Zu: Walter König, Der Einfluss des Nationalsozialismus auf
die siebenbürgisch-sächsische Lehrerschaft, in: Zeitschrift
für Siebenbürgische Landeskunde, 23. (94.) Jg. (2000), Heft 1,
S.24-54.
Der Einfluss des Nationalsozialismus auf die siebenbuergisch-saechsische Lehrerschaft war zunaechst nur von aussen her wirksam, daher die spaetere Unterscheidung des Verfassers, dass der Einfluss auch „von oben“ her erfolgte1. Koenig schliesst also von Anbeginn die Moeglichkeit aus, dass es bei den Siebenbuerger Sachsen auch einen Nationalsozialismus mit eigenem Zutun gab, der sich eigeninitiativ artikulierte. Doch letzteres entspricht auch den Tatsachen und ist zumindest bis 1940, als die Volksgruppenordnung eingefuehrt wurde, die dominante Aeusserungsform des Rechtsradikalismus. Sie wurde, ob voelkisch (jungkonservativ) oder nationalsozialistisch bereits in den fruehen 20er Jahren von Lehrkraeften und Pfarrern importiert, die sich in Deutschland zum Studium aufhielten. Indem Koenig die dritte Moeglichkeit ignoriert, ist auch die Eigendynamik, welche die reschtsradikal Indoktrinierten in Siebenbuergen entwickelten nicht sein Thema. So fuehrt er auch den sich mit der Abwahl von Simon Schwarz durch Michael Fredel einstellenden ideologischen Wechsel im Lehrertag nicht auf rechtsradikale Tendenzen zurueck.2
Die auf dem 21. Lehrertag im August 1935 zum Durchbruch gelangte Radikalisierung bezeichnet Koenig nur „Richtungsaenderung“ und verbindet damit „politische Oeffnung“.3 Recht zweifelhaft die letztere Formulierung, weil die nun einsetzende Politisierung auch des repraesentativen Organs, des Lehrertags, auf keinen Fall als „Oeffnung“ hin zum Positiven ausgelegt werden kann.
Die Abwahl von S.Schwarz durch die neuartige „Kampfabstimmung“ weist ebenfalls auf die Radikalisierung hin. Koenig uebersieht auch das chronologische Detail, dass der Umschwung der seit dem 10.Februar 1935 (in Siebenbürgen seit dem 14. Juli 1935) in der radikalnazistischen DVR (Deutsche Volkspartei in Rumänien) vertretenen Lehrerschaft zu verdanken war. Auch die perspektivische Erweiterung auf sämtliche deutsche Lehrerverbaeände in Rumänien, die zur Sitzung der Vertreter der Deutschen Lehrerverbände in Rumaenien am 23. August 1935 fuehrte, wo die Gruendung eines Bundes der deutschen Erzieher in Rumaenien beschlossen wurde,4 geschah zweifelsfrei auf Veranlassung der Rechtsradikalen. In diesem Zusammenhang ist die Bemerkung Koenigs, „Das Interesse an dem Zusammenschluss der Lehrerverbaende“ sei „gross, aber die Plaene eines freiwilligen Zusammenschlusses wurden von der politischen Entwicklung ab 1938/39 ueberrollt“,5 abwegig, weil das Ausscheiden der radikalen Lehrer, die sich dem Rundschreiben 924/1936 des Landeskonsistoriums der evangelischen Landeskirche AB. In Rumänien6 nicht unterwarfen, eigentlich dafuer ursaechlich ist.
