David Garrick

Rüdesheim liegt nicht an der Themse (Audio)

Rüdesheim liegt nicht an der Themse,
und das ist schade, dann wär' der Weg für mich nicht gar so weit
Rüdesheim liegt nicht an der Themse,
drum muß ich reisen von Zeit zu Zeit...

(Kehrreim:)
|: An den Rhein :| Da gibt's Mädchen, da gibt's Wein
|: Doch bei mir :| in old England trinkt man Bier
|: Doch nicht nur :| Nein, man trinkt auch Whiskey pur
anstatt Wein, wie in Rüdesheim am Rhein.

Rüdesheim liegt nicht an der Themse,
und das ist traurig, so muß ich 'rüber über den Kanal, oh!
Rüdesheim liegt nicht an der Themse
Ich aber reise noch hundertmal...

Kehrreim

Rüdesheim liegt nicht an der Themse,
das ist ein Jammer, denn auch die Drosselgasse ist so weit, oh!
Rüdesheim liegt nicht an der Themse,
drum muß ich reisen von Zeit zu Zeit...

*|: An den Rhein :| Da gibt's Mädchen, da gibt's Wein
|: Weit und breit :| Frohsinn und Gemütlichkeit
|: Jeder Kuß :| ist ein himmlischer Genuß,
|: wenn man Wein trinkt zu Rüdesheim am Rhein :|


*Beim letzten Kehrreim ist nicht nur der Text geändert, sondern auch der Takt - von 4/4 auf 3/4.

Daß Rüdesheim geographisch nicht an der Themse liegt, sondern am Rhein - schräg gegenüber Bingen, genauer gesagt gegenüber Büdesheim, einem heute eingemeindeten Stadtteil - ist unbestritten. War das aber hier wirklich im geographischen Sinne gemeint? Oder nicht vielmehr im übertragenen? Ging es nicht eher um das Kneipenviertel im Allgemeinen und um die Schnapsdrosselgasse im Besonderen? Jawohl, Schnapsdrosselgasse, denn entgegen dem Text wurde dort anno 1970, als das Lied entstand, nicht bloß Wein getrunken - im Gegenteil! Rüdesheim stand seit eh und je für die älteste noch aktive Schnapsbrennerei Deutschlands, Asbach. Dort wurde "der Geist des Weines" produziert und mit dem Spruch beworben: "Wenn einem soviel Gutes widerfährt - das ist schon einen Asbach uralt wert!" Dieser Satz - manchmal auch variiert zu "soviel Schönes" oder "also Gutes" - war buchstäblich in Aller Munde und so populär, daß "asbach" als Adjektiv allmählich das Wort "uralt" verdrängte, so wie das Getränk den viel teureren - und auch nicht besseren - französischen Cognac vom deutschen Markt verdrängte. (Das war, bevor es Remy Martin, Napoléon u.a. französische Branntweine minderer Qualität auch bei Aldi & Co. zu kaufen gab ;-) Irgendwann begann jedoch der Umsatz zu sinken: Die Zahl der ausländischen Touristen, die eine Rheinfahrt buchten und unterwegs in Rüdesheim anhielten, um sich zu besaufen, ging ebenso zurück wie die Zahl derer, die sich zuhause einen Asbach hinter die Binde kippten. Woran lag es? Daran, daß er so teuer war? Ach was, der Preis war 30 Jahre konstant geblieben, d.h. in den 1950er Jahren war er tatsächlich schweinisch teuer gewesen - und hatte sich trotzdem gut verkauft -, inzwischen hätte ihn sich wirklich Jeder leisten können; auch die Erhöhung der Branntweinsteuer 1980 fiel kaum ins Gewicht - außerdem traf sie die Billig-Konkurrenz ja genauso, prozentual gesehen sogar noch härter. War vielleicht die Werbung schuld? Dann war die Lösung doch ganz einfach: Weg mit diesem antiquierten Spruch! Wer wollte schon altmodisch sein, eine Flasche neben einem alten Gemäuer, einem gesichtsalten Soldaten oder gar einem alten Spinnennetz sehen?!?

Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, daß vorübergehend sogar erwogen wurde, das Getränk in "Asbach modern" umzubenennen; aus irgendwelchen Gründen unterblieb das jedoch.** Es wäre wohl auch zu spät gewesen, denn 1990 war der Asbach-Konzern am Ende: Er hatte den Hals nicht voll gekriegt und immer mehr Alkoholproduzenten in aller Welt "geschluckt" - u.a. Black & White, Dimple, VAT 69 und Pommery -, was zwar den Umatz auf fast unglaubliche 12 Milliarden DM p.a. steigerte (davon ca. 400 Millionen mit Asbach-Uralt), aber auch den Verlust. Der marode Laden wurde von den zerstrittenen Erben an den irischen Guinness-Konzern (berühmt-berüchtigt für sein scheußliches, lauwarmes Schwarzbier) verscherbelt, genauer gesagt an dessen Tochtergesellschaft "United Destillers" - und nun lag Rüdesheim zwar immer noch nicht an der Themse, aber schon ein gutes Stück näher. 1996/97 fusionierte Guinness mit Grand Metropolitan zum größten Alkoholikakonzern der Welt - von dem Ihr, liebe deutsche Leser, wahrscheinlich noch nie gehört habt -, "Diageo". Dieser neue Konzern nahm sein Hauptquartier in einer alten Guinness-Brauerei in London - und nun lag Rüdesheim, d.h. Asbach, tatsächlich direkt an der Themse! Allerdings nicht lange, denn die Macher waren knallharte Geschäftsleute, die alle Verlustbringer gnadenlos aussortierten und weiterverkauften. 1999 drehten sie 50% der Asbach-Anteile der Semper idem AG an, die 2002 auch den Rest übernahm. (Im selben Jahr verkaufte D. auch den maroden Pleitegeier Burger King, aber das nur am Rande, um zu zeigen, in welch tiefe Kategorie Rüdesheim mittlerweile gesunken war ;-) Was, Ihr habt auch noch nie von "semper idem" gehört? Das ist ein alter lateinischer Trinkspruch unter Studenten, der wörtlich "immer das Gleiche" bedeutet, und er paßt geradezu perfekt auf jenes Unternehmen - das u.a. Boonekamp, Underberg und Glenfiddich herstellt -, denn es ist überall das Gleiche drin: Wasser, Industrie-Alkohol sowie "naturidentische" Farb- und Aromastoffe aus dem Chemielabor; lediglich der Preis ist unterschiedlich - wegen der unterschiedlichen Verpackung und der unterschiedlichen Werbung. Nun liegt Rüdesheim also doch wieder fast am Rhein, nämlich in Rheinberg bei Duisburg (obwohl der steuerliche Hauptsitz in der Schweiz liegt).
Und um auch das noch nachzutragen: Inzwischen hat der REWE-Konzern die Namensrechte erworben, um damit seinen Billig-Fusel zu etikettieren. Wenn Ihr also glaubt, daß Euch damit Gutes widerfährt, dann könnt Ihr ja mal in einen von dessen Supermärkten gehen und probieren, wie das Zeug schmeckt. (Ich bin außen vor, denn ich trinke schon seit Jahren keinen Alkohol mehr; aber ich würde mal vermuten, daß es dem, was Orwell in "1984" als "Victory gin" bezeichnete, recht nahe kommt ;-)

**Ihr glaubt das nicht? Aber die modernistischen Werbefritzen haben sich noch weit Schlimmeres ausgesponnen. Z.B. hat ein Konzern, der die Abfallprodukte seines Puddingpulvers zu Pizza verarbeitet, letztere für einige Zeit als "Pizza tradizionale" beworben und dieser Lüge noch eins draufgesetzt durch den Hinweis: "nuova ricetta" [neues Rezept]. Abgesehen davon, daß das ein Widerspruch in sich ist, hat weder das alte noch das neue Rezept etwas mit traditionell hergestellter Pizza zu tun, wie Euch jeder alte italienische Pizzabäcker bestätigen kann. Ich erwähne das nur colorandi causa, um zu zeigen, auf welchem Niveau sich die heutige Werbung befindet. (Geholfen hat es übrigens nichts: Nachdem der Umsatz nochmal kräftig eingebrochen war, wurde der idiotische Hinweis wieder entfernt ;-)

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