©
Klaus Popa 1998
Was
bei der Fortführung der begonnenen, aber jäh abgebrochenen Diskussion
zur Vergangenheitsbewältigung beachtet werden sollte
Da
eine richtige Diskussion bisher aussteht1,
soll aus der Heftigkeit des Für und Wider in Verbindung mit Daniel
Goldhagens Buch, das der Band Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit.
Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt a.M. 1998 dokumentiert,
mancher Diskussionspunkt in die siebenbürgisch- sächsische bzw.
rumäniendeutsche Debatte aufgenommen werden.
1. Vgl. unsere Stellungnahme zu "Negativkritik
aus linksintellektueller Ecke"
Wir weisen zunächst auf Textstellen hin, die teilweise sofort oder
in den
nachfolgenden Abschnitten kommentiert werden.
Die Zahlen in Klammern entsprechen den jeweiligen Seitenzahlen.
I.
1) Von einem Überdruß an der "Vergangenheitsbewältigung"
bei den Siebenbürger Sachsen kann nicht die Rede sein, weil die Bewältigung
noch nicht richtig in Gang gekommen ist.
2) Wir sollen nicht ins Goldhagen-Extrem verfallen,
einfache, schlüssige Antworten zu geben.
3) Die wissenschaftliche Unterscheidungsfähigkeit
ist dabei zu wahren (S.86)2
.
2.
Vgl. Abschnitt V.
4) Die Gefahr der Entpersonalisierung
ist zu vermeiden. Es muß personalisiert werden.
5) Interessant ist, daß die Beteiligung
der Volksdeutschen an Einheiten der Waffen-SS als Gegenargument gegen Goldhagens
These (scil. die Deutschen seien willige Vollstrecker des Völkermordes
gewesen) eingesetzt wird, u.zw. können laut R.B. Birn und V. Rieß
"historisch tradierte Denkmuster" "schwerlich auf Bevölkerungsgruppen
übertragen werden, die seit Jahrhunderten von Deutschland getrennt
lebten." (S.44)
Die Siebenbürger Sachsen spielen hier einen klaren Ausnahmefall. Durch
ihre enge kulturelle und wirtschaftliche Anbindung ans Reich, sind sie,
wie die Sudetendeutschen, die einzige Gruppe, die sich die historisch
tradierten Denkmuster des Nazismus vollkommen zu eigen gemacht hat.
6) Zwar ist eine Reduktion auf den Gegensatz
Deutsche/Juden in Siebenbürgen nicht gegeben, wurde aber mit der nazistischen
Ideologie mitgeliefert und von den in der SS dienenden Siebenbürger
Sachsen bzw. Rumäniendeutschen konkret bedient.
7) Der akademische Radikal-Antisemitismus,
den die Forschung mit Schreibtisch- und effektiven Tätern in Verbindung
bringt (S.102), war bei den Sbg. Sachsen auch verbreitet.
8) Es ist herauszuarbeiten, inwieweit weltanschaulicher
Fanatismus (S.98) bei den Siebenbg. Sachsen gegeben war.
9) Die Täter (keine) weltanschaulichen
Fanatiker (98); „Weltanschuungkrieger“ (174).
10) Täter hatten kein Unrechtsbewußtsein
(150).
II. Gruppenzwang- und Solidarität
Die Forschung vertritt den Standpunkt, daß:
11) Deutsche aus
Gruppenzwang, Karrierismus und Gehorsam zu Tätern wurden (S.58).
12) die Bevölkerungsmehrheit,
die dem zustimmte, sich in irgendeiner Form beteiligte oder tatenlos wegschaute,
sei es aus Überzeugung, Kalkül, Angst oder Gleichgültigkeit
(S.261).
13) Die
Kollektivschuldthese hat die Schuld des Volks- bzw. Gruppenkollektivs
zum Gegenstand. Als These wird ihre Richtigkeit bezweifelt, es wird ihr
der Gegenstand abgesprochen. In sbg.-sächsischem und rumäniendeutschem
Kontext ist das Wirkungsfeld der Kollektivschuld dahingehend zu begrenzen,
daß sie nur auf die zutrifft, die sich als "Weltanschauungskrieger"
und als Täter ohne Unrechtsbewußtsein nicht nur im Umfeld kriegsrechtlicher
Hoheit sondern auch im Umfeld der Zivilgesellschaft herausgestellt haben.