Koenig legt ein kurioses Verstaendnis von Nationalsozialismus und nationalsozialistischen Symptomen an den Tag. Er geht von der Voraussetzung aus, dass nur dann von Nationalsozialismus gesprochen werden kann, wenn der Begriff auch wort-woertlich vorliegt. Diese simplistische, mechanizistische Sichtweise ermoeglicht es zwar, in Verbindung mit der siebenbuergisch-saechsischen Lehrerschaft, ihren Lehrertagen und der Zeitschrift „Schule und Leben“ zu behaupten, „der Begriff „Nationalsozialismus““ tauche „in diesen Jahren nicht auf“ (bis 1932), die einzigen Besprechungen von Buechern mit eindeutig nationalsozialistischer Intention „seien die zu Hans Guenther, „Rassenkunde des deutschen Volkes“ und zu Dieter Gerhard, „Kurzer Abriss der Rassenkunde“ (im Jg. 5 von „Schule und Leben“ 1923/24) und der einzige Vortrag, der vor 1933 „nach Intention und Terminologie als nationalsozialistisch“ bezeichnet werden kann, sei die Ansprache von Fritz Fabritius7 auf dem Lehrertag in Heltau 1931.8 So nimmt es nicht Wunder, dass Koenig für 1920-1933, der ersten seiner „vier Stufen des nationalsozialistischen Einflusses auf die siebenbuergisch-saechsischen Lehrerorganisationen“, „kein(en) direkte(n) Einfluss des Nationalsozialismus“ feststellen will9 und dass er auch in den Etappen bis 1939/40 eine „nicht eindeutig(e)“, „zwiespaeltig(e), widerspruechlich(e)“ Situation erkennt, weil „Bei einseitiger Auswahl der Zitate“ „man (fast) jede These belegen“ koenne.10 Koenig verkennt leider, dass sein extrem enggestecktes Verstaendnis dessen, was „nationalsozialistisch“ und „Nationalsozialismus“ war, die Ursache solcher objektuntypischer Behauptungen und Schlussfolgerungen ist. Verfasser haette sich naemlich nicht nur um jene Belegstellen sorgen sollen, wo die Begriffe „nationalsozialistisch“ und „Nationalsozialismus“ unverkennbar vorliegen, sondern auch um Paradigmen wie „das deutsche Nationalbewusstsein“ (1921), „Die Ganzheitseinstellung auf dem Grunde christlicher Anschauung“ (Stadtpfarrer D. Friedrich Mueller 1930) oder „Fuehrerauslese“, „instinktbewusstes Nationalgefuehl“, einige der Schlagwoerter, mit denen Bischofsvikar Mueller in seinen Vortraegen zum Thema „Vom Werden und Wesen unseres Bauerntums“ auf dem 23. Lehrertag in Agnetheln (14. Und 15. Juni 1939) operierte.11 Von der hier zum Ausdruck gebrachten Radikalisierung und weltanschaulichen Konzentration und Totalisierung ist auch die Waldorfpaedagogik nicht freizusprechen, mit der die siebenbürgisch-saechsische Lehrerschaft auf dem 17. Lehrertag 1927 bekannt wurde.12 Koenig versaeumt es auch, Eduard Spranger, der auf dem 17. Lehrertag (1927) in zwei Vortraegen ueber „Neue Stroemungen in Psychologie und Paedagogik“ sprach,13 ideologisch der extremen Rechten zuzuordnen.14
Angesichts der bisherigen Befunde ueberrascht der Schlusssatz des einleitenden I. Kapitels mit seiner von Erstaunen untermalten Apodiktik überhaupt nicht: „Wenn man sich die politische Diskussion dieser Jahre in der siebenbürgisch-sächsischen Gesellschaft vergegenwärtigt – die Unruhe, die Unzufriedenheit, das Gefuehl des Versagens – dann ist es erstaunlich, dass von den Lehrerverbaenden explizit nationalsozialistisches Gedankengut nicht aufgegriffen wurde“.15 In diesem Zusammenhang steht auch die verniedlichende Weise, in der Koenig die Rolle des Mittelschulprofessorenvereins (=Gymnasiallehrerverein) einstuft. Der schloss sich 1919 unter Beibehaltung seiner Organisation und Leitung mit dem Lehrertag zum „Lehrerbund“ zusammen, soll aber unter Berufung auf Schulrat Gustav Roeösler „ab Ende der 20er Jahre „wenig von sich hören (ge)lassen““ haben, er sei „versandet“.16 Das stimmt so nicht, weil Bischof Glondys in seinem „Tagebuch“17 am 20. Dezember 1934 vermerkt, eine Vertretung des siebenbuergischen Lehrebundes habe bei ihm vorgesprochen, Prof. Dr. Albert Hermann fuer den Mittelschulprofessoren-Verband, Simon Schwarz fuer die Volksschullehrer und Prof. Dr. Fritz Holztraeger für den gesamten Lehrerverband.18
Auch widerspricht Koenigs Behauptung der Tatsache, dass Albert Hermann Mitgruender und Erster Vorsitzender des Siebenbuergisch-saechsischen Lehrerbundes, spaeter Vorsitzender des Mittelschulprofessorenvereins, Vorsitzender des Professoren-Vereins, Mitherausgeber und zeitweilig Alleinherausgeber der deutschen Lehrerzeitung fuer Großrumaenien „Schule und Leben“ war.19 Wenn nun der Mittelschulprofessorenverein als solcher in den Hintergrund trat, so war das kaum das Ergebnis seines Zusammenschlusses mit dem Lehrertag zum Lehrerbund, sondern ist gerade auf die dominante Stellung von Albert Hermann zurueckzufuehren. Und durch die Wahl von Michael Fredel zum neuen Obmann des Lehrertages wurde der neuen, gemaessigt-nationalsozialistischen Ausrichtung der Politik der Volksgemeinschaft, die seit dem letzten Sachsentag vom 1. Oktober 1933 wirksam war, Rechnung getragen. Ferner spricht manches dafuer, dass Alfred Hermann hinter dem Ruecken von Fredel der eigentlich starke Mann des Lehrerbundes war und dass sich seine „Schattenherrschaft“ nach dem Ausscheiden der radikalen Lehrkraefte, welche sich dem Rundschreieben 924/1936 nicht beugten, betraechtlich festigte
Auch die Behandlungsweise der Volksgruppenzeit (1940-1944) weist einige Kuriosa auf, die daher ruehren, dass Koenig sich die Ansicht von Heinz Brandsch aus dem Jahr 1941 zueigen macht, „der Nationalsozialismus“ sei „eine Weltanschauung, die an den Namen und die Person Adolf Hitlers geknuepft ist“.20 Auf derselben Ebene bewegt sich Koenig auch bei seinem Versuch, die Anfaelligkeit der saechsischen Gesellschaft, auch der Lehrerschaft, nach dem bedenklichen Modernitaetsparadigma des Nationalsozialismus von Thomas Nipperdey (1986) zu erklaeren.
Statt der „Affinitaet“ zwischen Nationalsozialismus und siebenbuergisch-saechsischer Lehrerschaft21 haette es sachgerecht „Engagement“ heissen muessen. Koenig spricht von der Gefahr, durch den Nationalsozialismus „instrumentalisiert“ zu werden, wo die Instrumentalisierung bereits in der Aneignung und Befolgung nationalsozialistischer Grundsaetze, z.B. durch Mitgliedschaft in der NSDR, dann NEDR, zu erblicken ist.
Der Begriff „Fuehrer“ soll in den von Koenig untersuchten Quellen bis 1940 „im Zusammenhang und im Sinne der Jugendbewegung“ Verwendung gefunden haben.22 Es scheint Koenig verborgen geblieben zu sein, dass gerade die Jugendbewegung den Naehrboden fuer die Ausbreitung und Verfestigung voelkisch-nationalsozialistischer Vorstellungen und Haltung lieferte, woher die ab 1935 in der radikalnazistischen DVR zusammengefassten „Jugendbewegten“ wie Alfred Bonfert, Wilhelm Gust, Fritz Cloos, Herwart Scheiner, Wilhelm Staedel usw. ausnahmslos kamen.
