Frankfurt am Main, 2003, Peter Lang/ Frankfurt a.M. etc., ISBN: 3-631-50647-3, 522 S., € 69,90
Nach den Baenden „Die Deutschen in Rumaenien und die Weimarer Republik 1919-1933“ (Ippesheim 1993) und „Die Deutschen in Rumaenien und das Dritte Reich 1933-1940“ (Frankfurt a.M. etc. 1999) schliesst Johann Boehm mit vorliegendem Buch die Reihe der historischen Monographien zur Geschichte der Deutschen in Rumaenien im Zeitraum 1919-1944. Auch dieser Teil seines Informationswerkes zeichnet sich dadurch aus, dass er die von den rueckwaertsgewandt-geschichtsrevisionistischen Produkten der sogenannten „Heimatforschung“ bzw. „Landeskunde“ vollkommen ignorierten Primaer- und Sekundaerquellen verwertet (aus Archivbestaenden wie: Politisches Archiv des Auswaertigen Amts, Bundesarchiv Berlin/ehemals Berlin Documentary Center, ehemaliges Zentrales Staatsarchiv der DDR, Bundesarchiv Bayreuth, Institut fuer Zeitgeschichte Muenchen, Rumaenisches Staatsarchiv Bukarest; Sekundaerquellen: z.B. das Presseorgan der NS-Volksgruppenfuehrung „Suedostdeutsche Tageszeitung“, die Monatsschrift „Volk im Osten“ sowie die Publikationsfuelle der „Volksgruppe“ wie Jahrbuecher, Schulungs- und Fuehrerdienste).
Nach der Untersuchung von „Literatur und Quellenstand“ fuehrt der Verfasser zunaechst in die allgemeine politische Lage Europas und Rumaeniens in den Jahren 1940/41 unter Hervorhebung des vom SD unterstuetzten Legionaerputsches vom Februar 1941 ein. Mit dem ersten Kapitel, „Andreas Schmidt uebernimmt die Fuehrung der Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“ setzt die Behandlung des Gleichschaltungsprozesses und der schleichenden Indienstnahme der deutschen Minderheit in Rumaenien durch das Hitlerreich ein. Verfasser enthaelt sich grundsaetzlich der Kommentierung, er zieht es vor, die Quellen sprechen zu lassen. Trotzdem erlaubt er sich u.a. die Bemerkung, bei den Spitzen der „Volksgruppe“ handle es sich am ehesten um den Typ des Gestapobeamten im Deutschen Reich. Verfasser bemerkt zudem, dass das „unsichere Persoenlichkeiten“ waren, die nur in der Erreichung der NS-Totalitaet in Fuehrung und Gestaltung der „Volksgruppe“ ihre Sicherheit finden konnten (S.51).
Der Verfasser untersucht die Strukturen der bereits im Herbst 1940 ins Leben gerufenen NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumaenien, von der nach SS-Vorbild organisierten "„Einsatz-Staffel“ ueber die SA-aehnliche „Deutsche Mannschaft“ hin zur „Deutschen Jugend“, dem „NS-Frauenwerk“, dem „Bund Deutscher Maedel“, der „Deutschen Bauernschaft“, der „Deutschen Arbeiterschaft in Rumaenien“, der „NS Volkswohlfahrt“ bis hin zu den „Aemtern“ der „Volksgruppe“. Verfasser betont die Militarisierung aller Lebensbereiche der deutschen Minderheit, den Rassismus als Grundkonstante saemtlicher organisatorischer und politischer Massnahmen, die moralischen, kulturellen und politischen Einbussen, welche durch das totalitaere Gebot des „bedingungslosen Gehorsams“ mit Mitteln forcierter Politisierung und Ideologisierung hervorgerufen wurden (S.55-77).
