Leser, zur Leistungssteigerung, wie anabole Steroïde zum besseren Muskelaufbau, oder EPO zur Vermehrung der roten Blutkörperchen und damit zur Verbesserung der Sauerstoffversorgung; nein, es ist lediglich ein Mittelchen, um den inneren Schweinehund zu überwinden - aber umso gefährlicher, denn es reißt die natürlichen Grenzen ein, die der Körper dem von Ehrgeiz zerfressenen Gehirn zu setzen sucht, wenn es ihn zu Leistungen antreiben will, die er eigentlich gar nicht bringen kann.

Pietri rappelt sich auf, bricht zusammen, steht wieder auf, bricht wieder zusammen, noch viermal, kriecht auf den Knien Richtung Ziel. Fünf Meter davor bleibt er liegen. (Ihr glaubt das nicht, liebe Leser? Dikigoros hat so etwas schon mit erlebt, nicht als Betroffener - er ist kein Langstreckenläufer -, aber hautnah, direkt am Laufbahnrand.) Der Zweitplazierte biegt ins Stadion ein - das können zwei mitleidige Zuschauer nicht mehr mit ansehen; sie heben den armen Pietri auf und schieben ihn ins Ziel. (Oder sind es Funktionäre gewesen? Die Quellen sind da widersprüchlich; und das Foto, das dieses Ereignis angeblich festhält und den einen Helfer mit verdächtig gut lesbarer Armbinde "Kampfrichter" zeigt, ist offensichtlich eine Montage, denn 1. ist die Flüstertüte, die der andere "Funktionär" - der seine "Armbinde" um den Hut trägt - in der Rechten hält, viel zu groß, 2. trägt Pietri wundersamerweise schon den Siegeslorbeer auf dem weißen Mützchen, und 3. helfen ihm die beiden da gar nicht, sondern gehen bloß neben ihm her, mit auffangbereiten Armen, wenn er etwa stürzen sollte. Außerdem gibt es das Foto in mehreren Versionen. Später retouchierten irgendwelche Spaßvögel die Armbinde des einen Ordners wieder heraus und verliehen ihm die Züge des Sherlock-Holmes-Autoren Conan Doyle, und noch andere retouchierten Pietris Lorbeerkranz weg - dabei aber auch gleich das Mützchen, so daß er mit fehlender Schädeldecke ins Ziel stolpert.) Das Publikum jubelt (der Zweitplazierte ist kein Engländer); aber die Wettkampfleitung beweist weniger britischen Humor und disqualifiziert Bertis armes Opfer. Pietri ist hinterher ziemlich sauer - nicht auf den König, sondern auf die Leute, die ihm geholfen haben, die Ziellinie zu überqueren. Er meint, daß diese "Funktionäre" bloß einen Vorwand gesucht hätten, um ihn zu disqualifizieren, daß er sich auch aus eigener Kraft noch einmal hätte aufrappeln und die paar Meter weiter kriechen können - dann hätte er wenigstens Silber gewonnen; so hat er gar nichts. Dikigoros hat da so seine Zweifel, denn Pietri war mehrere Stunden lang bewußtlos, und wie er die Limeys einschätzt, hätten die den blöden Maccaroni-Fresser vielleicht auf der Aschenbahn liegen lassen, bis er verreckt wäre. Eine nimmt er aus - aber die ist auch keine echte Engländerin, sondern gebürtige Dänin: Königin Alexandra (eine arme, leidgeprüfte Frau, die mit ihrem Mann schwer gestraft ist) weiß ganz genau, wer schuld ist an der ganzen Tragödie und hat ein schlechtes Gewissen. Am nächsten Tag läßt sie sich ins Stadion fahren - sie ist gehbehindert - und überreicht Pietri demonstrativ einen von ihr selber gestifteten goldenen Pokal, als kleinen Trostpreis.

Nachtrag. Ein Marathonläufer hat Dikigoros gemailt, das sei doch alles Unsinn, was er da geschrieben habe; wer gesund, fit und austrainiert sei - und das könne man von einem Teilnehmer der Olympischen Spiele, auch wenn er Amateur sei, doch wohl erwarten -, der müsse 42 km durchhalten; und wer das nicht sei, der könne auch schon nach 10 oder 20 km zusammen brechen; und überhaupt, bei dem Bummeltempo damals... Daran ist soviel richtig, daß die 2,2 km extra und das Strichnin nicht die einzigen Ursachen für die vielen tragischen Vorkommnisse beim Marathonlauf waren; aber was hinzu kam, war ja um nichts besser: Damals war es z.B. verboten, während des Laufes Wasser zu trinken - geschweige den isotonische Getränke wie heute -, oder mal eben einen Müsliriegel, eine Banane oder sonstiges Obst nachzuschieben. Nein, das einzige, was zur "Stärkung" erlaubt war, war hochprozentiger Alkohol, also Schnaps; und das konnte in Verbindung mit Strichnin - je nachdem wieviel man davon zu sich nahm - schon tödlich enden. Erst auf der bösen Nazi-Olympiade 1936 durften die Marathonläufer unterwegs Wasser trinken - und dennoch... aber darauf kommen wir gleich zurück. Und das "Bummeltempo"? Der junge Mann - Altersklasse M 35 -, der Dikigoros das geschrieben hat, läuft ganz ordentlich - etwas über 2 Stunden und 40 Minuten, damit wäre er 1908 in der Tat Olympiasieger geworden -, aber halt auf ganz anderem Schuhwerk und mit ganz anderer Verpflegung vor, im und nach dem Wettkampf. Wobei Dikigoros durchaus nicht unterstellen will, daß er auch unerlaubte Substanzen eingenommen hat, denn Zeiten zwischen 2:40 und 2:50 entsprechen ca. 15 km/h, und das ist wohl auch ohne EPO, Theophyllin, Eigenblutdoping u.ä. gerade noch zu schaffen. Aber die heutigen Cracks laufen 2:06, und das entspricht 20 km/h! Wer von Euch, liebe Leser, läuft die 1.000 m in 3 Minuten? Probiert es einfach mal aus; und dann stellt Euch vor, das müßtet Ihr 42x am Stück durchhalten! Kann das noch mit rechten Dingen zugehen? Aber was solls, wer selber mal Marathon gelaufen ist weiß, daß auch Zeiten knapp unter 3 Stunden, wie sie damals in London gelaufen wurden, selbst unter den heutigen, verbesserten Bedingungen, durchaus kein Pappenstil sind. Und Tatsache ist nun mal, daß Pietri nicht nach 10 oder 20 - oder 40 -, sondern nach 42 km umfiel. Nachtrag Ende.

Und noch eine traurige Entwicklung nimmt ihren Anfang: In den Mannschafts-Wettbewerben treten keine Vereine mehr an, sondern National-Teams, d.h. der Einsatz von "Ausländern" ist verboten - das ist der wahre olympische Geist! Sesselpupser und Polit-Bonzen aus aller Herren Länder kommen als Zuschauer, von dem krankhaften Ehrgeiz getrieben, "ihre" National-Mannschaften in der Medaillen-Statistik vorne zu sehen. Die Diskriminierung der Sportler aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit beginnt international parkettfähig zu werden. Eine Ausnahme bilden allein die Deutschen (denen man ja deshalb auch immer nachsagt, besonders "unsportlich" zu sein - sie passen sich halt nie richtig an): Der Amerikaner (nicht-deutscher Abstammung!) Lightbody, Olympiasieger über 800 m und 1.500 m, wird 1910 und 1911 - für den Berliner SC startend - deutscher Meister über diese Distanzen.

Eine andere Erscheinung hat sich dagegen noch nicht ausgebreitet: der staatlich besoldete Berufs-Amateur. Nein, auch nicht in Rußland, wo er später zur Regel werden soll - im Gegenteil: Obwohl Dikigoros sich für Wintersport weniger interessiert, muß er hier den Fall des Olympia-Siegers im Eiskunstlaufen (es gab damals noch keine getrennten Sommer- und Winterspiele - wozu auch, wenn sich die Olympiade ohnehin über ein halbes Jahr hinzog?!) erwähnen: Er nennt sich Panin und kommt aus Rußland. Vielleicht hätte er besser auch seine Nationalität fälschen sollen, denn so entdeckt sein Vorgesetzter im Finanzamt von Sankt Peterburg zufällig sein Bild in einer Sport-Illustrierten. "Moment mal, das ist doch der Nikolaj Kolomjenkin, der sich Monate lang krank gemeldet hatte!" So kommt heraus, wo dieser "Amateur" seine Trainingszeit abgeknapst hat. Das IOC stört das nicht - er darf seine Gold-Medaille behalten; aber die russischen Behörden sehen das enger: Kolomjenkin alias Panin wird nach Sibirien verbannt, wo es reichlich Eis gibt, auf dem er laufen kann - nur die internationalen Wettkämpfe muß er sich künftig abschminken.

[Medal]
[Medal]
[Plakat] [Medal]
[Medal]

Von der V. Olympiade 1912 in Stockholm liest man allenthalben, es seien die bis dahin schönsten und am perfektesten organisierten Spiele überhaupt gewesen. Vertragt Ihr die Wahrheit, liebe Leser? Dann will Dikigoros Euch verraten, daß der Betrug und die Skandale bloß am perfektesten organisiert und vertuscht wurden - bis heute. Bevor wir zu den Leuten kommen, die persönlich betrogen wurden, fangen wir mit der Organisation an. Nachdem die Olympischen Spiele von London sich doch etwas in die Länge gezogen hatten, will man es diesmal besser machen: Die Leichtathletik soll binnen einer Woche - der zweiten im Juli - durchgezogen werden, Fußball und Tennis separat vorab, Ende Juni/Anfang Juli. Die Organisation des ersteren überläßt man vernünftigerweise dem englischen Fußballverband (es gibt deshalb auch keine Olympia-Medaillen, sondern nur einen Pokal der F.A. und deren Medaillen), und die des letzteren würde man gerne dem englischen Tennisverband überlassen und erwartet, daß der dafür dieses Jahr auf die Ausrichtung des Turniers von Wimbledon verzichtet, das sonst um diese Zeit statt findet, d.h. es praktisch nach Stockholm verlegt. Das wollen aber wiederum die Engländer nicht, und so kommt es denn zu einer Konkurrenz-Situation. Aber anders als die Sturköppe in Stockholm erwarten, entscheidet sich die Tennis-Elite geschlossen für Wimbledon (die Olympischen Spiele haben wie gesagt noch keinen besonders hohen Stellenwert, in keiner Sportart); und so haben denn die Spieler[innen] aus der zweiten Reihe die Chance, olympische Lorbeeren zu ernten - schön für sie, aber Betrug an allen anderen, die z.T. schon für Stockholm gemeldet hatten, aber nun absagen müssen. Dies wohlgemerkt zu einer Zeit, als Tennis neben Fußball das einzige echte Ballspiel war, das bei den Olympischen Spielen ausgetragen wurde. (In der dritten Juli-Woche, als die meisten Zuschauer schon wieder abgereist waren, fanden noch Wasserball - ebenso von den Engländern gewonnen wie das Fußball-Turnier - und ein "Demonstrations-Wettbewerb" außer Konkurrenz im Baseball statt, den die USA - wer sonst - gewannen. Und schon Anfang Mai hatte ein Hallentennisturnier in Stockholm statt gefunden, das man nun nachträglich zu einem Bestandteil der Olympischen Spiele erklärte. Aber das war nur ein schwacher Trost.

Doch nun zu den individuellen Skandalen. Wenn Ihr im Personen-Register der über tausend-seitigen "Chronik des Sports" nachschlagt, werdet Ihr dort den Namen "Patton, George Smith" finden, mit einer Seitenzahl, die Euch auf die Seite führt, die dem Modernen Fünfkampf in Stockholm gewidmet ist, aber dort vergeblich nach der Story suchen, die man wohlweislich getilgt hat. (Den Registereintrag hat man beim Löschen schlicht übersehen. [Wie Dikigoros bei einem Blick in die Neuauflage festgestellt hat, ist dieses Versehen nunmehr korrigiert.] Da hat die Deutsche Olympische Gesellschaft schon gründlichere Arbeit geleistet - ihr "Standardwerk" zur Geschichte der Olympiaden hat gar kein Register, das man hätte "säubern" müssen.) Es gibt wohl keinen Nicht-Deutschen des 20. Jahrhunderts, dem - und dessen Andenken - man bei den Olympischen Spielen so übel mitgespielt hat wie Patton, obwohl der es wenigstens überlebt hat. [Das kann man leider nicht von allen Skandal-Opfern behaupten: Der Marathon-Lauf wird wieder mit Überlänge ausgetragen (obwohl es dafür keinen vernünftigen oder auch nur unvernünftigen Grund mehr gibt), und die Folgen sind noch schlimmer als 1908 in London: Der führende Finne Kolehmainen ist zwei Kilometer vor dem Ziel am Ende - zum Glück ist er klug genug, aufzugeben - er ist nicht bereit, für eine Medaille sein Leben aufs Spiel zu setzen. Der Portugiese Francisco Lazaro ist leider weniger klug - er stirbt an einem Hitzschlag. Der Dank gebührt erneut König Edward VII von England - dessen Sohn und Nachfolger George V inzwischen schon ein viel größeres Völkermorden vorbereitet...]

[Medaille: IHRER MAJESTÄT DEM SCHÜRGEIST DES WELTBRANDS 
DEM SIEBENTEN KING EDWARD 1916] [Berti Battenberg alias 'Edward VII'] [Medaillen-Rückseite: DIE LETZTE GROSSMACHT - der Tod]

Aber Dikigoros will den Fall Patton noch etwas zurück stellen und anders herum anfangen, mit dem, was die herrschende Meinung heutzutage an jener Olympiade auszusetzen hat, und das ist mit einem anderen Namen verbunden: Jim Thorpe (er heißt eigentlich ganz anders, nämlich "Wa-Tho-Huk [Leuchtender Pfad]", denn er ist Indianer - vom Stamme der Sac & Fox -; aber die Weißen haben ihm nun mal den Namen "James Francis Thorpe" verpaßt, und unter dem ist er bekannt geworden). Er tritt als Mitglied des US-Olympiateams im Fünfkampf, im Zehnkampf, im Hoch- und Weitsprung an - obwohl er das eigentlich gar nicht gedurft hätte, denn als Indianer kann er nach geltendem Recht kein U.S.-Bürger sein, sondern nur Angehöriger seiner "Indian Nation" - und die konnte wiederum nicht Mitglied des IOC werden, mithin war Thorpe nicht startberechtigt. (Erst 1924 sollten die USA - in engem Rahmen - die ersten Ausnahmen einer doppelten Staatsbürgerschaft zulassen, und gleichberechtigt vor dem Gesetz wurden die Indianer dort erst nach dem Zweiten Weltkrieg.) Aber daran stört sich offenbar niemand. Er gewinnt sowohl den Zehnkampf als auch den Fünfkampf, was vor allem deshalb eine einmalige Leistung ist, weil der Fünfkampf 1912 zum letzten und der Zehnkampf zum ersten Mal olympische Disziplin ist - ein Sieg in beiden Wettbewerben zugleich war also davor und danach nicht möglich. Ansonsten war Thorpe zwar ein großer Sportler (und vor allem ein vielseitiger Sportler - er spielte auch gut Baseball und sehr gut Football, darauf kommen wir gleich zurück), aber der "größte Sportler des Jahrhunderts" oder gar aller Zeiten, zu dem er verschiedentlich hoch gejubelt wurde, war er schwerlich. Seine leichtathletischen Leistungen hätte selbst Dikigoros - der nie ein Top-Athlet war, sondern bloß ein Amateur im besten Sinne des Wortes - in jungen Jahren mühelos überboten; und er kennt Leute seiner Altersklasse (mehr als doppelt so alt wie Thorpe damals) die das heute noch können. Der Spruch geht zurück auf den Dilettanten Gustaf V. von Schweden, eine ziemlich lächerliche Figur, die sich jedoch gerne sportlich gibt. (Das hat Tradition; schon Gustaf I. soll ein guter Skiläufer gewesen sein; zur Erinnerung daran veranstalten die Schweden seit 1922 ihren [Doppel-]Marathon-Lauf auf Skiern dzwischen Sälen und Mora, den sie "Vasaloppet [Wasa-Lauf]" nennen. Seit 1975 ist es freilich nicht mehr ihr Lauf, d.h. er wurde erstmals nicht von einem Läufer aus Schweden oder seinen Ex-Kolonien Finnland und Norwegen gewonnen, sondern von einem - gedopten - DDR-Bürger, der die Siegerzeit von 1974 mal eben um eine gute Dreiviertelstunde unterbot; inzwischen dopen sie alle, und der Rekord - eine weitere knappe Dreiviertelstunde unter der Siegerzeit von 1975 - wird wieder von einem Schweden gehalten, der mehr als doppelt so schnell lief wie der erste Sieger; eine solche Leistungs-Explosion - von den Dopern kackfrech mit "Wetteränderungen" erklärt - hat es in keiner anderen Sportart gegeben, wenn man mal vom Autorennen absieht - die Tour-de-France-Route wird ja vorsorglich jedes Jahr geändert, damit man keine echten Vergleiche ziehen kann :-) Der König erfindet eine neue Art der Siegerehrung, bei der er selber - in Gehrock und hohem Zylinder, mit Monokel im Auge, Spazierstock über dem Unterarm und Zigarre in der Linken - aufs Sieger-Podest steigt und dem jeweiligen Gewinner, der vor ihm stramm stehen muß, mit der behandschuhten Rechten (schließlich will er sich nicht die Finger schmutzig machen) einen Lorbeerkranz aufs Haupt drückt. (Seine Söhne haben eigene, etwas niedrigere Podeste, auf denen sie nach dem gleichen Muster die Zweit- und Dritt-Plazierten ehren.) Bei der Gelegenheit soll er zu Thorpe gesagt haben: "You are the greatest athlete in the world" - worauf Thorpe schlicht geantwortet haben soll: "Thanks, king."

