ABWEGIGES PROPHETENTUM
ABERRANT  PROPHETHOOD

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       Der Hang des Chefs vom Dienst der "Suedostdeutschen Tageszeitung" Hans Hartl zur Lyrisierung nationalsozialistischen Gedankenguts, den wir bereits auf unserer Seite Geschichtspoesie aus Journalistenfeder  (A Journalist Poeticizes Historypraesentierten, findet in seinem Leitartikel "Wenn sie siegen wuerden" (Suedostdt. Tageszeitung, 27. August 1943, S.1f.) die konsequente Steigerung und Erweiterung hin zu einer absonderlichen Art des Hellsehertums. Das Horrorszenario,das Hartl hier entwirft, offenbar unter dem Eindruck der Kette von Rueckschlaegen, welche die Axenmaechte in Nordafrika und nun in Sueditalien (Sizilien) durch die Landung der Alliierten einstecken mussten, entstanden, belegt nachmalig, dass Hartl hier stellvertretend fuer all die rumaeniendeutschen Nationalsozialisten schreibt, welche den Glauben an den Endsieg in fanatischer Uneinsichtigkeit bis zur Niederlage mit sich herumtrugen. Was in diesem Zusammenhang an Phantastereien und Realitaetsfremdheit, an eigentlich in ihrer forcierten Zuversicht eines natinalsozialistisch beglückten Europa simplistischen und dumpfen Mystik in Hartls Text ausgesprochen wird, soll mit Kostproben belegt werden.

        Zwar moechte Hartl mit seinem Artikel, vor allem mit dem Abschnitt, den er "Vision der [deutschen] Niederlage" nennt, die Unmoeglichkeit einer deutschen Niederlage unterstreichen, sein unerklaertes Ziel ist es aber auch, sich und seine Leser vom quaelenden, obsessiven Alptraum der tatsaechlich naeherrueckenden Niederlage zu befreien. Das auf diese Weise das unabwendbare Ende des Großdeutschen Reiches und seiner Vision eines demokratie- und judenfreien Europa als Bollwerk gegen den daemonischen Bolschewismus, das sich unerbittlich abzeichnete,nicht wie ein böser Geist ausgetrieben werden konnte, war den fanatischen Nationalsozialisten zu keinem Zeitpunkt bewusst. Auch nicht, daß das, was sie die "Idee" nannten, mit der sie die Welt begluecken wollten, ein Hirngespinst der uebelsten und gemeinsten Sorte ist, weil sie die Wahrnehmung des Einzelnen und einer ganzen Nation, dann eines betraechtlichen Teiles Europas auf die rudimentaere Gleichung "Was nicht mit uns ist, ist gegen uns" und auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen verengte und verkuemmern ließ (auf die ideologisch-propagandistische Schwarz-Weissmalerei: deutsches Volk, Nationalsozialismus, arische Rasse, Fuehrerprinzip, Tapferkeit, Treue, Gehorsam, Arbeits- und Ordnungssinn, soziale Leistungen, Kulturleistung, Heldentum, Freiheit, klare Kriegsziele auf der einen, scheinend-weissen Seite; Untermenschentum, Bolschewismus, plutokratische Demokratien, Judentum, Zersetzung, Gewinnsucht, Hinterlist, antisoziales Gebaren, Antikultur (entartete Kunst), Daemonie, Knechtschaft, außer der Vernichtung Nazideutschlands keine klaren Kriegsziele, auf der anderen, pechschwarzen Seite).

Die Klarheit der deutschen Ziele umschreibt Hartl wie folgt:

Welches die Konsequenzen eines deutschen Sieges sind, weiß jedermann. Die deutschen Kriegsziele sind klar vorbehaltlos und eindeutig. Sie gipfeln in einfachen, unabdingbaren Forderungen: Europa will Freiheit, Nahrung, Raum, Frieden. Die europaeischen Voelker wollen weder Stalins noch Roosevelts Sklaven sein. Sie kämpfen heute dagegen, für alle Zeiten vor den Wagen der bolschewistischen oder kapitalistischen Juden gespannt zu werden. Und Deutschland fuehrt sich dafuer verantwortlich, den europaeischen Voelkern zu ihrer Freiheit zu verhelfen.
Das ist die üebelste Sorte von Heuchelei. Das von Deutschland besetzte Europa soll vor der Besetzung unfrei gewesen sein, erst die militaerische Besetzung soll den einzelnen Laendern die Freiheit beschert haben? Und all das mit dem hehren Ziel des Friedens, natuerlich eines "deutschen Friedens", wo die einzige Alternative fuer das juedisch-slawische Untermenschentum die physische Vernichtung sein sollte. Und Besetzung, Massenmord als Ausdruck des nationalsozialistischen Verantwortungsbewusstseins fuer die Freiheit der europäeischen Voelker auszugeben, ist der blanke Hohn!

