Univ.-Prof. Dr. Gerlinde Haid, Institut f�r Volkskmusikforschung und Ethnomusikologie, Wien

Wild wachsende Lieder

Nach einem Tonbandprotokoll:

Mir wurde das Thema gestellt, im Rahmen des Wildwuches �ber Lieder zu reden, also wildwachsende Lieder. Wildwuchs und die sogenannten Volkslieder haben viel miteinander  gemeinsam. Ich bin Volksmusikforscherin, Musikethnologin. Es hat relativ viel gemeinsam: so wie den Menschen Wildwuchs  in der Natur, an der nichts gebastelt wurde, entgegen tritt, so erlebt er auch Volkslieder als etwas Wildwachsendes, von vielen Formen der Zivilisation weitgehend Unbelecktes. Ganz unbeleckt ist freilich nicht das Volkslied, das wissen wir aus der Geschichte und aus den heute schon geh�rten Referaten, wenn wir n�her hinsehen.

Das was wir im Wald suchen, das was uns bewegt und ergreift, ist die vermeintlich unber�hrte wildwachsende Natur: nicht Str�ucher, sondern das Geb�sch, nicht das Holz sondern das Geh�lz, nicht die Tiere, sondern das Getier interessieren uns. Bei den Volksliedern ist es �hnlich, nicht das einzelne Lied in seiner abgezirkelten Liederbuchform ist interessant, sondern das Leben der Lieder, ihr entstehen und vergehen, ihre Ver�nderungen. Obwohl Volkslieder kulturelle �u�erungen sind, sind sie sehr nahe an der Natur, an der Natur des Tones, an der Natur des menschlichen Ohres. Ihre Entstehungs- und Lebensprozesse basieren auf Kommunikation. Das ist ganz entscheidend, meistens von Menschen untereinander, aber auch von Menschen mit Tieren, auch von Tieren mit Menschen.

In der musikalischen Volkskultur ist vieles entstanden und hat sich vieles erhalten, was als Reaktion auf den Wildwuchs interpretiert werden kann. Davon m�chte ich jetzt reden und anhand weniger Beispiele das zu illustrieren und erl�utern. Was gibt es jetzt an musikalischen �u�erungen auf Wildwuchs?
Es gibt zun�chst einmal die
Lock- und Scheuchrufe f�r die Tiere. In vielen Kulturen werden H�rner, Tierh�rner oder Holzh�rner zum Verscheuchen der W�lfe verwendet. �brigens ein Thema, das wir gar nicht besprochen haben, was aber in vielen EU L�ndern und Nationalparks usw. wieder hereinkommen: die W�lfe und B�ren - wie ist der Umgang mit diesen Tieren? Die Schweizer Betrufe allabendlich durch einen Milchtrichter gerufen, damit der Schall verst�rkt wird, sch�tzen die Alm insbesondere auch vor Wildtieren. Man sagt, so weit der Schall geht, so weit ist die Alm gesch�tzt. Diese Schweizer Betrufe sind verchristlicht worden, die Almrufe die man in Aussee noch aufgezeichnet hat (Almschrei heisst es hier) sind nicht verchristlicht worden. Sie sind das nichtchristliche Pendant dazu. Ich glaub, dass das mit Magie etwas zu tun hat. Sie wurden zur Unterhaltung gerufen, ich hab auch geh�rt, am Abend haben die Sennerinnen vor der H�tte die Rufe �ber die Alm gerufen. Die Sennerinnen gibt es nicht mehr. Da wollte ich mit Hr. Ellmauer noch reden, warum es die bei uns nicht mehr gibt. Ich hab eine ganz junge Sennin voriges Jahr in Grundlsee kennengelernt, die noch den Almschrei von ihrer Mutter kann. Das ist ganz toll. Die alten Rufe hat man auch noch aufgezeichnet. Einen spiel ich Ihnen vor, Almerisch Nr. 3. Er wurde von Hans Gilge aufgezeichnet, einem Heimatforscher aus der Gegend. Die Tonaufnahme ist von Walter Deutsch  in den 60iger Jahren gemacht worden. Gerufen hat war die Kals Ella. Almschrei ist eine weibliche Kunst. Musikalisch gesehen ist das etwas ganz archaisches. Ich will mich aber darauf nicht n�her einlassen.
Ich will noch von den Lockrufen reden, die bis heute essentiell in der Viehhaltung sind. Wer mit Nutztieren zu tun hat, der wei�, dass es total wichtig ist, ob die Tiere auf Zuruf von der Weide kommen oder ob man sie pers�nlich holen muss. Das macht einen unglaublichen Unterschied in der Arbeitsbelastung.
Lockrufe funktionieren alle gleich. Man ruft sie an mit der Kopfstimme, ganz hoch oben, denn die Kopfstimme tr�gt in die Ferne. Die Rufe machen dann den Weg in die Bruststimme, und das ist der Weg, den die K�he dann auch gehen. Die Bruststimme steht f�r N�he, W�rme, f�r Melken, Stall und so. Die K�he vollziehen das mit und kommen von der Weide in den Stall zum Melken. Das ist fast eine magische Geschichte. Ganz wichtig ist, welche Viecher mit Namen gerufen werden, oder nur so allgemein.

