„Verschnitt“ statt „Ausschnitt“



        Wie das „Institut fuer deutsche Kultur und Geschichte in Suedosteuropa“ (Muenchen) es versteht, die deutschnationalen und nationalsozialistischen Auswuechse der „Volksdeutschen“ im suedosteuropaeischen Raum zu bagatellisieren
 

         „So, wie die Einstellung des Zeitgenossen zu Nationalismus, Nationalsozialismus und Kommunismus, so das Vermittlungsergebnis“. Mit diesem Regelsatz ist zunaechst nur der Geist derer erfasst, die im Namen und fuer das „Institut fuer deutsche Kultur und Geschichte Suedosteuropas“ (vormals das ominoese „Suedostedeutsche Kulturwerk“(SOKW)) den Versuch unternommen haben, einen „Ausschnitt aus der umfangreichen, noch kaum erforschten Korrespondenz suedostdeutscher Schriftsteller, Geisteswissenschaftler, Maler, Musiker und Politiker des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts“ zu bieten (So Joachim Wittstock und Stefan Sienerth, »“Bitte um baldige Nachricht“. Alltag, Politik und Kultur im Spiegel suedostdeutscher Korrespondenz« (Veroeffentlichungen des Instituts fuer deutsche Kultur und Geschichte Suedosteuropas (IKGS), Wissenschaftliche Reihe, Bd. 97, Muenchen 2003).

         Wie wenig, wenn ueberhaupt, Deutschnationalismus und Nationalsozialismus, die eigentlichen Kernerscheinung und –problematik des von den Herausgebern abgedeckten Zeitabschnitts, offen angesprochen, thematisiert und mit Korrespondenzbeispielen belegt wird, das wird an zahlreichen Aspekten dieses wohl fuer jede Neujahrswende recht nuetzliche „Anekdotensammlung“ greifbar. Weil die Herausgeber sich in einem zwiespaeltigen Verhaeltnis zur deutschnationalen und NS-Thematik bewegen – aber nicht zur kommunistisch-stalinistischen, wo den Hehrausgebern weder bei der Auswahl der Texte noch bei der Kommentierung Zweideutigkeit, Vieldeutigkeit- oder Undeutlichkeit unterlaeuft – fuehren sie die seit Bestehen des SOKW und seiner auf Verdraengung, Schoenfaerberei, Verharmlosung und Geschichtsrevisionismus ausgerichtete Kulturpolitik fort. Und in der eindeutigen Banalisierung des Deutschnationalismus und des NS bei den „Suedostdeutschen“ – eigentlich haette auch der Untertitel des Bandes nicht diesen Deutschen, sondern den Siebenbuerger deutschen gelten muessen, weil das zusammengetragene Material ausschliesslich dieser Herkunft ist – setzen Herausgeber zum einen die von der 37. Jahrestagung des „Arbeitskreises fuer Siebenbuergische Landeskunde“ vom 10.-12. September 1999 in Heidelberg um das Thema »Deutsche Literatur in Rumaenien und das „Dritte Reich“« vorgegebenen Richtlinien fort (vgl. Dazu den ebenfalls in der „Wissenschaftlichen reihe“ als 94. Band herausgegebenen gleichnamigen Tagungsband, mit dem Untertitel „Vereinnahmung – Verstrickung – Ausgrenzung“ (hg. Von Michael Markel u. Peter Motzan, Muenchen 2003), zum anderen liegen sie – zwar auf einem etwas elaborierteren Niveau – ganz auf der Linie der unverzeihlichen Fehlleistung von Horst Schuller-Anger (Hermannstadt/Sibiu), der in seinem Tagungsreferat „Erwin Neustaedter und die Schrifttumskammer der „Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“ (Tagungsband S. 167-192) das eigentlich hochbrisante Thema des NSDAP-Parteigenossen und NS-Kulturfunktionaers Erwin Neustaedter in eine mechanisch-seelenlose Auflistung von fuer das Thema absolut belanglosen Alltagsbanalitaeten auf beinahe 30 Druckseiten aufloest.