Die Entwicklung der Schule hin zur „Nationalschule“ (ab 1942) wie auch die Errichtung des Volksgruppenregiments betrachtet Koenig als Entwicklung „von oben“,23 statt zu betonen, dass das eine ausschliesslich kriegsbedingte, also eine Ausnahmeentwicklung war. Die Aussage Koenigs, die Lehrerschaft habe „den ideologischen Komponenten“ angeblich mit „weitgehender politischer Naivitaet“ begegnet,24 ist dahingehend zu berichtigen, dass die ideologische Komponente eigentlich als Selbstverstaendlichkeit rezipiert wurde.
Die gelegentlich in den Text eingestreuten Allgemeinplaetze wie: „Die Ambivalenz des Gemeinschaftsbegriffs leistete dem Missbrauch des Gemeinschaftsgedankens durch den Nationalsozialismus („Du bist nichts, Dein Volk ist alles“) Vorschub“; „Die Ausfuehrungen [von Volksgruppenfuehrer Andreas Schmidt im August 1942] sind so erschreckend primitiv, ja widerlich, dass man sich unwillkürlich fragt, was sich die anwesenden Lehrer dabei gedacht haben muessen“; „Die Gleichschaltung war perfekt: Schulaufsicht, Fortbildung und Herausgabe der Lehrerzeitung lagen in einer Hand – in der Hand des Schulamtes als Dienststelle der (nationalsozialistischen) Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“; „Der Grossteil der Lehrerschaft sah diese Entwicklung [hin zur gruppengerechten Schulautonomie] nicht primaer als Gleichschaltung an, [...],25 aendern an der zaghaften, vornehmlich expositiven und kaum reflektierenden Schreibweise Koenigs kaum etwas. Auch deshalb nicht, weil sein enggestecktes stereotypes Verstaendnis des Nationalsozialismus ihn nicht befaehigt, die politische Ausschliesslichkeit dieser Weltanschauung bis zur letzten Konsequenz zu erkennen und zu reflektieren. Daher ruehrt Koenigs Ansicht, die nationalsozialistische Erziehung sei vag, widerspruechlich und theorielos.26 Es duerfte indessen zum allgemeinen Kenntnisstand gehoeren, dass das einzige, was der Nationalsozialismus zuliess, politische Zielsetzungen waren, denen jede Theorie, jede Praxis, auch die paedagogische, vorbehaltlos zu dienen hatte.
Die Zeit von 1940-1944, als die nationalsozialistischen
Entgleisungen auch in den Reihen der Lehrerschaft ihren Hoehepunkt erreichten,
behandelt Koenig recht oberflaechlich. Der Nachfolgepublikation von „Schule
und Leben“, „Volk und Schule – Der deutsche Lehrer“, die 1941-1944 in Temeswar
erschien, widmet Koenig eine einzige Zeile,27
wie er sich insgesamt den Vorwurf gefallen lassen muss, durch seine betont
selektive Vorgehensweise nur einen Bruchteil der im Titel angekuendigten
Problematik – der Einfluss des Nationalsozialismus auf die siebenbuergisch-saechsische
Lehrerschaft – tatsaechlich zu vermitteln. Er verliert kein Wort über
die Beitraege in den beiden Folgen der Lehrerzeitschrift, die wohl am besten
Aufschluss ueber den nationalsozialistischen Einfluss geben. Viel zu kurz
gegriffen ist seine Behandlung der rezensierten Fachliteratur. Der Verfasser
wird seinem Thema nicht gerecht, weil er nur eine Teilauswertung der Zeitschrift
„Schule und Leben“ vornimmt. Dasselbe gilt von der Lehrerschaft, der er
bescheinigen moechte von der Deutschland-, also NS-Fixierung der Volksgruppenpolitik
auch im Schulbereich nichts gewusst zu haben.28
Damit erhaertet sich der Eindruck, dass das eigentliche Thema und das Ziel
dieses Koenig-Textes nicht der Nationalsozialismus der siebenbuergisch-saechsischen
Lehrerschaft ist, sondern die pauschale Entlastung dieses Berufsstandes.
Deshalb ist er ausserstande den serioesen Nachweis dessen zu erbringen,
was er „Einfluss des Nationalsozialismus“ nennt.