Auch Tierlaute werden nachgeahmt. Ich halte diese Tierlockrufe f�r
eine der �ltesten Kulturleistungen der Menschheit. Ich denk mir, dass es seit dem Neolithikum, wo man angefangen hat Tiere zu domestizieren, das so funktionieren musste. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass dies �ber Sprache und Kommunikation gegangen ist. Und es funktioniert heute noch so.
H�ren wir jetzt K�hlockrufe wieder von der Ella Kals (sie lebt leider nicht mehr). Und vielleicht dann noch den K�hruf vom Heli Gebauer (lebt leider auch nicht mehr, er ist im Herbst gestorben) Nr. 6. Er erz�hlte uns von einem Ausflug auf dem Schneeberg. Es  war so sch�nes Wetter und sie baten Heli, seinen K�hruf zu machen, weil es gerade so gepasst hat. Er machte seinen K�hruf und er erz�hlte - er l�gt nicht- dass von rundherum die Ochsen hergaloppiert sind. Alle Leute haben gelacht, die Ochsen haben ihn einfach verstanden. Im 3. Teil kommen dann die Namen vor, Scheuch ist der Ochs oder Stier.
F�r die domestizierten Tiere gibt es au�er den Lockrufen auch Rufe zum Antreiben der Ochsen, der Pferde und der Schafe. Weiters gibt es die Glocken: also musikalisch gibt es wahnsinnig viel um die domestizierten Tiere.

Zudem gibt es
Rufe zur Kommunikation im Gebirge. Wer sich in den Wildwuchs begibt, begibt sich in Gefahr, wo viele Rufe notwendig waren. Almerinnen, J�ger, Holzknechte usw. wissen, wie sie dieser Gefahr begegnen. Juchizer, laut geschriene Rufe, die in die Ferne tragen, die individuell gestaltet werden, k�ndigen jemand an, der als Freund kommt. Wilderer haben eher weniger mit Juchizern kommuniziert. Was �brigens oft auch ein Problem der Wilderer war, dass sie nicht miteinander �ber weitere Entferungen kommunizieren konnten, weil sie ja heimlich im Gebirge waren. Zur Vorf�hrung noch ein Juchizer vom Almerischen Nr. 1. 
Dann gibt es Rufe, mit denen man sich �ber weite Entfernungen unterh�lt oder auch verst�ndigt, z.B. beim Schafsuchen, beim Schwammerlsuchen, beim Beerenklauben. Im n�chsten Beispiel ist ein Ruf der Beerenweiber drauf (Nr. 9). Er ist nicht sehr lang und nicht inhaltsreich, aber immerhin dokumentiert. Er hat gen�gt, um zu wissen, wo man ist oder wo was zu finden ist.