[Thorpe]

Die Sache hat noch ein böses Nachspiel: Man muß doch Amateur sein, und Thorpe hatte, bevor er Leichtathlet wurde, Baseball gespielt. Das ist zwar keine Olympische Disziplin, schon gar nicht die, in der Thorpe angetreten ist, deshalb geht es das IOC mit Verlaub einen feuchten Kehricht an, ob er dafür ein paar Dollar bekommen hat oder nicht; aber die Journaille kocht das hoch und stiftet das AOC an, beim IOC den Antrag zu stellen, Thorpe als "Professional" die Medaillen nachträglich abzuerkennen und ihn wegen besonders schwer wiegenden Verstoßes gegen das Amateur-Statut auf Lebenszeit (!) zu sperren. Und obwohl die Frist für einen solchen Antrag schon um ein halbes Jahr überschritten ist, geht er durch; Thorpe ist der Gelackmeierte. Ja, das war eine Sauerei und der Gipfel der Heuchelei; und Thorpe konnte sich nichts dafür kaufen, daß man ihm Jahrzehnte später, wohlgemerkt posthum, die Medaillen wieder zuerkannte. [Eine frühere Rehabilitation Thorpes hatte sein Todfeind Avery Brundage verhindert. Brundage - in seiner aktiven Zeit selber Fünf- und Zehnkämpfer - hatte bereits 1912 versucht, Thorpe sperren zu lassen, weil der ihn bei den U.S.-Ausscheidungskämpfen im 1.500-m-Lauf mit einem Ellbogencheck gefoult habe. Thorpe bestritt den Check nicht, wohl aber die Absicht (Filmaufnahmen von diesem Vorfall gibt es nicht, so daß Dikigoros dazu nichts weiter schreiben kann) und drohte Brundage vor Zeugen an, er werde ihn mit bloßen Händen umbringen, wenn er disqualifiziert würde. Er wurde nicht - noch nicht, denn Brundage, der in Stockholm beim abschließenden 1.500-m-Lauf als letzter ins Ziel gestolpert kam (diesmal ganz ohne Zutun Thorpes, der vorne weg lief) setzte im folgenden hinter den Kulissen alle Hebel in Bewegung, um seinen Konkurrenten aus dem leuchtenden PfadWeg zu räumen. Mit Erfolg: 1914-1918 war Brundage in Abwesenheit Thorpes Amerikameister im Fünf- und Zehnkampf (und er hätte wohl auch eine Goldmedaille gewonnen, wenn die Olympiade 1916 nicht dem Weltkrieg zum Opfer gefallen wäre). Danach war er zu alt, um seine Aktiven-Laufbahn fortzusetzen; er wurde Funktionär, und zwar mit großem Erfolg - er sollte es binnen kurzem zum Präsidenten des AOC (so nannte sich damals das NOC der U.S.A.) und später sogar zum Präsidenten des IOC bringen -, weil er einerseits bereit war, "ganz uneigennützig" viel Geld aus seiner florierenden Bauingenieursfirma in die "gute Sache" zu stecken, andererseits stets zu verhindern wußte, daß "finanzielle Interessen" anderer sich der Olympiade bemächtigten. Es gab schon früher Werbeangebote genug; aber Brundage sorgte dafür, daß sie alle abgelehnt wurden. Dikigoros ist von der Lauterkeit der Beweggründe Brundages zwar nicht so ganz überzeugt; aber wenn er die heutigen Auswüchse der Olympischen Vermarktung sieht, kann er für diesen Standpunkt im Nachhinein zumindest Verständnis, vielleicht sogar so etwas von Sympathie (im ursprünglichen Sinne des griechischen Wortes) aufbringen.] Ebenso wenig hatte Thorpe davon, daß man ihn - ebenfalls posthum - zum "größten Sportler des Jahrhunderts" ernannte, zumal er das wie gesagt schwerlich war - so hat man bloß eine verlogene Heuchelei durch eine andere ersetzt. Wie heißt es in der preisgekrönten "Ode an den Sport"? (Man hatte 1912 auch einen "Literatur-Wettbewerb" ausgeschrieben.) "O Sport, du bist die Gerechtigkeit! O Sport, du bist die Ehre! O Sport, du bist der Friede!" Selbst wenn der Verfasser nicht "Georg Hohrod" hieße, müßte er angesichts dessen hochrot werden vor Scham. (Vielleicht wurde er es auch und hat die Medaille, die man ihm für seine Dichtung zuerkannt hatte, deshalb nie abgeholt?)

Darf Dikigoros seine eigenen Ausführungen in Frage stellen und eine Erklärung versuchen, warum Thorpes Mehrkampf-Leistungen so bescheiden waren? Möglicherweise wollte er Kraft sparen (schließlich nahm er wie gesagt noch am Hoch- und Weitsprung teil und außerdem an der "Football-Exhibition" - mangels Teilnehmern aus anderen Ländern spielten die US-Amerikaner bloß außer Konkurrenz gegen sich selber), was ihm der Austragungsmodus erleichterte: Der Mehrkampf wird damals noch - wie in der Antike - als Ausscheidungs-Wettbewerb durchgeführt, d.h. ohne Punktewertung (auch wenn einige Schlaumeier sie nachträglich ausgerechnet haben). Es kommt also nicht darauf an, Höchstleistungen zu erzielen, sondern nur im Wettbewerb zu bleiben, indem man die übrigen Teilnehmer schlägt. Thorpe hat es daher nicht nötig, z.B. beim Hoch- oder Stabhochsprung weiter zu machen, als die anderen schon ausgeschieden sind, ebenso wenig, die abschließenden 1.500 m auf Tempo zu laufen - Hauptsache, er wird erster. Die deutschen Teilnehmer - die als schlechte 200-m-Läufer schon nach der dritten Disziplin ausscheiden - behaupten hinterher, nach Punkten hätten sie Thorpe geschlagen, da sie die besseren Diskuswerfer und 1.500-m-Läufer wären. Mag ja sein, aber das ist müßig; die Wettkampfregeln sind nun mal wie sie sind. (Wem sie nicht gefallen, der soll gleich zu Hause bleiben - wie die deutschen Turner, die ein Jahr später in Leipzig ihr "XII. Deutsches Turnfest" veranstalten werden, das die V. Olympischen Spiele in jeder Hinsicht in den Schatten stellen wird, sowohl was die Anzahl der Zuschauer - erstmals wird die Millionen-Grenze überschritten - und der aktiven Teilnehmer - fast 63.000 - als auch was deren Leistungen anbelangt; sehr zum Ärger des IOC und seiner Handlanger, die insbesondere gegen die Wettbewerbe im Kugelstoßen und Speerwerfen protestieren werden, auf die sie eine Art Monopol zu haben glauben.) Solches Gejammere stempelt die Deutschen nur einmal mehr zu "schlechten Verlierern". Ja, sie werden auch im Stockholm wieder massiv behindert und benachteiligt und - wenn sie trotzdem siegen - schamlos um ihre Medaillen betrogen, im 100-m-Lauf, in der 4x100-m-Staffel, im 800-m-Lauf, im Hochsprung (auf den kommen wir noch zurück, liebe Leser, bitte noch 56 Jahre Geduld; Ihr könnt Euch schon mal den Namen Hansi Fleiter merken) und und und... Dikigoros weiß das; aber glaubt bloß nicht, daß Angehörige anderer Nationen nicht betrogen worden wären - und diesmal trifft es die Deutschen wahrlich nicht am schlimmsten.

Exkurs. Bevor Dikigoros auf den größten Skandal jener Stockholmer Skandal-Spiele zu sprechen kommt, möchte er noch ein paar Kuriositäten am Rande erwähnen. Wie heißt es so schön in der dritten Zeile der Überschrift? "Ich rufe die Jugend der Welt!" Wieso eigentlich nur die Jugend? Wann ist man jung, liebe Leser? Wenn man aussieht wie die Turnerinnen unserer Zeit (auf die wir noch zurück kommen werden)? Oder wenn man nicht mehr als eine bestimmte Anzahl von Kalenderjahren auf dem Buckel hat? Oder ist man nicht so lange "jung", wie man mit halten kann? "Mit"? Was ist das? Wie lange wird man im Krieg zum Militär eingezogen? So lange man ein Gewehr halten kann, notfalls zum Volkssturm. So weit ist es für den Schweden Alfred Swahn mit seinen 33 Lenzen noch lange nicht; aber für seinen Vater Oscar ist es nun schon die vierte Olympiade - er zählt schlappe 65 Jahre und holt sich wieder Gold im Mannschafts-Schießen. (In den Jahren zuvor hatte er auch im Einzel gesiegt - da läßt er diesmal seinen Sohn gewinnen). Er braucht übrigens weder eine Brille noch ein Monokel; seine Augen sind offenbar auch im hohen Alter noch jugendlich scharf. Und sein langer, weißer Rauschebart, der ihm fast bis zum Gürtel reicht, stört ihn auch nicht. Nun dürfte seine Olympia-Karriere aber endgültig beendet sein - oder? Abwarten...

[Oscar Swahn bei den Olympischen Spielen 1912]

Was ist denn aus den Frauen geworden? Nein, in der Leichtathletik dürfen sie immer noch nicht mit machen, das wäre entweder unpraktisch, wenn sie nämlich in knöchellangen Kleidern, Stöckelschuhen und Hüten liefen, oder unmoralisch, wenn sie etwa in Hosen und Trikots, ohne Kopfbedeckung, antreten würden. Für das Turnen wird ein Kompromiß gefunden: da dürfen sie - z.B. im Tauklettern (aber da bleiben die Beine ja notwendigerweise geschlossen, es ist also eine ganz moralische Übung) - in nur knielangen Kleidern über undurchsichtigen dunklen Strumpfhosen, Schuhen mit flachen Absätzen und ohne Hüte, nur mit zu kurzen Zöpfen geflochtenen Haaren antreten. Und zum Schwimmen gar... Erinnert Ihr Euch noch, liebe Leser, wie man in den 1980er Jahren die mit Anabolika gemästeten, androgynen Weltrekord-Schwimmer"innen" der DDR als "Mannweiber" beschimpfte und an ihrem Geschlecht zweifelte? Als Antwort ließen sie sich provokant in semi-transparenten Badeanzügen fotografieren - daraufhin beschimpfte man sie als Schlampen. Aber die Schwimmerinnen der britischen Weltrekord-Staffel von 1912 lassen sich nach ihrem Olympia-Sieg in völlig durchsichtigen, da klitschnassen Badeanzügen fotografieren, welche zudem die Arme bis zu den Schultern und die Beine bis weit über die Knie frei lassen! (Eine hat sogar zuvor den aufgepappten Union Jack entfernt, der bei den anderen einen Teil der Brüste verdeckt.) Nein, niemand regt sich auf - so schnell haben sich die Zeiten geändert. [Dies schreibt Dikigoros für alle, die glauben, es hätte erst eines vierjährigen Weltkrieges bedurft, um die Frauen-Emanzipation auf den Gebieten des Sports und der Mode voran zu treiben.] Exkurs Ende.

* * * * *

[links] [SI VIS PACEM PARA BELLVM - wenn Du Frieden willst, bereite Krieg vor] [rechts]
Für alle des Französischen nicht mächtige Leser[innen] - die Inschrift auf der Plakette lautet:
"Vereinigung der Gesellschaften für Leibeserziehung und Vorbereitung auf den Militärdienst"

Und nun kommen wir endlich zum Modernen Fünfkampf, der in Stockholm erstmals ausgetragen wird. Warum eigentlich? Tja, einige Leute beim IOC (Coubertin wird später in seinen Memoiren behaupten, er selber) wollten sich auf die gute alte Tradition der Agώnien besinnen und den Fünfkampf wieder dazu machen, was er einst war: Vorbereitung auf den Krieg. (Vergeßt den Quatsch in der Ode von wegen Frieden und so, liebe Leser!) Und da man längst nicht mehr mit Diskus und Speer auf einander los geht - oder gar mit bandagierten Fäusten -, sondern... ja, womit eigentlich? In ein paar Jahren wird man mit Maschinen-Gewehren, gepanzerten "Tanks" und Flugzeug-Bomben kämpfen; aber das ahnt anno 1912 noch niemand. Nein, es gibt doch jene "ritterlichen" Kampfsportarten, die ohnehin schon als Einzel-Disziplinen zum olympischen Programm gehören - warum soll man die nicht zu einem "modernen" Fünfkampf zusammen fassen? Querfeldein-Laufen und -Reiten, Degen-Fechten, Schießen und Schwimmen; wer das alles beherrscht - so heißt es in der offiziellen Begründung - ist der perfekte (damals sagt man auf Deutsch noch "vollkommene") Sportler unserer Zeit, nicht der Leichtathlet! So gesehen kann es überhaupt keinen Zweifel geben, wer der größte Sportler seiner Zeit (oder gar des 20. Jahrhunderts) war: George S. Patton, Leutnant der US-Kavallerie. Er ist Weltmeister und Weltrekordler im Pistolenschießen, kann außerdem ausgezeichnet laufen, schwimmen, reiten und fechten. Halt, Dikigoros muß auch beim modernen Fünfkampf erst mal das Wertungssystem erklären: Es ist kein Ausscheidungs-Wettkampf wie der "unmoderne" Fünfkampf, aber auch kein echter Kampf um Punkte, d.h. keiner, der die absoluten Leistungen der Teilnehmer mißt - sondern vielmehr die relativen: Wer in einer Disziplin erster wird, erhält einen Punkt, wer zweiter wird zwei, wer dritter wird drei usw. Wer am Ende die wenigsten Punkte hat, hat die Gesamtwertung gewonnen. Dagegen ist gar nichts zu sagen, wenn man auf echte Vielseitigkeit aus ist; es verhindert nämlich, daß irgendein Spezialist sich viermal so eben durch mogelt und dann mit seiner Parade-Disziplin so viele Punkte holt, daß er den Fünfkampf gewinnt, ohne ein richtiger Fünfkämpfer zu sein. (Anders beim Zehnkampf - auf so einen Fall werden wir später kommen.) So weit, so gut. Die Schweden trainieren das schon seit vier Jahren konsequent (deshalb glaubt Dikigoros nicht, daß die Idee von Coubertin stammt - sie wird wohl eher aus Schweden gekommen sein); drei Medaillen sind fest eingeplant. Aber nun kommt da dieser unverschämte, arrogante Ami an und führt praktisch uneinholbar nach Punkten - vor vier Schweden. Daß er auch das abschließende Schießen gewinnen wird, steht völlig außer Zweifel, denn er ist wie gesagt der weltbeste Schütze.

[George S. Patton, 1912]

[Exkurs. Damit nicht genug, ist Patton auch der einzige Sportschütze der Welt, der die Theorie mit der Praxis verbindet: Während die anderen "modernen" Luschen allesamt mit Pistolen vom Kaliber .22 (das steht für Zoll, liebe Leser, also ca. 5,5 mm) schießen, die fast keinen Rückschlag haben, tritt Patton aus Sportsgeist mit seiner Dienstwaffe an, einem schweren Kaliber .38 (9 mm). Habt Ihr, liebe Leser, die Ihr modernen Fünfkampf betreibt, gedient? Habt Ihr dabei auch Pistolenschießen gelernt? Wahrscheinlich nicht, sonst wüßtet Ihr, daß das ein Unterschied ist wie Tag und Nacht. Eure Spielzeug-Pistolen sind doch etwas für kleine Mädchen; mit einer P 38 würdet Ihr Fahrkarten am laufenden Meter schießen! Patton wird dieser Sportsgeist übrigens fünf Jahre später das Leben retten: Er wird im mexikanischen Krieg allein in einen Hinterhalt geraten und sich den Weg mit seiner 38er eigenhändig frei ballern. Er ist so zu sagen der letzte Revolverheld der Geschichte. (Wenn es die ersten überhaupt je gegeben hat, was Dikigoros bezweifelt; denn im 19. Jahrhundert, als jene Gattung "Helden" erfunden wurde, gaben die Revolver die Leistungen, die ihnen nachgesagt werden, noch gar nicht her.) Exkurs Ende.]