14) Das Gruppenverhalten
war ausschlaggebend, so auch in Siebenbürgen. Sobald das Postulat
der Gleichheit von Deutschsein und Nationalsozialismus und das Gegenstück
des Undeutschseins bzw. undeutscher Umtriebe im Falle der Mißbilligung
des Nationalsozialismus bzw. der Gegnerschaft sich in der Richtung verfestigt
hatte, daß dasselbe Gleichungspaar auch dem Sächsisch- oder
Unsächsischsein untergeschoben wurde, also zum Maßstab der Volksgruppenidentität
avancierte - was voraussetzt, daß dieses Prinzip von der Mehrheit
der Sbg. Sachsen bzw. Rumäniendeutschen getragen wurde (das erfolgte
durch zügellose Agitation und rücksichtslose Kompromittierung
der politischen Gegner (eine für rumäniendeutsche Verhältnisse
unbekannte Militanz) und schließliche "Machtübernahme" durch
die nazistische Volksgruppenführung im Jahr 1940) - war der Gruppenzwang
in nationalsozialistischem Sinn so gewaltig geworden, daß sich ihm
kaum ein 'Volksgenosse' entziehen konnte. Die es dennoch wagten, galten
als Verräter. Und welcher Durchschnittssiebenbürger, Banater
Schwabe oder Bukowinadeutscher nahm es gerne in Kauf, in nationalsozialistischer
Manier stigmatisiert, also aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen
zu werden? Kaum einer.
15) Der von der Forschung
betonte Einfluß der Propaganda und die Macht des Totalitarismus,
die bei der Bewertung des deutschen Verhaltens während der NS-Zeit
zu berücksichtigen sind (S.232), ist im rumäniendeutschen Kontext
differenzierter zu betrachten als im binnendeutschen Umfeld. Der Einfluß
der Propaganda als meinungsbildend und identitätsstiftend wurde unter
10) angesprochen. Wirksamen Totalitarismus gab es in Rumänien erst
seit der Machtübernahme durch die Volksgruppe (1940), doch sie konnte
ihre totalitären Ansprüche auf politischer Ebene nur zum Teil
realisieren. Allerdings muß betont werden, daß die unter 10)
angesprochene Pervertierung des sbg.-sächsischen bzw. rumäniendeutschen
Identitätsverständnisses in nationalsozialistischem Sinn als
Voraussetzung für den Durchbruch des Totalitarismus zu bewerten ist.
16) Zu
einem monolithisch geschlossenen System, das manche Forscher beim nazistischen
Deutschland zu erkennen glauben (120f.), kam es in Rumänien nicht
unter nazistischem, aber unter kommunistischem Vorzeichen. Hätte den
einheimischen Nazis mehr Zeit zur Verfügung gestanden, hätten
sie die totale Gleichschaltung, also ein monolithisch geschlossenes System
errichten können.
III. Das "Leid der anderen" wird mit
dem "eigenen Leid" verglichen und ausbalanciert (S.264)
Diese Verhaltensweise ist bei den Sbg. Sachsen nur nach der einen Seite,
nach der der Selbstbemitleidung, erkennbar. Andererseits wirkt sich das
"Opfer-Bewußtsein" (S.264) bei den Sbg. Sachsen teilweise wie bei
den Binnendeutschen aus: sie meinen, auch verführt worden zu sein.
Die Karte der Deportation und Vertreibung („Man“ wurde Opfer der Vertreibung
(S.264)) wird hochgeschrieben, ebenso die, Opfer der „Besatzungsmacht“
(S.264) geworden zu sein. Aber totales Verschweigen des eigenen, zum Teil
wie in Deutschland zur nationalen Hysterie entarteten Deutschglaubens.
Hinzu gesellt sich noch die Karte der „kommunistischen Scheußlichkeiten“
und des kommunistischen Unrechts, das tatsächlich ist, aber immer
wieder vorgeschoben wurde, um von den eigenen nationalsozialistischen bzw.
deutschnationalen Entgleisungen der 30-er und 40-er Jahre abzuleiten bzw.
diese zu verdrängen. Diese in dreifacher Richtung erfolgte und erfolgende
Verdrängung der eigenen Verstrickung entspricht durchaus dem Grundsatz
„Dresden gegen Auschwitz“, selbst wenn die Schuldig- und Schuldhaftigkeit
in Siebenbürgen nicht die Intensität der binnendeutschen erreicht.