Es gibt musikalisch poetische Verarbeitungen von Jagen, Fangen, Suchen und Sammeln in Liedern. Ich konzentrier mich jetzt nur noch auf einige Schwerpunkte. Was thematisiert wird, ist nach Region und Zeit spezifisch und hat immer seine Gr�nde, das hat seine sozialgeschichtlichen Hintergr�nde. Im Salzkammergut �berwiegen die Wildererlieder. In Tirol ist das H�ttinger Vogelf�ngerlied ein besonders ber�hmtes Lied. Unter den Wildererliedern gibt es dann vieles, wo es ums Drama geht, wo die Geschichten erz�hlt werden, die sich darum abspielen, aber eben auch einige, in denen sich die Jagdleidenschaft ausdr�ckt. Da geht es immer um die Gamsaln oder um den Hahn, Auerhahn, Birkhahn.
Einige wenige Lieder gibt es zum Vogelfangen, kaum welche �ber das Fischen, kaum welche �ber Beerenklauben und Schwammerlsuchen. Das hat nat�rlich alles seine Gr�nde, die ich hier nicht n�her ausf�hren kann.

Ein Lied ist mir �ber den Wurzengraber eingefallen. Ich kenn es aus K�rntnen:
wenn ich noch eine Weile leben soll,
fang ich noch das Wurzengraben an,
im Summer Wurzen graben, im Winter Branntwein tragen,
kriag i allweilzua an guaten Lohn.

Die Wurzengraber sind tolle Leute und wozu man den Schnaps verwenden kann usw.

Gstanzln kenn ich:
S�Dirndl hat gfischt beim Bach,
hat a schlechts K�der dran,
beisst kaner an.

Das hat nicht direkt mit dem Fischen zu tun.

Ein sehr sch�nes Gstanzl �bers Vogelfangen als Strophe zur Pernecker Quadrille:
mit dem Kopf zam �ist die erste Strophe,

dieses Gstanzl:
bei der Wischbenk bei der Waschbenk,
bei da Weinbedlblanka,
ja da sitzt der Herr Pfarrer,
und tuat V�g�fanga.

Und bald fangt a an Vogel
und bald fangt er an Fisch
und aft hat er sein K�chin
bei der Haxn dawischt.


es gibt noch ein �kokritisches Lied �ber die Holzknecht, dann ein philosophisches �ber ein Schwammerl, als Exempel f�r das menschliche Dasein.

Von einem bayrischen Kabarettisten hab ich einmal dieses Lied geh�rt:
es war amal a Schwammerlfrau,
die trat auf einen Schwammerl drauf,
das Schwammerl sagt, du Rindviech,
das traf sie sehr empfindlich,
drauf hat sie sich davon gepirscht
und beide waren sehr zerknirscht,
besonders das Schwammerl.

Zur gleichen Melodie hat er gesungen:
es war amal ein Jagastand,
auf dem ein alter Jaga stand,
die F��e taten ihm so weh,
er sprach, lang kann i da nimmer stehen,
doch ohne einen besonderen Grund,
stand er dann noch drei Stund.

Was kann man daraus lernen, nix, denn wenn der nicht einmal gelernt hat, dass er sich niedersetzen kann.

In vielen Liedtexten kommen V�gel als metaphorische Vergleiche vor. der Kuckuck steht f�r die Untreue, die Nachtigall f�r die heimliche Liebe, "
was schlagt denn da droben auf dem Tannabam" - es geht um die Nachtigall. Bei Romeo und Julia k�ndet die Nachtigall die Nacht an, die Lerche den Tag.
Die Spielpl�tze (Balzpl�tze) der V�gel haben sich die Menschen als Tanz- und Gerichtspl�tze ausgew�hlt, was der Volkskundler Anton D�rras f�r Tirol nachgewiesen hat. �brigens glaub ich nicht, dass die Tenne ein Platz war, wo man die V�gel gefangen hat, sondern analog zu Tirol m�sste das ein Spielplatz der V�gel gewesen sein. Herr D�rras hat nachgewiesen, dass das Hahntennjoch davon kommt, dass die Auerh�hne oder der kleine Hahn ihren Spielplatz haben und diese Pl�tze haben dann auch die Menschen abseits vom Ort als ihre Tanz- und Gerichtspl�tze ausgesucht.

Siegfried Ellmauer: das kann ich best�tigen, im H�llengebirge, auf der Spitzalm, die vom Kaiser zerst�rt wurde, b�se gesagt, er hat den Bauern die Almrechte abgel�st und ihnen Talwiesen der Saline angeboten, um hier ungest�rt seiner Jagdleidenschaft fr�nen konnte. Auf dieser Spitzalm sind von 8 H�tten eine �ber geblieben. Das ist heute die bundesforstliche Jagdh�tte und daneben gibt es den Tanzboden, das ist ein wunderbarer Balzplatz vom kleinen Hahn. Viele kleine H�hne, die dort oben balzen, aber es ist auch ein Vogelfangerplatz.