So schießt er auch: 2x die 9, 18x Volltreffer in die 10. Die Schweden überlegen fieberhaft, was zu tun ist. Da kommt ihnen der erlösende Gedanke: Sie lassen eine der Kugeln verschwinden und behaupten, Patton habe einmal nicht nur nicht ins Schwarze getroffen (natürlich hat er, das weiß jeder, immer wieder ins selbe Loch), sondern sogar die Scheibe verfehlt! Na wenn schon - selbst wenn man ihm diese eine Fahrkarte anhängt und 10 Punkte abzieht, wäre er immer noch erster im Schießen - und erst recht in der Gesamtwertung. Nein, da muß man gründlicher 'ran gehen: Beim gänzlichen Verfehlen der Scheibe, und sei es auch nur mit einem einzigen von 20 Schüssen, muß eine besonder harte Strafe verhängt werden. (Diese Regel gibt es zwar gar nicht, aber sie wird einfach neu erfunden.) Patton wird vom ersten auf den letzten Platz der Schießwertung gesetzt, und damit fällt er auch in der Gesamtwertung zurück, auf den fünften Platz; vor ihm triumfieren die vier Schweden. Patton verzichtet auf einen Protest (auch das unterscheidet ihn von den meisten Sportlern und Funktionären des 20. Jahrhunderts und macht ihn zu einem großen Sportsmann), organisiert später mit den vier Schweden eine private Revanche (die er haushoch gewinnt), gibt den Wettkampfsport (dessen "Regeln" er gründlich durchschaut hat) auf und widmet sich fortan ganz seiner militärischen Karriere. Er wird der größte US-General des 20. Jahrhunderts (und vielleicht aller Zeiten); aber als er nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber seinem Vorgesetzten, General Eisenhower, dem größten Kriegsverbrecher des 20. Jahrhunderts (und vielleicht aller Zeiten - aber das ist eine andere Geschichte), dafür eintritt, die besiegten Deutschen weniger brutal zu mißhandeln, läßt der ihn ermorden, pardon verunfallen und sein Andenken kübelweise mit Dreck überschütten, so daß man heutzutage nur noch zweierlei über den großen Sportler, Strategen und Menschen Patton erfährt: Erstens hat er mal einen armen Simulanten, pardon Kriegspsychosen-Neurotiker brutal mißhandelt, genauer gesagt leicht geohrfeigt (übrigens genau die Methode, die auch Sigmund Freud in solchen Fällen zur Heilung empfohlen und erfolgreich praktiziert hat, nachzulesen in seinem Buch über Hysterie bei Männern - von den Massenmedien wurde das freilich zum "slapping incident" aufgebauscht, um Patton zu demontieren), und zweitens konnte er nicht schießen. Wegen dieser seiner hundsmiserablen Schießleistungen - so kann man es heute auf Dutzenden hämischer Webseiten lesen - hat Patton 1912 eine Medaille im modernen Fünfkampf verspielt. Die unpopuläre Wahrheit findet Ihr, liebe Leser, wie so oft nur bei Dikigoros.

Wie gesagt, Patton tut sich nicht weiter leid; das überläßt er den Deutschen. Bei denen ist der Katzenjammer groß. Gewiß, sie sind betrogen und verschoben worden; aber das allein war es ja nicht. In anderen Ländern haben Sportler einfach bessere Übungs-, pardon Trainings-Bedingungen - kein Wunder, daß viele der Besten laufend in die USA auswandern! Also beschließt man - in Person von Carl Diem, dem Leiter des NOK - eine gezielte Förderung des Breitensports. (Spätere Generationen von "Gutmenschen" werden darin eine "faschistoïde" Haltung Diems erkennen, der "Herrenmenschen" züchten und Soldaten für den Krieg heran ziehen wollte; aber tatsächlich hatte er die Idee mit dem Sportabzeichen bei den Schweden abgekupfert, lange bevor es Fascisten oder Nazis gab. Es sei denn, man wollte auch die Schweden als "Faschisten" oder "Nazis" bezeichnen, etwa weil sie erst fünf Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs das Gesetz über die Euthanasie Erbkranker abschafften. Gleichwohl sollte das Landgericht Darmstadt Diem 90 Jahre später posthum - 40 Jahre nachdem er das Zeitliche gesegnet hatte - zum Tode durch Vergessen verurteilen, da er ein böser Nazi gewesen sei, der die deutsche Jugend "sinngemäß" zum Kampf für Deutschland aufgerufen habe, nachdem die edlen, demokratischen Alliierten dem Reich den Krieg erklärt hatten, und nicht, wie es ein echter Gutmensch doch hätte tun müssen, zum Kampf gegen Deutschland; sein Name wurde daraufhin aus den offiziellen Annalen der Sportgeschichte gestrichen und das Gedenken an ihn verboten. Wer sich für die Einzelheiten interessiert, kann sie hier nachlesen. Also, vergeßt ihn ganz schnell, liebe Leser, sonst macht Ihr Euch am Ende noch strafbar, denn so frei sind die Gedanken nun auch wieder nicht, daß es nicht noch Gedankenverbrechen gäbe!) Ob und wieviel die Einführung des Sportabzeichens tatsächlich bewirkt hat, läßt sich schwer abschätzen. Jedenfalls waren die Anforderungen für seinen Erwerb - es galt (und gilt) immerhin als Orden - damals um ein vielfaches höher als heute, während die Spitzenleistungen der "Top-Athleten" deutlich niedriger waren, so daß "Leistungs-" und Breitensport viel näher bei einander lagen: mit heute lächerlich wirkenden 53,2 über 400 m, 2:01 über 800 m und 4:12 über 1.500 konnte man damals Olympia-Sieger werden (wohlgemerkt bei den Männern, Frauen durften ja noch nicht)!

Die Stockholmer Olympiade hat 1913 noch zwei Nachspiele. Über das eine - den nachträglichen Entzug der Medaillen von Jim Thorpe - hat Dikigoros bereits berichtet; das zweite ist wieder ein typischer "Coup" (Dikigoros darf doch ausnahmsweise dieses französische Fremdwort benutzen für die Tat eines Franzosen?) des IOC-Obergauners: Da Georg Hohrod seine Goldmedaille für die "Olympische Ode" nicht abholt, behauptet Coubertin, ohne rot zu werden, das sei sein eigenes Pseudonym gewesen - und läßt sich dafür eine Goldmedaille verleihen! (Sein kackfreches Grinsen auf dem Foto, das anläßlich der Verleihung in Paris geschossen wurde, spricht Bände; wohlwollend könnte man es als "spitzbübisch" bezeichnen - obwohl Dikigoros persönlich keinen großen Unterschied zwischen "Gaunern" und Spitzbuben" sieht. Es ist die Art von Lächeln, liebe Leser, die man auch auf einigen Fotos der Spitzbuben Zeppelin und Einstein wieder findet.) Dabei spricht Coubertin kein Wort Deutsch, und man fragt sich, wie ausgerechnet er eine deutsche Ode geschrieben haben soll. Ach was, niemand fragt sich das, man nimmt das vielmehr hin, ohne es zu hinterfragen. Und noch ein Jahr später kommt Coubertin mit einer Zeichnung an, die fünf in einander verschlungene Jojos, pardon Ringe zeigt, die angeblich die fünf Kontinente symbolisieren sollen. Ach, wie genial! Das wird die neue "Olympische Flagge" (und ist es bis heute geblieben)!

[Medaille: Wilhelm II] [Medaillen-Rückseite: DEM SIEGER IM OLYMPIA PRÜFUNGSKAMPF]

Unterdessen bereiten die Deutschen mit der ihnen eigenen Gründlichkeit und Planungswütigkeit, pardon Perfection (so wird das damals noch geschrieben, liebe Leser, und das war ja auch richtig so, denn das ist ein lateinisches Fremdwort, und die alten Römer kannten kein "k", sondern schrieben diesen Laut "c") die VI. Olympischen Spiele vor, die 1916 in Berlin stattfinden sollen. Wie war das? "O Sport, du bist der Friede..." Aber natürlich können die Olympioniken nichts dafür, daß 1914 der Weltkrieg ausbricht - von dem übrigens jeder glaubt, daß er "in ein paar Wochen vorbei" sein wird. Bei den furchtbaren neuen Waffen kann es doch nicht viel länger dauern, bis alle Seiten erschöpft sind, oder? Tja, so kann man sich täuschen... Als Alternativ-Projekt bieten die - formell neutralen - USA Olympische Spiele in Kalifornien an; da könnte man sich wieder an eine Art Weltausstellung dran hängen, die "Pazifik-Ausstellung" von San Francisco, die 1915 begonnen hat und noch immer nicht ganz abgebaut ist. Aber über einen Ausstellungs-Pavillon des IOC (über dem schon die Fahne mit den fünf Ringen flattert) gelangt dieser Plan nicht hinaus. Als man allenthalben merkt, daß man sich in Sachen Kriegsdauer wohl getäuscht hat, besinnt man sich darauf, den Sport endlich wieder in den Dienst des Kriegsgottes zu stellen und das Training als para-militärische Ausbildung zu verstehen. Die Sieger in den nicht-militärischen Qualifikations-Wettbewerben (die damals auf Deutsch noch "Prüfungs-Kämpfe" heißen), bekommen eine Pseudo-Medaille mit dem Brustbild Kaiser Wilhelms des letzten, und dann wird das Projekt "Olympiade 1916" eingemottet. Statt dessen finden "patriotische Kampfspiele" statt (bei der Entente übrigens auch, die nennen sie bloß anders, zum Beispiel "interalliierte Kriegsspiele" - die werden sie übrigens noch 1919 so nennen, weil sie den Krieg gegen Deutschland noch längst nicht als beendet ansehen), und zwar in vernünftigen Disziplinen wie Hindernislauf mit Sturmgepäck, Military-Reiten, Handgranaten-Werfen und Schießen, und die Medaillen sind nicht mehr aus Silber oder Bronze, sondern aus Eisen, so macht es Sinn im Krieg.

[Exkurs. Was ist der Sinn des Krieges, liebe Leser? Ist Euch die Frage unangenehm? Warum? Überall in der Natur gibt es Kriege, d.h. Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der selben Art mit ihren natürlichen Waffen. Um was kämpfen sie? Um ein Revier (auf Deutsch sagte man damals noch "Lebensraum") - aber wozu? Doch nicht wegen der Ellbogenfreiheit oder des Gartenzauns, sondern... richtig, um die Weibchen, also um die Fortpflanzung der eigenen Gene. Das ist das Gesetz der Natur, und in der Natur klappt das auch recht gut: Der Kampf ist ritualisiert, d.h. er ist ein bloßes Kräftemessen; wer merkt, daß er schwächer ist, gibt auf und zieht sich zurück; und der Sieger tötet den Unterlegenen nicht, sondern verschont ihn, und das ist auch gut so. Nur bei einer Art funktioniert das offenbar nicht mehr, und diese Art ist sogar noch besonders stolz darauf, daß sie sich von den anderen Tieren unterscheidet; sie findet es heldenhaft, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, und wenn der Gegner doch einmal vorher aufgibt, hat er gute Chancen, dennoch vom Sieger getötet zu werden (wobei mal dahin stehen mag, was Ursache und was Wirkung ist - wahrscheinlich schaukelt sich das gegenseitig hoch). Diese Art nennt sich allen Ernstes "homo sapiens [weiser Mensch]". In der Steinzeit mag das wie folgt abgelaufen sein: Die Männchen des einen Stammes erschlugen die des anderen, raubten dessen Frauen und pflanzten so ihre stärkeren Gene fort. (Wenn die Frauen nicht wollten, wurden sie vergewaltigt. Auch das ist übrigens eine Eigenart des homo "sapiens"; im Tierreich akzeptiert jedes Weibchen denjenigen, der ihr bisheriges Männchen besiegt hat, ohne zu murren als neuen Partner.) Das mag so lange einen Sinn gehabt haben, wie tatsächlich die stärkeren Gene siegten, also diejenigen, die ihre Träger besser befähigten, einen Knüppel zu schwingen, eine Lanze zu schleudern oder einen Stein zu werfen - wenngleich auch das schon keine "natürlichen" Waffen mehr sind. Aber seit Erfindung der Schußwaffen müssen doch die Zweifel wachsen, ob sich in menschlichen Kriegen wirklich noch die besseren Gene durchsetzen. Ihr meint, es käme doch nicht allein auf Körperkraft an, sondern auch auf Intelligenz; und wer so intelligent sei, ein Schießgewehr zu entwickeln, hätte vielleicht mehr Recht, sich fort zu pflanzen, als der dumme Kraftmeier mit der Keule? Mag ja sein, aber der Ärger ist, daß nicht bloß der Intelligenzbolzen, der das Gewehr erfunden hat, damit Krieg führen kann, sondern auch jeder dumme Keulenschwinger a.D., und damit hat der Krieg seinen Sinn als Selektions-Mechanismus verloren. Über den genauen Zeitpunkt kann man trefflich streiten; aber 1914 ist es sicher längst so weit - die Menschen wollen es bloß nicht wahr haben. Sie schreien allenthalben laut "hurra", als der so lange ersehnte "Große Krieg" endlich ausbricht, und am Ende kennen sie nur einen Spruch: "Wehe den Besiegten!" Exkurs Ende.]

[Medaille: Hilfreich sei der Mensch, edel und gut (Schiller)] [Medaille: VAE VICTIS - Wehe den Besiegten!]
Der olympische Gedanke: goldener Anspruch... und gräuliche Wirklichkeit

1918 wird ein Waffenstillstand geschlossen, 1919 ein Friede diktiert (oder was man so nennt), 1920 soll wieder Olympische Spiele stattfinden, die VII., denn die ausgefallenen von 1916 zählt man einfach mit. Ist wirklich schon "Friede"? Ach was - niemand denkt auch nur im Traum daran, die besiegten Feinde zu den "Friedensspielen" einzuladen, am wenigsten der saubere Baron Coubertin (der sich während des Krieges in die Schweiz verpißt hat). Nein, er schließt die Mittelmächte bzw. ihre Nachfolgestaaten nicht aus dem IOC (dem er mittlerweile vorsteht) aus, aber er lädt sie auch nicht ein, sondern er überläßt die Einladungen dem Ausrichter und wäscht seine Hände in Unschuld, voilà. Wer bekommt die Spiele? Belgien, das sich als armer Neutraler, als unschuldiges Opfer der imperialistischen deutschen Aggression aufspielt (dabei hatte es längst ein Geheim-Bündnis mit Frankreich geschlossen, und seine Truppen standen bereit zum Angriff auf das Ruhrgebiet). Gerade hat es die rein deutschen Städte Eupen und Malmedy besetzt und alle Einwohner, die sich nicht einbürgern lassen wollten, gewaltsam vertrieben - unter entschädigungsloser Enteignung, versteht sich. So verunstalten, pardon veranstalten also die Belgier in Antwerpen, pardon Anvers erneut interalliierte Kriegsspiele, auch wenn sie offiziell nicht so genannt werden. Aber es ist unverkennbar: Vor dem Stadion steht das lebensgroße Denkmal eines belgischen Soldaten in Militärmantel und Stahlhelm, der eine Handgranate auf das schon geschlagene Deutschland wirft (jawohl, denn auf dem Sockel steht ganz deutlich: "21. Nov. 1918" - da war offiziell schon Waffenstillstand! Aber wenn die Engländer die Hungerblockade gegen Deutschland weiter aufrecht erhielten, warum sollten dann nicht auch die Belgier weiter Handgranaten werfen?) Der wieder eingeführte "olympische Eid" (der sich bald als eine Mischung von Offenbarungs- und Meineid entpuppen soll) wird von einem martialischen Fechter in voller Kampfmontur gesprochen, flankiert von zwei finsteren Gestalten in Militär-Uniform mit allen Kriegsorden, deren grimmige Visagen keinen Zweifel daran lassen, daß hier Rekruten auf Gott, König und Vaterland vereidigt werden - pardon, da ist Dikigoros versehentlich wieder mal eine Zeile aus einer anderen Reise in die Tasten gerutscht. Der Vergleich hinkt, denn ein echter militärischer Fahneneid wirkt, damit verglichen, eher zivil... [Wieso "wieder eingeführt"? Weil es den schon bei den antiken Todesspielen gab. Worauf schwor man da? Ist doch logisch: Auf den Styx - den Fluß, über den die Toten zum Háidäs, in die Unterwelt kamen.]

[Medaille]
[Poster] [Medaille]

In Abwesenheit der deutschen Ruderer gewinnt ein bis dahin unbekannter Ire mit U.S.-Paß namens John Kelly zwei Goldmedaillen in dieser Disziplin - und wird vier Jahre später in Paris unter den gleichen günstigen Teilnahme-Bedingungen eine dritte gewinnen. Danach wird er - gelernter Maurer - es als Bauunternehmer zum Millionär bringen und eine "Pennsylvania Dutch" heiraten, die ihm vier Kinder schenken wird: Sein Sohn wird wieder ein großer Ruderer (auch wenn es bei ihm "nur" zu einer olympischen Bronzemedaille reichen wird - aber anders als sein Vater wird er auch deutsche Konkurrenz haben :-), zwei seiner Töchter werden erfolgreiche Schwimmerinnen, und die dritte wird Schauspielerin und Anglerin - sie wird sich mit Papis Mitgift den bankrotten Fürsten von Monaco angeln und als "Gracia Patricia" weltberühmt werden (aber das ist eine andere Geschichte). Ihre Kinder werden keine olympischen Sportarten betreiben - ein folgenschwerer Fehler: Ihr Sohn wird ein erfolgloser Motorbootfahrer; ihre ältere Tochter heiratet einen ebensolchen, der sich tot fährt; ihre jüngere Tochter wird eine Möchtegern-Rennfahrerin (Monaco ist berüchtigt für seine engen Straßen mit ihren gefährlichen Haarnadel-Kurven, die schon viele Menschenleben gekostet haben), die sie tot fährt. Eine Generation, welche die Weltkriege mit ihren Millionen Opfern längst vergessen oder verdrängt hat, wird aus dem Unfalltod der Fürstin ein großes Drama machen - tatsächlich ist es ja auch traurig, daß eine große Sportler-Dynastie so enden muß; aber was ist das schon, verglichen mit dem Trauerspiel der Olympischen Spiele von 1920?