IV. Die Schuld
Obwohl die unter 13) angesprochene sbg.-sächsische bzw. rumänien-
deutschen Kollektivschuld im Gegensatz zu Binnendeutschland eigentlich
nur auf eine Minderheit zutrifft, reagieren die Sbg.-Sachsen trotzdem so,
als ob die Verstrickung allumfassend war. Eine Erklärung dafür
ist die nach dem Prinzip der Sippenhaft erfolgte kollektive Verurteilung,
Belangung und Knechtung der Rumäniendeutschen durch das kommunistische
Regime. Den Hauptgrund vermeinen wir im typischen Abwehrmechanismus zu
erblicken, den auch die Binnendeutschen entwickelten, wenn sie auf ihre
nazistische Vergangenheit, Verstrickung oder ihr Mitläufertum angesprochen
wurden (oder werden). Dabei spielt der Versuch, die persönliche Schuld
auf eine kollektive Schuld zurückzuführen, also die individuelle
Verantwortung durch den Hinweis aufs Kollektiv zu anonymisieren, eine Hauptrolle.
Andererseits, und diese Reaktionsweise ist bei den Siebenbg. Sachsen bei
weitem die häufigste, wird die individuelle Nennung eines Schuldiggewordenen
bzw. Verstrickten sowohl vom Betreffenden als auch von der Gemeinschaft
umgehend als Versuch der Kollektivbezichtigung und Pauschalierung3
(also im Sinne der Sippenhaft)
3. Vgl.
"Schädlich
ist der selektive Rückblick". Dr. Konrad Gündisch über
das siebenbürgisch-sächsische Geschichtsverständnis
empfunden. Es äußert sich also
eine besondere Form des Kollektivbewußtseins bzw. der Gruppensolidarität.
Doch das ist eine pervertierte Äußerungsform der Gruppensolidarität,
die bei den Sbg. Sachsen und Rumäniendeutschen aus der unter Punkt
14) angesprochenen Pervertierung des sbg.-sächsischen bzw. rumäniendeutschen
Identitätsverständnisses in nationalsozialistischem Sinn entspringt.
Die Bezichtigung eines Gruppenmitgliedes wird als direkter Angriff auf
das Gruppen- und Selbstverständnis, also auf die Gruppenidentität
gedeutet und vehement zurückgewiesen. Die wenigsten sind sich bewußt,
daß sie auf einem Identitätsanspruch bestehen, der nicht aus
der Kulturüberlieferung der eigenen Gruppe, sondern aus dem Repertoar
nazistischer, also auswärtiger, Denkmuster herrührt. Das darf
als Anzeichen dafür gelten, daß die Sbg. Sachsen in der Kriegs-
und Nachkriegszeit einen Nazifizierungsgrad (im Sinne der Durchdringung
der eigenen Gruppenidentität mit dem Deutschenglauben) erreicht haben,
für den sie noch heute - eher unbewußt - eintreten.
Welche Faktoren haben diese Entwicklung bestimmt und gefördert?
Einige wurden bereits angesprochen. Doch chronologisch
betrachtet machten die einheimischen Anhänger und Vertreter des deutschnationalen
Gedankens den Anfang. Das waren teils Kriegsveteranen des Ersten Weltkriegs,
teils junge in Deutschland Studierende, die Fühlung zum nationasozialistischen
Gedankengut genommen hatten und weiterhin enge Kontakte zur binnen- deutschen
Bewegung pflegten. Aus deren Reihen ging der harte Kern hervor, der die
Volksgruppe aufbaute und ab 1940 leitete. Diese überzeugten Nationalsozialisten
interpretierten die militärischen Erfolge der deutschen Wehrmacht
als wiederholte Bestätigung dafür, daß ihre Ideologie nicht
nur richtig, sondern die einzig richtige war und sie übertrugen diesen
Gemütszustand auf die Gemeinschaft der Rumäniendeutschen. Trotz
des ab 1942 voraussehebaren Debakels blieben sie ihrer Überzeugung
treu und retteten diese Überzeugung bis in die Nachkriegszeit hinein.