         Die Briefbelege aus den „heissen“ Jahren 1930-1944, als der NS die politische Bezugsgroesse bei den Deutschen in Siebenbuergen war, besetzen einen verhaeltnismaessig bescheidenen Teil des Bandes: S. 24-50; 160-180: 201-231. Das eindeutige Missverhaeltnis zwischen diesen etwa 80 Seiten zum eigentlichen Buchtext von 348 Seiten ist wohl kaum zufaellig. Zudem ist es stoerend, dass von diesen etwa 80 Seiten, welche die Zeitspanne 1930-1944 illustrieren moechten, etwa 23 Seiten dem bemuehen des einen Herausgebers, Joachim Wittstock entspringen, die eindeutige Einbettung des Schriftstellers Erwin Wittstock in den NS-Literatur- und –kulturbetrieb der Kriegsjahre 1939-1945 abzuschwaechen („... es muss alles ein wenig menschlicher werden“. Briefe von Erwin Wittstock, Walther Eidlitz und manchen anderen“, S. 216-231).

         Der allzu grossen Nachsichtigkeit der Herausgeber gegenueber der deutschnationalen und nationalsozialistischen Komponente entspricht es auch, dass keiner der siebenbuergisch-deutschen Autoren, die nachweislich „Parteigenossen“ waren (entweder als Mitglied der NSDAP Adolf Hitlers wie Heinrich Zillich oder der „NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“) als solche genannt werden, wahrscheinlich auch aus der Überlegung, es sei „fuer manche Literaturbetrachter ein Leichtes, einen Autor sozusagen fuer immer zu diskreditieren, oft ohne noch unterscheiden zu wollen, ob es sich um Unbelehrbare handele, die eine kategorische Abfuhr tatsaechlich verdienen, oder um solche, die danach gestrebt haben, sich von ihren Irrmeinungen zu loesen“ (S.217). Dasselbe gilt fuer die binnendeutschen und deutsch-oesterreichischen, ans „Dritte Reich“ „angeschlossenen“ Autoren, mit denen die „volksdeutschen“ Kulturgroessen doch vor allem in Kontakt standen, wie Brehm, Hans Grimm, Stadtmueller, Fittbogen, Nadler, Weinheber.

         Auch wirkt die Hyperselektivitaet, mit der die Herausgeber bei der Auswahl der Brieftexte vorgehen, stoerend, weil damit auch dort, wo die Intentionalitaet der Auswahl nicht offen formuliert wird, die Absicht trotzdem erkennbar ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: die Unterordnung des Deutschen Theaters und seines Leiters Gust Ongyerth in Hermannstadt/Sibiu wird recht unglaubwuerdig mit einer Episode verknuepft, die eigentlich ueberhaupt nichts mit der deutschnationalen Ausrichtung des Theaterleiters Ongyerth zu tun hat, ebenso nicht mit seinen eindeutigen NS-Sympathien als Mitglied des beruechtigten „Klingsor“-Kreises um den rechtsradikalen Heinrich Zillich. Auf diese Weise werden neue Mythen in die Welt gesetzt, die aus dem zutiefst in den NS-Kulturbetrieb engagierten Ongyerth einen NS-Widerstaendler zimmern wollen. Dass dieser Ongyerth aber nachweislich engste Kontakte zum „Reichsdramaturgen“ seit 1938-39 pflegte, dass er von Propagandaminister Goebbels empfangen und ausgezeichnet wurde, dass er vom „Volksgruppenfuehrer“ Andreas Schmidt zum „Intendanten“ des „Deutschen Landestheaters der Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“ ernannt wurde und es unter seiner Leitung war, dass das „Landestheater“ nicht nur die NS-Kulturpropaganda in den anderen „suedostdeutschen Volksgruppen“ und bei den Frontsoldaten in Transnistrien (Odessa) und auf der Halbinsel Krim verbreitete, darueber schweigen sich die Herausgeber dieses Bandes geflissentlich aus.