Die "VII. Olympiade" findet aber nicht nur ohne Beteiligung der Mittelmächte statt, sondern weitgehend auch ohne Zuschauer. In einem klugen Buch liest Dikigoros, das habe an den "hohen Eintrittspreisen" gelegen. Blödsinn - 3 von der Nachkriegs-Inflation angeknabberte belgische Franken entsprechen etwa 25 Vorkriegs-Pfennigen, die hätte man noch aufbringen können; aber die Leute haben ganz andere Sorgen, zumal die Leistungen der Athleten durchweg bescheiden sind. Machen wir uns nichts vor, liebe Leser: Die Besten sind auf beiden Seiten gefallen, an der Somme, vor Verdun oder noch in den letzten Kriegstagen im Luftkampf, wie der Franzose Roland Garros oder der Deutsche Hanns Braun; und von denen, die überlebt haben, sind die wenigsten in der Form, Höchstleistungen zu erzielen, am wenigsten die halb-verhungerten Mitteleuropäer. Die Kampfhandlungen sind zwar eingestellt, aber der Zivilbevölkerung (die ja - anders als in späteren Kriegen - nicht durch Bombenangriffe o.ä. in direkte Mitleidenschaft gezogen worden ist) stehen die schlimmsten Jahre noch bevor, mit der andauernden britischen Handelsblockade (als sie endlich aufgehoben wird, kann man auf den Weltmärkten nichts mehr kaufen, denn für Inflations-Mark und -Krone gibt niemand etwas), der Ausplünderung der letzten Lebensmittel durch die alliierten Besatzer, der daraus resultierenden Hungersnot (1,8 Millionen Deutsche fallen an der Front; noch einmal soviel verhungern in russischer Kriegsgefangenschaft oder - zu Hause) und dem Bürgerkrieg, den Litauer, Polen und Ungarn in den Grenzgebieten vom nicht mehr vorhandenen Zaun gebrochen haben. Ja, ein Hubert Houbens oder ein Willi Dünker hätten in der Leichtathletik vielleicht Chancen auf eine Medaille gehabt, und ein Erich Rademacher oder ein Gustav Fröhlich im Schwimmen (beide sind damals noch schneller als der US-Siebenbürgener Jonas Weißmüller alias "Johnny Weissmuller"; dessen Weltruhm wird erst kurz nach der Olympiade von Antwerpen beginnen, an der er noch nicht teil nimmt - anders als die US-Deutsche Edelgard Bleibtreu alias "Ethelda Bleibtrey", die drei Goldmedaillen gewinnt, und der US-Deutsche Paul Berlenbach, der eine Goldmedaille im Ringen gewinnt und fünf Jahre später als "Astoria Assassin" in die Boxgeschichte eingeht, als er Weltmeister im Halbschwergewicht wird - übrigens kommt niemand auf die Idee, ihm darob nachträglich die Goldmedaille abzuerkennen); aber sonst sieht Dikigoros da nichts. [Der Deutsch-Schwede Franz-Wilhelm Hornemann ist ein Grenzfall: Als Finnland unabhängig wurde, ließ er sich unter dem Namen "Wille Pörhölä" einbürgern; genauso wandlungsfähig war er auch auf dem Sportplatz: 1920 gewann er Gold im Kugelstoßen, dann stieg er auf Diskuswerfen um, und er beendete seine olympische Karriere 1932 mit einer Silbermedaille im Hammerwerfen.]

Skandale gibt es trotzdem genug - Ihr glaubt doch nicht etwa, daß es dafür deutscher Teilnehmer bedarf? Nein, einige Skandale finden noch nicht statt - aber merkt Euch schon mal die Namen Paavo Nurmi (der 1920 seine ersten Medaillen - 4x Gold und 1x Silber - gewinnt) und Suzanne Lenglen (die schamlos entblößt - der nur wadenlange Rock gibt beim Laufen immer mal wieder den Blick auf ihre nackten Knie frei; und statt eines Hutes trägt sie lediglich ein Kopftuch - Tennis spielt; kein Wunder, daß sie so gegen die bis zu den Knöcheln und Handgelenken verhüllten Korsett-Trägerinnen mit Hut und Schleier drei Medaillen - 2x Gold und 1x Bronze - holt). Und noch einen Namen möchte Dikigoros Euch ein letztes Mal ins Gedächtnis rufen. Erinnert Ihr Euch noch an Oscar Swahn, den "jugendlichen" 65-jährigen, der in Stockholm (wie schon zuvor in Paris und London) das Schießen gewonnen hat? Wenn er das nicht hätte, würde Dikigoros jetzt vielleicht schreiben: Kunststück, die jüngeren, die ein Gewehr halten könnten, sind ja fast alle gefallen. Aber erstens gilt das nicht für Schweden, und zweitens gewinnt er diesmal gar nicht - es reicht für den mittlerweile 73-jährigen "nur" noch zu Silber (auch für seinen Sohn Alfred, der ebenfalls wieder dabei ist, und für die Mannschaft). Nein, Dikigoros meint auch nicht den Korruptionsskandal um den Architekten de Montigny, dem nicht nur das Organisationskomitee (in dem er selber sitzt) die Aufträge für den Bau des Olympia-Stadiums, des Schwimmstadiums und der Eislaufhalle zugeschustert hat, sondern der sich auch noch für die belgische Hockey-Mannschaft hat aufstellen lassen (und mit dieser Bronze gewinnt - was kein Kunststück ist, da es nur vier Teilnehmer gibt und die stärksten Mannschaften der Welt ohnehin nicht mit machen dürfen: die Deutschen nicht, weil... aber das hatten wir ja schon, und die Inder nicht, weil die Engländer, um ihren eigenen Olympia-Sieg nicht zu gefährden, ihren "Kolonialniggern" schlicht und einfach die Teilnahme untersagt haben - das ist der wahre britische Sportsgeist: immer fair play)! Eher lächerlich findet Dikigoros auch die Geschichte um den Reitplatz, der zwei Meter zu kurz angelegt war. Der schwedische Oberst v. Boltenstern nimmt es da sehr genau und protestiert. Die Ordner lassen sich das demonstrieren, indem sie mit ihm zusammen den Platz abreiten, anschließend geben sie ihm Recht und verlängern die Bahn um besagte zwei Meter. Nachdem v. Boltenstern jedoch die Bronzemedaille gewonnen hat, wird er - disqualifiziert, da er verbotenerweise vor dem Wettkampf die Bahn abgeritten hat, voilà. [Nein, das lag nicht daran, daß er deutscher Abstammung war - das waren die übrigen schwedischen Reiter - v. Rosen, v. Essen und v. Braun - auch; dennoch (oder deshalb :-) gewannen die Schweden mit dem Mannschaftsteam - dem v. Boltenstern zum Glück nicht angehörte, sonst wäre sie wohl allesamt disqualifiziert worden - Gold.]

Nein, die echten Skandale finden diesmal nicht in der Leichtathletik statt, sondern in zwei ganz anderen Sportarten. Bei der ersten werden sie künftig an der Tagesordnung sein; bei der zweiten haben die meisten wahrscheinlich noch gar nichts davon bemerkt, denn es beginnt alles ganz harmlos. Zunächst einmal zum Fußballspiel. Hat Dikigoros oben geschrieben, die Nachfolgestaaten der Mittelmächte seien nicht zur Olympiade eingeladen worden? Das stimmt nicht ganz, denn einer von ihnen gilt als Verbündeter der Alliierten: die Tschecho-Slowakei. Die Tschechen haben es sich verdient, vor allem durch ihre Tätigkeit in Rußland: Dort ist während des Krieges aus tschechischen Deserteuren der k.u.k. Armee die so genannte "Tschechische Legion" gebildet worden. Die tschechischen Legionäre wurden aber nicht an der Front eingesetzt, sondern zur Bewachung der Konzentrations-, pardon Kriegsgefangenen-Lager, und sie erwiesen sich als bestialische Mörder. Vor allem auf Deutsch-Österreicher hatten sie es abgesehen - von denen überlebte kaum einer. Gewiß, ein Teil der rund eine Million in russischer Kriegsgefangenschaft verreckten Soldaten der Mittelmächte mag auch verhungert oder an Seuchen und anderen Krankheiten gestorben sein; aber die große Mehrheit fiel den blutrünstigen Tschechen zum Opfer (die sich übrigens nach ihrer Rückkehr gegenüber den so genannten "Sudeten-Deutschen" in der Tschechei nicht viel besser verhielten, was man heute gerne verschweigt). Allerdings scheinen sich diese Verdienste der Tschechen noch nicht bis nach Belgien herum gesprochen zu haben - jedenfalls nicht bis zu den Zuschauern des olympischen Fußball-Turniers (zumal im Endspiel Belgien ihr Gegner ist), und auch nicht bis zum Schiedsrichter (der aus England kommt; und Masaryk, der tschechische Ben Gurion, war nicht dort, sondern in den USA im Exil). Als die Tschechen merken, daß der es nur darauf angelegt hat, den Belgiern Elfmeter und Abseitstore zu schenken und Tschechen grundlos vom Platz zu stellen, gehen sie einfach vom Feld und fahren nach Hause - auf solche Olympischen Spiele und auf solche Medaillen können sie pfeifen. (Übrigens wird daraufhin nicht der Schiedsrichter auf Lebenszeit gesperrt - der hatte sich schließlich nur dafür gerächt, daß er früher mal bei einem Fußballspiel in Prag von über seine Fehlleistungen empörten Zuschauern verprügelt worden war, was allgemein bekannt war und vorab zu einem Protest der Tschechen gegen seine Nominierung geführt hatte, der jedoch abgewiesen worden war und den sauberen Mr. Lewis nur noch mehr gegen die Tschechen aufbrachte - oder eine Platzsperre gegen Antwerpen verhängt, sondern die Tschechen werden disqualifiziert, wegen "unsportlichen Verhaltens".) Dann macht man aus der Not eine Tugend. Zum Rugby-Turnier waren nämlich wieder nur zwei Mannschaften angetreten: eine irische (die für die USA startete) und eine bretonisch-normannische (die für Frankreich startete); es hatte also nur ein Spiel gegeben, und dazu noch ein ziemlich einseitiges: die Iren siegten 8:0. Die Zuschauer - denen man für fünf Spieltage Karten angedreht hatte - sind erbost und fordern ihr Geld zurück - aber das ist längst verbraten. Also findet man eine geniale Lösung: Man trägt einfach das Fußball-Turnier noch einmal aus (Rugby ist schließlich auch Fußball, dafür haben die Kartenkäufer gezahlt, und das sollen sie bekommen :-), d.h. ohne die Tschechen und ohne die Belgier (die ihre ergaunerten Goldmedaillen behalten dürfen), nur um die Silber- und Bronzemedaillen. Erstere gewinnen die Spanier, Dank Ricardo Zamora, der fortan als bester Torhüter der Welt gilt. (Über das traurige Ende seiner großen Karriere berichtet Dikigoros an anderer Stelle.) [Vier Jahre später sollte sich das Rugby-Trauerspiel wiederholen: Wieder traten nur "Amerikaner" und "Franzosen" an; aber aus Jux hatte auch ein Team aus Rumänien gemeldet, in der richtigen Annahme, dadurch eine Bronzemedaille sicher zu haben, obwohl es dort gar keinen geregelten Spielbetrieb, geschweige denn eine Liga gab. Die Witzbolde unterlagen gegen die Iren mit 0:37 und gegen die Bretonen gar mit 3:61 - wie sie den einen Dreier erzielt haben, ist nicht überliefert und Dikigoros schleierhaft -; das entscheidende Spiel zwischen den Iren und Bretonen endete 17:3; und danach wurde Rugby für alle Zeiten aus dem olympischen Programm gestrichen.]

A propos nach Hause fahren und Disqualifikation: Da war ja noch das Fechtturnier. Anders als die Deutschen dürfen die "Österreicher" und die Ungarn wieder mitmachen, aber gewinnen dürfen sie - natürlich - nicht. Florett und Degen gewinnt die französische Éqipe, Säbel die italienische. Letzteres wird allerdings verdammt knapp: 4:4 steht es am Ende gegen die Ungarn, die nur durch die schlechtere Trefferquote unterliegen. Deshalb wollen die Italiener im Einzelwettbewerb auf Nummer sicher gehen und lassen ihren besten, Puliti, gewinnen. Der ungarische Kampfrichter Kovács merkt das natürlich und protestiert; Puliti leugnet vehement; auf Schimpfworte folgen Ohrfeigen, und am Ende werden beide disqualifiziert. Den Ungarn kann das egal sein, denn Kovács ist ja bloß Kampfrichter; die Italiener verlieren dagegen ihren sicher geglaubten Goldmedalisten; und ihre anderen Säbelfechter - die eh keine Medaillenchance mehr hatten, weil sie wie gesagt absichtlich gegen ihn verloren hatten - reisen "aus Solidarität" gleich mit ab und werden nachträglich ebenfalls disqualifiziert. Das schreit nach Rache, und die kann - Ihr erinnert Euch sicher noch an den Fall Boulanger, liebe Leser- nur lauten: Duell auf schwere Säbel! Nach Beendigung der Spiele treffen sich Kovács und Puliti im neutralen Jugoslawien und tragen es aus. LeiderZum Glück sind die lebenswichtigen Organe geschützt, so daß sie einander zwar fürchterlich zurichten, aber beide überleben; damit ist ihre "Ehre" wieder hergestellt. Ihr wundert Euch, daß so etwas im 20. Jahrhundert noch möglich ist? Pardon, liebe Leser, aber es gibt damals nur einen Staat auf der Welt, in dem das Duell als unehrenhaft verboten ist (und auch schon zu Boulangers Zeiten verboten war), nämlich... das böse, militaristische Deutschland. In allen anderen zivilisierten Ländern der Welt hätte die Nichtannahme einer Duell-Herausforderung unweigerlichen den Ehrverlust nach sich gezogen; und ihre Säbel und ihr Offizierspatent hätten solche Feiglinge gleich beim IOC abgeben können. Aber darauf will Dikigoros eigentlich gar nicht hinaus. Er will Euch vielmehr fragen: Was glaubt Ihr wohl, was heute mit zwei Sportlern geschehen würde, die es wagten, ihren Wettkampf ohne Genehmigung des geheiligten IOC privat noch einmal auszutragen? Und mit dem Land, das dies auf seinem Boden zuläßt? Könnte es sein, daß dessen Staatschef vom Völkerbund, pardon, UNO heißt das ja heute, vor das Internationale Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag gestellt und, wenn man ihm nichts nachweisen kann, in der Untersuchungshaft ermordet wird? Und daß die beiden Sportler wie Schwerverbrecher per internationalem Haftbefehl um die ganze Welt gejagt werden? (wohlgemerkt nicht wegen irgendeiner anderen Straftat, sondern just wegen dieses "Verbrechens" eines privaten Duells!) Ihr meint, das sei doch eine ganz und gar abwegige Vorstellung? Auch wenn der Staatschef Milosevic heißt? Und wenn es sich bei den beiden einander duellierenden Sportlern nicht um blutrünstige Säbelfechter handelt, sondern um harmlose Schachspieler, die einander Revanche geben wollen für einen Wettkampf, den sie einst gegen ihren Willen unter der Ägide einer Verbrecher-Organisation (die FIDE war und ist sicher besser nicht besser als das IOC) führen mußten? Schon mal was von Bobby Fischer und Boris Spasskij gehört? Dann macht Euch bei Gelegenheit mal schlau, vielleicht gleich hier.

Zurück nach Antwerpen. Am Ende sind sich alle einig - sogar unter Alliierten: Die Olympischen Spiele von 1924 waren der Gipfel an Ungastlichkeit, Unsportlichkeit und organisatorischer Unfähigkeit, den man sich selbst in seinen schlimmsten Albträumen nicht vorzustellen vermocht hätte. Vielleicht wäre es besser gewesen, dieses unnatürliche Gebilde "Belgien" am Ende des Ersten Weltkriegs aufzulösen, Wallonien an Frankreich, Flandern an die Niederlande und einen Ostzipfel an Luxemburg zu geben - ganz bestimmt sogar; aber damit hätte man rückwirkend den bösen deutschen Imperialisten Recht gegeben (die Flandern dem Reich angliedern wollten), und das durfte nicht sein. Also besteht dieses traurige Gebilde bis heute fort - als kriminellster und korruptester Staat der westlichen Welt. Wenigstens wird Belgien, solange Menschen ein Gedächtnis haben, nie wieder Olympische Spiele ausrichten, schon aus Konkurrenzneid nicht - schließlich ist das IOC mittlerweile der kriminellste und korrupteste Sportverband der Welt :-) pardon :-( !

