Mag. Christian Stadlmann � Volkskundler

Von Wildtieren und -pflanzen. �ber altes und neues Wissen

Nach einem Tonbandprotokoll:

Ich geh�r zu jenen Leuten, wenn sie mit Wildwuchs wie Wurzeln, Kr�uter, Beeren konfrontiert sind, nicht mehr so richtig auskennt. Ich kenn die Sachen nur mehr so, dass sie auf dem Weg zu mir schon einmal in Celofan eingepackt gewesen sind. Es ist dann relativ schwer, Fragen zu stellen, woher kommt das, wie ist das gewachsen, wer hat das betreut und verarbeitet, wie ist es verarbeitet worden usw. Nichtsdestotrotz ist es auch von dieser Position interessant, diese Fragen zu stellen. Es ist vor allem dann interessant, wenn man �ber die grunds�tzlichen Kriterien an all diese Produkte herangeht, wenn man �ber die wichtigsten Kriterien wie das Auge, dann erst der Geschmack, hinaus geht und eben diese Produkte anf�ngt zu befragen. Man hat, wenn man anf�ngt diese Fragen zu stellen, das Gef�hl des Verlustes, es bleibt ein ungutes Gef�hl zur�ck, wenn man wei�, wenn man Frischwild essen w�rde, w�re das wahrscheinlich ges�nder: oft kann man es nachvollziehen oder nachpr�fen, das ist nicht das Problem. Ich m�chte deswegen, diesen Verlust auch beleuchten.
Was ist uns da wirklich verloren gegangen? was haben wir? Ich kann dies als Schreibtischt�ter, der ich bin, aus historischer Literatur beleuchten, was ist tats�chlich verloren gegangen ist, wer fr�her gesammelt hat, wer in den Wald gegangen ist, f�r wen diese Leute das gemacht haben und wann man das gemacht hat. Solche Fragen m�chte ich gerne stellen.
Ich lasse, ich hoffe Sie sind mir nicht b�se, ich lasse zentrale Bereiche wie die Jagd, die Fischrei oder den Vogelfang aus. Ich m�chte bestimmte Aspekte, ein paar Pflanzen, ein paar Tiere und vor allem auch die Pilze, die ein bisschen ein Leib- und Magenthema von mir sind, in mehrfacher Hinsicht beleuchten. Ich geb die Pilze auch nicht zu den Pflanzen, das ist eine gute alte Tradtition, dass man das nicht tut.

Ich fang mit den
Pflanzen an, und zwar mit den Ampfer. In den Publikationen des Herrn Machacek ist der Ampfer auch mit Literatur belegt und sehr ausf�hrlich behandelt. Der Ampfer ist insofern interessant, dass sie heute tats�chlich von niemandem mehr verwendet wird, dass sie fr�her aber offenkundig in bestimmten Gegenden, ich w�rde f�r �sterreich das alpine oder den inneralpinen Raum ansehen, einstmals sehr sehr wichtig gewesen ist. Wir stellen fest, dass er in fr�herer Zeit als eine Art Sauerkraut verwendet wurde, das durch unser heutiges Sauerkraut verdr�ngt wurde. Er ist sehr intensiv als Viehfutter verwendet worden und er ist, das ist eine Kenntis aus meiner Kindheit, das ist eine Erfahrung mit Wildwuchs, die ich auch habe, dass der Sauerampfer von den Kindern sehr gut angenommen wurde: zumindest die Bl�tter wurden gegessen. Er ist in einem relativ aufwendigen Verfahren im alpinen oder h�her alpinen Raum in einer Art Silage, verarbeitet worden, sodass er dann konserviert werden hat k�nnen und quasi als Gr�nfutter im Winter verf�ttert und auch f�r menschliche Speisen verwendet werden konnte.
DWeniger Beachtung fand er in Italien, mehr in Frankreich, in Deutschland in den nordischen L�ndern. Das l�sst die Vermutung zu, dass der Ampfer eigentlich deswegen sehr gesch�tzt worden ist, weil er ein Manko ausgeglichen hat, das wir heute in dieser Weise nicht meher kennen, weil er die Menschen in der kalten Jahreszeit mit Vitaminen versorgt hat, was damals insbesondere in h�heren Lagen besonders schwierig war. Ich kann mich selber daran erinnern, und der eine oder andere hat auch die Erfahrung gemacht, dass ich insbesondere im Fr�hling, wenn der Ampfer herausgekommen ist, die Bl�tter sehr sehr gerne m�gen habe, etwas, das ich eigentlich nicht mehr kenne. Wenn ich jetzt die Bl�tter esse, dann sind sie sauer und ich hab eigentlich gar nicht mehr das Bed�rfnis, das ich als Kind noch gekannt habe. Das f�hre ich darauf zur�ck, dass im Fr�hjahr ein Mangel ausgeglichen werden sollte. Wir haben zwar nicht die Not gehabt, aber die ersten �pfel waren doch etwas besonderes, was jetzt nicht mehr so der Fall ist.