Ähnlich, wenn auch unbewußt, lebte der Deutschglauben bei den
inzwischen dem Sowjetimperium einverleibten Rumäniendeutschen weiter
und wurde u.E. unter dem Eindruck von Deportation, Enteignung und polizeilicher
Gewaltanwendung wiederaktiviert, auch aus dem einfachen Grund, weil die
Betroffenen die einzig gültige Erklärung für die Verfolgungsmaßnahmen
und Repression in ihrem Deutschtum erblickten. Doch ein militanter, ideologisch
fundierter Deutschen- glauben konnte im repressiven, unfreien kommunistischen
Umfeld nicht zum Tragen kommen, selbst wenn die kommunistischen Behörden
die Prozesse der 50-er und 60-er Jahre mit nationalsozialistischen Umtrieben
in Verbindung setzten.
Da der Kommunismus dem nationalsozialistischen Deutschglauben den Nährboden
entzogen hatte, fanden die Rumäniendeutschen allmählich zu den
Inhalten ihres geschichtlich tradierten Gruppenbewußtseins zurück:
Fleiß, Ordnung, Zuverlässigkeit, Ausdauer, christlicher Glaube.
Allerdings blieb das Bewußtsein des Inseldaseins in einer andersnationalen
Welt bestehen.
Ganz anders verlief die Entwicklung in Deutschland,
wo die meisten Amtsträger der Volksgruppe und sonstige Gesinnungsgenossen
Fuß faßten und den von ihnen ins Leben gerufenen Landsmannschaften
die ideologische Richtung vorgaben. Sie mußten nicht befürchten,
in der Republik Adenauers wegen ihres Deutschglaubens benachteiligt oder
verfolgt zu werden, im Gegenteil, sie konnten ihrer Ideologie treu weiter
anhängen.
Zwei Aspekte sind maßgebend: zunächst die geschichtliche Ironie,
daß diese Leute, deren Ideologie unfreiheitlich und antidemokratisch
war, nun die Nutznießer jener Freiheiten wurden, die sie früher
bekämpften, und sich des gewährten Spielraums schamlos bedienten,
um sich in der Öffentlichkeit als aufrichtige Demokraten aufzuspielen.
Als zweites führten sie einen in den Augen jedes Demokraten berechtigten
Kampf gegen den sowjetrussischen Kommunismus und das kommunistische Regime
Rumäniens. Sie gaben vor, einen völlig selbstlosen Kampf zu führen,
der ausschließlich der Befreiung ihrer Landsleute aus dem kommunistischen
Gulag diene. Niemand bezweifelt, daß das eine Notwendigkeit war,
doch kaum einer verstand - und viele wollen es auch heute nicht wahrhaben
- daß die ehemaligen Amtswalter aauf diese Weise ihre nazistische
Vergangenheit vor der Öffentlichkeit verbargen. Man kann entgegnen,
daß jeder vernünftige Mensch so gehandelt hätte, was zugegebener-
maßen stimmt, nur handelte es sich hier um vorbelastete Personen.
Diese Leute waren es nun, die ihre in den Schmierkampagnen der 30-er und
40-er Jahre gegen alle Andersdenkenden gewonnene Routine nun in die antikommunistische
Propagandaoffensive des Kalten Krieges eintrugen. Sie bevormundeten auch
jahrelang die bundesrepublikanische Öffentlichkeit der sbg.-sächsischen
Aussiedler ganz nach ihren ideologisch belasteten Vorstellungen. Der zentrale
Punkt ihrer Bemühungen war es, den bereits in den 30-er Jahren und
zur Volksgruppenzeit (bis 1944) gehegten und gepflegten Wechselbalg der
nationalsozialistisch begründeten Gruppenidentität, den sie dem
historisch tradierten Selbstverständnis der Sbg. Sachsen und Rumäniendeutschen
aufgepfropft hatten, weiter zu kultivieren und als eigentliche Identität
auszugeben. Das gelang ihnen auch meisterhaft, weil sie die einschlägigen
Printmedien kontrollierten. Sie haben nicht minder dazu beigetragen, daß
die sich aus dem pervertierten Identitätsbewußtsein ergebenden
Abwehr- und Verdrängungsmechanismen bis heute uneingeschränkt
wirken. Dieter Schlesak hält diesen Sachverhalt in seinem Buch So
nah, so fremd. Heimatlegenden, 19954,
mit tiefster Verbitterung fest: die nationalsozialistische Weltanschauung,
die seine frühe Jugend verdüstert hat, wirkt bei den in der Bundesrepublik
lebenden Siebenbürger Sachsen unselig nach.