Und dann waren da noch die Schwimm-Wettbewerbe. Sie finden nicht etwa in einem schönen Becken statt, wie 1908 in London oder 1912 in Stockholm, sondern in einer Drecksbrühe im Hafen von Oostende (denn die Schwimmhalle des Monsieur de Montigny ist zwar bezahlt, aber nicht rechtzeitig fertig geworden). Das ist ärgerlich genug, aber das meint Dikigoros nicht, ebenso wenig die Unterkünfte dort, die den feinen Amerikanern nicht gut genug sind (sie ziehen - auf eigene Rechnung - ins Hotel um, trotz Drohungen ihres eigenen NOK, sie dafür zu disqualifizieren). Auch nicht den widerwärtigen inneramerikanischen Streit, bei dem versucht wird, den "eigenen" Mann (einen Hawaiianer japanischer Abstammung) um die Goldmedaille zu bringen - der Versuch mißlingt. Nein, Dikigoros meint etwas anderes: Bei den Olympischen Spielen von 1920 werden erstmals Kinder eingesetzt. Der Silbermedaillen-Gewinner im Turmspringen ist ein 14-jähriger Schwede, die zweifache Goldmedaillen-Gewinnerin im 1- und 3-m-Brett-Springen eine 15-jährige Amerikanerin. Wohlgemerkt, das sind keine frühreifen, mit Anabolika gemästeten Wonneproppen, die man auch der Werbe-Industrie als "lila Kühe" o.ä. verkaufen kann, sondern richtig kindliche Figuren. Aber noch stört sich niemand daran, denn noch ahnt niemand die Entwicklung, die das einmal nehmen wird (auf die kommen wir später zurück); besser kleine Mädchen als überhaupt keine Frauen! Aber auf die Dauer werden sich die Frauen nicht mehr mit solch "zweitklassigen" Disziplinen begnügen: 1921 veranstalten sie ihre erste "Frauen-Olympiade" in Monte Carlo im Fürstentum Monaco. Genauer gesagt ist es ein Vier-Länder-Kampf zwischen den USA, England, Frankreich und der (französisch-sprachigen) Schweiz. Bei den Zuschauern (es sind überwiegend Männer, schließlich gibt es viel nackte weibliche Haut zu sehen, Knie und Ellbogen sind durchweg unverhüllt - einige ganz Mutige laufen sogar in schulterfreien Trikots!) ist diese Veranstaltung gleichwohl ein Riesen-Erfolg, und kaum ist sie zuende, treten Verbände aus weiteren 24 Ländern der "Internationalen Föderation des Frauensports" bei. Sie nehmen auch 1922 am "13. Deutschen Turnfest" (die Bezeichnung "Turn- und Sportfest" verbieten die Alliierten, so wie sie dem neu geschaffenen Rumpf-Staat der Ostmärker die Bezeichnung "Deutsch-Österreich" verbieten) in Leipzig teil, der bis heute größten internationalen Sportveranstaltung aller Zeiten, mit über 100.000 aktiven Teilnehmern und allen erdenklichen Sportarten - sogar Fußball und Wasserball sind vertreten, man ist der jämmerlichen Rumpf-Olympiade der alliierten Siegermächte also meilenweit voraus.

[Medal] [Plakat] [Medal]
[Plakat] [Medal] [Plakat]
Waffenarsenal der interalliierten Kampfspiele

Nach der Blamage von Antwerpen werden die "VIII." Olympischen Spiele 1924 nach Paris vergeben, nachdem die Stadt an der Seine und die französische Regierung 30 Millionen Francs Subventionen zugesagt haben (der Franc hat freilich kaum noch 10% seines Vorkriegswertes). Es werden wieder nur "interalliierte Kampfspiele", denn die Franzosen erklären sich zwar bereit, Deutschland eine Einladung zu schicken, aber nur gegen Zusicherung, daß dieselbe abgelehnt wird; und die bösen Deutschen wollen sich diesen Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen - also bekommen sie keine. Offizielle Begründung: Man könne nicht für die Sicherheit der deutschen Sportler gerantieren; die Pariser Bevölkerung würde sie womöglich lynchen. Da mag was dran sein: Bis Ende 1923 tobte der "Ruhrkampf", den die französischen Besatzer (die an Mosel und Saar, Rhein und Ruhr ein blutiges Terror-Regime errichtet haben, das in nichts zu vergleichen ist mit der harten, aber peinlich korrekten Besetzung Nordfrankreichs zwei Jahrzehnte später durch die bösen "Nazi"-Deutschen) mit bestialischer Grausamkeit gegen die deutsche Zivilbevölkerung geführt haben - zehntausende Unschuldige haben sie ermordet; und als sich ein paar Verzweifelte dagegen zur [Not-]Wehr setzten (Ernst von Salomon hat diese Kämpfe unnachahmlich geschildert), wurde das in der verlogenen Weltpresse im allgemeinen und der noch verlogeneren französischen Presse im besonderen so dargestellt, als seien das Anschläge böser deutscher Terroristen und Revanchisten gegen friedliche französische Schutztruppen gewesen - kein Wunder also, wenn die verhetzten Pariser auf die Deutschen nicht gut zu sprechen waren. Wahrscheinlich war es für die deutschen Sportler tatsächlich am besten, zu Hause zu bleiben, denn wenn die Franzosen sie ermordet hätten, wäre wohl auch ihr Andenken bis heute in den Dreck gezogen worden, wie das des Freiheitskämpfers Albert Leo Schlageter, den die französischen Besatzer 1923 erschossen und der darob in der Weimarer Republik ebenso wie im Dritten Reich als Martyrer galt - der größte, den Deutschland seit Andreas Hofer hatte. Erst 1945 wurde er zu einem "Vorläufer der Nazis" erklärt (obwohl die gar nicht am "Ruhrkampf" beteiligt waren; ihr Führer, ein gewisser Adolf Hitler, hatte sich sogar ausdrücklich gegen denselben ausgesprochen hatte); und als solcher geistert er bis heute durch die deutschen Geschichts- und Märchen-Bücher - wenn sie ihn nicht ganz tot schweigen.

Zurück nach Paris, zurück ins Jahr 1924. Das schöne neue Stadion in Paris-Colombes bleibt weitgehend leer, als Hauptmann Georges André (ein 400-m-Hürdenläufer, der medaillentechnisch ebenfalls leer ausgehen sollte) den olympischen Meineid spricht. Friede, Versöhnung, Freundschaft gar? Aber die Deutschen sind ja zum Glück nicht anwesend, sonst würde er sie schon mores lehren... Als Frankreich und Großbritannien 1939 dem Reich den Krieg erklären, wird André wieder dabei sein; und da er ebenso wenig wie De Gaulle die Niederlage akzeptieren willl, geht er in den Untergrund und wird Partisan, einer jenen krummen Hunde und Kriegsverbrecher, die Repressalien gegen die Zivilbevölkerung provozieren - denen meist auch Unschuldige zum Opfer fallen. Als ihm der Boden in Frankreich zu heiß wird, geht er nach Nordafrika und schließt sich den Amerikanern an, die dort Ende 1942 gelandet sind. Wenige Tage vor der Kapitulation der deutschen Afrika-Armee im Kessel von Tunis "fällt er bei Tunis" - so steht es jedenfalls in der offiziellen "Olympia-Chronik" von Volker Kluge. Aber der kluge Volker war so klug, die Wahrheit - wenn er sie denn kannte - für sich zu behalten, denn sie war, als er das schrieb, politisch nicht korrekt (und ist es vielleicht heute noch nicht): Tatsächlich trieb sich der selbsternannte Oberst nämlich nicht an der Front - wo er hätte fallen können -, sondern in der Etappe herum, genauer gesagt in einem "Café" in Algier ("bei Tunis?" Schaut mal auf die Karte, liebe Leser :-). Dort gab es schon damals Leute - Algerier -, denen die französische Kolonialherrschaft gar nicht schmeckte. Einer von ihnen griff zum Schießeisen und knipste ihn ab... nun könnt Ihr selber urteilen, ob das ein "Heldentod" war.

Auch die sportlichen Leistungen der Athleten sind nur mittelprächtig - mit Ausnahme der schon bekannten großen Namen: Nurmi gewinnt fünf Goldmedaillen im Mittel- und Langstreckenlauf (sehr zum Ärger der Franzosen, die lieber ihren Landsmann Ladoumègue hätten gewinnen sehen; aber obwohl die Läufe, in denen Nurmi startet, absichtlich so eng gelegt werden, daß er z.B. zwischen dem Endlauf über 1.500 m und dem über 5.000 nur 30 Minuten Pause hat, siegt er souverän), Weißmüller, pardon Weissmuller (im schönen neuen Schwimmstadion von Tourelles) Stücker drei. Suzanne Lenglen dagegen boykottiert das Tennis-Turnier, obwohl sie als Französin Heimspiel hätte, pardon, sie sagt wegen plötzlicher Erkrankung zu ihrem großen Bedauern ab. (Sie ist längst Profi geworden und hat keine Lust, den Neidern einen Vorwand zu einem Skandal à la Thorpe zu liefern; für ihr siegreiches Tennis-Match gegen die Olympia-Siegerin Helen Moody wird sie zwei Jahre später 100.000 US-$ - ca. 4 Millionen Teuros heutiger Währung - allein für die Übertragungsrechte einsacken. Bald darauf stirbt sie, angeblich hungert sie sich zu Tode; Dikigoros kann das kaum glauben - wer weiß, was tatsächlich dahinter steckt...) Und so streicht das IOC Tennis bis auf weiteres aus seinem Programm. Ansonsten verläuft alles so ähnlich wie anno 1900 am selben Ort; Dikigoros hat keine Lust, das alles nochmal wiederzukäuen. Mit einer Ausnahme: Oscar Swahn ist tot, deshalb wollen wir an dieser Stelle des ältesten Medaillen-Gewinners unter den Leichtathleten gedenken. Nein, er war keiner der ganz Großen, hat nicht annähernd so viel gewonnen wie Ewry oder Nurmi, war auch nicht so lange dabei wie Swahn, und seine Sportart zählt zu den am wenigsten populären der Leichtathletik: dem Hammerwerfen.

Darf Dikigoros etwas weiter ausholen? Ursprünglich war das ein schottischer Nationalsport, bei dem echte Schmiede-Hämmer geworfen wurden - so auch noch auf den ersten Olympischen Spielen. Inzwischen hat sich das zu einer Disziplin für Schornsteinfeger entwickelt, genauer gesagt zu zwei Disziplinen: Bei der ersten hängt eine relativ kleine Kugel - wie sie auch heute noch verwendet wird - an einem Eisendraht, und werfen, besser gesagt schleudern tut man sie aus einem Diskuskreis. Dann gibt es noch eine große Kugel von sage und schreibe 25,5 kg Gewicht, ohne Drahtseil, nur mit einem Griff, die ebenfalls aus einem Diskuskreis gewuchtet wird. Habt Ihr, liebe jüngere Leser, Euch mal beim Sportabzeichen spaßeshalber an "Steinstoßen" versucht und Euch gewundert, wie schwer 12,5 kg wiegen? Wie weit habt Ihr denn gestoßen? Sicher so weit wie es die Bedingungen verlangen - aber die sind ja auch mehr als läppisch. Seid Ihr auch mal - mit zwei Versuchen, einer mit links, einer mit rechts, zusammen gerechnet - auf 12,35 m gekommen und womöglich stolz darauf? Dann denkt daran, daß das der Weltrekord im "Gewichtwerfen" ist, wohlgemerkt mit einem Versuch und mit einem Gerät, das doppelt so schwer ist bzw. war, denn die Disziplin gibt es ja nicht mehr. Also, wie war das? 1911 hatte der in Amerika lebende Ire Masthar McGrath besagten Weltrekord aufgestellt und war dafür schleunigst eingebürgert worden, um für die USA als "Matthew McGrath" starten zu können - er enttäuschte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht und gewann 1912 in Stockholm Gold. Dagegen war sein Landsmann Paddy Ryan bei den US-Meisterschaften (an denen auch Ausländer teilnehmen können - bis heute!) "nur" zweiter im Leicht-Hammerwerfen geworden, also wurde ihm die Einbürgerung verweigert, und er konnte 1912 zuhause bleiben. Er "rächte" sich, indem er ein Jahr später einen Fabelweltrekord warf (der 25 Jahre Bestand haben sollte - als US-Rekord sogar 40 Jahre). Nun wurde auch er schleunigst eingebürgert, um die USA 1916... aber wir wissen ja schon, daß daraus nichts wurde. 1920 war Ryan 33 Jahre alt - was damals mehr bedeutete als heutzutage. Aber was solls - die Konkurrenz, die den Krieg überlebt hat, war z.T. noch älter, z.B. Matthew McGrath, der es wohl nicht mehr brachte, denn er stolperte beim Leicht-Hammerwerfen im zweiten Versuch über die eigenen Beine und schied verletzt aus (mit dem ersten Versuch reichte es nur noch zum 5. Platz). Ryan gewann mit fast fünf Metern Vorsprung die Goldmedaille, und anschließend trat er auch noch im Gewichtwerfen an. Wer sollte ihn schlagen, da McGrath verletzt war? Nun, da war noch ein Ire, den die USA höchstvorsorglich gleich mit eingebürgert hatten: Paddy McDonald, aber der hatte gerade sein 42. Lebensjahr vollendet, und es schien doch recht fraglich, ob ihm die Glücksgöttin noch ein verspätetes Geburtstagsgeschenk in den Ring legen würde. Sie legte: McDonald schlug Ryan und wurde der älteste Leichtathletik-Goldmedalist aller Zeiten. Und nun stehen sie sich in Paris wieder gegenüber: McGrath hat mittlerweile 46 (nach anderen Quellen sogar 48) Jahre auf dem Buckel, und viele haben für den Opa - dessen Paradedisziplin Gewichtwerfen es nicht mehr gibt, und der im [Leicht-]Hammerwerfen doch schon vier Jahre zuvor nichts mehr zu bestellen hatte - nur ein müdes Lächeln übrig. Aber das vergeht ihnen bald: fast 51 m wirft der "Opa" schon im Vorkampf; und erst im letzten Versuch des Endkampfes entreißt ihm der Deutsch-Amerikaner Freddy Tüddel alias "Fred Tootell" mit einem 53-m-Wurf die Goldmedaille; McGrath bleibt die Silbermedaille und der schwache Trost, der älteste Medaillengewinner in der Leichtathletik aller Zeiten zu sein. Sehr Ihr, liebe Leser, das sind die wahren olympischen Helden - aber über die lest Ihr in den meisten offiziellen Geschichtsbüchern nichts. [Paddy Ryan gewinnt 1924 nichts mehr; er bleibt gleich in Europa, genauer gesagt geht er zurück nach Irland, das inzwischen ein unabhängiger Staat - Eire - ist, ins heimische Limerick, als Landwirt.]

Und die ausgeschlossenen, pardon nicht eingeladenen Deutschen? Die veranstalten als schwachen Trost eine eigene Gegen-Olympiade in Frankfurt am Main (zu der als einziger ehemaliger Kriegsgegner Italien erscheint - wo inzwischen der "Duce" Benito Mussolini regiert, sonst nur Ex-Verbündete und Neutrale) und eine Studenten-Olympiade in Marburg (na ja). Zu welchen Leistungen sie bei Olympia fähig gewesen wären - aber auch, was man dann mit ihnen angestellt hätte - zeigt exemplarisch Hubert Houbens auf: Vier Wochen nach Paris schlägt er bei einem Abendsportfest in Berlin die amerikanischen Gold- und Silber-Medaillisten über 100 m klar - aber sein Weltrekord wird nicht anerkannt, denn er ist ja in Deutschland gelaufen, wer weiß, mit was für Uhren die da gemessen haben... Nochmal zwei Wochen später läuft er in Kopenhagen Weltrekord über 100 Yards in 9,5 sec. Aber auch der wird nicht anerkannt. Warum? Nun, an Kopenhagen kann es nicht liegen - aber Houbens ist Deutscher, und die dürfen halt seit dem Diktat von Versailles Weltrekorde ebenso wenig besitzen wie Patente, basta.

Auch die Frauen veranstalten ihre II. Olympischen Spiele, ebenfalls in Paris-Colombes, so daß man einen guten Vergleich hat: Der Publikumsandrang ist größer als bei den Männern. Coubertins Verweigerungshaltung schadet der olympischen Bewegung, das wird immer deutlicher. 1925 tritt er unter Protest zurück, sein Nachfolger wird der ebenso geltungssüchtige, korrupte und inkompetente Graf Heini von Baillet-Latour aus Belgien. Zuvor hatte Coubertin noch durchgesetzt, daß die Internationalen Winterspiele von Chamonix nachträglich als "Winterolympiade" anerkannt werden. Künftig soll es alle vier Jahre eine geben - warum nicht. Und weil das so ist, muß Dikigoros an dieser Stelle noch etwas in Sachen Kinder nachtragen. Hatte er geschrieben, daß die 14-15-jährigen, die 1920 in Antwerpen antraten, noch "richtig kindlich" aussahen? Nun ja, aber sie waren immerhin schon "Teenager"... In Chamonix ist diese Grenze dagegen erstmals nach unten durchbrochen worden, und das ist das Werk eines gewissen Willem Henie - der sicher als einer der größten Sportler Norwegens in die Geschichte eingegangen wäre, wenn nicht zu der Zeit, als er Weltmeister im Radfahren wurde, Norwegen noch zu Schweden gehört hätte. Er ist inzwischen reich geworden, mit dem Schlachten von Seehundbabys, aus deren Fellen er teure Pelzmäntel herstellt; und mit dem Erlös daraus kauft er seiner 11-jährigen Tochter Sonja einen Startplatz in Chamonix. Die trainiert zwar schon seit ihrem 7. Lebensjahr Eiskunstlaufen (was damals als außergewöhnlich früh gilt; wer heutzutage so spät anfinge, hätte keinerlei Chancen mehr :-), aber die Zuschauer schütteln nur den Kopf, als sie den kleinen, dicken Pummel da übers Eis stolpern sehen; und als sie gar beim ersten ernsthaften Versuch eines Sprunges auf den Allerwertesten fällt, wird sie schlicht ausgelacht; die Punktrichter setzen sie auf den letzten Platz (in ihrem Lebenslauf wird später stehen, daß sie "einen beachtlichen 8. Platz" belegte; daß es nur 8 Teilnehmerinnen gab, steht auf einem anderen Blatt - wenn überhaupt :-); von der wird man sicher nie wieder etwas hören...