Ein zweites, das ein bisschen in diese Richtung geht, ist der Salat, wo wir historisch sehr wenig dar�ber wissen. Wie Salat verwendet worden ist, wer Salat verwendet hat. Man wei�, dass Vogerlsalat und Brunnenkresse eine lange historische tiefe Tradition hat. Der H�upelsalat ist j�nger, nicht sehr jung, geht aber nicht so weit zur�ck wie Vogerlsalat und Brunnenkresse. Die Salatkultur wurde tendentiell von Italien �bernommen. Interessant ist, dass man noch nicht wei�, wer wann Salat gegessen hat. Auch die Kochb�cher aus j�ngerer Zeit geben nicht besonders gut Auskunft dar�ber.

Nat�rlich muss in diesen Bereich auch der B�rlauch hinein. B�rlauch deswegen, weil er heute, was kein gro�es Geheimnis ist, sehr vielfach verwendet wird, in Nockerl, Strudeln, Suppen. Weil er gerne verwendet wird und er den Status einer Delikatesse hat. Was historisch nat�rlich nicht haltbar ist, fr�her ist er anders verwendet worden. Ich m�chte etwas aus dem Beginn des 20. Jhdt. zitieren: Der B�rlauch treibt Krankheit und verhockte Stoffe aus, macht gesundes Blut und vertreibt und t�tet giftige Stoffe. Diese Eigenschaft des B�rlauchs ist ihm seit langem zugeschrieben worden. Sie geht sogar bis ins 16. Jhdt. zur�ck, wo gesagt wurde, dass er besser als der Knoblauch in der Lage sei, Gifte aus dem K�rper zu vertreiben. B�rlauch ist auch ein gutes Beispiel, weil er einen Wandel in der Bewertung eingenommen hat. Er ist auch ein Beispiel daf�r, darauf aufmerksam zu machen, dass heute viele von diesen wildwachsenden Pflanzen eigentlich deswegen (aus diesem Wertewandel heraus) gesammelt und in der K�che verwendet werden, obwohl es aufwendig ist und obwohl der N�hrwert und Vitamingehalt nicht �bertrieben besser ist als der von anderen. Es tritt ein Aspekt dazu, wenn ich diese Kr�uter und Pflanzen verwende, der sehr wichtig ist: wenn ich einen B�rlauchsalat mit selbst gepfl�cktem B�rlauch auf den Tisch stelle oder in anderen Speisen verwende, dann ist das etwas, wor�ber ich reden kann, was in der Tischrunde zum Thema gemacht wird, weil das origin�re an den Boden gehen, selber an den Boden gehen, selber sammeln, die ganzen Traditionen der Speiseverwendung mitspielen, auch was mit Selbstbewusstsein zu tun hat. Das wird uns auch bei vielen anderen Pflanzen begegnen, aber bei B�rlauch ist das interessant, weil er stadtnah gesammelt werden kann, die Wiener m�ssen nicht weit in den Wiener Wald hineingehen, wo massenhaft B�rlauch steht.