4. Vgl.
unsere Besprechung
V. >Das noble Ziel
einer "kritischen Einstellung gegenüber Eigenem"< versus siebenbürgisch-sächsischem
Narzissmus
Die bisherigen Ausführungen legen nahe, weshalb "das noble Ziel einer
"kritischen Einstellung gegenüber Eigenem"
(S.156) nicht Sache einer Minderheit ist, sondern aller in der Bundesrepublik
lebenden Siebenbg. Sachsen und Rumäniendeutschen, vor allem der jüngeren
Generation. In Deutschland wird die Vergangenheitsbewältigung als
Unannehmlichkeit und als Zumutung empfunden (S.276). Wer bei den Sbg. Sachsen
für Vergangenheitsbewältigung eintritt oder sich daran wagt,
gilt als Nestbeschmutzer, linksliberal, antifaschistisch angehaucht und
eigenwillig. Das bisher erfolgreich betriebene Verschweigen dokumentarischer
Evidenz, die Verfälschung von Fakten und die programmatisch betriebene
Verharmlosung der Tatsachen entspringt der Angst, Selbstverleugnung, Verleugnung
seiner Gruppe bzw. seiner Gruppenzugehörig- keit zu betreiben.
Es muß leider festgestellt werden,daß der kritische Geist gegenüber
Eigenem bei den Siebenbürger Sachsen un- bzw. unterentwickelt ist.
Deshalb sind sie der Weltöffentlichkeit den Beweis des Gegenteils
schuldig geblieben. Voraussetzung dafür sind Distanzierungs-
und Differenzierungsvermögen.
Wie kontraproduktiv die beharrliche Verdrängung und Verharmlosung
ist, belegt z.B. Michael Kroners Besprechung von Adrian Ciupuliga, Die
deutsch- sprachige Literatur in Rumänien zwischen 1933 und 1944. Mit
einer Biblio- graphie zur Literatur und Geschichte der deutschen Volksgruppe,
19885 .
5. In
Neue Kronstädter Zeitung, 4. Jg., Folge 2/88, 1. April 1988, S.8.
Kroner qualifiziert die Feststellungen Ciupuligas, die bisherige Literatur-
und Geschichtsschreibung sei zu traditionsgebunden, zuweilen tendentiös
und ideologisch bestimmt und bestrebt, den Nazieinfluß zu kaschieren,
als Pauschal- urteile ab. Welch eine plumpe Vereinfachung!6
6. Kroner
findet zweifelsohne daran Unbehagen, daß Ciupuliga keine Trennlinie
zwischen national- konservativem und nationalsozialistischem Vokabular
zieht. Es ist in der Tat verfehlt, von Termini wie "völkisch", "Volkstum"
u.ä. auf nationalsozialistischen Hintergrund zu schließen. Doch
dort, wo typisch nationalsozialistische Vokabeln wie "Rasse", "Jude", "Blut
und Boden", "Führer", "Elite" u.s.w. erscheinen, kann nicht vom Gegenteil
gesprochen werden. Eine Untersuchung in dieser Richtung kann wesentlich
zur endgültigen Abgrenzung von nationalkonservativem und nationalsozialistischem
Vokabular und Gedankengut beitragen.
Kroner vermißt bei Ciupuliga "eine differenziertere Analyse", die
eine Vorbedingung der Wissenschaftlichkeit ist. Doch sein kritischer Diskurs
bedient ein Differenzierungsverständnis, das wegen falscher Prämissen
vollkommen ins Leere läuft. Das ist ein Symptom des offiziellen sbg.-sächsischen
Geschichts- verständnisses: es setzt am falschen Punkt an, wodurch
seine Ergebnisse zweifelhaft ausfallen, doch es hält an deren Stichhaltigkeit
eisern fest.
Ein weiteres Beispiel geschichtsklitternder Schreibweise liefert Karl M.