[Medal]

Im selben Jahr wird, wiederum in Frankfurt am Main, eine "Internationale Arbeiter-Olympiade" veranstaltet. Man hat die Schnauze voll von sesselpupsenden Aristokraten, die den Spaß an Sport und Spiel am grünen Tisch kaputt machen. Das IOC sieht es ein: Wenn es nicht bald den Kreis seiner Teilnehmer erweitert, kann es seinen Laden dicht machen. Beschlossen und verkündet: Ab 1928 werden Frauen auch in den Leichtathletik 'ran gelassen, wenngleich nur in viereinhalb Disziplinen (100 m solo und als Staffel, 800 m, Hochsprung und Diskuswerfen), aber immerhinque...

[Medal] [Medal]
[Plakat] [Plakat]

Die IX. Olympischen Spiele werden nach Amsterdam vergeben, gegen den erklärten Willen der niederländischen Regierung, die keinen Cent dazu beisteuert. Im Vorfeld gibt es reichlich Knatsch: Das neue Stadion (das erste mit 400-m-Bahn - die übrigens in einem saumäßigen Zustand ist) ist viel zu klein, und niemand hält sich an das strenge Fotografier-Verbot. (Die deutsche Firma Leitz hat gerade eine Kleinbild-Camera auf den Markt gebracht, die Lei-Ca, mit der so ein paar unverschämte Deutsche doch tatsächlich im Stadion fotografieren wollen - dazu noch umsonst, d.h. ohne Lizenz-Gebühren an den holländischen Veranstalter zu zahlen. Das ist ein Anlaß, die Fotoapparate von der Polizei beschlagnahmen zu lassen! Ein Teil jener Cameras wird ziemlich genau 15 Jahre später in dem Flugzeug wieder auftauchen, mit dem der polnische General Sikorski über Gibraltar tödlich abstürzt, aber das ist eine andere Geschichte.) Überhaupt, die Deutschen sind wieder dabei, dann hat man ja endlich wieder jemanden zum benachteiligen und betrügen in großem Maßstab. Besonders skandalös wird es im Fußballturnier (das Uruguay gewinnt), aber auch im Gewichtheben und im Boxen werden krasse Fehlentscheidungen (übrigens nicht nur zu Ungunsten der Deutschen) gefällt. Unbestreitbar und selbst von den voreingenommensten Kampfrichtern (noch) nicht kaputt zu machen sind dagegen die tollen Leistungen der Nurmi, Weißmüller usw. (Rademacher, den man 1920 und 1924 um eine Gold-Medaillen-Chance gebracht hat, ist inzwischen zu alt geworden; bei ihm reicht es "nur" noch zu Silber.) Wenn man Weißmüller so sieht, hat der eigentlich einen ganz normalen, gesunden Körperbau - kein Vergleich mit den anabolisierten Fleischbergen, die sich seit den 60er Jahren (genauer gesagt seit Mark Spitz, zu dem wir später kommen) durch die Schwimmbecken tanken. Er wird anschließend "Profi", d.h. Filmschauspieler, zunächst mit mäßigem, dann aber, in den 30er Jahren, als "Tarzan" mit weltweitem Erfolg, übrigens als einziger großer Sportler seiner Zeit - sowohl der Boxer Gene Tunney als auch der Zehnkämpfer Glen Morris sollten ziemlich kläglich scheitern.

Aber überlassen wir diesen vordergründigen Kleinkram den Statistikern, liebe Leser, und konzentrieren wir uns auf die wirklich wichtigen Dinge, zum Beispiel die große Neuerung dieser Olympischen Spiele, die Teilnahme der Frauen. Frauen? Wenn man die Fotos von damals betrachtet stellt man[n] sich unwillkürlich die Frage: Wann ist 'ne Frau 'ne Frau? Darauf, liebe Leser[innen], gibt es eine ganz einfache Antwort, auch wenn sie einigen von Euch antiquiert erscheinen mag: Eine Frau ist ein menschliches Wesen, das Kinder gebären kann, und ob sie das kann, merkt man am zuverlässigsten daran, daß sie es auch tut. Es allein an letzterem fest zu machen wäre indes ungerecht: Sportlerinnen sind selten Schönheiten; vielmehr gehen manche Frauen und Mädchen nur deshalb auf den Sportplatz, weil sie so häßlich sind, daß sie in der Tanzschule oder in der Disco beim besten Willen keinen Mann finden, der sich für sie interessiert - die meisten Männer sind halt dumm und achten bei Frauen nur auf Äußerlichkeiten. Aber wonach soll man[n] sonst gehen, um den Unterschied festzustellen? Gen-Analysen, um das "innerliche" Geschlecht zu ermitteln, gibt es noch nicht. Außerdem - welcher richtige Mann würde sich schon dazu hergeben, als Frau verkleidet einen Weiber-Wettbewerb zu verzerren? Das wäre doch unter jeder Manns Würde! Nein, wenn man sich die Leistungen der Frauen von damals so anschaut, glaubt man gerne, daß das alles echte Frauen waren - sechs von acht Teilnehmerinnen im 800-m-Endlauf brachen im Ziel zusammen, trotz äußerst mäßiger Zeiten. Diese Disziplin wurde daraufhin erstmal wieder gestrichen, als "für Frauen zu anstrengend"; aber wahrscheinlich hatte sich bloß irgend jemand geärgert, daß eine Deutsche - Lina Radke - gewonnen hatte, dazu noch in Weltrekordzeit. Nein, niemand hätte behauptet, daß sie ein Mann wäre - sie war verheiratet und bekam später auch Kinder -, aber sie sah halt potthäßlich aus, jeder durchschnittliche Mann hatte ein hübscheres Gesicht. So etwas war ungeeignet als Sympathie- und Werbeträger (und als solche hatte man die Frauen ja nur mit machen lassen, als Publikums-Magneten).

Damit sind wir beim Thema, liebe Leser, und deshalb will Dikigoros Euch auch gleich das andere Extrem vorstellen. Dazu muß er etwas weiter ausholen. Es ist etwas Merkwürdiges, ja Geheimnisvolles darum, welche Sportler - und besonders Sportlerinnen - bei den Massen ankommen und sich deshalb besser vermarkten lassen als andere, die objektiv viel mehr geleistet haben. Eine gewisse sportliche Leistung muß wohl vorhanden sein, und auch ein gewisser Erfolg. (Das ist nicht dasselbe, liebe Leser, wir leben nicht in einer Leistungs-, sondern in einer Erfolgs-Gesellschaft. Es mag zwar schön sein, wenn Leistung und Erfolg mal zusammen treffen, aber die Regel ist das nicht - allenfalls in unserer Einbildung. "Kein Sieger glaubt an den Zufall!" [Nietzsche] Tatsächlich ist vieles oft nur Glück oder - wie bei den meisten Olympiaden - Schiebung.) Schauen wir uns doch mal um im Jahre 1928: Gene Tunney hat besser, schöner und erfolgreicher geboxt als der primitive, stets unfaire Schläger Jack Dempsey. Dennoch lebt der letztere auch noch nach dem Verlust seines Weltmeister-Titels prächtig von Werbe-Einnahmen, während der erstere so unpopulär ist und bleibt, daß er seinen Titel schließlich ungeschlagen, aber total frustriert niederlegt und seine Karriere beendet - er ist ja nicht Weltmeister geworden, um vor leeren Rängen um leere Kassen zu boxen. Aber was ist der Grund für solche skandalösen Geschmacks-Verirrungen des Publikums? Oder, um einen Sprung in die Gegenwart zu machen: Was macht den Widerling Mark Spitz so interessant, was die "lila Kuh" Franziska von Almsieck? Gewiß, beide haben mal einen guten Tag beim Schwimmen erwischt, sich aber danach als unbeständig, um nicht zu sagen unfähig erwiesen. Wie viele Tennis-Turniere hat Anna Kurnikowa je gewonnen? Und wie viele gut dotierte Werbeverträge hat Lindsey Davenport je bekommen? Wie vielen sagt ihr Name überhaupt noch etwas? [Für Nicht-Tennisfans: Die Antwort auf beide Fragen lautet "null"!] Die "lila Kuh" der Olympiade von Amsterdam, das Fräulein-Wunder aus Germany, ist "die blonde He", Helene Mayer, eine 17 Jahre junge, verwöhnte Göre aus Offenbach, die schon mit 13 deutsche Jugendmeisterin war, aber von den "Erwachsenen" arg unterschätzt, ja kaum ernst genommen wird. Im Sommer 1928 erwischt sie einen jener berühmten guten Tage, und noch bevor ihre Konkurrentinnen so richtig begreifen, wie ihnen geschieht, hat sie schon alle geschlagen und ist Olympia-Siegerin. Aber was ist daran so bemerkenswert oder gar skandalös? Geduld, liebe Leser, Geduld...

[Medal]
[Medal]
[Poster] [Medal]
[Medal]

1932 werden die Olympischen Spiele endlich mal wieder in den USA ausgetragen, und zwar sowohl die Winter- als auch die Sommerspiele. Beide erinnern insofern an die Olympiade von 1912 in Stockholm, als die Propagandamaschine vor- und hinterher erstklassig gearbeitet hat, um die Spiele zu den "schönsten und bestorganisierten aller Zeiten" hoch zu jubeln. In Wirklichkeit sind es die skandalösesten - vor allem die Winterspiele in Lace Placid im Staate New York, die alles in den Schatten stellen, was zuvor an Skandalösem in Athen, Paris, Stockholm, Paris und Antwerpen geschehen ist - und das will bekanntlich etwas heißen. Der Eisschnellauf entspricht in etwa dem antiken Wettlauf: Es wird nicht in Bahnen gelaufen, sondern im Pulk, Ellbogen vorweg; wer es schafft, die Gegner platt zu machen und selber heil durch zu kommen, hat gewonnen - die Schiedsrichter drücken beide Augen zu, wenn die Fouls von Amerikanern begangen werden (und das werden sie durch die Bank, denn sie haben als einzige intensiv nach diesen neuen "Regeln" trainiert). Auch das Bobfahren erinnert an die Antike - oder, wie Dikigoros geschrieben hat, an die Formel I: Die Zuschauer gehen erklärtermaßen zu den Rennen, um Tote zu sehen, und die Bahn ist extra so gefährlich gebaut worden, daß Stürze vorprogrammiert sind - das zeigt sich schon im Training. (Jede gescheite Mannschaft wäre unter Protest abgereist und hätte die Amis in ihrem eigenen Saft schmoren lassen). Während des Wettkampfs werfen die amerikanischen Zuschauer Eiszapfen, Steine und Baumzweige auf die Bahn, wenn Ausländer starten. Fast alle ausländischen Bobs verunglücken schwer (u.a. der deutsche, dessen Mitglieder als Weltmeister angereist sind und als Krüppel heim ins Reich kehren); die wenigen, die dem johlenden Publikum diesen Gefallen nicht tun, werden im Ziel mit Pfiffen, Buhrufen und Steinwürfen empfangen; die Opfer werden nicht einmal medizinisch versorgt, denn man hat bewußt weder Verbandsmaterial noch Sanitäter zur Verfügung gestellt. Ja, das ist der wahre amerikanische Sportsgeist!

[Fahne]

Einer, der nicht behindert wird, ist der Amerikaner Jack Shea - er gewinnt zwei Goldmedaillen im Schneesurfen. Als sein Sohn Jim so weit wäre, es ihm gleich zu tun, wird diese Disziplin ärgerlicherweise von der Liste der olympischen Sportarten gestrichen. Aber 70 Jahre später, als die Winter-Olympiade erneut in Lake Placid statt findet, wird sie wieder eingeführt, und sein Enkel Jim junior ist am Start - wenngleich als krasser Außenseiter. Jack fährt im Schneesturm los, um als Zuschauer mit dabei zu sein; kurz vor Lake Placid verliert der 91-jährige die Gewalt über seinen Wagen und stößt frontal mit einem Lkw zusammen (dessen Fahrer man danach den Prozeß machen wird, wegen Tötung eines nationalen Sportidols, das Jack Shea immer noch ist) - es gibt also doch so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit, auch wenn sie manchmal verdammt spät kommt. Sein Enkel - der ja für das, was 1932 geschehen ist, nichts kann - gewinnt übrigens die Goldmedaille. Nein, der australische Weltmeister - der auch ein hervorragender Wassersurfer ist - hat ihn nicht aus Mitleid gewinnen lassen; der Vorsprung beträgt nach zwei Läufen insgesamt nur 5/100 sec.; aber der Wettergott hat mit gespielt: Unter den völlig irregulären Bedingungen eines Schneesturms hatte der Aussie, der so etwas "down under" noch nie erlebt hatte, keine Chance.

[Plakat]"

Die Sommerspiele finden in Kalifornien statt, genauer gesagt in Los Angeles. Das hatte sich schon 1920 beworben, mit seinem schönen neuen Stadion. Aber auch das schönste Stadion schützt vor Skandalen nicht. Schon vor der Eröffnungsfeier gibt es den ersten Mißklang: Das IOC disqualifiziert Paavo Nurmi (der inzwischen die meisten olympischen Medaillen gewonnen hat, wenn man die "Zwischenspiele" von Athen 1906 nicht mit zählt sogar die meisten goldenen, und alle in Einzel-Wettbewerben, ohne Staffeln) wegen Verstoßes gegen das Amateur-Statut auf Lebenszeit. Letzteres ist ein Witz - er ist mittlerweile 35 (und damit schon ein alter Mann, denn man ist ernährungs-fysiologisch und farmazeutisch, pardon medizinisch noch nicht so weit, die volle Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers über Mitte 30 hinaus aufrecht zu erhalten) und will seine aktive Laufbahn nach der Olympiade ohnehin beenden. Die Sperre an sich hat man oft mit der nachträglichen Disqualifikation Thorpes verglichen, aber dieser Vergleich hinkt aus zwei Gründen ganz gewaltig: Erstens nahm Thorpe kein Geld für seine Auftritte in der Sportart Leichtathletik. Nurmi dagegen war Halbprofi; er lebte weitgehend von Antrittsgeldern und Prämien, die er ganz offen kassierte - das war allgemein bekannt. Es war auch schon allgemein üblich bei Spitzensportlern - andere Medaillen-Gewinner, wie die Amerikaner Paddock und Williams, taten das gleiche, und niemand kam auf die Idee, sie darob zu sperren. (Wohl aber den Franzosen Ladoumègue, den nach Nurmi besten Langstreckenläufer der 20er Jahre, und das zeigt ganz deutlich, daß mit zweierlei Maß gemessen wurde, je nach Nationalität.) Nein, die eigentliche Sauerei des IOC liegt ganz woanders: Obwohl man längst geplant hat, Nurmi zu sperren, läßt man ihn melden und anreisen; und einen Tag nach Ablauf der [Nach-]Meldefrist schickt man ihn wieder nach Hause. So macht man der finnischen Mannschaft ihr Konzept kaputt, das darin besteht, einander abwechselnd zu ziehen, in der Führung abzulösen usw. Nurmi war ja durchaus keine Ausnahme-Erscheinung in Finnland, sondern nur primus inter pares: seine Zeitgenossen Johan Kolehmainen, Lauri Lehtinen, Toivo Loukola, Lauri Virtanen und vor allem Ville Ritola (ja, das ist der, nach dem eine Schweizer Firma ihre Kräuterzucker-Bonbons benannt hat, die in ihrer Werbung so gerne die Finnen verarscht, die sich angeblich dieser Erfindung rühmen) waren fast ebenso gute Läufer, und die nächste Generation, die 1936 in Berlin ganz groß auftrumpfen sollte, auch.