Ich m�chte nun zu einem anderen Aspekt �berwechseln, den ich auch noch mit diesen Pflanzen beleuchten m�chte:
den Aspekt des Mangels. Eine historisch ganz wichtige Sache. Ich komme von den gesunden Pflanzen, wo ich auch die Brennessel nennen m�chte, die ja als Spinat, besonders wenn sie jung ist, durchaus von Bedeutung ist. Es gibt aber in der Literatur auch Belege, dass es auch als effektives Nahrungsmittel zu Zeiten des Mangels galt. insbesondere verweise ich auf die Hungersjahre: 1816, 1817 gab es Hungersnot aufgrund von Missernten. Das Getreide ist ausgefallen, das war in ganz Mitteleuropa, Deutschland, Schweiz, eine ziemlich Katastrophe, die Brotpreise sind binnen einigen Monaten um das zigfache hinaufgegangen. Die Bev�lkerung hat sich in dieser Zeit sehr schnell in dieser Weise auch umstellen m�ssen, indem sie angefangen hat wildwachsende Nahrung neu zu bewerten, neu zu verwenden. Es musste die kultivierte Nahrung durch die wildwachsenden Pflanzen ersetzt werden. Die Brennessel wird genannt, als Speise, als Nahrungsmittel, was mich einigerma�en verwundert, weil ich mir vorstelle, dass man einigerma�en viel Brennesseln braucht, damit das �berhaupt etwas hergibt.
Diese Mangelgeschichten kommen in sp�teren Jahren, wo sie viel besser dokumentiert sind, wieder: vom 1. Weltkrieg wei� man noch sehr viele Beispiele. Im 2. Weltkrieg hat man eher profilaktisch versucht, Nahrungsmittel, die knapp werden k�nnten, dann auch zu finden, systematisch zu nutzen. Da gibt es f�r die Bucheckern noch Belege, fr�her noch viel st�rker ausgebeutet, hat man die Bucheckern, weil sie �lh�ltig sind, versucht auszupressen und �l zu gewinnen. Angeblich sind damals ganze Schulklassen in bestimmten Gegenden in die W�lder rausgezogen und haben diese �lhaltige Frucht gesammelt um �l zu gewinnen. Bekannt ist auch das S�gemehl in den Broten, insbesondere das von Buchen, das in den Brotteig hineingemischt worden ist, womit sozusagen das Mehl gestreckt worden ist, weil es Mangelware war in dieser Zeit. Weitere Beispiele sind der Eichelkaffee, den ich selber nie gekostet habe und auch nicht das Bed�rfnis danach habe, weil er sehr bitter sein soll. Man hat auch aus Wegwarte, vielleicht kennt jemand ihn, aus der Wurzel Kaffee gewonnen. Das war ein relativ aufwendiges Verfahren. Zuerst hat man die Wurzel sauber machen m�ssen. Diese hat man erst zerschnitten, dann getrocknet und dann gemahlen. Daraus hat man den Kaffee gewonnen. Es w�re mal interessant, dies auch auszuprobieren.
Dann hab ich noch Belege gefunden, dass Beeren und N�sse, auch als Mangelnahrung gegolten haben. Bei den N�ssen liegt das auf der Hand, sind sehr energieh�ltig. Dass Beeren auch unter dem Aspekt des Mangels gesammelt und verwendet worden sind, ist f�r mich �berraschend gewesen, weil wir in der heutigen Nutzung Beeren ganz anders verwenden. Der Ern�hrungscharakter steht im Hintergrund.
Bei den Beeren, das gilt dann auch f�r die Pilze, bei den Beeren kommt ein Aspekt dazu, der �berrascht. Die Beeren sind angeblich von den Leuten, die sie am Land gesammelt haben, gar nicht so sehr f�r den eigenen Bedarf gesammelt worden sind, sondern viel st�rker unter dem Aspekt, sie in der Stadt zu verkaufen, auf die M�rkte zu bringen. Sie sind ein konkreter Wirtschaftsfaktor f�r die Leute gewesen. Das finde ich insofern interessant, weil sp�testens in der Zeit der Sommerfrische ist dieser Blick umgekehrt worden, d.h. die Leute, die aus der Stadt auf das Land gekommen sind, haben die Leute dort Beeren sammeln gesehen und haben deswegen das als volkst�mlich wahrgenommen. So haben sie den volkst�mlichen Charakter angenommen und selber ausge�bt.
Wir sind noch heute so, dass Beeren sammeln eine angenehme und nette Besch�ftigung ist. Das hat man sehr stark im Kopf. Dass das aber einen sehr wirtschaftlichen Charakter hatte, dass man die Beeren auf den Markt bringen wollte, das ist irgendwie vergessen worden.
Auch beim Wurzelsammeln hat es eigene, in Richtung des Apothekergewerbes gehend Herkunft. Das Wurzelsammeln war ein eigenes Gewerbe, es hat auch etwas mit den wandernden Tirolern zu tun, welche weit nach Ost�sterreich gekommen sind und hier Wurzeln gesammelt haben. Den Enzian haben sie dabei fast ausgerottet, bei anderen Wurzeln war das offenbar nicht so leicht m�glich. Sie haben die Wurzeln zum Teil schon vorverarbeitet und sie auf die M�rkte in die St�dte gebracht und dort weiterverkauft. Diese Wurzelsammler sind dort als D�rrkr�utler bekannt gewesen.
Eine etwas skurile Geschicht ist, dass Birkensaft sehr beliebt gewesen ist. Als Gegenden wo die Birken angezapft worden sind werden das Waldviertel und der Bairische Wald genannt. Der Saft wurde von der m�nnlichen Jugend als Erfrischungsgetr�nk verwendet, weiters unterst�tzte er die Sch�nheit und die Fruchtbarkeit.
Ein weiterer neuer Ansatz, aber f�r die Vogelkundlichen unter Ihnen nichts Neues, das sind die Ameisler, die in die Berge gegangen sind und angeblich sehr trickreich den Ameisen ihre Eier abgejagt habenSingv�gel wurden in den St�dten sehr viel gehalten worden und man brauchte Futter daf�r gebraucht, die Ameisler haben die Eier getrocknet, haben sie auf die M�rkte gebracht in den St�dten und dort verkauft.
Bemerkung von Dr Elisabeth Johann: ein interessanter Aspekt dazu, man hat den Waldbesitzern f�r die Ameiseneier eine Pacht gezahlt im Raum Maria Zell, das war ein Einkommen, im Jahr 200 Gulden, was nicht schlecht war. Auch die Wurzelsammler, die aus Tirol gekommen sind, die in den Sommermonaten sehr gut verdient haben. Sie haben in den Sommermonaten mehr verdient, als der Tiroler Bauer im ganzen Jahr.
Insbesondere bei den Tieren wollte ich auf einen Aspekt hinweisen: Tiere, wenn sie gegessen worden sind - ich spreche nicht �ber herk�mmliche Jagd - haben unterschiedliche Karrieren durchgemacht, je nach dem, ob sie als Delikatesse angesehen worden sind, oder ob es eine Schutzherrschaft �ber sie gegeben hat. Bei den Haustieren kennt man Beispiele, dass in Gegenden die Katzen gegessen werden, woanders d�rfen sie ja nicht gegessen werden. Pferde sind ein �hnliches Beispiel. Bei den Haustieren fallen uns gleich vielerlei Beispiele ein. Es gibt auch bei den Wildtieren eine Reihe von Beispielen, dass sie in gewissen Zeiten relativ selbstverst�ndlich als Delikatesse verwendet werden. Die Zeiten �ndern sich aufgrund von welchen Rahmenbedingungen auch immer.
Auf die Krebse wollte ich noch hinweisen, welche als Armeleuteessen gegolten haben, denn sie waren leicht zu bekommen, leicht zu fangen und �berall verf�gbar. Liegt bei Delikatesse und aber auch Armeleuteessen. Hat bei uns auch die tragische Karriere durchgemacht, dass die Krebspest, bei uns um 1880 da war. Es ist nicht ganz klar, die einen behaupten, die Krebspest w�re durch die nordamerikanischen Krebse, die hier heimisch gemacht worden sind und unsere Krebse h�tten diesen Pilz nicht vertragen, wo die nordamerikanischen dagegen resistenter gewesen sind. Die anderen sagen, dass die Einfuhr nordamerikanischer Krebse eine Reaktion auf die Krebspest, die unsere Arten deziminiert hat, unseren Flusskrebs ausgerottet hat, also eine Reaktion war, daraufhin seien sie eingesetzt worden. Ein Bereich der fast v�llig zum Erliegen gekommen ist, es gibt kaum Krebssammler, mir pers�nlich ist auf jeden Fall keiner mehr bekannt.