Reinerth, dessen methodisches Spezialgebiet die besonders raffiniert eingesetzte
Pseudodifferenzierung ist, die auf der Umkehrung von Ursache und Effekt
(Wirkung) beruht. Varharmlosung ist das Ergebnis. Hier einige durch Reinerth
willkürlich in Ursachen umfunktionierte Wirkungen. Er behauptet beispielsweise,
daß der siebenbg. Wandervogel (Jugendbewegung) immer versucht hat,
„eng mit unserer Kirche zusammenzuarbeiten. Es waren vor allem die beiden
Pfarrer Wilhelm Staedel und Dr. Konrad Möckel, die in z.T. eigenen
Veranstaltungen, wie z.B. in „Richtwochen“, versuchten - wie ich glaube
mit Erfolg - Mädchen und Jungen des Wandervogels das Evangelium näher
zu bringen.“ Es soll innerhalb des Wandervogels „ehrlich „um den Glauben
gerungen“ “ worden sein7
.
7. Karl
M. Reinerth, Über die Jugendbewegung bei den Siebenbürger
Sachsen bis 1935, in: Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender,
35. Jg., 1990, S.39-60, hier S.49. Das Verb "ringen" weist darauf, daß
der Glaube umstritten war.
Daß Konrad Möckel ehrlich bemüht
war, den reinen christlichen Glauben den Jugendlichen zu vermitteln, ist
unbestreitbar. Nicht Wilh. Staedel, der das militante Glaubensverständnis
der nationalsozialistisch ausgerichteten Deutschen Christen vertrat (unter
Ausschaltung des Jüdischen aus Bibel und Glauben; der Führer
als eigentlicher Erlöser u.ä.). Richtig ist es, daß nicht
die Jugendbewegung, sondern Konrad Möckel den Versuch unternahm, mit
dem Wandervogel zusammenzuarbeiten. Staedel war ein altgedienter Aktivist
in der Jugendbewegung und kein aufrichtiger Christ, weil er der nationalsozialisti-
schen Ideologie den Vorrang vor dem wahren Glauben einräumte.
Das eklatanteste Beispiel Reinerthscher Pseudodifferenzierung ist die Behauptung,
der Nationalsozialismus habe die Ende der 20-er Jahre in das Lagerleben
eingebaute körperliche Gemeinschaftsarbeit einfach übernommen
und zur Arbeitsdienstpflicht umgewandelt8
. Das will besagen, daß die Arbeits- dienstpflicht eine typisch nationalsozialistische
Einrichtung, während die körperliche Gemeinschaftsarbeit nicht
nationalsozialistischen Ursprungs war. Das Understatement Reinerths will
ferner den Eindruck erwecken, daß es bei den Siebenbg. Sachsen vor
1933 keinen Nationalsozialismus gab. National- sozialistisches Gebaren
soll erst ab 1933 bzw. 1940 eingesetzt haben.
8.
Ebenda.
Reinerth behauptet ferner, die Jugendbewegung und der freiwillige Arbeitsdienst
seien „ursprünglich kaum vom Nationalsozialismus beeinflußt
worden; im Gegenteil, dieser hat sich ihrer bedient und von ihnen profitiert“9
.
9. Reinerth,
S.51.
Der böse Nazismus, dem die Jugendbewegung
so lang wie möglich aus dem Weg ging! Das war wohl eine Samariterbewegung!?
Wenn dem so gewesen wäre, hätte der nationalsozialistisch beeinflußte
Ernst Jekelius, Schriftleiter der „Kirchlichen Blätter“, im „Klingsor“
über den Jugendtag in Agnetheln vom 29./30. Juni 1935 nicht so begeistert
geschrieben: „[...] weiß ich, daß ich hier an einem zweiten
Markstein im Leben unseres Volkes stand. Die Jugend ist mündig geworden.
Sie marschiert. [...] Hier aber ist die Erfüllung, hier ist das Leben
[...]“10.
Jekelius stellt fest, daß er hier die Erfüllung dessen erblickt,
wofür seine Generation den Weg bereitet hat.
10. Reinerth,
S.55.
Die Einstellung Kroners zu Ciupuligas Literaturgeschichte zeichnet sich
dadurch aus, daß sie Meinungen von außerhalb des 'Volkskörpers'
als Bedrohung aufnimmt und bekämpft, statt auf die Gegenseite zu-
und auf deren Argumente konstruktiv einzugehen, wodurch ein Dialogverhältnis
aufgebaut würde. Doch es herrscht Dialogunwilligkeit und -unfähigkeit
vor. Ignoranz in der eigenen Abkapselung ist vorprogrammiert.