Im Gegensatz zu den "leuchtenden" Zielen des nationalsozialistischen Krieges steht laut Hartl das "einzige konkrete Kriegsziel" der

"demokratischen Gegener" "den Nationalsozialismus "auszurotten", das Deutsche Reich zu vernichten, Europas Freiheitskampf zu unterbinden. Ein negatives, nur auf Zerstoerung gerichtetes Kriegsziel also. [...]"
Die deutschen Kriegsziele waren also nicht auf Zerstoerung, sondern ausschliesslich auf Aufbau ausgerichtet. Eine sonderbare Qualitaet hatte dieser "Aufbauwille", der ueber die Leichenberge von Millionen von Menschen unbeschwert herging!

Sollte die Ostfront zusammenbrechen, faselt Hartl, wuerde in Deutschland die Revolution ausbrechen, ebenso in allen europaeischen Laendern. Es wuerden demokratische "Staatslenker" an die Macht gelangen. Die in Europa aufflammenden kommunistischen Aufstaende werden nur mit Muehe niedergehalten. Die mutmasslich bis zur Oder vorgedrungene Rote Armee wird nach dem Abmarsch der westlichen Besatzungstruppen die "kommunistische Revolution" entfesseln, die "die demokratischen Strohpuppen" fortfegen wird. Das Endergebnis wird die Eingliederung Europas in die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken sein.

Das ist unsere Prophezeiung für den Fall, dass die Voraussagen unserer demokratischen Zeitgenossen in Erfuellung gehen und Deutschland den Krieg verliert. Es ist die Vision, die jeden Europaeer mit Entsetzen erfuellt. [...] Fuer Europa gibt es nur zwei Moeglichkeiten: Hakenkreuz oder Sichel und Hammer, Hitler oder Stalin. Eine dritte gibt es nicht.
Auch die Aufstellung dieses Postulats der europaeischen Ausweglosigkeit beruht auf der rudimentaeren Simplifizierung nach dem Muster von Schwarz und Weiss.Dieses totalitaere Denkschema schliesst den Zwischenweg bzw. eine dritte Moeglichkeit grundsaetzlich aus. Indem der nachmalige Gang der Ereignisse gerade diese dritte Variante hervorbrachte, wird die Absurditaet und Weltfremdheit auch dieses nationalsozialistischen Postulats offensichtlich.

Doch Hartls Horrorvision dehnt die Herrschaftsambitionen des Bolschewismus auf die ganze Welt aus:

Wagt jemand daran zu zweifeln, dass sein Ende [des angeblichen Dritten Weltkrieges] die Hissung der roten Fahne in Washington, Buenos Aires, London, Tokio, Melbourne waere?
        Auch dies prophezeien wir fuer den Fall einer deutschen Niederlage. Wir meinen es sehr ernst damit, weil uns mit furchtbarer Deutlichkeit bewusst ist, dass es aus diesem Kriege nur zwei Auswege gibt, den der Vernichtung des Bolschewismus oder seinen Triumph ueber die ganze Welt.
Seine Schwarzweissmalerei beschliesst Hartl mit Worten des billigen Trostes:
Aber noch ist es nicht so weit, und es wird auch nicht so weit kommen. Weder das deutsche Volk, noch die Voelker Europas wollen diesen Selbstmord mitmachen. Sie fuehren diesen Krieg im Vollbewusstsein der Tragweite der Entscheidungen, die durch ihn gefaellt werden. Sie kaempfen fuer sich, fuer Europa und fuer die gesamte Menschheit. Und sie muessen und werden siegen, weil sonst die Welt unterginge.-
Diese widerspruechlichen Formulierungen und sich ueberschlagenden Gemuetszustaende zwischen Siegeszuversicht und Endzeitstimmung lassen nur den einen Schluss zu: die Angst, durch den Gang der Ereignisse des Gegenteils dessen belehrt zu werden, was man unentwegt und unverfroren predigte und sich selbst und seinem Publikum vorgaukelte, griff allmaehlich um sich und wurde zum Dauerzustand, selbst unter Einsatz solcher Beschwichtigungsmittel und -versuche wie dieser Text


Datei: Hartl2.html                                    Erstellt: 05.10.2000               Geaendert: 22.10.2003     Autor und © Klaus Popa

 
 

 
 
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