Jetzt komm ich noch ganz kurz zu den
Pilzen: ein Aspekt ist, dass man in der ganz alten Literatur die Pilze lieber zu den Tieren als zu den Pflanzen z�hlt. Allein das sagt aus, was wir �ber Pilze wissen, was man fr�her �ber Pilze gewusst hat, wie vielf�ltig sie daher kommen,  wie kompliziert sie f�r den Menschen zu fassen sind. Es gibt tausenderlei Beispiele, wo man versucht hat, das zieht sich vom 18. Jhdt. bis heute durch, die Tr�ffel zu z�chten. Es zeigt, wie schwer der Mensch dieses von ihm geliebte Gew�chs, was der richtige Ausdruck daf�r ist, herankommt und auf der anderen  Seite, wieviele Versuche er bei all diesen Wildgew�chsen gemacht hat, sie zu domestizieren. Der Pilz ist ein sch�nes Beispiel, wie er sich bis heute den Menschen widersetzt und nicht wirklich an sich heranlassen hat.

Was ich mit diesen Aussagen sagen wollte, ist, dass die historische Nutzung, �ber die wir immer reden, sehr von �konomischen Rahmenbedingungen gepr�gt war. Es steht eine starke �konomie dahinter und wenn wir heute �ber verloren gegangenes Wissen klagen. Diese Klagen sind durchaus berechtigt und diese Klagen haben auch ein Fundament, aber wir blenden aus, dass auch eine knallharte �konomie, wie sie fr�her genutzt worden sind und die M�glichkeiten dazu vorhanden sind. Das andere ist, wir haben ein Bild im Kopf, wie diese Nutzung fr�her ausgesehen hat, auch Bilder, wie ich sie im Kopf habe, ich nehme mich hievon gar nicht aus, Bilder die wir im Kopf haben von dieser alten Nutzung sind allesamt falsch, weil wir mit unseren heutigen K�pfen an die Sache herangehen und wir tun uns sehr schwer, und schaffen es letztlich auch nicht, uns in die K�pfe von damals hineinzuversetzen und deswegen k�nnen wir nicht richtig, was letzendlich auch nicht notwendig ist, die fr�here Nutzung bewerten.
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