         Und ueber wie vieles sich dieser „Ausschnitt“ in Verbindung mit dem deutschnational-nationalsozialistisch und „volksdeutschen“ Spektrum hinwegsetzt, das wuerde wohl einen band fuer sich fuellen. Getreu der jahrzehntelang gefahrenen Politik des SOKW bestehen indessen keinerlei Beruehrungsaengste, wenn die kommunistisch-stalinistische Unterdrueckung und Verfolgung bis hin zur Daemonisierung dieser politischen Ausrichtung geschildert wird. Diesem Kapitel „suedostdeutscher“ Geschichte sind die Seiten 51-86 gewidmet. Die hier eingeschalteten Kommentare zeichnen sich im Gegensatz zu denen, die deutschnational-nationalsozialistisch-„volksdeutschen“ Fragen gelten, weder durch Wortklauberei, noch durch andere Formen von Zurueckhaltung, Reserviertheit oder Bedenklichkeit aus. Hier wir eindeutig gesprochen und bekannt.

         Weiterhin stoerend, weil gewissermassen als demonstrative Geste aufzufassen, ist das Kapitel „Nationale Pathologie. Unduldsames Verdraengen des Juedischen“ (S. 35-50), das ganz und gar dem zweifelhaften Grundsatz „Auch wir haben unsere(n) Juden“ operiert. Mit diesem Buchabschnitt sollte wohl dem moeglichen Vorwurf vorgegriffen werden, dem Antisemitismus bei den „Volksdeutschen“ in Suedosteuropa sei keine Aufmerksamkeit geschenkt worden. Diesem Kapitel bleibt leider der Beigeschmack einer halbherzig betriebenen Pflichtuebung nicht erspart, wenn z.B. der manifeste und in den Jahren des Weltkriegs in den Leitartikeln der „Suedostdeutschen Tageszeitung“ (Organ der „Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“) ueberbordend-militante Antisemitismus des Chefredakteurs Alfred Hoenig und der Zeitungsredaktion nicht bloss als „ihm (A. Hoenig) und seinen Mitarbeitern ‚auferlegte(n) Haltung‘ „ abgetan wuerde und wenn nicht versucht wuerde, den uns bereits bekannten Ongyerth in Verbindung mit „nichtdeutschen“, moeglicherweise juedischen Mitgliedern seines Theaterensembles als der Judenfrage und damit dem Antisemitismus indifferent herueber bringen zu wollen (s. 48-50). Auch bedient Herausgeber beilaeufige Formulierungen wie: „Formulierung [die] sich durch die zeittypischen Rassevorstellungen ergab“ in Bezug auf die Mitgliedschaft getaufter Juden in der Evangelischen Landeskirche A.B. in den Jahren 1939-1940 (S. 42). Die Behandlung dieser Thematik faellt ausgesprochen tendenzioes aus. Herausgeber kann sich auf keinen Fall darauf berufen, die Bestaende des Archivs des Landeskonsistoriums genannter Kirche liefere kein einschlaegiges material her, um die zeit des eindeutig antisemitischen Bischofs Wilhelm Staedel (1941-1944) zu belegen. Herausgeber zieht es stattdessen vor, antisemitische Dokumente aus der Zeit des NS-feindlichen Bischofs Viktor Glondys zu veroeffentlichen. Damit soll die Aussagekraft der veroeffentlichten Brieftexte nicht in Abrede gestellt, aber die recht kuriose Auswahlsystematik der Herausgeber nochmals hervorgehoben werden: hier Beispiele des krassesten kirchlichen Rassismus und Antisemitismus auszusparen, dort das eindeutig Nationalsozialistische entweder zu unterdruecken oder nicht namentlich zu nennen.

         Damit duerfte hinreichend belegt sein, dass der Band »“Bitte um baldige Nachricht ...“ ...« nicht einen „Ausschnitt“ sondern einen „Verschnitt“ bzw. „Beschnitt“ darstellt. So kann er entgegen den Absichtserklaerungen der Herausgeber in keiner Weise als repraesentativ fuer „ein tragisches und spannungsreiches Jahrhundert, wie es das vorausgegangene war“, fuer „einen Querschnitt durch die Lebenswirklichkeit der Deutschen in Suedosteuropa vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Kommunismus“ gelten.


Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


Datei: Verschnitt.html            Erstellt: 18.12.2005            Geaendert:              Webmaster, Autor und  © Klaus Popa


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