IV
NACHTRAG
ZU: Die totgeschwiegene Dimension I
DER
UNBEKANNTE HANS MESCHENDOERFER
Das Ableben von Hans Meschendoefer im Jahr 2000 deckt sich, wohl kaum zufaellig, mit dem 175jaehrigen Bestehen des Boersenvereins des Deutschen Buchhandels, dem Meschendoerfer bis zur letzten politischen und ideologischen Konsequenz verbunden war. Aus der vom Literaturgeschichtler und Literatursoziologen Dr. Jan-Pieter Barbian von der Stadtbibliothek Duisburg gelieferten Besprechung des Buches von Otto Seifert, Die grosse Saeuberung des Schrifttums. Der Boersenverein der Deutschen Buchhaendler zu Leipzig 1933 bis 1945, Schkeuditz: GNN Verlag 2000, die in vollem Wortlaut unter
abrufbar ist, entnehmen wir die aufschlussreichsten Abschnitte, die sowohl als willkommene Ergaenzung zu den im ersten Beitrag der Reihe "Die totgeschwiegenen Dimension" gelieferten dokumentarischen Belegen der NS-Unverrueckbarkeit Meschendoerfers als Buchhaendler und NS-Propagandist als auch als weitere Unternmauerung der Feststellung kommen, Meschendoerfer sei nichts weiter als ein fanatischer Gleichschalter, also unerbittlicher Zensor von Buchproduktion und Buchhandel der Siebenbuerger Sachsen und der Rumaeniendeutschen gewesen.
Dr. Barbian nennt die Geschichte des Boersenvereins der Deutschen Buchhaendler zwischen 1933 bis 1945 kaum zufaellig "dunkelstes Kapitel". Bezueglich der "Gleichschaltung" dieser Institution stellt Barbian fest, dass der Boersenverein «rasch in den Sog der um sich greifenden Verbote und Beschlagnahmungen von Buechern, Verlagsschliessungen und "feindlichen Uebernahmen" bisheriger Buchhandelsunternehmen der SPD, der KPD und der Freien Gewerkschaften oder erster Arisierung» geriet.
Infolge der ideologischen Zensur fielen 1936/37 "pro Quartal ca. 80 Neuerscheinungen den Verboten der staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen zum Opfer. Als grosse Entwicklungslinien lassen sich die Konzentration im Verlagswesen, die politische und wirtschaftliche Ursachen hatte, und die Schwaechung des Sortiments ausmachen. Insbesondere der vertreibende Buchhandel litt unter den Buchverboten und den Beschlagnahmeaktionen der Gestapo und des SD [Sicherheitsdienst des SS-Reichsicherheitshauptamtes] sowie unter der nach wie vor geringen Kaufkraft der Bevoelkerung."
Die prozentuelle Entwicklung von NSDAP-Mitgliedern im deutschen Buchhandel, die Seifert erwaehnt, laesst den fuer siebebuergische und rumaeniendeutsche Verhaeltnisse ueberhaupt nicht schmeichelhaften Schluss zu, in welchem Ausmass der Nazifizierungsprozess des einheimischen Buchbetriebs im Vergleich zum Dritten Reich fortgeschritten war - wieder uebertrafen die Rumaeniendeutschen in ihrem vorbehaltlosen Einschwenken auf die NS-Ideologie und Propaganda selbst die reichsdeutschen Verhaeltnisse: Trotz des umfangreichen "Schulungsprogramms", das die Reichsschrifttumskammer zusammenstellte und organisierte, "konnte die Anzahl der NSDAP-Mitglieder im deutschen Buchhandek nur von rund 14-15% (1936) auf rund 25% (1938) gesteigert werden" (Seifert, S.91).
Leider spielte der Boersenverein der Deutschen Buchhaendler auch in der "Entfernung des Judentums aus unserem Buchhandel" keine unbedeutende Rolle, selbst wenn der Rezensent Barbian Seiferts Behauptung dahingehend korrigiert, der Boersenverein habe »"nur" das ausfuehrende Instrument der NS-Unrechtsmassnahmen"« gespielt.
Ueber Wilhelm Baur, mit dem Meschendoerfer 1942 den in der ersten Folge der "Totgeschwiegenen Dimension" angefuehrten Vertrag abschloss, heisst es, dass dieser "seine totalitaere Macht" ausbaute: "der BV-Geschaeftsfuehrer Hess wurde ihm ab 1.10.1939 unmittelbar unterstellt [...], die BV-Fachschaften wurden nur noch mit willfaehrigen Gefolgsleuten besetzt". Rezensent Barbian hebt hervor, dass Seifert "die zunehmende Verflechtung von Boersenverein, Gruppe Buchhandel und Zentralparteiverlag der NSDAP" nachweist. Auch liefert Seifert erstmals "ein(en) Ueberblick ueber die Aktivitateten der Auslandsabteilung des Boersenvereins in den ab 1939 annektierten und militaerisch eroberten Gebieten", wo moeglicherweise auch aufschlussreiche Informationen ueber das Rumaeniendeutschtum vorliegen koennten. Wir lassen uns ueberraschen.
Weil Barbian ein insgesamt negatives Fazit ueber Seiferts Buch zieht, aeussert er den Wunsch, dieser "misslungene Versuch" sollte "die Bemuehungen um die baldige Publikation einer fundierten Geschichte des deutschen Buchhandels im "Dritten Reich" befluegeln".
Auch auf die Realisierung
dieses Projekts warten wir gespannt. Allerdings liefern die bisher zum
Thema verfassten Aufsaetze und Fachbuecher bereits ein umfassendes Material,
das den eigentlichen Platz der Bemuehungen Meschendoerfers einwandfrei
belegt: kompromisslose Nazifizierung = Gleichschaltung des rumaeniendeutschen
Buchhandels. Die obigen Zitate unterstreichen nur das, was bereits die
Texte der ersten Folge von "Die totgeschwiegene Dimension" eindeutig protokollieren.
Das war also die Welt, in der Meschendorfer geistig und seelisch beheimatet
war: Konzentrierung, Verbote, Zensurierung, Ausschaltung ideologisch
und politisch Missliebiger, also totale Kontrolle des geistigen Betriebs
der Rumaeniendeutschen. Und dieser Art von Uebervatertum wurde und wird
in breiten Kreisen dieser Deutschen weiterhin und unvermindert in unuebertreffbaren
Formen der Grotesken gehuldigt.