Nachdem Boehm auf die durch die „Rumaenisierungs“-Politik des Regimes Antonescu entstandenen Spannungen zwischen der „Volksgruppe“ und der rumaenischen Regierung bis zur Beilegung im Mai 1942 eingeht (S.77-106), behandelt er im 2. Kapitel die Gleichschaltung von Kirche und Schule (S. 107-226). Auf kirchlichem Gebiet erfaehrt der Moechtegern-Widerstaendler Bischofsvikar Friedrich Mueller, wie auch der ab August 1943 verstaerkte Widerstand der „beschwerdefuehrenden Pfarrer“ gebuehrende Behandlung. ueber die Nazifizierungsversuche der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumaenien stellt der Verfasser zusammenfassend fest, dass es der Volksgruppenfuehrung und der nazifizierten Kirchenleitung unter dem Deutschchristen Bischof Wilhelm Staedel nicht gelang, die „christliche Gemeinschaft [...] in nationalsozialistische Propagandainstitute zu verwandeln“ (S.137).
Unter Benutzung der Zeitschriftenfolge
„Schule und Leben“, „Der Deutsche Lehrer“ und „Volk und Schule“ dokumentiert
der Verfasser das ab 1935 verstaerkte NS-Abdriften einer betraechtlichen
Anzahl von Lehrern und Erziehern bis hin zu dem nach dem 1. Juli 1942 vollzogenen
„Bruch mit den Traditionen des Schul- und Erziehungswesens im deutschen
Siedlungsgebiet Rumaeniens“ (S.184). Diese Entwicklung wird vor allem
im Unterkapitel 2.3.3 „Rassenpolitik im Biologie-, Geschichts- und Deutschunterricht“
verdeutlicht.
Die Indienstnahme des militaerischen Menschenpotentials der Rumaeniendeutschen
durch das Dritte Reich brachte die Gleichschaltung auf militaerischer
Ebene. Diesem Aspekt gelten die Kapitel 3, „Der Krieg gegen die Sowjetunion“,
wo der allgemeine politische und militaerische Rahmen und die wehrwirtschaftliche
Unterordnung Rumaeniens behandelt wird (S.227-278), und Kapitel 4,
„Werbeaktionen und Einberufung deutscher wehrpflichtiger Maenner zur
Waffen-SS“ (S.279-339). Mit letzterer Thematik betritt Boehm absolutes
Neuland, weil der Dienst von nahezu 70.000 Rumaeniendeutschen in der
Waffen-SS und in der Wehrmacht (S.322) in aehnlicher Weise wie der
Rassismus des Schulsystems 1940-1944 bisher kein Gegenstand wissenschaftlich
fundierter Behandlung war.
Der Verfasser weist nach, dass bis zum „Abkommen zwischen der Reichsregierung und der rumaenischen Regierung hinsichtlich der Einreihung rumaenischer Staatsbuerger volksdeutscher Zugehoerigkeit in die deutsche Wehrmacht-SS“ vom 12. Mai 1943 – gezeichnet von Gottlob Berger, Chef des SS-Hauptamtes, zudem Schwiegervater des Volksgruppenfuehrers Andreas Schmidt, und von Manfred v. Killinger, Gesandter des Deutschen Reiches – 3500 Rumaeniendeutsche in der SS dienten, abgesehen von weiteren Hunderten, die in der Ruestungsindustrie beschaeftigt waren. Das Jahr 1943 als Hoehepunkt der „Freiwilligen“-Einziehungen dokumentiert eine Anschauungstafel unter Nr.17 des Anhangs (S.458-462). Der Verfasser behandelt auch die Betreuung und Versorgung der SS-Angehoerigen, die von zahlreichen Engpaessen begleitet war.
Das letzte Kapitel, „Die
Judenfrage und die politische Lage Rumaeniens Ende 1943 bis zum 23.
August 1944"1 stellt den Rassismus und Antisemitismus
der „Volksgruppe“ in den Rahmen des staatsrumaenischen Antisemitismus
(S.340-370) und dokumentiert die Lage der deutschen Minderheit bis zum
klaeglichen Ende des Volksgruppenregiments. In seinen Schlussbetrachtungen
(S.400-402) wiederholt Boehm die bereits in der Einleitung betonte
Notwendigkeit, die Quellen des NS-Unheils zu nennen. Das ist ihm am Beispiel
der deutschen Minderheit in Rumaenien in exemplarischer Weise gelungen.
Das Buch wird von einem Quellenanhang beschlossen, der insgesamt 31 Nummern
umfasst (S.405-496).