Exkurs. Was Dikigoros da eben kurz in Klammern gesetzt hat, hat ihm eine kritische Mail aus der Schweiz eingetragen. (Nein, nicht von einem Schweizer, sondern von einem Zugereisten aus Osteuropa - die echten Schweizer wissen Bescheid und halten schön den Mund :-). Und da es irgendwie dazu gehört und man es sonst nirgendwo mehr im Internet findet, will Dikigoros es hier doch etwas weiter ausführen. In den 1920er Jahren begann die Werbung den Sport und die Sportler für sich zu entdecken: bekannte Footballspieler und Boxer machten Reklame, sei es nur für "sportliche" Klamotten, von der Mütze bis zum Schuh, sei es für Dinge, die Sportlern eigentlich weniger gut anstehen, wie bestimmte Zigarettenmarken und/oder Alkoholika. Warum sollten nicht auch Leichtathleten...? Das fragt sich jedenfalls ein gewisser Emil Richterich, der 1924 eine Zuckerbäckerei im schönen Laufen bei Basel erworben hatte, die nicht so recht floriert, und für deren Produkte er jetzt ein "Zugpferd" sucht. Wer war - mit vier Gold- und zwei Silbermedaillen und einem neuen Weltrekord über 10.000 m - der erfolgreichste Läufer der Olympischen Spiele 1924? Richtig, eben jener Ville Ritola. 1928 gewann er immerhin noch eine Gold- und eine Silbermedaille, aber da war er schon 32 Jahre alt, und es war abzusehen, daß seine Karriere sich dem Ende zuneigte. Also bot ihm Richterich einen schönen Werbevertrag für seine Kräuterzucker-Bonbons an - keine Millionen, wie sie die heutigen Olympioniken bekommen, aber immerhin ein schönes Zubrot. Doch der blöde Finne sagte "nein". Warum, das wissen allein die olympischen Götter, denn seine Läufer-Karriere ging wie gesagt zuende, so daß er eine Disqualifikation wegen "Verstoß gegen das Amateur-Statut" nicht mehr zu fürchten brauchte; und er lebte schon seit Jahren in den USA, so daß er auch keine moralischen Skrupel bezüglich des Geldverdienens mit Werbung für "unsportliche" Produkte gehabt haben dürfte - es gab wie gesagt Schlimmeres als Zuckerbonbons, wofür andere Sportler warben. Wie dem auch sei, Richterich überlegte, wie er trotzdem einen schönen, mit Ritola verwechslungsfähigen Namen finden konnte, ohne daß der ihn ob jener Verwechslungsfähigkeit mit Aussicht auf Erfolg würde verklagen können. Er schaute über die Grenze nach Deutschland, und dort stieß er auf seinen Kollegen Hans Riegel aus Kessenich bei Bonn, der seit 1920 gezuckerte Gelatine-Häppchen in Teddybärenform herstellte, die bald den Spitznamen "Gummibärchen" erhielten, und der für sein Unternehmen den griffigen Namen "Haribo" verwendete. Auf Befragen: das sei die Abkürzung für "Hans Riegel, Bonn". Hübsch ausgedacht - warum sollte das nicht auch in der Schweiz möglich sein? Allerdings hätte sich mit der Abkürzung "Emriba" für "Emil Richterich, Basel" wohl kein Blumentopf gewinnen lassen; und Ähnlichkeit mit Ritolas Namen hatte das schon gar nicht. Aber konnte man den Vornamen nicht einfach weg lassen? Und hatte Richterich nicht einen Partner, den man als "Co." bezeichnen konnte? Und wer zwang einen denn, die nächst größere Stadt statt des Dorfes zu nennen, wo tatsächlich produziert wurde? Und so entstand 1930 der Name "Ricola" - auf Befragen: das sei die Abkürzung für "Richterich & Co., Laufen". So heißt es bis heute, und bis heute macht sich die Ricola-Werbung über die Finnen lustig - aber das hatten wir ja schon. Exkurs Ende.

Unter uns, liebe Leser, Nurmi verdankt seinen Ruhm, der in so krassem Gegensatz zum fast völligen Vergessen seiner großen Mitläufer steht, nicht zuletzt dieser Disqualifikation. Wahrscheinlich hätte er - und das ist der zweite Unterschied zu Thorpe - 1932 eh keine Medaille mehr gewonnen, sondern sich bloß blamiert; so gesehen konnte er den Armleuchtern vom IOC fast noch dankbar sein. Wie dem auch sei, wenn die Finnen das vorher gewußt hätten... Aber das sollten sie ja gerade nicht; man will sie vielmehr ganz gezielt um ihre Medaillen bringen. Das zeigt sich auch beim 5.000 m-Lauf. Eingangs der Zielgeraden zieht der führende Lehtinen etwas nach rechts. (Das, liebe Nicht-Sportler, tut jeder Mittel- und Langstrecken-Läufer beim Endspurt, weil er dadurch ein paar Zentimer spart, die er sonst nach links einbiegen müßte; Dikigoros tut es auch, egal an welcher Position er liegt, und es hat sich noch niemand darob beschwert, ebenso wenig wie er sich je beschwert hat, wenn ein vor ihm liegender Läufer das getan hat - aus gutem Grund: Entweder man hat eh nicht mehr die Kraft, an dem Führenden vorbei zu ziehen - dann kann es einem egal sein -, oder aber doch - und dann nimmt man natürlich dankbar die Möglichkeit wahr, das links zu tun, also auf der Innenbahn, die der andere gerade frei gemacht hat; ein Fänomen, das man immer wieder beobachten kann, und über das sich nur sportliche Laien wundern.) Nun liegt aber knapp hinter Lehtinen ein Amerikaner, und es hätte doch sein können, daß der den Finnen just in diesem Moment rechts überholen wollte, oder? Man drängt ihn, Protest wegen "Behinderung" einzulegen; aber Ralf Hill - ein Deutsch-Amerikaner - lehnt es standhaft ab, sich auf diese unfaire Art und Weise eine Goldmedaille zu ergaunern. (Jeder weiß, daß seinem Protest - so unberechtigt er auch gewesen wäre - ohne weiteres statt gegeben würde.) Die Mannschaftsführung legt dennoch Protest ein. Hill wird vernommen: "Hat der Finne Sie behindert?" - "Nein," sagt Ralf trocken, und dabei bleibt er auch bei der zweiten Vernehmung. Lehtinen revanchiert sich, indem er seine Goldmedaille entzwei bricht und ihm die Hälfte abgibt. Das zeigt zur Abwechslung mal etwas Erfreuliches: Wenigstens ein paar Sportler sind damals noch fair, selbst wenn es um olympisches Gold geht! Von den Funktionären kann man das umso weniger behaupten: Als der Franzose Noël den Diskus knapp 50 m weit wirft, schauen die Kampfrichter einfach weg. Nein, nicht ungültig, aber kann halt nicht gemessen werden, darf noch einmal werfen. Die Goldmedaille gewinnt statt dessen ein Amerikaner mit 49 m... Beim Dressur-Reiten wird der Schwede Sandström, in der Endabrechnung an 2. Stelle liegend, nachträglich disqualifiziert, weil er angeblich mit der Zunge geschnalzt habe (was verboten ist). Niemand hat's gehört, aber die Kampfrichter - ein Amerikaner und ein Franzose - haben einen guten Grund: So rücken nämlich die hinter Sandström Liegenden - ein Amerikaner und ein Franzose, welch ein Zufall! - auf die Medaillen-Ränge. Der Turner Miez ist als einziger Schweizer angereist - das gilt nicht, sagt der amerikanische Kampfrichter, man muß einer National-Mannschaft angehören! Leider wird er überstimmt - aber er rächt sich mit einer Wertung im Bodenturnen, nach der Miez auf seine weitere Teilnahme verzichtet...

Lassen wir diese allgemein bekannten Skandale und Skandälchen hinter uns und wenden uns wieder den weniger bekannten, vergessenen oder verschwiegenen zu - die ja oft viel schlimmer sind. Da ist zum Beispiel die US-Norwegerin Mildred Didrikson aus Texas, die sie "Babe" nennen, weil sie eine Figur hat wie Georg Herrmann Ruth, der beste Baseball-Spieler nach dem Ersten Weltkrieg, der auch der beliebteste war, seit er seine deutschen Vornamen durch den Künstlernamen "Babe" ersetzt hatte. Didrikson ist US-Meisterin im Kugelstoßen, Speerwerfen (da war sie sogar mal Weltrekordlerin, schon als 16-jährige, die erste Frau, die über 40 m geworfen hat), Weitsprung, Hochsprung und 80-m-Hürden-Lauf (im Diskuswerfen hat sie als 4. nur knapp die Olympia-Qualifikation verpaßt) und hat nur das Pech, daß weder Kugelstoßen noch Weitsprung im Frauen-Programm stehen, geschweige denn Mehrkampf (dieses Pech teilt sie mit ihren Zeitgenossinnen Helen Stephens, Gisela Mauermayer und Ondina Valla) - der wird erst 32 Jahre später olympische Disziplin und dann gleich eine Domäne der Tunten, pardon Transvestiten. (Man wird auch ihr später nachsagen, daß sie einer war, weil sie früher Baseball und Basketball - typische "Männer-Sportarten" - betrieben hatte; aber bewiesen wurde es nie, und Dikigoros glaubt nun auch nicht jeden Tratsch und Klatsch, wenngleich es auch ihm zu denken gibt, daß sie mit einem Schwulen verheiratet war; als das öffentlich bekannt wurde, ließ sie sich sofort demonstrativ von ihm scheiden, behielt aber seinen Namen - Zaharias - bei.) Das Speerwerfen und den 80-m-Hürden-Lauf gewinnt sie (letzteren in neuer Weltrekordzeit), im Hochsprung stellt sie ebenfalls einen neuen Weltrekord auf, aber dann trifft sich im Stechen auf eine "echte" Amerikanerin... Danach hört sie mit der Leichtathletik auf (womit die nächste Olympiade zur Farce wird, denn ihre Leistungen sind durch die Bank besser als die der Olympia-Siegerinnen von 1936, und sie ist erst 18 Jahre alt, also noch steigerungsfähig), heiratet, sattelt um auf Golf, wird Profi und gewinnt 17mal in Folge die US-Meisterschaften. Dann stirbt sie an Krebs. Für den Skandal, der ihr die Leichtathletik so verleidet hat, bittet Dikigoros seine Leser noch um ein paar Jährchen - 36 - Geduld.

Und dann war da noch eine gewisse "Stella Walsh". Bei den Ausscheidungskämpfen der USA hat sie ganz knapp den dritten Platz über 100 m verpaßt - so ein Ärger. Sie kramt ihren alten polnischen Paß heraus. Hm... den läßt sie schnell wieder verschwinden, dann bittet sie den polnischen US-Botschafter (bei dem sie als Tippse arbeitet), ihr einen neuen auszustellen, auf den Namen "Stanislawa Walasiewicz". (Kommt Euch der Name "Stanislawa" irgendwie merkwürdig oder gar verdächtig vor, liebe Leser? Ach was, es gibt doch auch Wilhelmine zu Wilhelm und neuerdings sogar Hindenburga zu Hindenburg - warum soll es da zu Stanislaws keine Stanislawa geben?) Gesagt, getan, und Polen nominiert sie auch gleich für L.A. Sie enttäuscht nicht, sondern verbessert im Vor-, Zwischen- und Endlauf jeweils den Weltrekord und gewinnt infolgedessen auch die Goldmedaille, bravo. Na und? Geduld, liebe Leser, diesmal braucht Ihr keine 36 Jahre auf die Auflösung zu warten; obwohl dieser Skandal erst viel später aufgedeckt wird, verrät Euch Dikigoros das Geheimnis schon anläßlich der nächsten Olympiade. Im Hinblick auf die muß er hier auch nochmal die Fechterin Helene Mayer erwähnen, die inzwischen in den USA lebt und studiert (also längst vor der Machtergreifung der Nazis, auch wenn das heute oft anders dargestellt wird). Sie verpatzt ihre Titelverteidigung in L.A. gründlich (diesmal nimmt sie niemand mehr auf die leichte Schulter!), verliert in der Endrunde alle ihre Kämpfe und bleibt ohne Medaille - war wohl nur eine Eintagsfliege.

Aber zuvor will Dikigoros noch etwas für die Fußballfans erzählen, auch wenn man trefflich streiten kann, ob das ein Olympia-Skandal war, und wenn ja, ob er in das Jahr 1932 gehört. Da wird nämlich gar kein Fußball-Turnier ausgetragen. Ja, warum denn nicht? Erinnert sich der geneigte Leser noch? Uruguay hatte 1928 (wie schon 1924) die Goldmedaille gewonnen (vor Argentinien und Italien), und zwar mit massiver Hilfe korrupter Schiedsrichter. 1930 hatte zum ersten Mal eine so genannte "Fußball-Weltmeisterschaft" statt gefunden (Dikigoros setzt sie bewußt in Anführungsstriche, denn eigentlich war es nicht mehr als eine Amerika-Meisterschaft mit ein paar Zaungästen aus Europa), und wieder hatte Uruguay im Endspiel gegen Argentinien gewonnen. Die Spieler jener WM hatten aber allesamt Geld bekommen, und bei Olympia mußte man doch Amateur sein... So jedenfalls die offizielle Begründung; tatsächlich war es wohl so, daß die USA als Veranstalter nicht nur in der Leichtathletik mit zweierlei Maß maßen, und Fußball war halt nicht populär im Lande, das hätte keine Zuschauer ins Stadion gezogen, also ließ man es weg. Die Sache sollte aber noch zwei Nachspiele haben: Bei der zweiten Fußball-WM tauchen die Argentinier und die Italiener plötzlich in der selben Elf auf - der italienischen! Die argentinischen Vize-Weltmeister haben urplötzlich ihre uritalienischen Urgroßmütter entdeckt und mal eben kurz die Nationalität gewechselt! (Das mit den Urgroßmüttern stimmte ja - und es stimmt bis heute: Nicht nur vor, sondern auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren die besten argentinischen Fußballer stets italienischer Abstammung, von di Stafano über Maradona bis Messi; aber keiner von ihnen wäre auf die Idee gekommen, sich von der maroden Republik Italien einbürgern zu lassen und für sie gegen den Ball zu treten!) Und da Italien nicht nur die besten Spieler Argentiniens, sondern wohlweislich auch alle Schiedsrichter des Turniers gekauft hat, wird es folgerichtig Weltmeister. Und es setzt noch einen drauf: Da die zweite Garnitur ja nun "frei" geworden ist, befördert es die kurzerhand zu "Amateuren" und schickt sie zur nächsten Olympiade, bei der Fußball wieder auf dem Programm steht. Und, um das vorweg zu nehmen, mit Erfolg: Die italienischen "Amateur"-Fußballer werden die Goldmedaille gewinnen. Aber Dikigoros will noch etwas vorweg nehmen, um zu zeigen, daß sich viele Geschichten aus der Geschichte nicht nur wiederholen, sondern bisweilen auch in Form von Retourkutschen. 70 Jahre nach der ergaunerten Fußball-WM werden sich beim Endspiel um die olympische Goldmedaille im Volleyball zwölf Italiener gegenüber stehen - jedenfalls tragen alle zwölf italienische Namen und sind rein italienischer Abstammung (wenn man mal vom Südtiroler André Heller absieht, dem Center der "Squadra Azzurra"), und alle spielen in der italienischen Volleyball-Liga. Es siegt das Sextett um den Mann mit dem schönen historischen Namen "Dante", und die Goldmedaille geht an... Brasilien! Denn da es nicht [mehr] üblich ist, in Mannschafts-Sportarten mit mehr als einem Team anzutreten (außer bei den Chinesen, da werden sich im Pingpong-Endspiel "China" und "Hongkong" gegenüber stehen, auch nach dem Anschluß, pardon der Wiedervereinigung :-) und niemand Lust hat, auf der Ersatzbank zu hocken oder gar zu Hause zu bleiben - Kolumbus war halt nicht der einzige Italiener, der Amerika "entdeckt" hat - gewinnt die unbestrittene Volleyball-Nation Nr. 1 auf der Welt wieder kein olympisches Gold in dieser Disziplin. Und wenn wir gerade beim Thema sind, wollen wir noch eine Ballsportart unter diesem Aspekt würdigen: Die besten Wasserballer stellen die Deutschen; dennoch unterliegen sie Ungarn in L.A. 2:6 und gewinnen nur Silber. Na und? Haben die ungarischen Goldmedalisten von 1932 (und 1936, um auch das gleich vorweg zu nehmen) nicht alle einen ganz "normalen" ungarischen Namen? Gewiß, - aber wer hat den nicht im Staate Dänemark, pardon, im Staate des Reichsverwesers Horthy? Sollte da nicht etwas faul sein? Kennt Ihr den berühmten "ungarischen" Fußballer Ferenc Puskás? Sicher - und wenn nicht, dann könnt Ihr ja mal den letzten Link anklicken, dann werdet Ihr erfahren, daß das eigentlich ein zwangs-madyarisierter Deutscher war. Und das gab es halt nicht nur im Fußball. "György Bródy" hieß eigentlich Georg Brod und war Deutsch-Schweizer; "Márton Homonnay" hieß eigentlich Martin Hlavacsek und war Oberkrainer (die Kommunisten wollten ihn 1945 für das Verbrechen, Volksdeutscher zu sein, ermorden, pardon hinrichten; ihm gelang jedoch die Flucht nach Südamerika); "Olivér Halassy" hieß richtig Oliver Haltmayer (auch er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von den Kommunisten als "Kriegsverbrecher" gesucht; als einfüßigem Krüppel gelang ihm die Flucht nicht; er wurde 1946 ermordet, pardon hingerichtet); "Jószef Vértesy" hieß richtig Josef Vrabel; "János Nemeth" hieß richtig Jakob Deutsch (als Jude wurde er nach 1945 zunächst nicht verfolgt; aber nach dem gescheiterten Aufstand von 1956 mußte er außer Landes fliehen; der böse falangistische Diktator Franco gewährte ihm Asyl in Spanien).

