Reinhard Mey

Was in der Zeitung steht

Wie jeden Morgen war er pünktlich dran
Die Kollegen sah'n ihn fragend an:
"Sag mal, hast Du noch nicht geseh'n, was in der Zeitung steht?"
Er schloß die Türe hinter sich,
hängte Hut und Mantel in den Schrank, fein säuberlich,
setzte sich: "Na, woll'n wir erstmal seh'n, was in der Zeitung steht!"

Und da stand es fett auf Seite zwei:
"Finanzskandal!" - sein Bild dabei
Und die Schlagzeile: "Wielang das wohl so weitergeht?"
Er las den Text, und ihm war sofort klar:
Eine Verwechslung, nein, da war kein Wort von wahr!

Aber wie kann etwas erlogen sein, was in der Zeitung steht?

Er starrte auf das Blatt, das vor ihm lag
Es traf ihn wie ein heimtückischer Schlag
Wie ist es möglich, daß so etwas in der Zeitung steht?
Das Zimmer ringsherum begann sich zu dreh'n
Die Zeilen konnte er nur noch verschwommen seh'n
Wie wehrt man sich nur gegen das, was in der Zeitung steht?

Die Kollegen sagten: "Stell Dich einfach stur!"
Er taumelte zu seinem Chef über den Flur
"Aber selbstverständlich, daß jeder hier zu Ihnen steht!
Ich glaub', das Beste ist, Sie spannen erstmal aus
Ein paar Tage Urlaub, bleiben Sie zuhaus'
Sie wissen ja, die Leute glauben gleich alles, nur weil's in der Zeitung steht."

Er holte Hut und Mantel, wankte aus dem Raum
Nein, das war Wirklichkeit, das war kein böser Traum
Wer denkt sich sowas aus, wie das, was in der Zeitung steht?
Er rief den Fahrstuhl, stieg ein und gleich wieder aus
Nein, er ging doch wohl besser durch das Treppenhaus
Da würd' ihn keiner seh'n, der wüßte, was in der Zeitung steht.

Er würde durch die Tiefgarage geh'n
Er war zu Fuß, der Pförtner würde ihn nicht seh'n
Der wußte immer ganz genau, was in der Zeitung steht
Er stolperte die Wagenauffahrt 'rauf,
sah den Rücken des Pförtners, das Tor war auf
Das klebt wie Pech an Dir, das wirst Du nie mehr los, was in der Zeitung steht.

Er eilte zur U-Bahn-Station
Jetzt wüßten es die Nachbarn schon
Jetzt war's im ganzen Ort herum, was in der Zeitung steht
Solange die Kinder in der Schule war'n,
solange würden sie es vielleicht nicht erfahr'n
Aber irgendwer hat ihnen längst erzählt, was in der Zeitung steht.

Er wich den Leuten auf dem Bahnsteig aus, ihm schien
die Blicke Aller richteten sich nur auf ihn
Der Mann im Kiosk da, der wußte Wort für Wort, was in der Zeitung steht
Wie eine Welle war's, die über ihm zusammenschlug
Wie die Erlösung kam der Vorortzug
Du wirst nie mehr ganz frei, das hängt Dir ewig an, was in der Zeitung steht.

"Was woll'n Sie eigentlich?" fragte der Redakteur
"Verantwortung, Mann, wenn ich das schon hör'
Die Leute müssen halt nicht alles glauben, nur weil's in der Zeitung steht!
Na schön, so 'ne Verwechslung kann schon mal passier'n
Da kannst Du auch noch so sorgfältig recherchier'n
Mann, was glauben Sie, was Tag für Tag für'n Unfug in der Zeitung steht!"


"Ja", sagte der Chef vom Dienst, "das ist wirklich zu dumm
Aber ehrlich, man bringt sich doch nicht gleich um,
nur weil mal aus Verseh'n was in der Zeitung steht!"
Die Gegendarstellung erschien am Abend schon:
Fünf Zeilen, mit dem Bedauern der Redaktion
Aber Hand aufs Herz - wer liest, was so klein in der Zeitung steht?

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