Ein weiterer Wesenszug des verkrampften sbg.-sächsischen Geschichts-
verständnisses ist die Unfähigkeit, effektiv zu differenzieren,
obwohl von der Gegenseite Differenzierungsvermögen lautstark gefordert
bzw. dieser vorgeworfen wird, nicht genügend oder gar nicht zu differenzieren.
Als nächstes drängt sich die beängstigende Ein- und Enggleisigkeit
der Sichtweisen von K.M. Reinerth und Michael Kroner auf. Sie sprechen
aus einem Munde, ihre Aussagen und Argumente sind gut eingeübt, was
den leisen Verdacht aufkeimen läßt, daß sich hier Spuren
früherer Indoktrinierung artikulieren, die allerdings auf unterschiedliche
Ideologien zurückgehen.
Die Geschichtsdeutung11,
die Reinerth und Kroner vornehmen, trägt Züge einer festgefahrenen
Defensive in sich. Sie vermeint in jeder Meinungs- äußerung,
die nicht ihrem eigenen Verständnis entspricht, einen Angriff auf
das Selbstverständnis12
der Siebenbürger Sachsen erblicken zu müssen13
.
11. Es
ist fehl am Platz, hier von 'Geschichtswissenschaft' zu sprechen.
12. Kroner
nennt es obendrein 'völkisch'.
13. Das
erinnert an 'Einkreisungspsychose'.
Die angesprochenen Einstellungen und Reaktionen weisen auf ein selbstgenügsames
Selbstverständnis, dem die Infragestellung des Ureigenen, die kritische
Einstellung gegenüber Eigenem nicht der Mühe wert ist.
Kritik dient im Reinerth-Kronerschen Geschichtsverständnis ausschließlich
der Abwehr unbequemer Stellungnahmen, woraus ferner zu schließen
ist, daß hier nur Fremdes, Andersartiges, nicht Eigenes kritikwürdig
ist. Diese durch und durch unzeitgemäße Positionierung zeichnet
sich durch Starrheit und Erstarrung, Selbstgefälligkeit und Selbstgenügsamkeit
aus. Ein von Unreifheit und Narzissmus
triefendes Selbstverständnis!
Die erläuterte Problem(schief)stellung erzielt die Verharmlosung geschicht-
licher Tatbestände auch durch:
I. ausschließliche
Darstellung von Ereignissen, wobei auch hier in den meisten Fällen
selektiv verfahren wird, wodurch Akzentverlagerungen entstehen, die zur
Geschichtsklitterung beitragen;
II. aus I. ergibt sich
bewußt betriebene Entpersonalisierung (die Akteure werden nicht genannt).
Wie wichtig die Personalisierung ist,
zeigt Punkt 4.
Dies Verfahren operiert auf drei Ebenen:
a) die nationalistisch
oder nationalsozialistisch befrachteten Akteure werden entweder ganz verschwiegen
(oder als makellos dargestellt);
b) es werden nur Akteure
minderer Bedeutung genannt;
c) indem keine oder nur
minder profiliert Handelnde genannt werden, wird die 'heikle' Frage eines
nationalistisch oder nationalsozialistisch begründeten politischen
Willens geschickt umgangen, wodurch die Träger dieses Willens,
Einzelpersonen, Gruppen, Parteiungen, Parteien oder Organisationen nicht
weiter genannt werden müssen. So können im Handumdrehen personen-
bzw. gruppenunabhängige Gegebenheiten vorgeschoben werden, um die
Radika-
lisierung zu erklären, will sagen,
außersiebenbürgischen Faktoren anzulasten. So kommt beispielsweise
die Behauptung zustande, die Jünger des sbg. Nationalsozialismus seien
ausschließlich aus reichsdeutscher Richtung vereinnahmt worden, also
nicht aus eigenem Antrieb dieser Ideologie verfallen. Der Nationalsozialismus
soll also den Siebenbürgern geradezu aufgezwungen worden sein. Die
Fakten sprechen indessen eine gegenteilige Sprache.
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Entworfen: 08.12.1998 Verändert: 29.07.2007
Autor: Klaus Popa