Und noch etwas für die Boxfans: Der Faustkampf ist inzwischen zu einer Art Nationalsport in den USA avanciert; da überrascht es schon, daß sie da relativ wenige Medaillen holen: Gold nur im Welter- und Mittelgewicht, im Fliegen-, Leicht- und Schwergewicht nur Bronze, und im Halbschwergewicht... gar nichts, denn Johnny Miler läßt sich gleich in der Vorrunde von einem Iren namens Murphy - der später nicht mal eine Medaille gewinnt - schlagen. Wie war das möglich? Hatte er nicht erst wenige Wochen zuvor sein Können unter Beweis gestellt, indem er einen gewissen Joe Louis Barrow so gründlich zusammen geschlagen hatte (sieben Niederschläge in drei Runden - das sah und sieht man in Amateurkämpfen nicht allzu häufig), daß der ein knappes Jahr Pause machte und das Boxen schon fast ganz aufgeben wollte? Zu den Olympischen Spielen hätte Barrow allerdings ohnehin nicht mit gedurft, denn er war kein "reiner" Amateur, weil er vor dem Kampf - aber eben im Zusammenhang mit demselben - ein paar Box-Broschüren und sonstigen Souvenir-Krimskrams verkauft und damit immerhin 7,50 US-$ verdient hatte. (Das war übrigens mehr, als ihm nach 17 Jahren als Profi - darunter 12 als Weltmeister aller Klassen - bleiben sollte.) Das nur am Rande, da Ihr es sonst in keiner Geschichte der Olympischen Spiele findet.

Warum haben eigentlich so wenige Bürger des Deutschen Reichs an den Olympischen Spielen von L.A. teilgenommen? Nun, eine Reise in die USA dauert lange und kostet viel Geld, und das ist gerade verdammt knapp. Spendenaufrufe sind weitgehend ungehört verhallt; lediglich eine altbackene Grußbotschaft von Präsident Hindenburg ist eingegangen, für die sich niemand etwas kaufen kann. (Immerhin belegt die feste Handschrift, daß der alte Feldmarschall a.D. jedenfalls 1932 nicht so verkalkt war, wie es ihm gewisse Historiker später nachgesagt haben - der wußte noch genau, was er tat!) Die Demokratien haben gründlich abgewirtschaftet - nicht nur, aber vor allem die deutsche, die nach dem Städtchen Weimar benannt wird, weil die tapferen Parlamentarier, als sie gerade dabei waren, im Berliner Reichstag ein geduldiges Stück Papier mit den Worthülsen einer "Verfassung" zu schwärzen, Gerüchte über eine bevorstehende Revolution dortselbst hörten und sich daraufhin schleunigst ins Thüringische verpißten. Im Deutschen Reich gibt es 1932 fast so viele Arbeitslose wie heute in der BRDDR, aber kein annähernd so dichtes Netz sozialer Absicherung mit Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und Wohngeld. Die Menschen stehen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße und hungern, laufen denen nach, die ihnen Besserung versprechen. Demokratie kann man nicht essen, die papierene Verfassung auch nicht - wohl aber den Teller Suppe und das Stück Brot, die es bei der "SA" oder bei der "HJ" (einer Art politisch angehauchter Pfadfindergruppe, die später in "FDJ" umbenannt werden wird) umsonst gibt. Nein, niemand zwingt die Leute, dort hin zu gehen, denn die bösen Nazis haben die Macht noch nicht ergriffen, niemand, wenn der Hunger denn niemand ist. Aber, aber, sagt die Regierung (die von dem Christ-Demokraten Brüning - die CDU nennt sich damals noch "Zentrum" - geführt und von den Sozial-Demokraten toleriert wird; besser, d.h. demokratischer geht es doch überhaupt nicht), der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Wohl wahr, also kürzt die Demokraten-Regierung mal eben das Arbeitslosengeld (das im Schnitt bei 20.- Reichsmark im Monat liegt - das entspricht etwa 200 Teuro heutiger Kaufschwäche, pardon Kaufkraft) um schlappe 20% (zum Trost: auch die Beamtengehälter werden um 20% gekürzt; als Symbol dafür läßt die Regierung statt der gewohnten 5-Pfennig-Stücke 4-Pfennig-Stücke prägen) und verbietet die SA, damit die arbeitsscheuen Elemente sich dort nicht weiter den Wanst vollschlagen können. Zum Ausgleich bietet sie ihren Untertanen, pardon Demokraten, viele schöne Jubiläen, bei denen es echt was zu feiern gibt. Das schönste von allen ist zweifellos der 100. Todestag des deutschen [Inter-]National-Poëten Goethe - dessen Wahlheimat Weimar wie gesagt der ersten deutschen Republik ihren Namen gegeben hat! Davon kann man doch abbeißen, oder? Ja, auch bei der "HJ" rüstet man zum Goethe-Jahr. Dikigoros' Vater ist dabei (auf Rückfragen: ja, schon vor 1933 und obwohl er eigentlich noch gar nicht alt genug war, nicht mal für das "Jungvolk"; nein, nicht "unwissentlich", aber doch nicht ganz "freiwillig": Seine Pfadfindergruppe war kurz zuvor - weniger aus politischen denn aus materiellen Gründen, sie war so gut wie pleite - geschlossen übergetreten, und er wollte sich nicht ausschließen; aber er hat nicht noch 1944 oder 1945 einen Aufnahmeantrag in die NSDAP gestellt, wie manche Typen, die man nach dem Krieg zu "Antifa"-Ikonen hoch stilisiert hat), ebenso ein junger Mann namens Hermann Ratjen. Die Laien-Schauspieler haben sich das Stück "Hermann und Dorothea" ausgesucht; aber Hermann spielt nicht seinen Namensvetter, sondern die Dorothea. Er macht das so brillant, daß seine Kameraden frotzeln: "Mensch Manni, du könntest die Dora auch im wirklichen Leben spielen". Na, warten wir mal ab...

Nicht nur die deutschen Sportler haben 1932 Probleme mit dem lieben Geld - schließlich ist Weltwirtschaftskrise, übrigens auch in den USA. Deshalb bestehen die Hafenbehörden von Los Angeles darauf, daß jeder Ausländer, der dort an Land gehen will, die Einreisegebühr von 1.- US-$ in barer, harter Münze bezahlt. Aber wer hat schon Devisen? Die Brasilianer haben ihre Sportler auf einen großen Frachtdampfer gesetzt - ohne Geld, aber dafür mit 50.000 Säcken besten Kaffees. 50.000 Zentner Kaffee, liebe Leser, das wäre noch wenige Jahre zuvor (und heute wieder) ein Millionen-Vermögen, mit dessen Erlös jeder einzelne Teilnehmer als Krösus auftreten könnte. Aber damals wird der Kaffee in Brasilien zum Befeuern von Lokomotiven verwendet, damit der Preis auf dem Weltmarkt nicht noch mehr verfällt. Und wie stellen die Politiker sich das eigentlich vor - sollen die Sportler in Kaffeebohnen bezahlen? Und dann ist da noch der amerikanische Zoll, d.h. die Brasilianer können ihre Ware nur auf dem Schiff verkaufen, wenn sich denn ein Interessent bequemt, hinaus zu fahren. Am Ende - nach knapp drei Wochen Nerven aufreibenden Feilschens - müssen sie den Kaffee für weniger als einen Cent pro Zentner verramschen; genau einen Tag vor Beginn der Olympischen Spiele haben sie alle ihren Eintritts-Dollar beisammen und dürfen kalifornischen Boden betreten. An eine Vorbereitung des Wettkampfes, und sei es nur durch ausreichenden Schlaf, geschweige denn durch Training, ist nicht zu denken - die Brasilianer laufen überall nur hinterher. Auch das zählt zur großherzigen Gastfreundschaft der amerikanischen Ausrichter. Aber dafür waren sie doch - anders als die Deutschen vier Jahre später - gute Demokraten!

Da Dikigoros nun schon zweimal die Winterspiele - einschließlich der Witzveranstaltung von Chamonix - erwähnt hat, muß er wohl der guten Ordnung halber auch die von Garmisch 1936 kurz erwähnen. Dabei gibt es dort überhaupt keine Skandale - pfui, diese Nazis! Es regt sich - anders als ein paar Monate später bei den Sommerspielen - auch niemand darüber auf, daß Hitler die Sieger[innen] persönlich zur Gratulation empfängt - einige Auserwählte sogar mitsamt Familie halb-privat, auf dem nahe gelegenen Berghof. Nein, nicht nur Deutsche, sondern auch und gerade Ausländer. Erinnert Ihr Euch noch an den 11-jährigen Pummel, der sich 1924 so blamiert hatte? Aus dem "Häseken" ist eine junge Dame geworden, Eiskunstlaufen hat sie auch gelernt (jedefalls so halbwegs; heutzutage würde sie mit ihrem harmlosen Gehopse nichtmal eine Kreismeisterschaft gewinnen :-) und ihr geschäftstüchtiger Vater sorgt dafür, daß sie ihre Goldmedaille ordentlich versilbert, in den USA. (Nein, auch den Besuch bei Hitler auf dem Berghof verübelt man ihr nicht - anders als ihrem Landsmann, dem Literatur-Nobelpreisträger Knut Hamsum, den man dafür nach dem Krieg als "Schwerverbrecher" grausam zur Verantwortung zieht.) 200.000,00 US-$ zahlt ihr Hollywood für jeden ihrer Filme, in denen sie nichts weiter zu tun braucht, als das, was sie halt am besten kann, nämlich Schlittschuh laufen. (Da kann manfrau schon mal auf die zweifelhafte Ehre des "Amateur"-Status verzichten :-) Und als sie genug Geld angespart hat, investiert sie auf eigene Rechnung in groß angelegte Eislauf-Revues, mit denen sie Millionen scheffelt. (Und der US-$ hat damals noch eine Kaufkraft von ca. 40 Euro nach der Währungsreform von 2002.) Sonja Henie wird zur finanziell erfolgreichsten Sportlerin des 20. Jahrhunderts, denn im Gegensatz zu den "Tennis-Königinnen" der 1980er und 1990er Jahre schafft sie es, ihr Geld zusammen zu halten. Bloß im Privatleben hat sie kein Glück; mit 57 stirbt sie an Krebs, nicht ohne zuvor mit Verbitterung auf ihre Karriere als Sportlerin und Geschäftsfrau zurück geblickt zu haben, mit den Worten, daß sie das alles nie wieder so machen würde. Ihr ungeheures Vermögen vererbt sie mangels Kindern einem Museum.

[Medal]
pfui, wie kriegslüstern!

[Medal] [Medal]
[Medal] [Medal]
[Medal]
[Medal]
[Plakat]
[Medal]
[Medal]

Die XI. Olympischen Sommerspiele finden 1936 in Berlin statt. Dort gibt es inzwischen wieder mehr zu essen, wenn auch keine Demokratie - aber wie gesagt: die kann man eh nicht essen, und den meisten Leuten ist es so herum lieber. Wie Ihr auf der letzten Medaille seht, liebe Leser, gibt es auch ein schönes neues Stadion, genauer gesagt sogar zwei (eines für die Leichtathleten und Rasenspieler, das andere für die Schwimmer; die übrigen Wassersportarten werden in Kiel ausgetragen.) Vor Beginn der Wettkämpfe läßt man Tauben fliegen; aber diesmal nicht, wie 1904, um sie abzuknallen, sondern es sind Brieftauben mit Friedensbotschaften in alle Welt. Das kommt schon mal verdammt schlecht an, besonders bei denen, die den Deutschen unterstellen, ganz unfriedlich gesinnt zu sein und einen neuen Weltkrieg vorzubereiten. Vor dem Stadion stehen Plastiken, die später als "faschistoïd" verunglimpft und zerstört werden. Man fragt sich, warum: Sie zeigen ganz einfach nackte Menschen - wie im alten Griechenland. (Erinnert sich der geneigte Leser noch, was die friedliebenden Belgier 1920 vor das Olympia-Stadion von Antwerpen gestellt hatten?) Gewiß, manchen gehirnamputierten Schlaffis, pardon demokratischen Gutmenschen von heute, denen der Satz "ein gesunder Geist in einem gesunden Körper" ein Greuel ist (oder, wie sie selber es neuerdings in einem Anfall von staatlich verordneter Legasthenie schreiben, "Gräuel" - wenn Dikigoros das so schreibt, wie oben eingangs der Olympiade von 1920, dann meint er das anders, nämlich doppeldeutig), gilt bereits das als faschistoïdes Ideal; aber hatte nicht Coubertin höchstpersönlich als Merkmal des Olympismus "Adel und Auslese" bezeichnet, die durch "körperliche Überlegenheit" bestimmt werden? Und der Einmarsch der Mannschaften ins Berliner Olympia-Stadion sei "militaristisch" gewesen? Habt Ihr mal gesehen, welch einen Aufmarsch die USA 1932 veranstaltet hatten? Die Armee hatte schwere Artillerie für den "Salut" aufgefahren, die amerikanischen Fahnenträger waren voll uniformiert (schaut Euch nochmal die inoffizielle Medaille von 1932 an), und die meisten Mannschaften auch. Die Deutschen zum Beispiel trugen einen lächerlichen weißen Matrosenanzug und ebensolche Schirmmützen mit dem Pleitegeier, pardon dem Reichswappen. 1936 gehen sie dagegen in Zivil (mit Ausnahme der Berufsoffiziere, denen noch immer einige Disziplinen vorbehalten sind - aber dazu kommen wir später).

Gleichwohl hat sich Hitler nicht lumpen lassen für diese seine Propaganda-Schau (nein, nicht "Show", liebe neu-deutsche Leser, damals sprach man noch kein Germenglish!), er schiebt sogar dem abgehalfterten Coubertin, der sein ergaunertes Vermögen inzwischen restlos durchgebracht hat, 10.000 Reichsmark (ca. 100.000 Teuros) in den Arsch, einfach so, für nichts, als "Ehrengabe". (Mit 1.000 RM wäre der auch glücklich geworden, und statt mit Geld mit einem kräftigen Tritt in den letzteren angemessener behandelt.) Auch der Grieche Spiridon, der anno 1896 den ersten Marathon-Sieg ergaunert hatte, wird nach Berlin geladen - nicht etwa, um ihm endlich die Medaille abzuerkennen, sondern um ihn mit großem Brimborium zu ehren. Woher weiß Dikigoros das alles? Nun, diese Spiele sind besser dokumentiert als alle anderen Vorkriegs-Olympiaden zusammen, vor allem durch die beiden Dokumentar-Filme "Fest der Schönheit" und "Fest der Völker" von Leni Riefenstahl. (Die gibt es übrigens in einem halben Dutzend verschiedener Versionen; je nach Export-Land werden diejenigen Disziplinen in den Vordergrund gerückt, die dort am besten ankommen - die französische Version z.B. besteht zu fast einem Viertel aus Radfahren.) Diese Filme werden in der ganzen Welt berühmt und preisgekrönt - zurecht (was immer man sonst von Leni Riefenstahl halten mag - das ist eine andere Geschichte). Nur in der Bananen-, pardon Bundesrepublik Deutschland nicht mehr. Warum? Nun, nach allem, was Dikigoros aus erster Hand gehört und gelesen hat, sind das 1936 sowohl in sportlicher als auch in jeder anderer Hinsicht die schönsten und gelungensten Spiele aller Zeiten gewesen, nicht nur im Vergleich zu den früheren, sondern auch zu den späteren - vor allem zu den in jeder Hinsicht skandalösen und katastrofalen Spielen von 1972 in München, deren Macher doch mit dem Anspruch antraten, sich ganz besonders von denen in Berlin abzuheben (ja ja, der Futterneid der Bayern auf die Preußen...)! Das ist ihnen auch gelungen - aber leider in negativer Hinsicht. Und genau das demonstrieren die Riefenstahl-Filme in einem geradezu peinlichen Ausmaße, denn die schönsten Spiele aller Zeiten erstrahlen naturgemäß umso heller im Vergleich mit den schrecklichsten Spiele aller Zeiten, zumal sie beide in Deutschland statt fanden - und deshalb würdigen die Demokratisten dieses Meisterwerk, das ihre Schande derart offenbart, zum "Machwerk" herab und versuchen es zu deckeln, wie es nur geht. Als es nach mehr als einem halben Jahrhundert endlich im Fernsehen der BRD ausgestrahlt werden darf - natürlich nur auf einem der viel geschmähten Privatsender und mitten in der Nacht, weil es doch "jugendgefährdend" ist - muß es mit einem Vorspann versehen werden, in dem es über Leni Riefenstahl heißt: "Die radikale Künstlerin hat sich mit Verbrechern eingelassen." Das stimmt sogar, denn sie hat den Film im Auftrag des IOC gedreht (dem die Reichsregierung dafür 3 Millionen Reichsmark vorgestreckt hat) - und daß dort überwiegend Verbrecher saßen, daran zweifelt Dikigoros keinen Augenblick. Aber dazu gleich mehr.

weiter zu Teil 3

zurück zu Teil 1

heim zu Reisen durch die Vergangenheit