Ludwig Wiener: vielleicht hat der Vogeltenn einfach mehrere Bedeutungen gehabt. In Salzburg z.B. mussten Steuern f�r den Fangplatz gezahlt werden, das war das Willengeld f�r die Vogelf�nger. Der hat einen Platz reserviert gehabt, wo der Bauer fragen musste, ob er seine K�he hintreiben darf, weil der ja Steuer daf�r gezahlt hat. In den Gesetzen hat das damals Vogeltenn gehei�en. Wahrscheinlich ist das ein vielf�ltig verwendeter Begriff.

Ein Vogelfangerlied, das im Salzkammergut ber�hmt ist, singt nun der Ischler Viergesang (Nr. 12):
"koa G�mpel, koa Zeisal, geht ein in mei Heisal". Auch hier ist das Vogelfangen eine Metapher f�r Frauenfang. Da gibt es einige Lieder, wo das so thematisiert wurde, auch welche, mit denen man sich meiner Ansicht nach heute nur mehr schwer identifizieren kann. Z.B. eines von einem b�hmischen Mundartdichter, das interessanterweise auch ein paar volkst�mliche Gruppen inzwischen singen. Dieses Lied ist um 1900 geschrieben worden:
"in an kloan Heisale,
sitzt a kloas Zeisale,
dem geht des Schnabele tagaus und tagein,
mach ich das T�rl auf,
fliagts auf mein Finger drauf,
Dirndl mechst nit so a Zeisale sein?"

Kann ich nur drauf sagen ein lautes freudiges NEIN! Es geht viel schlimmer weiter, mir f�llt dazu die Natascha Kampusch ein, wenn ich mir das durchlese.

Das symbiotische Zusammenleben von Menschen und Tieren �nderte sich auch nach Zeiten und Regionen und hat z.B. im Salzkammergut neben den Wildsch�tzen die Vogelf�nger hervorgebracht. Wenn ich die Wahl h�tte, w�re ich lieber ein Vogerl, das im Herbst gefangen und im Fr�hjahr wieder freigelassen wird, als ein erschossenes Gamserl - aber die Geschm�cker m�gen verschieden sein.
Das Vogelfangen ist vielleicht der jedes Jahr wieder scheiternde Versuch, V�gel zu domestizieren, eine Erinnerung an das Neolithikum? Wo es bei Hunden, K�hen und Schafen und sogar fast bei Ziegen funktioniert hat. Es ist eine liebevolle Auseinandersetzung mit einer Welt, die uns im Grunde fremd bleibt, der man sich n�hert, in dem man V�gel f�ngt, das Futter beschafft, mit der Vogelausstellung und einen Winter lang auf sie stolz ist. Dass das Vogelfangen im Salzkammergut brauchm��ig verankert ist, dar�ber besteht kein Zweifel.
Schlie�en m�chte ich mit einem Faschingbrief. Im Fasching werden in Aussee Faschingbriefe vorgef�hrt, d.h. eine Gruppe tut sich zusammen und macht je nach dem, was so im letzten Jahr an Ungeschicklichkeiten, Bl�dheiten, Dummheiten, meistens harmlose Dinge passiert ist. Die werden in Liedform zu bekannten Liedern gefasst, es wird ein neuer Song gemacht, ein Bild dazu wird hergezeigt - das ist sehr lustig. Meistens stehen diese Faschingsbriefe unter einem bestimmten Thema. 1978 wurde von der Bundesanstalt f�r Film vom Reiterer Faschingsbrief ein professioneller Film gemacht und die sind damals ausgerechnet als Vogelfanger gegangen. Sie haben ein Auftrittslied, n�mlich "
Alle V�gel sind schon da", und ein Abtrittslied: "zweng an Vogelfangan san ma einaganga, zweng an Vogelfanga san ma do..habts uns eina lassen habts uns singa lassn aber trinka lassn habts uns nix". Dann kommt der Faschingmarsch.

Danke f�rs Zuh�ren.
Zur Hauptseite WildWuchs
Hosted by www.Geocities.ws

1